Hallo Doc!
Breston, ein verschlafenes Nest in New Hampshire. Irgend so ein Kaff halt, das keiner kennt. Eine Durchgangsstraße, eine Kreuzung. Da eine Bar mit Snooker und Dartscheiben, hier ein kleiner Supermarkt mit Burgerbude, gegenüber ein Kramladen. Eine Kirche aus der Gründerzeit, ein Baseballfeld und das frisch gestrichene beflaggte Gemeindehaus.
Am Ende der Walkers Road ein blaues Holzhaus. Auffallend die zwei Eingänge. Einer führt mit einer weißen Holztreppe ins Wohnhaus, der andere führt an einem Metallschild mit der Aufschrift „Doktor Beeverstone“ ebenerdig in das Gebäude.
Es ist am späten Nachmittag dieses Septembertages, als ein zirka vierzigjähriger Mann die Arztpraxis betritt. Mit ihm wehen ein paar abgefallene gelbliche Blätter auf den Holzboden hinein. Der Mann bewegt sich rasch und elegant auf die Sprechstundengehilfin zu. Es ist eine junge rothaarige Frau, sicherlich noch unter zwanzig, die gelangweilt ihre Fingernägel betrachtet und mit dem Fuß zu dem leisen Song aus Radio wippt. Während der Mann an die Anmeldung tritt, zeigt sich in ihrem Gesicht das Missfallen darüber, dass jetzt noch ein Patient in die Praxis kommt..
„Jaaaah…?“, fragt sie gedehnt, ohne ihren Kaugummi zu verbergen.
„Ich möchte zu Dr.Beeverstone“, antwortet der Mann sonorer Stimme.
„Sind Sie schon mal hier gewesen?“, fragt die Rothaarige noch immer auf den Hocker sitzend.
„Nein, ich bin das erste Mal hier“, antwortet der Mann.
Gelangweit rutscht das junge Mädchen vom Hocker, öffnet langsam ein Schubfach um ein Formular und eine Karteikarte heraus zu holen und legt beides langsam auf den Tresen.
„Füllen Sie bitte dieses Formular aus und bringen Sie es mir dann zurück. Hier liegt ein Stift. Sollten Sie Fragen haben, wenden Sie sich an mich“, leiert die Rothaarige schleppend herunter und reicht dem Mann das Formular. „Sie können sich so lange ins Wartezimmer setzen.“ Damit lässt sie sich wieder auf den Hocker plumpsen, um den Patienten in den Kalender einzutragen. Hoffentlich kommt heute nicht noch einer!
Der Mann zückt seinen eigenen Schreiber und füllt das Formular am Tresen stehend aus. Es vergeht keine Minute, da liegt das säuberlich ausgefüllte Formular mit der akkuraten Handschrift vor ihm.
„So, fertig“, ruft er der Sprechstundenhilfe zu und wedelt mit dem Blatt.
„Oh, das ging aber schnell. Nehmen Sie doch bitte noch einen Moment im Wartezimmer Platz.“
Das junge Mädchen überträgt die Daten, dann bittet sie den Mann, ihr zu Doktor Beeverstone zu folgen. Während er ihr durch den Flur ins Sprechzimmer folgt, hat es den Anschein, als folge seine Nase dem Geruch ihres Nacken.
„Beeverstone. Was führt Sie zu mir?“, donnert der hochgewachsene kräftige Arzt und reicht dem Mann seine Hand über den Schreibtisch hinweg. „Nehmen Sie Platz:“
Der Mann ergreift die Hand, die sich ihm entgegen streckt und stellt sich vor:
„Jonathan Smith.“
„Ja, Herr Smith, was kann ich für Sie tun?“, fragt Dr.Beeverstone, lehnt sich in seinem Schreibtischsessel zurück und streicht sich durch den Bart.
„Hm, ja, ich habe da eine sehr lästige Unverträglichkeit, die ich behandeln lassen möchte.“
„Ähem…“
„Also, ich reagiere äußerst allergisch auf Putzmittel.“
„Aha“, sagt der Arzt, greift nach der Karteikarte und beginnt sich Notizen zu machen. Er schreibt ‚Allergie auf Putzmittel’.
„Also, genau genommen handelt es sich um Borax.“
„Borax?“, fragt der Arzt und schaut auf. „Aber die meisten Putzmittel heute arbeiten auf Enzymbasis. Der Anteil von Borax darin ist sehr gering, wenn überhaupt vorhanden… Sind Sie sicher mit dem Borax?“
„Ja, da bin ich ganz sicher“, erwidert Mr.Smith und schaut an Doktor Beeverstone vorbei.
„Na ja, dann… wäre es wohl am Besten, wenn wir zunächst einmal einen allgemeinen Allergietest machen, vielleicht handelt es sich…“
„Nein, das wird nicht nötig sein!“, unterbricht ihn Mr.Smith barsch, „nur Borax!“ Dann wird er sich bewusst, dass dieser Einwand ein bisschen scharf herüber kam, und er beeilt sich nachzusetzen: „Entschuldigen Sie bitte, aber sehen Sie, es sind schon so viele Tests mit mir angestellt worden. Ich habe so viele Behandlungen und Versuche über mich ergehen lassen, ich bin es einfach leid.“
Dr.Beeverstone nickt. Er kennt die üblichen Vorgehensweisen seiner Kollegen. Er selbst hat sich schon vor vielen Jahren alternativen Heilmethoden zugewandt, und war sofort von deren Effektivität beeindruckt.
