Am nächsten Vormittag machten die Jungs sich nach dem Misten auf den Weg zu ihrer Hausbesichtigung. Sie hatten sich gegen Mittag mit Lily dort verabredet, die wider Erwarten doch Zeit gefunden hatte.
Das Häuschen lag malerisch, etwas außerhalb Visbys. Rileys Schwester erwartete die beiden schon voller Ungeduld und begrüßte sie herzlich, nachdem ihr Bruder Johannas Auto vor dem Gebäude geparkt hatte.
Lily schloss die Haustüre auf und bat die Jungs herein. Sie betraten einen kleinen Flur, von dem aus ein Durchgang in ein großes Wohnzimmer führte.
Eine Küchenbar trennte einen Teil des Raumes ab und dahinter befand sich eine voll ausgestattete Kochecke.
»Nicht schlecht«, sagte Riley und ließ den Blick durch den Raum schweifen ... Eric nickte zur Bestätigung.
»Ja, und die Möbel könnt ihr auch übernehmen. So müsst ihr erst mal kein Geld investieren, um euch einzurichten«, antwortete Lily und führte die Jungs weiter in den nächsten Raum - ein großes Badezimmer mit Dusche, in freundlichem Weiß gehalten.
Das war der letzte Raum im Erdgeschoss und so führte Rileys Schwester die beiden über eine schmale Holztreppe hinauf in den ersten Stock.
Dort befanden sich zwei Schlafzimmer, die mit je einem Doppelbett und einem großen Kleiderschrank ausgestattet waren, so wie ein weiteres Bad mit Dusche und Wanne. Dieses war in einem dezenten Grau gehalten.
»Matratzen, Vorhänge, Gardinen, Bettzeug inklusive Bezüge und Handtücher bekommt ihr auch dazu. Hab ich alles bei mir zu Hause und bringe ich sofort wieder her, wenn ihr das Haus mieten wollt.« Lily sah von einem zum anderen.
»Also von mir aus lieber heute als morgen«, erwiderte Riley und musterte Eric von der Seite. Dieser schwieg einen Moment, dann nickte er.
»Ja, es ist schon toll, aber kriegen wir das finanziert? Ich meine, das kostet bestimmt ne Menge Miete«, aus seinen grünen Augen blickte er Lily fragend an.
»Na ja, ich habe nichts davon, wenn es jahrelang leersteht, denn dann verfällt es mit der Zeit immer mehr. An gänzlich Fremde möchte ich es nicht vermieten, weil da weiß man nie, was man sich ins Haus holt. Auf Mietnomaden kann ich nämlich dankend verzichten. Riley ist mein Bruder, du sein Arbeitskollege und du scheinst ein netter Kerl zu sein.Wenn ihr mir die laufenden Kosten tragt, wie Strom, Heiz- und Nebenkosten, dann bin ich zufrieden.« Die Schwarzhaarige schwieg einen Moment und ließ ihre Worte wirken, dann fuhr sie fort, »wie gesagt: Ich bin froh, wenn das Haus nicht leer steht, damit es nicht verfällt.«
»Okay, aber ich ...«, wollte Eric einwerfen, aber Lily unterbrach ihn: »Nimm es einfach an, bitte.«
Tief durchatmend schaute der Blonde sich noch einmal um und brummelte dann ein leises »In Ordnung, dann versuchen wir es«.
So richtig überzeugt schien er noch nicht zu sein, das konnte man in seinem Blick lesen.
Eric konnte sich nicht erinnern, dass er mal irgendetwas ohne eine entsprechende Gegenleistung bekommen hätte. Dass ihm mal jemand so weit entgegengekommen wäre. Er hatte sich immer alles erkämpfen müssen und darum konnte er das Ganze, das hier passierte, noch nicht wirklich glauben. Aber Lily schien es ernst zu meinen, jedenfalls machte es auf Eric diesen Eindruck.
Gemeinsam stiegen sie wieder die Treppe zum Wohnzimmer hinunter und als sie unten angekommen waren, sagte Rileys Schwester: »So! Und jetzt habe ich noch zwei Highlights für euch. Wobei das eine wohl eher Eric interessieren dürfte. Kommt mit.« Damit setzte sie sich Richtung Haustür in Bewegung, die Jungs folgten ihr.
