»Ich glaube, mir ist schlecht«, murmelte Julia. Die zwei Drink hinunter zu kippen, als wären sie Wasser, war keine gute Idee gewesen. Schon jetzt konnte sie die Wirkung des Alkohols in ihren Adern pulsieren spüren. Sie hatte Joon um einen starken Drink gebeten. Er hielt Wort. Sie sah zu ihm hinüber.
Er hatte sein eigenes Getränk kaum angerührt. Stattdessen starrte er gedankenverloren in sein Glas, als ob er darin Antworten suchen würde. Seine Distanziertheit und Passivität frustrierte sie immer mehr.
»Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?«, fragte sie ungeduldig. Die Ereignisse des Abends wirbelten in ihrem Kopf herum, und sie konnte nicht verstehen, wie Joon so ruhig bleiben konnte. »Oder willst du das alles einfach so stehen lassen? Ich jedenfalls nicht.«
Endlich sah er sie an, seine Augen müde und ernst. »Du solltest das einfach vergessen«, riet er ihr. »Mit diesen Leuten ist nicht zu Spaßen.«
Julia spürte, wie Wut in ihr aufstieg. Vergessen? Nach allem, was passiert war? Sie konnte nicht glauben, dass er das ernst meinte. »Vergessen?«, schnaubte sie verächtlich. »Nach allem, was gerade passiert ist? Du kannst nicht ernsthaft glauben, dass ich das einfach so hinnehme.«
»Das sagst du nur, weil du diese Leute nicht kennst«, entgegnete Joon und sah sie mit einem Blick an, der sie irritierte. »Eclipse ist keine gewöhnliche Organisation. Sie sind... gefährlich. Je weniger du weißt, desto besser.«
»Das kannst du nicht ernst meinen!« Julia war so wütend darüber, dass sie von ihrem Stuhl aufsprang. »Glaubst du wirklich, dass ich mich von diesen Idioten einschüchtern lassen?«
Sie sah, wie Joon sich müde die Augen rieb, und für einen Moment fühlte sie Mitleid mit ihm. Anscheinend hatte sogar ihn das alles mehr mitgenommen, als sie zuvor dachte. »Du verstehst nicht. Man kann nicht einfach mal so eben gegen Eclipse vorgehen.«
Julia war sich nicht sicher, ob es eine gute Idee war, doch sie beschloss, ihn zu provozieren. »Dir ist aber schon klar, dass sie zurück kommen werden, oder? Das hat dieser Mann selbst gesagt. Und du willst einfach nichts tun? Selbst dir müsste doch selbst klar sein, wie bescheuert das ist.«
Sie sah, wie Joon einen tiefen Schluck aus seinem Glas nahm. »Ich bin nur wegen dir in diese ganze Sache rein geraten«, knurrte er. »Und ich hab echt keine Zeit mich um das Leben von anderen zu kümmern.«
»Ich will Antworten«, erklärte sie fest entschlossen. »Und ich glaube, du bist der Einzige, der mir dabei helfen kann, sie zu finden. Du hast Verbindungen, Ressourcen. Zusammen können wir herausfinden, was hier wirklich vor sich geht.«
Joon ballte eine seiner Hände zu Fäusten. »Ich glaube wirklich, dass du es bist, die mir nicht zuhört.« Er funkelte sie wütend an. »Doch es gibt da auch etwas, was mich wirklich wütend macht.«
Julia spürte wie ein Keim von Hoffnung in ihr aufstieg. »Ach ja? Was denn?«
»Ich hasse es, wenn man mich wie ein kleines unwissendes Kind behandelt«, stellte er klar und seine Augen wirkten jetzt nicht mehr müde. Stattdessen konnte sie Wut darin erkennen. »Insbesondere, da ich nie die Chance hatte eines zu sein.«
Julia hielt inne. Diese Antwort hatte sie von ihm nicht erwartet. Sie spürte, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte, einen, der tiefer ging als die aktuelle Situation. »Joon, was-«
»Das ist nicht wichtig«, fiel er ihr ins Wort. »Es spielt keine Rolle.«
Das sah Julia ein wenig anders, doch sie beschloss es, fürs erste gut sein zu lassen. »Was ist jetzt? Hilfst du mir?«
Joons Blick richtete sich wieder auf sein Glas. »Ich kann dich wohl kaum einfach alleine mit diesen Typen lassen.«
Julia öffnete den Mund um etwas darauf zu entgegnen, doch er war schneller.
