Joon, der rücklings auf seinem Bett lag, starrte genervt an die Zimmerdecke. Sein Messenger hatte jetzt schon mindestens dreimal vibriert. Scheinbar war etwas in der Stadt passiert. Doch Joon sah nicht darauf. Er hatte einen klaren Verhaltenskodex, was solche Dinge betraf: Wenn sein Arbeitgeber ihn nicht persönlich anrief, dann konnten sich ruhig einen anderen Agenten suchen. So schlimm war es dann wohl doch nicht. Was ganz gut war, denn Joon hatte noch einiges, um das er sich kümmern musste. Beispielsweise darüber nachdenken, was er mit dem Datenchip, den er Daniel nicht gegeben hatte, anstellen sollte.
»Agent Kim, ich rufe Sie«, ertönte es daraufhin schon aus seiner Anlage. »Explosion in der Stadt, erbitte Klärung.«
Joon funkelte die Sprechanlage wütend an. »Keine Zeit«, knurrte er, obwohl »keine Lust« es besser getroffen hätte.
»Soweit ich hier sehe, haben Sie derzeit keine weiteren Missionen in Ihrem Profil, Agent Kim. Daher haben Sie sehr wohl Zeit«, die Stimme klang etwas verärgert.
Joon seufzte tief und rieb sich mit der Hand übers Gesicht. Er wusste, dass er dem Befehl nicht länger ausweichen konnte, ohne ernsthafte Konsequenzen zu riskieren. Mit einem unterdrückten Fluch schwang er die Beine vom Bett und stand auf.
»Verstanden. Ich bin in zehn Minuten vor Ort«, antwortete er widerwillig. Während er sich bereit machte, wanderten seine Gedanken wieder zu dem Datenchip in seiner Tasche. Er musste vorsichtig sein - ein falscher Schritt könnte alles gefährden, woran er so lange gearbeitet hatte. Die Explosion in der Stadt kam zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, aber vielleicht konnte er die Situation zu seinem Vorteil nutzen.
Die Situation vor Ort war absolutes Chaos. Mit einem Mal verstand Joon, warum sein Boss ihn angerufen hatte. Das hier einem unerfahrenem Agenten zu überlassen, wäre Wahnsinn gewesen. Nicht nur, dass sich hier Pattroullien-Drohnen versammelt hatten, es mussten mindestens hundert sein. Das Hochhaus stand noch immer in Flammen, über welchem jetzt noch Löschdrohnen kreisten. Die Luft war erfüllt von einem Gemisch aus Rauch und dem beißenden Geruch verbrannter Materialien, der Joon sofort in die Nase stieg.
Das Hochhaus war ein Bild der Zerstörung. Flammen züngelten aus zerbrochenen Fenstern, und die Hitze war selbst auf Abstand noch spürbar. Die Fassade des Gebäudes war schwarz vor Ruß, und Trümmerteile lagen verstreut auf der Straße.
»Es muss unglaublich gewesen sein«, murmelte Joon vor sich hin.
Eine der vielen Pattroullien-Drohnen flog auf ihn zu und scannte ihn kurz. »Ankunft von Agent Kim Joon, bestätigt«, meldete sie.
»Ich weiß. Schließlich bin ich ja hier.« Joon runzelte die Stirn. »Was ist passiert?«
»Terroristischer Anschlag vor exakt dreißig Minuten. Nähere Hintergründe zum jetzigen Zeitpunkt unbekannt«, antwortete die Drohne auf seine Frage hin. »Aufklärungsmission wird eingeleitet.«
Joon seufzte. »Ich weiß. Wäre es nicht so, wäre ich nicht hier«, knurrte er sarkastisch. »Ist jemand hier, mit dem ich reden kann? Ein Mensch, meine ich.«
Die Drohne gab ein kurzes Summen von sich. »Soll ich Sie mit dem HQ verbinden, Agent Kim?«, fragte sie Joon dann.
»Nein, die kann ich selbst anfunken, danke«, antwortete Joon. »Mach einfach, was du vorher getan hast. Ich sehe mich hier noch ein wenig weiter um.«
Joon trat näher an das zerstörte Hochhaus heran, wobei er vorsichtig den Trümmern auswich, die über den Gehweg verstreut lagen. Die Hitze, die von den Flammen ausging, war selbst auf diese Entfernung intensiv spürbar, und er konnte den Ruß in der Luft schmecken. Während er sich umsah, fiel ihm auf, dass die Löschdrohnen methodisch arbeiteten, um die Flammen einzudämmen, aber es war klar, dass die Situation noch lange nicht unter Kontrolle war.
»Es muss wirklich gewaltig gewesen sein«, murmelte er. Dann rief er die Drohne doch wieder einmal zurück. »Hey, du! Komm her!«
Kaum hatte er es gerufen, kam die Drohne mit einem leisen Summen angeflogen. »Was kann ich für Sie tun, Agent Kim?«
»Gibt es Bilder oder Aufnahmen von vor der Explosion? Das hier ist doch ein Bürogebäude, oder nicht?«, fragte er.