Sie verließen das Gebäude und Lily führte sie einmal zur Rückseite des Hauses, wo sich ein Anbau befand. Sie schloss die Türe auf und sagte: »Das wäre vielleicht etwas für dich, Eric.«
Der Angesprochene stieg zögernd die drei Stufen hinauf und betrat den circa fünfundzwanzig Quadratmeter großen Raum, während Rye sich von der Tür aus umsah. An zwei Wänden des Zimmers waren Regale bis zur Decke eingearbeitet, die dritte Seite war von einem hohen, breiten Schrank fast völlig verdeckt. Neben der Tür befand sich ein Fenster, das die gesamte Breite und Höhe neben dem Eingang einnahm.
»Das wäre doch die perfekte Werkstatt für dich«, meinte Riley und lehnte sich gegen den Türrahmen.
»Auf jeden Fall.« Eric drehte sich mit einem Lächeln im Gesicht um und sah die anderen beiden an.
»Und hinter dem Ungetüm von Schrank ist ein Durchgang zum Haupthaus, den man wieder öffnen könnte. Dann brauchst du nicht immer außen herumzulaufen.« Lily zwinkerte dem Blonden zu, dann fügte sie hinzu, »und jetzt zeige ich euch noch den Offenstall für eure Pferde.«
Damit führte sie die beiden zu einem kleinen Stall am anderen Ende des Grundstücks, der aus einer großen, offenen Box, einem Heulager und einer kleinen Sattelkammer bestand. Vor dem Stall gab es einen großen, umzäunten, teilweise überdachten Auslauf, wo die Pferde sich frei Schnauze würden bewegen können.
Nachdem sie sich alles angeschaut hatten, sah Lily die beiden an und fragte: »Und? Zufrieden mit dem Gesamtergebnis? Ihr solltet vielleicht ne Nacht drüber schlafen und sagt mir dann, wie ihr euch entschieden habt.«
Während Eric schwieg, sagte Riley: »Also ich brauche da nicht groß zu überlegen. Ich will aus dieser beengten Wohnsituation in der Unterkunft raus und Geld bezahlen müssen wir da auch. Mit mir kannst du auf jeden Fall rechnen.«
»Gut,« erwiderte seine Schwester und zu Eric gewandt, »du kannst es dir ja überlegen und sagst mir dann Bescheid. Stress dich nicht mit der Entscheidung.«
Der Blonde räusperte sich. »Nein, das ist schon okay. Riley hat ja recht. Die momentane Situation geht auf Dauer gar nicht und Kosten haben wir so oder so. Ein besseres Angebot als deins werden wir wohl nicht bekommen. Also ... ja, ich zieh mit.«
Ein Lächeln huschte über Lilys Gesicht. Sie kramte ein paar Formulare aus ihrer Tasche und fuhr fort: »Ich bin ehrlich: ich habe eigentlich mit nichts anderem gerechnet und darum schon mal alles so weit fertig gemacht. Lasst uns noch mal eben reingehen und die Sache unter Dach und Fach bringen. Dann haben wir alle etwas Schriftliches in der Hand.«
Einstimmiges Nicken war die Antwort ...
Drei Stunden später waren Riley und Eric wieder im Visby-Stall und hatten auch ihre Chefin über die Fakten in Kenntnis gesetzt.
Johanna hatte sich mit den beiden gefreut, denn die Touristen-Häuser waren natürlich keine Lösung für die Ewigkeit, sondern nur als Übergang gedacht gewesen. Spätestens im Frühjahr hätten die Jungs sich sowieso eine andere Bleibe suchen müssen.
»Ich muss noch was tun. Morgen geht‘s auf den Markt«, sagte Eric, als er mit Riley über den Hof, zu den Unterkünften, ging.
»Mach das. Ich werd mich wohl hinlegen. Bin irgendwie platt.«
Eric nickte. »Dann sag ich schon mal Gute Nacht.« Damit machte er sich auf zu seiner kleinen Werkstatt neben den Ställen, während Riley den Weg zu ihrer Bleibe fortsetzte.
Nachdem er den Kaminofen gefüttert hatte, legte er sich auf sein Bett und ließ den Tag noch einmal Revue passieren. Besser konnten sie es eigentlich nicht treffen. Alles lief zurzeit recht gut. Das Einzige, das dem jungen Mann noch im Magen lag, war das Treffen mit Jeremy übermorgen. Bei dem Gedanken daran, wurde es Riley schlecht. Er hatte kein gutes Gefühl dabei ...
Der Dienstag kam schneller, als Riley lieb war.
Er hatte sich gegen vierzehn Uhr mit Jeremy auf dem Weihnachtsmarkt verabredet, da Eric an dem Tag dort arbeitete und Riley so nicht ganz alleine mit seinem ehemaligen Kumpel war.
