Die Sonne ging auf und obwohl noch früh am Tage herrschte emsige Betriebsamkeit. Klarich spannte lautstark einen seiner zwei Braunen vor, die er aus den Fängen des Abrichters des Lords abspenstig redete. Beide waren Alt und abgeritten und somit für den Dienst bei den berittenen untauglich. Auf dem Hof jedoch leisteten sie noch ausreichend Unterstützung und durften auf dem Land und unter freiem Himmel ihren Lebensabend fristen, bis sie vom alter gezeichnet auch dafür nicht mehr taugten.
Alna verstaute derweil kleine Handsäcke als Probepäckchen, gefüllt mit gereiftem Getreide. Um Bedarfsgüter tauschen zu können, standen geflochtene, mit Stroh befüllte Körbe bereit. In diesen ruhten dutzende Eier. Nebst den Geflechten gab es noch fünf Hühner und einen Hahn gewinnbringend einzutauschen.
Die Last ausgesprochener Worte des gestrigen Abends schien vergessen. Ein neuer Tag war hereingebrochen und täglich zu erfüllende Aufgaben wollten erledigt werden, so auch die bevorstehende.
Klarich hob einen naheliegenden Stein auf, wiegte ihn in der Linken und war ihn hinauf gegen die Hauswand. Polternd fand er sein Ziel und kollerte lautstark über die Schindeln. »Hey, ihr Taugenichtse von Langschläfern«, rief er. »Es wird Zeit und ihr zwei, stehlt gerade die meine.«
Alna hob vielsagend den Blick, ihre Augen schielten zu ihm hinüber. Sie konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. »Wenn ich es nicht besser wüsste, man könnte meinen, die Jungs sind die deinen.«
Es dauerte eine Weile, bis er die Spitze durchschaute. »Was ...«, unverfroren blickte er suchend umher, fand ein Stöckchen, griff danach und warf.
Alna tat entrüstet und stemmte die Hände in die Hüften, die sie keck zur Seite zog. »Oho, der Rüpel weiß sich nicht zu benehmen.« Sie lachte herzhaft und hievte weitere Körbe auf das Gespann. Ihr Mann begutachtete das gezurrte Geschirr, trat an seine Geliebte heran und klapste ihr auf den Po. »Ihr mich auch holde Maid.«
Mit weit ausgestreckten Armen trat Kayden durch die offen stehende Tür und gähnte herzhaft. »Ich werde mir niemals eine Frau nehmen, so viel steht mal fest.«
»Abwarten, mein Junge. In deinem Alter gab ich auch solch kluge Äußerungen von mir und nun? Sieh mich an.«
Alna schubste ihn brüskiert und ging, um ihren Jüngsten in die Arme zu schließen. »Lass ihn reden. Frauen sind was Feines und ohne uns ...«
»Können wir Kerle nicht. Jaja Ma'. Nicht mit euch aber auch nicht ohne euch.« Veyed sprang hervor und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Er zwinkerte seinem kleinen Bruder zu. »Können wir Pa'?« Er eilte geübt auf den Bock und griff nach den Zügeln. Suchend sah er sich um und drehte den Oberkörper von links nach rechts. »Pa', wo bleibt Onkel Alric, er wollte uns doch begleiten.«
Klarichs Wange zuckte. »Mal wieder seines Weges. Mit ein wenig wohlgemut stößt er auf dem Heimweg zu uns.«
Alna schob Kayden vor und gab ihm einen Klaps. »Lass dich nicht grollen, hörst du?« Er pustete ihr eine Kusshand zu, lächelte und zwinkerte mit dem rechten Lied. In seinen Augen spiegelte sich das tugendhafte Herz eines Liebenden wieder. »Ich doch nicht.«
Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Schmeichler«, flüsterte sie, ohne dass sie jemand zu hören vermochte.
