Joon saß an seinem Schreibtisch und betrachtete voller Faszination die neue ID-Karte, die er von Min-seo erhalten hatte. Um es kurz zu machen: Sie war perfekt. Er drehte sie in seinen Händen, immer noch beeindruckt von der Präzision und Detailtreue der Fälschung. Jedes kleine bisschen war genauso, wie es auf einer ganz normalen ID-Karte war.
»Min-seo ist einfach die Beste, in ihrem Geschäft«, murmelte er vor sich hin, dann fiel plötzlich sein Blick auf den Bildschirm seines Computers. Eine Benachrichtigung blinkte auf: Jemand hatte seine Daten und sein Profil angefragt. Joon runzelte die Stirn und klickte auf die Meldung. Sein Herz setzte für einen Schlag aus, als er den Namen sah: Lee Min-seo.
»Das kann nicht sein.« Er beugte sich nach vorne, um die Meldung genauer zu sehen. Er hatte sich gerade erst mit Min-seo getroffen, und sie hatte ihm persönlich die ID-Karte übergeben. Außerdem wusste er, dass Min-seo seit einem Jahr nicht mehr im aktiven Regierungsdienst war. Nicht nur das: Er war an dem Tag ihrer Verabschiedung dabei gewesen.
Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Irgendetwas stimmte hier nicht. War es möglich, dass jemand Min-seos Identität benutzte, um an seine Informationen zu gelangen? Oder war Min-seo selbst in etwas verwickelt, von dem er nichts wusste? Und was am wichtigsten war: Weshalb forschte jemand über ihn nach? Das war das Beunruhigende.
Joon legte die neue ID-Karte vorsichtig vor sich auf den Schreibtisch. Er wollte Min-seo vertrauen. Er kannte sie jetzt schon seit fast fünf Jahren. Nie hatte sie ihm irgendeinen Grund gegeben, ihr zu misstrauen.
Mit einem frustrierten Seufzen fuhr Joon sich durch die Haare. Der ganze Auftrag geriet so langsam außer Kontrolle. »Urlaub. Ich brauche wirklich Urlaub«, murmelte er. Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Hey Computer.«
»Ja, wie kann ich Ihnen heute helfen, Agent Kim?«, erkundigte sich die darin eingebaute KI bei ihm.
Joon setzte sich gerade in seinem Stuhl hin. »Welche Daten genau sind von Agent Lee Min-seo angefordert worden?«
Der Motor des Computers brummte kurz. »Alle vorliegenden.«
»Welche wurden freigegeben?«, hakte Joon nach. »Waren das wirklich alle?« Er konnte spüren, wie sein Herzschlag sich beschleunigte.
»Negativ«, antwortete der Computer. »Die Militärakten sind unberührt.«
Joon fühlte sich, als fiele ihm nicht ein Stein, sondern ein Fels von den Schultern. »Gott sei Dank.«
Die Militärakten von Joon waren nicht nur irgendwelche Akten, sondern Aufzeichnungen darüber, wer er war. Sie dokumentierten, wie er in den Agentendienst kam. Nicht nur das: Jemand, der wirklich schlau war, konnte nach Prüfung dieser Akten Joons wahre Ziele erkennen. Noch nicht einmal seinem Boss, hatte Joon den gesamten Inhalt geschickt. Es war nicht leicht gewesen, das so einzurichten, doch es hatte funktioniert.
Joon lehnte sich in seinem Stuhl zurück und rieb sich die Augen. Die Erleichterung darüber, dass seine Militärakten sicher waren, mischte sich mit einer wachsenden Besorgnis. Wenn jemand versuchte, an seine Daten zu kommen, und dafür sogar Min-seos Identität missbrauchte, musste die Sache ernst sein. Er griff nach seinem verschlüsselten Smartphone und wählte Min-seos Nummer. Während es klingelte, spielte er nervös mit der gefälschten ID-Karte. Nach dem dritten Klingeln nahm sie ab.