Zur Not konnte sein Mitbewohner ihm beistehen … das hoffte Rye jedenfalls. So machte er sich eine Stunde vor seiner Verabredung auf den Weg, um Braveheart vom Paddock zu holen.
Der junge Mann säuberte das Fell seines Pferdes vom gröbsten Dreck und zog ihm dann sein Knotenhalfter über den dicken Kaltblutkopf.
»Tja Junge, ob das heute gut geht? Ich weiß es nicht«, sagte er mehr zu sich selbst und schwang sich auf den Rücken des Wallachs.
Im gemütlichen Schritt verließen sie den Hof in Richtung Visby, wo sie kurz vor zwei ankamen. In Rileys Magen breitete sich wieder ein ungutes Gefühl aus, als sie sich dem Markt näherten, aber es war zu spät für einen Rückzieher. Außerdem war er auch neugierig, was Jeremy von ihm wollte und es brannte ihm unter den Nägeln, ihm endlich ins Gesicht zu sagen, was er von ihm hielt und dass er ihn in Zukunft in Ruhe lassen solle.
Am Brunnen stieg Riley ab und sah sich um. Es war nicht viel los, dafür war es noch zu früh, aber ein paar Leute liefen schon herum … schlenderten von Stand zu Stand.
Ryes Augen scannten den Platz und die Menschen, die sich darauf befanden, Zentimeter für Zentimeter ab und dann entdeckte er ihn: Jeremy.
Ausgerechnet vor Erics Stand lungerte er herum und fixierte Riley mit seinen grau-blauen Augen, in die eine Strähne seiner schwarzen Haare fiel. Rye rührte sich nicht vom Fleck, sondern musterte sein Gegenüber erst einmal aus sicherer Distanz. Das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden jungen Männern war seit dem Vorfall mit Tyler erheblich gestört, zumindest was Riley betraf.
Vor zwei Jahren hatte dieser seinen Freund in flagranti mit Jeremy erwischt. Die beiden waren so im Akt vertieft gewesen, dass sie Rye gar nicht bemerkt hatten, aber der hatte das Gesehene nicht mehr vergessen können. Er war bei Tyler geblieben, weil er ihn trotzdem noch über alles geliebt hatte und mit der Zeit hatte er es irgendwie geschafft, die Bilder aus seinem Kopf zu verbannen.
Jetzt traf ihn die Vergangenheit mit voller Wucht.
»Hallo, Riley.« Jeremys dunkle Stimme schickte dem Angesprochenen einen Schauer über den Rücken ... aber keinen der angenehmen Art.
Leise seufzend stieß Riley sich vom Brunnen ab und ging langsam auf den schwarzhaarigen Mann zu.
»Also … was willst du von mir?«, unmittelbar vor Jeremy blieb er stehen und sah ihn an, »warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?«
Ein Grinsen breitete sich auf dem Gesicht seines Gegenübers aus, als er einen Schritt auf Riley zumachte und nun so dicht vor ihm stand, dass kaum mehr ein Blatt Papier zwischen sie gepasst hätte.
»Ich hatte einfach Sehnsucht nach dir, Kleiner«, hauchte er Rye ins Ohr.
Dieser verdrehte die Augen und trat kopfschüttelnd ein Stück zurück. »Wann kapierst du endlich, dass ich nichts, aber auch gar nichts von dir will ...? Verschwinde einfach aus meinem Leben, Jer.«
»Warum sollte ich? Du magst nichts von mir wollen, aber ich will was von dir … das wollte ich schon immer. Leider hast du das nie begriffen.« Er strich Rye durch die Haare und fand sich im nächsten Moment mit dem Rücken an Erics Stand wieder … an seiner Kehle die Hand eines vor Wut schäumenden Riley.
»Du … sollst … deine … Finger … bei … dir … behalten. Ich warne dich, Jeremy«, Ryes Stimme war gefährlich leise.
Im Blick seines ehemaligen Kumpels machte sich Unsicherheit breit, jedoch nur für einen Moment und nachdem Riley ihn losgelassen hatte, war sie wieder da … die Überheblichkeit in seinen Augen.
»Schade, dass du nicht so kooperativ bist wie Tyler. Der wusste sofort, was gut für ihn ist. Aber wahrscheinlich war er bei dir auch chronisch untervö…«, weiter kam er nicht, denn in dem Moment parkte Rileys Faust in seinem Gesicht.