***
Dem Weg, den sie nutzten und folgten, war derselbe, den Onkel Alric stets nahm, um sie zu besuchen. Der benutzte, einst ausgebaut und gepflegte Handelsweg glich zu diesen Zeiten jedoch nur noch einem ausgefahrenen Ackerpfad. Tiefe Furchen, welche zu Regenzeiten knietiefes Wasser führten, waren ihre steten Begleiter. Klarich musste langsam fahren, um die kostbare Last, gebettet in Stroh, heil an den Ort ihrer Bestimmung zu liefern.
Seit mittlerweile zwei Stunden wurden sie nun schon auf dem Bock hin und her geschaukelt, als Kayden unerwartet aufsprang und seine Augen beschattete. »Da. Pa', da vorn ist die Burg.«
Angesprochener zog ihn zurück auf seinen vorherigen Platz und maß ihn scheltend. »Tu das nie wieder, Kay. Was glaubst du wohl, macht deine Ma' mit mir, wenn ich dich mit gebrochenen Knochen nach Hause tragen und ihr beichten muss, dass du vom Bock gefallen bist?«
Anstatt zu antworten, grollte er und schob die Unterlippe über die Obere. Sein Blick sackte hinab zu den Füßen. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er nachdachte.
Veyed klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. »Hey kleiner Bruder, was ist los? Bei dem Weg und dem Geschaukel ist es ein Kunststück, das wir das ganze Zeugs hier«, er deutete mit dem Daumen hinter sich. »nicht selbst tragen müssen.«
»Still jetzt und haltet den Kopf unten. Ich rede und ihr haltet die Zunge im Gehege.« Nacheinander maß er streng seine Jungs. »Ihr seid mitgekommen, um zu lernen und zu helfen. Sind wir uns einig?«
»Ja, Pa'«, gab Veyed klar und deutlich zu verstehen. Kayden hingegen zog abermals nur die Lippen kraus, nickte jedoch.
Die Burg, so wussten sie, war einst der Wohn- und Hauptsitz des Hauses der Berengar und diente seit Anbeginn der neuen Ordnung Lord Bestlin. Dieser Mann unterstand niemandem außer der Kaiserin und ihrer bestellten Unterführer. Das ihm unterstellte und zu bewirtschaftendes Land genoss Vorzüge, galt wie zu Zeiten der Berengar als Freiland. Gerüchten zu urteilen, habe dieser Mann all sein Wissen, Erfahrungen und Können allein ihnen zu verdanken. Als Geächteter, als Vogelfreier verkaufte er seine Familie, seine Freunde, einfach alles, wofür er vor langer Zeit eigenst lautstark kämpfte. Mit seinem Vorgehen verriet er unzählige Leute und verschaffte sich so Gehör auf höchsten Ebenen. Erst bei den Obristen, dann bei den Speichelleckern der göttlichen Herrscherin und zu guter Letzt auch die Zustimmung ihrer selbst. Bestlin wuchs auf als ein Kind des Landes, welches lernte, alles um ihm herum zu versilbern und zu verraten - sogar die eigene Seele. Sein Gefolge rekrutierte er aus allen zugänglichen Schichten und allen erdenklichen Winkeln des Agreas. So auch aus den Nachkommen einstiger Invasionsstreitkräfte, derer einst der Verbleib im besetzten Reich befohlen wurde. Während des Krieges beklagten die geschundenen Länder unzählige Männer wie Jungen und so wurde der Bedarf infolgedessen durch jene naher wie ferner Nachbarsländer aufgewogen, in welchen nicht selten das Blut Thules strömte. Sippen, die sich bereits seit Generationen mit dem Geschlecht westlicher wie südlicher Völker vermischten, war die ursprüngliche Herkunft wenn überhaupt nur noch schwer zu erkennen. Anderen hingegen blieb ihre Abstammung überdeutlich anzusehen.
»Pa'?«, flüsterte Kayden irritiert.
»Mhm«, quittierte Angesprochener. »Egal was du fragen willst, warte, bis wir auf dem Heimweg sind.« Er besah ihn mit einem vielsagenden Blick. »Ich weiß, was dir auf der Zunge liegt. Nicht jetzt. Bitte.«
Beinahe unbemerkt nickte er. Verstohlen sah er zu den dunkelrot befleckten Pfosten, die am Wegesrand in die Höhe ragten.