„Also, Borax?“, fragt er noch einmal und schaut Jonathan Smith tief in die Augen.
„Borax.“, antwortet dieser und nickt.
„Nun gut, dann schlage ich eine homöopathische Vorgehensweise vor. Ich nehme an, die üblichen Desensibilisierungen und Versuche mit Antihistaminen haben Sie hinter sich?“
Jonathan Smith nickt.
„Okay, fangen wir an. Wann ist diese Unverträglichkeit das erste Mal aufgetreten?“
„Ich glaube, die hatte ich schon immer.“
„Also schon als kleines Kind.“
„Ja, seit ich mich erinnern kann.“
„Und ihre Eltern? Hatte einer von denen auch diese Unverträglichkeit?“
„Meine Eltern? Meine Eltern. Ja, ich glaube, die hatten diese Unverträglichkeit auch.“
„Alle beide?“
„Ja, alle beide.“
„Hm. Beschreiben Sie einmal, wie äußert sich diese Borax-Unverträglichkeit?“
„Schlimm. Sehr schlimm.“
Der Arzt beginnt zu lachen. „Ja, aber so kommen wir nicht weiter. Ich brauche Symptome, sonst finde ich kein Mittel. Bekommen Sie tränende Augen, Hustenreiz, Hautausschläge?“
„Ja, ich reagiere sehr heftig darauf. Auf meiner Haut ist die Reaktion sehr stark; man könnte sagen, es wirkt ätzend.“
„Ätzend?“
„Ja, es frisst sich sozusagen in meine Haut hinein…. Durch die Haut durch…“
„Das ist aber eine sehr extreme Reaktion.“
„Ja, ja, deshalb bin ich ja bei Ihnen. Mit ist zu Ohren gekommen, dass sie selbst extreme Krankheiten heilen können!“
Thornton Beeverston bricht in ein herzhaftes Gelächter aus:
„Hahaha! Ja, was die Leute so alles erzählen…. In der Tat bin aber nicht ich es, der die Leute kuriert, sondern es ist die Methode. Bei der richtigen Mittelwahl können wahre Wunder geschehen.“
„Das meine ich!“, wirft Jonathan Smith schnell dazwischen.
„Ja, ja, also weiter. Sie sagen, dass sie eine sehr heftige Hautreaktion zeigen. Und sonst?“
„Na ja“, windet sich Smith, „Panik! Ich reagiere sehr panisch. Es überkommt mich geradezu eine Vernichtungsangst.“
„Na, na, Mister Smith“, beruhigt ihn Dr.Beeverstone, „so schnell stirbt es sich nicht. Man wird auf das Allergen mit der Zeit zwar immer intoleranter, aber da spielt natürlich auch die Psyche mit.“
Dr.Beeverstone schüttelt sich, weil ein kalter Luftzug durch’s Zimmer weht, es kommt ihm einen Augenblick lang so vor, als sei die Temperatur um einige Grade gefallen.
„Also, Mr.Smith, bei so einer zerstörerischen Hautreaktion muss man vielleicht miasmatisch behandeln. Haben Sie so eine Hautregion, selbst wenn sie jetzt abgeheilt ist, die Sie mir zeigen können?“
Mr.Smith lässt das Jackett von den Schultern gleiten und krempelt seinen rechten Hemdärmel hoch. Am rechten Unterarm zeigen sich Vernarbungen, wie man sie von Brandverletzungen kennt. Dr.Beeverstone springt auf und kommt um den Schreibtisch herum, um den Arm des Patienten genauer in Augenschein zu nehmen.
„Mein lieber Herr Gesangsverein! So was hab ich bislang nur nach Verbrennungen gesehen!“, ruft der Arzt überrascht aus. Er greift nach dem Arm des Patienten und beugt sich darüber, um ihn genauer zu betrachten. Kurz spürt er einen Hauch, wie von heißem Atem in seinem Nacken. Dr.Beeverstone schauert unwillkürlich und richtet sich auf. Mr.Smith entzieht ihm den Arm und rollt das Hemd wieder darüber. Nachdem er die Manschette sorgfältig geschlossen hat, gleitet er auch wieder in sein Jackett. Dr.Beeverstone, der jetzt wieder auf seinem Sessel sitzt, sagt:
„Die Sache scheint ernster, als ich erwartet habe. Wir beginnen sofort mit der Anamnese. Das dauert ein bisschen, und ich werde meine Sekretärin bitten uns eine schöne Tasse Tee zu bringen.“
Er greift nach dem Telefon: „Hallo Martha, machen Sie doch bitte mir und Mr.Smith eine schöne Tasse Tee. Wir machen eine Fragestunde vor uns……. Ja, Earl Grey wäre fein.“
Er legt auf und wendet sich wieder seinem Patienten zu.