Mit vor Wut funkelnden Augen knurrte er Jeremy an: »Du verdammter Mistkerl. Damit ist dieses »Date« und unsere Unterhaltung für mich beendet. Verschwinde einfach von hier und lass dich nie mehr blicken.«
Doch Jeremy ließ sich natürlich nicht so einfach von seinem Gegenüber schlagen, ohne sich zu wehren. Und er war stark.
Er packte die Hand seines Gegners und bog sie nach hinten, was Riley aufschreien ließ, und im nächsten Moment fand er sich mit dem Rücken am Brunnen wieder - Jeremy über sich.
Der 22-Jährige sah die Faust des Schwarzhaarigen auf sich zukommen und spürte den Schmerz, als diese sein Gesicht traf. Er schmeckte Blut in seinem Mund und versuchte, sich aus Jeremys Griff zu lösen … aber vergeblich. Zwei weitere Male traf die Faust des Schwarzhaarigen ihn und er merkte, dass seine Nase zu bluten begann.
Verzweifelt wehrte Riley sich und schaffte es sogar, Jeremy das Knie zwischen die Beine zu rammen, aber diese Aktion bezahlte er nur mit einem weiteren Schlag ins Gesicht. Als sein Gegenüber erneut die Faust hob, schloss Rye die Augen.
Er wartete auf den Schmerz des nächsten Schlages, aber der blieb aus. Stattdessen verschwand das Gewicht von Jers Körper auf ihm. Vorsichtig öffnete Riley ein Auge und sah seinen Kollegen, der Jeremy in Schach hielt.
Eric, der die Szenerie nicht aus den Augen gelassen hatte, war über seinen Verkaufstresen gesprungen, als der schwarzhaarige Fremde zum wiederholten Male auf seinen Kollegen einschlug.
Da von diesem nicht viel Gegenwehr kam, hatte Eric Jeremy von Riley heruntergezogen und hielt ihn jetzt am Jackenkragen fest. Seine grünen Augen funkelten gefährlich, als er knurrend sagte: »Lass die Finger von ihm, sonst lernst du mich kennen. Am besten machst du das, was Riley dir gesagt hat und verschwindest von hier … und zwar ganz schnell.«
Einen Moment lang war Jeremy verwirrt - damit hatte er nicht gerechnet - dann riss er sich aus Erics Griff los und machte ein paar Schritte rückwärts: »Für heute habt ihr gewonnen, aber wir sehen uns wieder. Das hier wird euch noch leidtun.« Dann sah er Rileys Mitbewohner an und fuhr fort: »Vor allem dir.«
»Soll das etwa eine Drohung sein?«, wollte Eric wissen und machte einen Schritt auf Jer zu.
Dieser lachte auf und erwiderte: »Nein, mein Freund, das ist ein Versprechen. Guck ab heute zweimal hin, bevor du über die Straße gehst.«
Damit drehte er sich um und verließ schnellen Schrittes den Marktplatz.
Währenddessen hatte Riley sich neben den Brunnen gehockt und mit dem Rücken angelehnt. Seine Hände zitterten und Blut lief aus seiner Nase. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment explodieren, sein linkes Auge war geschwollen und die Unterlippe aufgeplatzt.
Wut kroch in ihm hoch. Viel zu schnell stand er auf, sodass ihm schwindelig wurde.
»Langsam, oder willst du umkippen?«, hörte er eine sanfte, dunkle Stimme direkt neben seinem Ohr und eine Hand strich ihm die Haare aus dem Gesicht, »Das sieht nicht gut aus, mein Freund. Lass mich das mal genauer anschauen.«
Riley drehte den Kopf, hob den Blick und sah in die heterochromen Augen von Lysander.
»Was ... was machst du hier?« Riley versuchte zu lächeln, was ihm aber aufgrund der Schmerzen gründlich misslang. Stattdessen zog er nur eine komische Grimasse und fluchte: »Verdammt!«
Der Vampir schmunzelte, holte ein Taschentuch aus seiner Manteltasche und fing an, Rye das Blut aus dem Gesicht zu wischen, was sich dieser unter mehrmaligem Verziehen desselben, gefallen ließ.
Dabei beantwortete Lysander die Frage, die Riley ihm gestellt hatte: »Ich habe dich gesucht. Ich war am Visby-Stall und deine Chefin hat mir gesagt, du seist hier. Also bin ich hergefahren. Anscheinend war das auch gut so.«
Ein wenig Blut auf den Boden neben sich spukend, fragte Riley: »Du hast mich gesucht? Warum?«
Lysander zuckte mit den Schultern. »Ich wollte dich wiedersehen.«