Die Tür zu Johns privatem Zimmer flog auf und Marilyn stürzte herein. Der Junge, der gerade über einigen Dokumenten saß, zuckte zusammen, als sie an den Tisch trat und mit der flachen Hand auf die Tischplatte schlug. "John!", rief sie sauer. "Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?" John sah sie verwirrt an und sie rollte die Augen. "Hiroki gegen die Werbiester kämpfen zu lassen! Sie werden nicht überleben!", rief sie wütend und der Junge seufzte. "Marilyn, beruhige dich erst mal", begann er, doch sie unterbrach ihn. "Ich werde mich nicht beruhigen! Ich verlange auf der Stelle eine Erklärung!" "Ich hatte nie vor, dass Hiroki sie tötet!", rief John laut, um sie zum Schweigen zu bringen. Marilyn sah ihn überrascht an. "Hiroki soll ihnen zeigen, wozu er in der Lage ist. Er soll ihnen zeigen, dass die Waldgeister nicht schwach sind. Das ist der eigentliche Grund, warum ich ihn in den Kampf schicke." "Du…du hattest nie vor, den Werbiestern etwas zu tun?", fragte sie leise. "Nie Marilyn. Ich weiß, wie wichtig sie dir sind. Ich würde nie etwas tun, um dich zu verletzen", antwortete er ihr und schmunzelte. "Ich möchte den Werbiestern und auch Hiroki damit etwas beibringen. Auch wenn es nicht so wirkt, die meisten meiner Entscheidungen haben einen Sinn." Marilyn ließ sich auf das Bett fallen. "John...es…es tut mir leid, ich war einfach so wütend und…ich weiß auch nicht", flüsterte sie und der Junge grinste. "Immerhin gibst du zu, dass du manchmal überreagierst", meinte er und sie setzte sich auf. "Du gibst mir ja oft genug einen Grund dazu", konterte sie. "So willst du es also spielen?", fragte John, der genau erkannte, dass sie ihn necken wollte. "Du warst bis jetzt auch ziemlich offen für all meine Entscheidungen." Das Werbiest lachte. "Ich weiß auch nicht, was passiert ist. Seit wir zusammen sind…" Weiter kam sie nicht. John hatte sich neben sie gesetzt und seine Hand auf ihre Schulter gelegt. "Ich bin froh, dass du jetzt so handelst", meinte er und sie sah ihn überrascht an. "Ich wollte das auch früher dauernd von dir, aber du hast immer darauf bestanden, dass ich die Entscheidungen fällen soll", erklärte der Junge ihr. "Damals…naja…damals warst du so nah und doch so weit weg von mir. Ich…ich nahm einfach an, dass du immer alles richtig machst", murmelte sie. "Und jetzt denkst du das nicht mehr?", fragte er sie und sie kicherte. "Ich weiß jetzt zumindest, dass du gar nicht so unerreichbar bist, wie es immer den Anschein hat. Darum habe ich begonnen, deine Entscheidungen zu hinterfragen und nicht mehr einfach hinzunehmen." John kehrte zurück zu seinem Schreibtisch und beugte sich wieder über die Schriftstücke, die er gelesen hatte, bevor Marilyn ihn unterbrochen hatte. "Ich finde, dass es jetzt viel besser ist, als dein blinder Gehorsam früher, oder deine Besessenheit, mich Meister zu nennen, die du hattest", meinte er, während er die Papiere in einen Stapel ordnete. Das Werbiest grinste ihn an. "Oh komm schon, sag nicht, dass dir das nicht ein wenig gefallen hat", meinte sie und John ließ den Stapel, den er inzwischen zum Schrank tragen wollte, fast fallen. Verlegen räusperte er sich, als er sich wieder beruhigte. "Lassen wir das Thema. Ich will nicht, dass es in meinem Fach in Cogitos Bibliothek landet und irgendeinem Autor in einer anderen Dimension seltsame Ideen bringt." Marilyn sah ihn verwirrt an, fragte aber nicht weiter nach. Sie wusste inzwischen, dass John bereits viel erlebt hatte und selbst nicht mehr wusste, was er ihr bereits erzählt hatte und was nicht. Sie musste schmunzeln und wollte einen neckenden Kommentar loslassen, da sah sie, dass sich der Gesichtsausdruck des Jungen verändert hatte. Er wirkte unsicher, als würde ihn etwas bewegen. "Was ist los?", fragte sie vorsichtig. John seufzte. "Ich…naja, es gibt etwas, über das ich mit dir reden wollte", begann er zögernd. "Ja?" "Weißt du, warum du meine erste Freundin