Den Ort, für den Joon sich letztlich entschied, war das Vintage Rose Café. Ein kleines Café, fernab der Hauptstraßen und der Menschenmenge. Es lag in einer kleinen Gasse, in der man sich nur aufhielt, wenn man entweder durch Zufall darauf stieß oder aber man wusste von ihr. Ein zwischendrin gab es nicht. Auf Joon traf Letzteres zu. Er mochte das Vintage Rose gerne, ganz besonders weil man dort seine Ruhe hatte. Und das war einiges wert. Gerade in einer Zeit wie dieser. In seinem Beruf sowieso.
Das Vintage Rose war zudem ein besonderes Café. Es war laut Betreiber das einzige, welches authentisch die Lebensart der 2000er Jahre widerspiegelte. Was Joon aber bezweifelte, denn gegründet wurde es erst Mitte der 21er Jahre. Auch das war schon fast hundert Jahre her und sogar weit vor dem großen Knall. Zudem servierten trotz aller Authentizität immer noch Drohnen das Essen. Etwas, was wohl kaum damals möglich war. Doch Joon war sich darin nicht sicher, er hatte sich noch nie groß für die Zeit vor den 21ern interessiert. Aber es gab andere, die das taten. Und für eben jene organisierte das Vintage sogenannte ODEs oder auch offline Day Events, wie sie hießen. Es waren Events, um zu zeigen, wie das Leben damals war – ohne die Möglichkeit zu haben überall und zu jeder Minute online zu sein, wie es heute in den 22ern der Fall war. Im Großen und Ganzen waren es aber vor allem, zumindest Joons Meinung nach, nichts anderes als Werbung für Elysium Networks, die gleichzeitig für diese Events als Sponsoren auftraten.
Joon stieß die Tür auf und betrat den Innenraum des Cafés.
Ein Klingeln kündigte seine Ankunft an, und er wurde von einer gemütlichen Atmosphäre empfangen. Die Einrichtung war eine Mischung aus altmodischen Möbeln und modernen Akzenten, die versuchten, den Charme der 2000er Jahre zu imitieren. Ein Summen erfüllte den Raum, als eine der Servierdrohnen an ihm vorbeischwebte, ein Tablett mit dampfenden Tassen balancierend. Joon konnte nicht anders, als über die Ironie zu schmunzeln. Ein Café, das die Vergangenheit feiern wollte, aber ohne die Annehmlichkeiten der Gegenwart nicht auskam.
»Herzlich willkommen, Gast. Sind Sie alleine?«, erkundigte sich eine Servier-Drohne bei ihm.
»Ja.« Joon nickte. »Und ich wünsche dass das so bleibt.«
»Sind Sie sicher? Es ist auf dauer nicht gesund für Menschen alleine zu bleiben. Wenn Sie möchten, kann ich Sie gerne über die psychischen Gefahren aufklären.«
»Nein, danke. Ich will wirklich nur einen Tisch.«
Diesen bekam er dann auch. Ganz hinten in einer Ecke, wo er weit weg von anderen Gästen war. Einige Drohnen und Roboter nahmen ihre Arbeit wirklich ernst. Joon ließ sich auf dem Stuhl nieder, streckte seine Beine aus und kramte seinen Messenger aus der Tasche. Er durfte nicht vergessen, warum er überhaupt hierher gekommen war. Nicht um zu entspannen, sondern um zu arbeiten. Er musste noch immer die Daten überprüfen, die ihm die Pattroullien-Drohne von der Explosion geschickt hatte.
»Hier ist Ihr Kaffee für sie, Gast.« Eine der Servier-Drohnen schwebte mit einem leisen Summen an seinen Tisch heran. »Schwarz, ohne Zucker.«
»Ich habe keinen Kaffee bestellt.« Joon sah auf die heiße, dampfende Tasse. Der wohlige Geruch der frisch gebrühten Bohnen stieg ihm in die Nase.
»Bei dem letzten Mal, als Ihre ID bei uns registriert wurde, haben Sie genau das bestellt. Daher bin ich davon ausgegangen, dass sie genau dies noch einmal bestellen wollen«, erklärte die Drohne Joon.
»Schon gut, lass ihn hier.« Er nickte der Drohne zu.
»Sehr gerne.« Die Drohne flog näher heran, wie eine Spinne fuhr sie einen der Servierarme aus, und stellte den Kaffee vor Joon auf den Tisch. Danach schwebte sie wieder mit einem Summen davon.
Joons Blick fiel wieder auf seinen Messenger. Die Pattroulier-Drohne hatte ihren Job gut gemacht. Denn sie hatte ihm nicht nur die Daten zu der Explosion geschickt, sondern auch zu allen Firmen, die sich im Büro befunden hatten. Insgesamt waren das fünfzehn Stück an der Zahl. Wie erwartet waren InfiniCore Technologies, Elysium Networks und NexisTech Innovations darunter. Doch auch kleinere Unternehmen, die es aber aufgrund der drei Riesen nicht leicht haben durften, waren gelistet.
Joon trank einen Schluck von seinem Kaffee. Er fühlte sich schön bitter an und Joon konnte jetzt schon merken, wie belebt er sich fühlte. Frisch gebrühter Kaffee war eben doch etwas ganz anderes als der ganze Instant Mist.
Während er die Liste weiter durchging, fiel ihm etwas auf. Einige der kleineren Firmen waren in Sparten tätig, die im Gegensatz zu den Hauptgeschäftsfeldern der drei Tech-Giganten standen.
Da war eine Firma namens »NeoBiome Systems«, die sich auf umweltfreundliche Sensortechnologie spezialisierte. Etwas, das sowohl für InfiniCore als für NexisTech von Interesse sein könnte. Eine andere Firma, die sich »QuantomLock Solution« nannte. Sie bot vor allem hochspezialisierte Verschlüsselungstechnologien an. Ein Feld, auf das Elysium Networks ein Auge darauf haben würde.
Joon fragte sich, ob diese kleineren Unternehmen als Zulieferer oder potenzielle Übernahmeziele für die großen drei fungierten. Womöglich war es von Vorteil sich die beiden näher anzusehen. Noch etwas, dass ihn in der nächsten Zeit beschäftigen würde. Aber das war vielleicht ganz gut so.
Joon rieb sich die Augen und nahm einen weiteren Schluck Kaffee. Ihm war klar, dass er jeden einzelnen Faden dieser Verbindungen verfolgen musste. Die Frage war nicht mehr nur, wer hinter der Explosion steckte und warum, sondern, wer davon profitieren könnte. Und so wie es jetzt aussah, waren das doch einige. Mit einem Seufzen machte er sich daran, die Firmenprofile genauer zu studieren. Er ahnte, dass dies eine lange Nacht werden würde, aber der Kaffee und die Ruhe des Vintage Rose würden ihm dabei helfen, Ordnung in das Chaos zu bringen.