»Außerdem kann es gut sein, dass sie was mit meiner aktuellen Mission zu tun haben«, fuhr er fort. »Aber wenn wir das hier schon zusammen machen, habe ich eine Bedingung.«
Das hatte sie fast befürchtet. »Also gut. Wie lautet sie?«
»Wir machen das hier auf meine Art und das heißt: Wir rennen nicht wie zwei kopflose Hühner durch die Gegend.« Joon trank die letzten paar Schlucke von seinem Getränk. »Wenn ich sage, dass wir etwas nicht machen, dann machen wir es auch nicht. Verstanden?« Er hielt Julia seine Hand hin. »Was sagst du?«
Julia hätte eine ganze Menge dazu zu sagen gehabt, doch sie entschied sich, das erst einmal runterzuschlucken. Sie war Joons Hilfe angewiesen, dass wusste sie genauso gut wie er. Was ihre Position nicht einfacher machte. Im Gegenteil. »Also gut«, sie ergriff seine Hand und schüttelte sie. »Du bist der Superagent hier. Was ist unser Plan?«
»Nicht hier, nicht jetzt«, antwortete Joon ausweichend. »Wir können nicht wissen, ob diese Leute zurück kommen. Zudem ist es hier nicht sicher hier.«
So weit hatte sie nicht gedacht, das musste sie zugeben.
»Jetzt komm endlich«, trieb Joon sie an. »Wir haben ohnehin schon viel zu viel Aufmerksamkeit auf uns gezogen.«
Um ihn nicht weiter zu provozieren, nickte sie und folgte ihm nach draußen.
Julia starrte auf das schwarze Motorrad vor ihr, ein gigantisches Fahrzeug, das im Schein der Straßenlaternen bedrohlich glänzte. Joon stand daneben, den Helm in der Hand, und sah sie erwartungsvoll an.
»Ich werde ganz sicher nicht auf dieses Monster steigen«, entgegnete sie mit fester Stimme, hoffend, dass er ihre Nervosität nicht bemerkte.
Joon blickte sie genervt an. »Was ist jetzt wieder dein Problem? Es ist der schnellste und sicherste Weg, von hier wegzukommen.« Er hielt ihr einen Helm hin.
Julia sah skeptisch auf das Motorrad, dann zu Joon. »Ich glaube nicht, dass das da wirklich sicher ist.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Außerdem habe ich auch gar nicht die passende Kleidung an.«
Joon verdrehte so hart genervt die Augen, dass es Julia nicht gewundert hätte, wenn ihm diese aus seinen Augenhöhlen gefallen wären. »Hör zu, ich fahre seit Jahren«, erklärte er. »Und ich hatte bisher keinen einzigen Unfall.«
Julia biss sich auf die Lippe, immer noch unentschlossen. Sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte, wenn sie mehr über Eclipse herausfinden wollte. Aber die Vorstellung, auf diesem Ding zu sitzen, ließ ihr Herz rasen. Okay«, sagte sie und nahm zögernd den Helm, den er ihr hinhielt. »Aber du musst mir versprechen, vorsichtig zu fahren.«
Joon machte einen Schritt auf sie zu und kontrollierte, ob sie ihn auch wirklich korrekt geschlossen hatte. Scheinbar schon, denn er nickte zufrieden. »So ist gut.«
Ihr war nicht klar, ob das ein Kompliment war, oder eine Feststellung, doch sie hatte gar keine Zeit darüber nachzudenken. Sie kletterte hinter Joon auf das Motorrad und legte ihre Arme, um seine Hüfte um sich an ihm festzuhalten. Kurz kam ihr der Gedanke, dass sie ihm nie so nah gewesen war, wie jetzt. Sie konnte die Wärme seines Körpers durch seine Jacke spüren und seinen Geruch wahrnehmen. Eine Mischung aus Leder, einem herben Aftershave und etwas Undefinierbarem, das einfach nach Joon roch.
»Bereit?«, hörte sie ihn von vorne fragen.
Julia nickte stumm, nicht vertrauend, dass ihre Stimme nicht zittern würde. Sie schluckte hart und verstärkte ihren Griff um Joons Taille.
Mit einem Ruck startete Joon den Motor, der daraufhin aufheulte. Dies und das plötzliche Vibrieren unter ihr ließ Julia zusammenzucken. Sie presste ihr Gesicht gegen seinen Rücken und schloss die Augen.