»Joonie, was gibt’s?« Min-seos Stimme klang entspannt, fast amüsiert. »Sag bloß, du vermisst mich.«
Joon zögerte kurz. »Min-seo, hast du gerade versucht, auf meine Daten zuzugreifen?«
Eine Pause folgte. »Nein, warum sollte ich das tun? Ich habe alle Informationen, die ich brauche. Hätte ich sie nicht, hättest du deine neue ID-Karte jetzt auch nicht in der Hand.«
Joons Magen zog sich zusammen wie Kaugummi. »Jemand hat deine Identität benutzt, um meine Daten anzufordern. Vor wenigen Minuten. Mir ist es gerade eben durch Zufall aufgefallen.«
Er hörte, wie Min-seo scharf die Luft einzog. »Das ist nicht gut, Joon. Gar nicht gut. Wo bist du gerade?«
»Zu Hause«, antwortete er, stand auf und begann damit, seine wichtigsten Unterlagen zusammenzusuchen. »Aber hier kann ich vermutlich nicht länger bleiben. Ich muss wohl untertauchen.« Er seufzte.
»Joonie, du hast echt ein Talent dafür, in Probleme zu geraten, weißt du das?«
»Erzähl mir was neues.« Joon seufzte erneut.
»Was gedenkst du jetzt zu tun?«, erkundigte Min-seo sich bei ihm. »Wobei.. Erzähle es mir besser nicht.«
»Min-seo?«, fragte Joon, dem gerade etwas einfiel. »Was ist eigentlich mit deiner Agenten ID passiert? Du hast sie doch abgegeben, oder?«
»Selbstverständlich!«, kam die prompte Antwort. »Ich habe sie abgegeben, genau wie von mir verlangt wurde.«
Joon glaubte ihr. Min-seo war eine der fähigsten und gewissenhaftesten Menschen, die er kannte. Er konnte und wollte nicht akzeptieren, dass sie etwas tun würde, um ihm zu schaden. Doch das warf die Frage auf, wer das dann tun würde? Und warum?
Als er auflegte, wusste Joon, dass die Dinge gerade viel komplizierter geworden waren. Er musste vorsichtig sein, sehr vorsichtig. Denn wenn jemand herausfand, was in seinen Militärakten stand, wären nicht nur seine Mission, sondern sein Leben in Gefahr und das auf eine ganz andere Art, als sonst.
Er lehnte sich zurück und starrte einen Moment lang an die Decke, während seine Gedanken rasten. Die drückende Stille in seiner Wohnung schien die Schwere der Situation nur noch zu verstärken und die Wände um ihn herum immer enger und näher um ihn herum zu werden. Er brauchte Klarheit, einen Moment, um seine Gedanken zu ordnen und eine Strategie zu entwickeln.
Entschlossen stand Joon auf, steckte die ID-Karte in seine Jackentasche und schnappte sich seinen Helm. Er verließ die Wohnung, die ihm plötzlich bedrückend erschien, und machte sich auf den Weg zur Tiefgarage.
Sein Motorrad stand dort, glänzend und bereit, ihm die Freiheit zu geben, die er jetzt dringend benötigte. Als er den Motor startete, spürte er das vertraute Vibrieren unter sich und atmete tief ein. Die frische Luft würde ihm gut tun, helfen, den Kopf frei zu bekommen. Mit einem letzten Blick zurück auf das Gebäude, das er sein Zuhause nannte, drehte er den Gasgriff und fuhr los.
Der Wind peitschte ihm ins Gesicht, während er durch die Straßen der Stadt fuhr, die Lichter verschwommen zu einem kaleidoskopischen Fluss aus Farben. Joon wusste, dass er Antworten finden musste, aber für den Moment reichte es ihm, zu fahren, die Gedanken schweifen zu lassen und die Freiheit der offenen Straße zu genießen. Es war genau das, was er brauchte, um einen klaren Kopf zu bekommen und die nächsten Schritte zu planen.