Vor den Toren der Burg lagerten verschüchterte Menschen, die in steter Beobachtung patrouillierender Männer unter Waffen standen. Sie sahen Bittsteller, Landarbeiter, Knechte und Wandersleut. Viele von ihnen kannte der Bauer bereits aus vergangenen Jahren und so nickte er dem einen oder anderen dessen vorsichtigen Gruß. Auch in diesem Jahr würden sie wieder vor seiner Tür stehen und sich das Werkzeug reichen lassen. Andere wiederum waren ihm fremd - keine Feldarbeiter - und so schenke er jenen nur beiläufig Aufmerksamkeit.
Sie nährten sich dem offen stehenden Tor und die Wache winkte sie hindurch. »Bauer Klarich. Der Lord erwartet euch bereits. Lenkt euren Karren hinüber zu Schmiede«, befahl der Rechte der beiden Posten und deutete mit der ausgestreckten Hand die Richtung.
»Wenn du heimfacht, nehm das Pach da blosch mit. Isch doch bald Ernte, ne?«, bellte jener zur Linken abwertend und lallend.
Veyed drehte leicht den Kopf und schielte. Unrasiert, mit einem stoppeligen Krausbart stand dieser schwankend und suchte Halt an seiner Lanze. Dessen Helm saß ihm schief auf dem Haupt, Speichel lief ihm am rechten Mundwinkel herab. Augen, tiefrot unterlaufen stierten hinter daumendicken Ringen hervor. »He Junge, wasch gaffscht verdammt? Ich prüschl disch aus'm Hemd du Mischjeburt.«
Ruckartig riss Klarich an den Zügeln. Die Adern an seinem Hals pochten. »Brrr«, grollte er mit zuckendem Nasenflügel. Er sah hinüber zu dem rechten Posten, der gelangweilt die Augen verdrehte und mit den Schultern zuckte.
Den Kopf drehte er bewusst langsam zu dem vermeidlich sturzbetrunken, der unbeholfen in ihre Richtung torkelte. Kayden und Veyed drängten sich eng beieinander und stierten erschrocken drein. Bisweilen blieben sie von solch unterschwelligen Wutausbrüchen ihres Vaters verschont. War er stets zuvorkommend, verständnisvoll und gutherzig. Jetzt knarzten die ledernen Zügel unter dem Druck seiner kräftigen Hände. Angst beschlich die Zwei.
»Wage es, deine versoffnen Klauen an einen meiner Jungen zu legen und ich verspreche dir, dass du dich künftig nur noch wie ein Schwein aus dem Trog ernähren wirst.« Alle Farbe wich ihm aus dem Gesicht und die Augen fixierten den näherkommenden. Es war einer jener wenigen Momente in seinem bisherigen Leben, an welchem er sich einfach nur fahren lassen wollte. Zum trotz des Gelöbnisses, am Sterbebett seines Großvaters, wollte er jeden zeigen, wer er von Geburtsrecht her wirklich war. Was es bedeutete, einen wie ihn zu fordern. Er war sich dessen sicher, würde er jetzt aufstehen und dies laut herausbrüllen, es würde zu einem nie da gewesenen Tumult kommen.
Er blieb stattdessen sitzen und legte all die Wut in seine Stimme. »Dein Leben scheint dir nichts zu bedeuten. Ich habe keine Angst vor einem bewaffneten Trunkenbold. Komm«, forderte er den Säufer heraus.
Unverrichteter Dinge trat eine weitere Person hinzu und schubste den Streitsüchtigen brüsk zur Seite. Dieser stolperte, verlor seine stützende Lanze und viel der Länge nach in den Dreck. »Verpiss dich Graff oder du verlierst nicht nur Zähne.« Er holte aus und trat dem vor ihm liegenden in die Rippen. An den rechten Posten gewandt winkte er ihn näher. »Sorg dafür, dass dieser Abschaum verschwindet.«
»Haft?«
Alric tat einen weiteren Schritt. »Entsorg den Bastard«, sprach er nun deutlich leiser. Sein Gegenüber nickte.