Ich umklammere die Zügel fester und erhebe mich einige Zentimeter aus dem Sattel, um dem Tier unter mir beim Springen zu helfen. Das Pferd stößt sich vom Boden ab und kommt hinter dem Baumstamm wieder auf dem Boden auf. Ich lasse mich wieder in den Sattel sinken und lasse die Zügel wieder etwas lockerer durch meine Finger geleiten. Der unebene Bode ist hart, wodurch die Hufe laut zu hören sind. Meine Ohren nehmen das Zwitschern der Vögel um mich herum wahr und der Geruch der Baumrinde steigt mir in die Nase, während sich das Fell meines Reittieres warm und schützend anfühlt.
Mittlerweile ist es schon viel heller als heute Morgen, was mir zeigt, dass bald Mittag sein muss, doch trotzdem sind wir noch nicht da. Ich bin, genau wie Aria, die neben mir her reitet, bereits ein wenig erschöpft, obwohl sie noch mehr Energie zu haben scheint. Mein Anflug von Erschöpfung scheint wohl an der Sonne zu liegen. Wie ich darauf kommen? Ich komme darauf, weil Ruby, die von uns allen den ungemütlichsten Platz hat, noch kein einziges Anzeichen von Erschöpfung zeigt. Ganz im Gegenteil! Es wirkt, als würde sie durch die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut Kraft tanken.
Plötzlich verlangsamt sich das Tempo des Schimmels, welches von Ruby und Hilley geritten wird. Verwundert blicken Aria und ich uns an, passen unsere Geschwindigkeit aber an. Wir haben also beide daran gedacht, dass Hilley noch vor etwa einer halben Stunde nicht schnell genug sein konnte und uns die ganze Zeit gedrängt hat.
Interessiert recke ich den Hals und werfe einen Blick auf das, was vor uns liegt.
Am Horizont erscheint ein hoher Berg, dessen Spitze die Sonne am Himmel zu kreuzen scheint. Ich bin wirklich beeindruckt. Hier war ich noch nie und ich habe auch noch nie so eine schöne Brechung des Sonnenlichts gesehen.
Wenige Meter von dem großen Berg entfernt, hält Hilley ihr Pferd dann wirklich an. Ich hätte mein Pferd fast aus versehen in ihren Schimmel hinein laufen lassen. “Hey, pass doch auf“, ruft Ruby aufgebracht. “War ja keine Absicht“; murre ich daraufhin. “Vertragt euch, Mädchen“, ermahnt Hilley uns und wende sich dann an Aria: “Kannst du als erstes Ruby vom Pferd heben, Aria?“
Diese nickt und löst eine Hand vom Zügel, mit der sie dann ihre Kräfte aktiviert und Ruby sachte auf dem Boden absetzt. Ruby dankt ihr weder, noch würdigt sie das Mädchen eines Blickes. Das ist mal wieder so typisch Ruby. Wieso kann sie nicht einfach mal freundlich sein? Mit ihrem Verhalten zerstört sie immer wieder meine gute Stimmung. Ich bin doch sowieso schon angespannt, weil wir vorgeladen wurden.
Als Ruby unten ist, steigen wir alle auch ab und folgen Hilley, die ihr Pferd zu einem dünnen Balken führt, an dem sie dann die braunen Lederzügel gekonnt festknotet. Ich binde mein Pferd daneben fest und frage dann: “Wie heißt er hier eigentlich?“ Ich klopfe dem Tier sanft auf den Hals. “Das ist Columbus und das Pferd von Aria heißt Nero“, berichtet die Frau. “Und wie heißt dein Pferd, Hilley?“, fragt Aria weiter. “Das hier ist der liebe Cosmo“, sie tätschelt dem Tier ebenfalls seinen wunderschönen weißen Hals. Ich drücke meinem Pferd einen Kuss auf die Stirn. Das Fell ist unter meinen Lippen seidig weiß.
“Kommt jetzt, Mädchen“, sie läuft um Cosmo herum und zieht ihren dunklen Mantel enger um sich. Wir tun es ihr gleich, als sie jedoch die Holzbretter, die einen Eingang in den Berg verdecken, bleibe ich stehen: “Du willst, dass wir in den Berg rein gehen?“ Sie zertritt die Bretter nacheinander: “Nur ein Stück!“ “Nur ein Stück?! Befindet sich der Rat etwa immer Inneren des Berges?“, scherze ich, weshalb ich auch so überrascht bin, als sie mit “Indirekt“ antwortet. Ich ziehe eine Augenbraue hoch, weiß aber nicht, was ich darauf antworten soll.
Das letzte Brett zersplittert wenige Sekunden später unter Hilleys Fuß, woraufhin sie in den Berg hinein tritt. Ich schaue erst einmal zu Ruby und dann zu Aria, doch dann folge ich ihr. Beide schauen mich ratlos an und zucken mit den Schultern.
Zusammen betreten wir die Höhle. Hilley hat auf uns gewartet und hält Ruby eine Fackel vor die Nase. Sie hebt die Hand und hält sie über die Spitze der Fackel. Die Blonde schließt die Augen und entzündet die Fackel mit einem Schnippen. “Danke“, sagt Hilley und führt uns weiterhin an den dunklen Wänden entlang, bis wir in einer Sackgasse ankommen und stehen bleiben müssen.
“Hier geht’s aber doch gar nicht weiter“, merke ich an. “Das sieht vielleicht auf den ersten Blick so aus“, sie öffnet der Verschluss ihrer Kette und legt sie ab. Dann bückt sie sich, macht mit ihrem Zeigefinger ein Loch in den Sand und steckt den Kristall ihres Halsschmucks in die kleine Kuhle.
Als sie damit fertig ist, beendet sie ihren eben begonnen Satz: “Aber auf den zweiten Blick, ist nichts unmöglich.“ Sobald sie geendet ist, entsteht auf der Wand vor uns ein weißer Wirbel, durch den man nicht hindurch blicken kann.
Meine Augen, sowie auch meine Pupillen, erweitern sich vor Überraschung und mir fällt die Kinnlade herunter. Ist das gerade wirklich passiert? “Ja, das ist gerade wirklich passiert“, es scheint, als hätte Hilley meine Gedanken gelesen.
“Und jetzt hört auf so ungläubig zu starren. Wir müssen uns immer noch beeilen“, hetzt sie. Als wir uns dann aber immer noch nicht bewegen, seufzt sie genervt: “Okay, was ist denn jetzt noch?“ Ich deute mit einer Hand auf den weißen Wirbel. “Das ist ein Portal! Frage fürs Erste beantwortet?“, fragt sie. Wir drei nicken alle im selben Moment. “Na gut, dann los“, sie klatscht in die Hände: “Aria, du zuerst.“
Sie macht einige vorsichtige Schritte nach vorne, bis sie vorm Portal steht und hält ihre Hand dann das Portal, welches einem weißen Wirbelsturm ähnelt. Als sie sich aber nicht weiter bewegt, seufzt Ruby und schubst Aria hinein. Das Einzige, was man noch von ihr hört, ist ein lauter Schreckensschrei. Ich zucke zusammen.
Fies wie immer. War ja klar! Ich werfe ihr einen wütenden Blick zu und folge Aria dann. Ich so schnell wie es geht sehen, wo meine Freundin angekommen ist.
Als ich das Portal passiere, fühlt es sich an, als würde mich eine eiskalte Hand packen und mit sich reißen wie eine wabbelige Stoffpuppe. Ich schreie laut auf und die Angst packt mich.