Die Drohne schwebte einen Moment still in der Luft, offenbar ihre Datenbanken durchsuchend. »Affirmativ, Agent Kim. Das Gebäude war tatsächlich ein Bürokomplex. Ich habe Zugriff auf Aufnahmen von heute Morgen, 08:23 Uhr lokaler Zeit, etwa 9 Stunden vor der Explosion. Soll ich sie auf Ihr Gerät übertragen?«
Joon nickte kurz. »Ja, bitte. Und gibt es Informationen darüber, welche Firmen hier ihre Büros hatten?« Während die Drohne die Daten übermittelte, beobachtete Joon die Rettungsarbeiten. Er sah, wie weitere der Löschdrohnen in und über das Gebäude flogen, um das Feuer endlich endgültig löschen zu können.
»Übertragung abgeschlossen, Agent Kim«, meldete die Drohne ihm nach einer Weile. »Das Gebäude beherbergte mehrere Unternehmen. Darunter IT-Firmen, Anwaltskanzleien und eine der Niederlassungen von InfiniCore Technologies. Möchten Sie eine vollständige Liste?«
Joon runzelte die Stirn. »InfiniCore? Das ist sehr interessant. Ja, schick mir die vollständige Liste. Und sag mir, ob es irgendwelche Auffälligkeiten gab, Ungewöhnliche Aktivitäten, Besucher, was auch immer. Irgendetwas in den letzten Tagen vor der Explosion.«
Erneut summte die Drohne. »Sie haben nun alle Daten erhalten, Agent Kim«, teilte sie ihm mit.
Joon nickte wie abwesend. So langsam begann er zu verstehen, weshalb man ihn hierher gerufen hatte. Nicht nur wegen dem Ausmaß der Zerstörung, das war jetzt klar. Wenn InfiniCore eine Niederlassung hier hatte, dann hieß das, dass Elysium Networks und NexisTech Innovation mit drin hingen. Und das bedeutete vor allem eines: Harte Arbeit.
InfiniCore Technologies, Elysium Networks und NexisTech Innovations waren die drei Firmen, die das Stadtbild. Sogar auf die Politik hatten sie großen Einfluss. Wenngleich nicht offiziell. Ohne sie war ein Leben quasi nicht mehr möglich.
Während Elysium Networks sich in der Kommunikations- und Medienlandschaft festgebissen hatte, wie ein Hund in einen Knochen, konkurrierten InfiniCore Technologies und NexisTech Innovations alles andere und das war viel. Das war klar. Was die Sache nicht leichter machte. Im Gegenteil.
Die Herstellung von Drohnen und KI-Robotern stand schon lange im Mittelpunkt ihrer Rivalität.
InfiniCore Technologies war bekannt für ihre effektiven Drohnen. Sie stellten besonders beeindruckend Patrouillen-Drohnen her, wie die die Joon hier sah. Diese Drohnen waren genau und konnten lange fliegen. InfiniCore hatte hervorragende Löschdrohnen gebaut. Diese konnten sogar schwere Brände wie diesen hier löschen.
NexisTech Innovations machte ihre Drohnen und Roboter schlauer. Sie bauten künstliche Intelligenz ein, damit die Geräte alleine denken und lernen konnten. Die Kunden mochten das, weil die Drohnen ohne Hilfe arbeiten konnten. Sie konnten sogar mit unerwarteten Problemen umgehen und daraus lernen. Das war etwas Besonderes, denn nicht alle Drohnen konnten das.
Beide Firmen gaben viel Geld aus, um immer bessere Drohnen herzustellen. Sie wollten, dass die Regierung und am besten alle anderen ihre Drohnen kaufen. Sie sagten, ihre Drohnen seien wichtig für die Sicherheit und das tägliche Leben. Man sah die Drohnen überall in der Stadt. Sie flogen auf den Straßen, achteten auf den Verkehr auf und halfen bei Unfällen. In Häusern und öffentlichen Orten arbeiteten ihre klugen Roboter. Sie sorgten für Sicherheit, reparierten Gegenstände und halfen Menschen.
Viele fanden die Drohnen gut, aber manche Leute waren besorgt: Sie sagten, die Drohnen könnten zu viel über die Menschen wissen. Es gab sogar Organisationen, die sich dafür einsetzten. Doch ohne Erfolg. Sie fragten sich, ob es richtig ist, wenn Maschinen wichtige Entscheidungen treffen.
Joon wusste, dass seine Arbeit schwieriger wurde, weil InfiniCore am Tatort beteiligt war. Er musste nicht nur herausfinden, wer für den Anschlag die Verantwortung trug. Er musste verstehen, was die Firmen damit zu tun haben könnten. Die Explosion könnte mehr sein als nur ein Angriff. Sie könnte Teil eines großen Plans sein, um weitere Macht in der Stadt zu bekommen.
Joon schüttelte sich unwillkürlich, als er an all das dachte. Ihm war wirklich keine Pause vergönnt. So sehr er sich die auch gewünscht hatte.
»Wäre ja auch zu schön gewesen«, murmelte er und beschloss, sich erstmal einen ruhigen Ort zu suchen, wo er alle Daten, welche die Drohne ihm geschickt hatte, überprüfen konnte.
Mit einem tiefen Atemzug richtete Joon seinen Blick auf das brennende Hochhaus, das wie ein Mahnmal in den Himmel ragte. Die Flammen tanzten in seinen Augen, als er die Schwere der bevorstehenden Aufgabe spürte. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er nicht nur gegen die Schatten eines einzelnen Anschlags kämpfte, sondern gegen jene, die die unsichtbaren Fäden, die die Stadt im Griff hielten.