Julia hatte Probleme, sich in der Stadt zurechtzufinden. Die schiere Größe und das hektische Treiben der Metropole überwältigten sie. Überall um sie herum gab es Menschen, die in Eile waren. Die Geräuschkulisse der Stadt war furchtbar ohrenbetäubend. Sie fühlte sich verloren in den endlosen Straßen und den anonymen Gesichtern, die an ihr vorbeizogen. Die Unsicherheit, die sie empfand, wurde durch die ständige Angst vor den Gefahren, die in einer solchen Umgebung lauern konnten, verstärkt. Julia hatte von den Vorfällen gehört, die in den letzten Wochen in der Stadt passiert waren – Überfälle, Diebstähle und andere Verbrechen. Diese Geschichten schüren ihre Furcht und lassen sie vorsichtiger werden.
»Vielleicht hat Joon Recht«, murmelte sie vor sich hin und trat ungeduldig einen Stein zur Seite und ballte, während sie daran dachte, ihre Hände zu Fäusten.
Eine der Überwachungsdrohnen flog näher an Julia heran. »Das Kicken von Steinen und ähnlichen Dingen, ist gefährlich und kann Ihre Mitmenschen verletzen. Bitte unterlassen Sie daher Handlungen wie diese«, ermahnte sie Julia.
Diese verdrehte die Augen und seufzte frustriert. Die allgegenwärtige Überwachung und Bevormundung durch die Drohnen verstärkte nur ihr Gefühl der Beklemmung in dieser fremden Umgebung. Mit einer fahrigen Geste strich sie sich durch die Haare.
»Ich muss Sie bitten, sich etwas kooperativer zu verhalten«, redete die Drohne weiter auf sie ein.
Julia zwang sich dazu, tief durchzuatmen und ein Lächeln. »Alles gut. Siehst du? Ich lächel.« Julia blickte die Drohne mit einem breiten Lächeln an.
Die Drohne scannte sie einmal mit einem roten Licht, dann summte sie zufrieden und flog weiter. Kaum hatte sie das getan, atmete Julia erleichtert aus. Natürlich waren auch für sie Drohnen absolut nichts Ungewöhnliches. Aber in der Kleinstadt, aus der sie kam, waren längst nicht so viele vorhanden wie hier.
»Wahrscheinlich sind wir dafür einfach zu unwichtig«, murmelte Julia, was ein beruhigender Gedanke war, sie aber dennoch ärgerte. Sie konnte nicht anders als ihre Hände zu Fäusten zu ballen. Denn der Gedanke an zuhause erinnerte sie auch wieder daran, weshalb sie hier war. Sie seufzte.
»Für ihn ist das alles sicher ganz normal«, murmelte sie. »Er sah nicht so aus, als ob er sich von so etwas aus der Ruhe bringen lassen würde.« Ganz im Gegenteil. Joon hatte auf sie den Eindruck gemacht, als wäre er völlig in seinem Element in dieser chaotischen, überwachten Welt. Seine Gelassenheit und Selbstsicherheit hatten Julia beeindruckt und gleichzeitig verunsichert.
Sie dachte an die Art, wie er mit ihr sprach und sich bewegte. Seine Worte waren kurz und bündig, die Bewegungen, gerade die mit denen er seine Waffe bediente, flüssig. So als hätte er dies schon hunderte Mal getan. Für einen Moment beneidete Julia ihn um diese Fähigkeit. Doch dann wiederum, war dieser Blick, mit dem er sie angesehen hatte, alles andere als kalt oder routiniert gewesen. Für einen kurzen Augenblick hatte sie etwas in seinen Augen gesehen - eine Mischung aus Neugier und sogar einem Hauch von Sorge.
Julia schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Sie durfte sich nicht von solchen Überlegungen ablenken lassen. Sie war hier mit einer Aufgabe, und diese Aufgabe erforderte ihre volle Konzentration. Dennoch konnte sie nicht umhin, sich zu fragen, was Joon wohl gerade tat und ob er vielleicht auch an sie dachte.
Mit einem entschlossenen Atemzug richtete sie sich auf und setzte ihren Weg fort. Die Stadt mochte überwältigend sein, und Joon mochte besser darin zurechtkommen als sie, aber Julia war fest entschlossen, ihren eigenen Weg zu finden. Sie würde lernen, sich in dieser neuen Umgebung zu bewegen, und dabei würde sie nie vergessen, warum sie hier war. Mit jedem Schritt fühlte sie sich ein wenig sicherer, etwas mehr bereit für die Herausforderungen, die vor ihr lagen. Und nicht nur das: Sie wollte ihm beweisen, dass er falsch lag. Sie war längst nicht so hilflos, wie er es von ihr dachte.
Auf einmal durchbrach ein ohrenbetäubender Knall die Geräuschkulisse der Stadt. Julia spürte, wie der Boden unter ihren Füßen erzitterte. Instinktiv duckte sie sich um den Scherben und Trümmern die durch die Luft flogen auszuweichen und nicht getroffen zu werden. Panik brach aus, Menschen schrien und rannten in alle Richtungen. Julias Herz raste, als sie sich umsah und die Quelle der Explosion ausmachte - ein Gebäude, nur wenige Straßen entfernt stand in Flammen. Für einen Moment war sie wie erstarrt, überwältigt von der plötzlichen Gewalt in dieser ihr so fremden Umgebung.
Sie musste an das denken, was Joon über sie gesagt hatte: »Drei Tage. Sie wird nicht einmal drei Tage durchhalten.«
Julia ballte ihre Hände zu Fäusten. Es machte sie wütend, nur daran zu denken. »Wie kann man nur so selbstgerecht sein?«, knurrte sie zwischen den Zähnen hindurch.
Mit immer noch zitternden Händen, aber entschlossenem Blick begann Julia, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, weg von der Gefahrenzone. Sie wusste, es würde hier gleich ein ganzes Meer von Drohnen auftauchen. Und nicht nur das, sicher auch Regierungsagenten wie Joon. Es würde Befragungen geben und der Größe der Explosion nach keine zimperlichen. Schon jetzt konnte sie in der Ferne die Sirenen heulen hören.
Julia straffte ihre Schultern und beschleunigte ihre Schritte, um möglichste schnell von ihr wegzukommen. Es gab da ohnehin jemanden, mit dem sie sich unterhalten musste. Und das war nicht Joon.