seit Ewigkeiten bist? Warum ich einmal sogar jemanden mit jemand anderem zusammengebracht habe, damit sie mich vergisst?", fragte er. Marilyn schüttelte den Kopf. Sie kannte zwar die Geschichte von Johns damaligen Leben und wie er die beiden Vampire Krul und Mika verkuppelte, weil Tammy ihr erzählt hatte, was John auf dem Gildentreffen gesagt hatte und das Werbiest den Jungen daraufhin solange gelöchert hatte, bis er ihr die ganze Geschichte erzählte, aber warum er es getan hatte, das hat er ihr bis jetzt immer verschwiegen. "Ich habe es nicht nur getan, weil ich sie nicht verletzen wollte. Ich tat es auch, weil Lora mir nie sagte, dass es in Ordnung ist", erklärte er. "Dass was in Ordnung ist?", hakte Marilyn nach. "Jemand neues zu finden." "Oh." Das Mädchen sah ihn mitfühlend an. "Albern ich weiß. Ich habe inzwischen schon lange erkannt, dass es für sie in Ordnung wäre. Ich wusste es auch bei Krul schon, aber damals hat mich irgendetwas noch zurückgehalten." Marilyn erkannte langsam, worauf er hinauswollte. "Ich werde dich nicht eher sterben lassen, bevor deine Zeit gekommen ist, aber es ist eine Tatsache, dass ich weiterleben werde, wenn du stirbst", meinte er und sie senkte den Kopf. Sie musste zugeben, dass sie bis jetzt noch nie wirklich darüber nachgedacht hatte. "Ich weiß nicht einmal, ob mich dann noch irgendetwas in dieser Welt halten würde", sprach John weiter. "Ich weiß, dass du dasselbe tun würdest wie Lora, aber trotzdem will ich dich fragen. Nicht jetzt, denn das würde mir nicht richtig vorkommen. Es wäre respektlos dir gegenüber und…und…", er stockte. Tränen liefen an Marilyns Wangen herunter. "Ich…ich wusste immer, dass es schwer für dich sein muss. Niemand könnte sich jemals vorstellen, was für ein Gefühl es sein muss, jemanden zu verlieren, den man geliebt hat und dann unzählige Leben lang von Schuldgefühlen geplagt zu werden, weil man sich immer wieder verliebt." John hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass sie das Thema so berühren würde. Er setzte sich wieder neben sie aufs Bett und umarmte sie sanft. Das Mädchen vergrub ihr Gesicht in seiner Robe und weinte sich an ihm aus. "Ich werde dich immer lieben, genau wie du mich immer lieben wirst", flüsterte sie. "Darum musst du mich gar nicht erst fragen. Natürlich wäre es in Ordnung für mich, wenn du irgendwann jemand neues finden würdest." Es vergingen mehrere Minuten und keiner der beiden bewegte sich. "Ich will jeden Moment, den ich mit dir habe genießen", flüsterte sie plötzlich und sah an ihm hoch. "Ich weiß nicht was die Zukunft bringen wird, aber ganz egal wieviel Zeit vergehen wird, nachdem ich weg bin, du sollst dich immer an mich erinnern." John lächelte sanft. "Ich erinnere mich an jeden Marilyn. Ich habe noch nie jemanden vergessen", antwortete er leise. Das Werbiest nickte langsam und kam dabei seinem Kopf näher, bis sich ihre Lippen schließlich berührten. Die beiden sanken fast augenblicklich in den Kuss und lösten sich erst dann wieder voneinander, als sie zu dringend Luft holen mussten. "Ich liebe dich", flüsterte John und das Mädchen lächelte ihn an. "Ich liebe dich auch", antwortete sie ihm leise. Dann packte sie ihn an der Robe und zog ihn heran, so dass beide ganz aufs Bett fielen. "Das Ganze hier ist ziemlich klischeehaft", meinte der Junge und seine Gedanken schweiften unwillkürlich zurück zu Cogitos Bibliothek. ‚Wenn es wirklich Götter gibt, dann flehe ich sie an, dass kein außerdimensionaler Autor diese Szene auffasst‘, dachte er. Marilyn kicherte und riss ihn so aus seinen Gedanken. "Vielleicht ist es klischeehaft. Aber das macht es so schön", meinte sie und küsste ihn erneut und wieder hörten sie erst auf, als sie beide wieder Sauerstoff brauchten. John lächelte. Er würde niemanden jemals aus seinem Gedächtnis streichen. Aber diejenigen, die er liebte, würden zusätzlich auf ewig einen besonderen Platz in seinem Herzen haben.