Um Punkt fünf Uhr des heutigen Tages stürmt Hilley in mein Zimmer und schmeißt mich aus dem Bett.
Gestern haben Aria und ich nur noch die große Bibliothek entdeckt und uns in ein paar verstaubte Bücher vertieft, während Hilley sich in ihr Zimmer zurückgezogen hat. Was Ruby so getrieben hat, interessiert keinen. Ich habe nur mitbekommen, dass sie jetzt eine Schiene an ihrem verletzten Arm trägt.
Langsam öffne ich meine Augen, als sie die großen Vorhänge aufzieht. Ich steige aus dem Bett und laufe zum Schrank, um mich fertig zu machen, da Hilley mir gesagt hat, dass wir früh raus müssen.
Nachdem Hilley das Zimmer verlassen hat, ziehe ich mir meinen Schlafanzug aus und ersetze ihn durch normale Kleidung. Diese besteht aus einem schwarzen Langarmshirt, einer ebenso dunklen Hose und zwei hohen Stiefeln. Meine Haare binde ich mit einem Band zu einem geflochtenen Zopf. Darüber ziehe ich meinen ebenso dunklen Mantel.
Plötzlich klopft es an der Tür und ich zucke zusammen: “Komm rein!“ Die hölzerne Tür wird geöffnet und Aria erscheint in meinem Blickfeld: “Hilley sagt, dass ich dich holen geht, soll. Bist du fertig?“ Ich nicke und verlasse mit ihr mein Zimmer.
Während wir die Treppe hinab steigen, betrachte ich sie. Ihre braunen Haare hat sie zu einem hohen Zopf gebunden und an ihren Körper hat sie, mit fast derselben Kleidung wie ich sie trage, bedeckt.
Im Flur warten schon die Anderen. Auch Ruby ist dabei. Ihr geschienter Arm springt mir sofort ins Auge. Ich frage mich, wie es ihrem Arm geht, will aber lieber keine Konversation beginnen, da ich mir schon vorstellen kann, wie sie mir antworten würde.
“Seid ihr fertig?“, fragt Hilley. Wir alle bejahen, woraufhin sie uns bittet ihr zu folgen.
Wir laufen um das Haus herum, bis wir an einer großen Scheune ankommen. In diesem Moment fällt mir auf, dass diese mir noch nie aufgefallen ist. Die Wände sind mit derselben weißen Farbe gestrichen wie die Fassade des Hauses. Das Dach ist mit schwarzen Pfannen gedeckt, sodass kein Regen oder Schnee hindurchdringen kann.
Hilley läuft zum Scheunentor und versucht es mit vergeblich zu öffnen, doch das funktioniert nicht so recht. Sie scheint jedoch nicht stark genug zu sein, weshalb ich ihr zur Hilfe komme. Zusammen schaffen wir es das Tor zu öffnen.
Als die Tür offen ist, treten wir alle hinein. Dort angekommen komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Dort stehen vier Pferde und ein kleines Fohlen. “Du hast Pferde?“, frage ich Hilley und strahle sie an. Ich liebe Pferde. Besonders die Dunklen. “Ja, das sind meine. Ich muss ja auch irgendwie reisen können, ohne jedes Mal die Kutsche zu nehmen“, erklärt sie schulterzuckend und läuft zu einem der Pferde herüber. Als Erstes fallen mir das graue Fell und die weiße Blesse auf der Stirn auf. Dann sehe ich, dass drei der Pferde bereits gesattelt sind. “Wir sollen reiten?“, fragt Ruby aufgebracht. “Genau das“, sagt sie und führt das Pferd rüber: “Du reitest mit mir, Ruby. Die Anderen dürfen sich ein Pferd aussuchen.
Aria und ich laufen sofort los, während Ruby Hilley entrüstet anblickt: “Was? Wieso das? Ich weiß wie man reitet!“ “Nein, das ist keine Option. Ich glaube dir zwar, dass du reiten kannst, aber mit dem verletzten Arm lasse ich dich auf keinen Fall allein auf ein Pferd steigen.“ Sie seufzt genervt, diskutiert aber nicht weiter.
Ich entscheide mich für einen großen Hengst mit grauem Fell, was hin und wieder von weißen Flecken durchzogen wird. Ihre Beine, sowie ihre Mähne und ihr Schweif, sind schwarz.
Das letzte gesattelte Pferd wir von Aria belegt. Es ist komplett schwarz und sein Fell glitzert in der Sonne, die durchs Tor in die Scheune fällt.
“Wisst ihr wie man reitet?“, fragt Hilley, nachdem sie aufs Pferd gestiegen ist. Ruby steigt hinter ihr auf und hält sich an der Frau vor ihr fest.
Ich nicke, während Aria zögert. “Okay, kannst du Aria zeigen wie es geht, Stella“, bittet Hilley mich. Ich bejahe und zeige ihr, wie man aufsteigt. Dann erkläre ich ihr, wie man die Zügel hält und wie man dann losreitet.
Sie schafft es sofort beim ersten Versuch, was mich natürlich mehr als nur stolz macht. “Perfekt“, sagen Hilley und ich gleichzeitig. Dann lenken auch wir unsere Pferde aus der Scheune.
“Könntest du das Tor schließen?“, fragt Hilley Aria, da diese nicht selbst vom Pferd steigen und das Scheunentor schließen gehen kann. Aria löst eine Hand vom den Zügeln und richtet sie auf das Tor. Augenblicklich schließt es sich wieder wie von Zauberhand. Das einzige Anzeichen dafür, dass es keine Magie, sondern ihre Kräfte waren, ist der starke Wind, der an uns allen zehrt und die Mähne meines Pferdes aufwirbelt.
“Dann mal los! Wir dürfen nicht zu spät kommen“, ruft Hilley uns durch den Wind hinweg zu und gibt dem Pferd die Sporen, woraufhin wir es ihr gleich tun.
Die Hufe der Pferde donnern auf dem harten Erdboden und meine Haare flattern im Wind, während mein eigener Mantel mich warm hält. Das Ganze hat ein wunderbares Gefühl von Freiheit, die ich schon lange nicht mehr gespürt habe. Leider ist es schon viel zu lange her, dass ich auf dem Rücken eines Pferdes saß und durch die Landschaft geritten bin.