„Ich werde Ihnen jetzt eine Reihe von Fragen stellen, die Sie bitte so wahrheitsgemäß wie möglich beantworten. Ihnen wird sich der Sinn dieser Fragerei vielleicht nicht erschließen, aber mir hilft es, das richtige homöopathische Mittel zu finden.“
„Gut.“, nickt Smith zustimmend.
„Also, Mr.Smith, ihr Lieblingsessen?
„Fleisch.“
„Fleisch, gut. Welches Fleisch im Besonderen?“
„Mensch… Männliches Fleisch… also, Hammel und Stier und so…“, beeilt sich Jonathan Smith zu korrigieren.
„Und was trinken Sie am liebsten? Süße oder herbe Getränke?“
„Blut… Blutorangensaft… und Tomatensaft“, antwortet Smith.
Die Sprechzimmertür wird aufgestoßen und Martha Woolrich, die langjährige Sekretärin von Dr.Beeverstone kommt mit dem Teetablett herein.
„So“, sagt sie im mütterlichen Ton und nickt Jonathan Smith mit ihrem grauen Lockenkopf freundlich zu, „erst mal eine schöne Tasse Tee!“ Und damit stellt sie die Tassen, Zucker, Milch und ein paar Kekse auf eine freie Stelle des Schreibtisches.
„Ich mache dann noch die zwei Schreiben fertig und gehe dann nach Hause“, ruft sie im Hinausgehen.
„Tun Sie das, Martha!“ Beeverstone gibt reichlich Zucker in seinen Tee, rührt um und trinkt.
„Also weiter, Mr.Smith…..“
Nach etwa einer Stunde ist Dr.Beeverstone mit seinen Fragen durch.
„So, Mr.Smith“, sagt Beeverstone und reicht dem Mann die Hand, „jetzt beginnt die eigentliche Arbeit für mich, das Repertorisieren. Lassen Sie sich bitte von meiner Angestellten einen Termin in drei Wochen geben, dann sehen wir uns wieder.“
Jonathan Smith verabschiedet sich mit einem knappen Nicken und eilt zur Anmeldung. Die junge Arzthelferin hat ihm den Rücken zugedreht, surft im Rechner und hört Musik über ihr iPhone. Smith hat sie angesprochen, aber durch die Ohrstöpsel hat sie nichts gehört. Jetzt bekommt er Hunger, Appetit auf Fleisch, aber die Behandlung hat gerade erst begonnen! Also langt er über den Tresen und legt ihr die Hand auf die weiche Schulter. Wie von der Tarantel gestochen springt Janet kreischend hoch.
„Tschuldigung, ‚tschuldigung. Aber Sie haben mich nicht gehört.“
„Was… was… wollen Sie noch..?“, keucht Janet.
„Dr.Beeverstone sagte, ich solle einen neuen Termin in drei Wochen machen.“
Während Janet den neuen Termin einträgt, bringt Beeverstone die unberührte Teetasse in die Kochküche.
DREI WOCHEN SPÄTER. Beeverstone hat sich so recht kein Bild von seinem Patienten machen können. Die Hinweise waren sehr widersprüchlich, teilweise gaben sie nicht wirklich was her. Also hat er sich für eine brachiale Vorgehensweise entscheiden müssen.
„Tja, Mr.Smith, wollen wir doch mal ganz einfach vorgehen. Gleiches mit Gleichem. Hähä. Hier im Glas habe ich eine Nosode für Sie bereitet. Trinken Sie!“
Misstrauisch schaut Jonathan Smith auf das Wasserglas, greift dann danach und trinkt.
„Keine Angst! Es ist kein Gift. Und hier habe ich ein Röhrchen mit Globuli. Borax in C30. Davon nehmen Sie ab morgen fünf Tage lang drei Stück. Danach probieren Sie ganz vorsichtig, ob Sie noch immer auf die Substanz reagieren.“
Smith schaut ihn ungläubig an. Er soll Borax schlucken? Hat dieser alte Schurke vielleicht was gemerkt oder ist von den beiden gewarnt worden? Oder der alte Singer steckt dahinter?!
Dr.Beeverstone der den ungläubigen Blick seines Patienten sieht winkt lachend ab: „Nein, nein. Das ist für Sie überhaupt nicht gefährlich!“ Er greift in den Arzneischrank hinter sich:
„Sehen sie her! Arsenicum album C200“. Und damit wirft er sich einige Globuli dieser Substanz ein. „Bringt mich das um, na?“ Und er lacht weiter.
„Einen neuen Termin?“
„Wir telefonieren nächste Woche. Rufen Sie mich am Donnerstag an.“
Jonathan Smith verlässt die Praxis. Am nächsten Tag erscheint Janet nicht auf der Arbeit. Auch am übernächsten nicht. Mrs. Woolrich hat sich die Finger wund telefoniert, aber niemand weiß, wo sie sein könnte. Beim Sheriff geht eine offizielle Vermisstenanzeige ein. Martha Woolrich übernimmt zunächst die Aufgaben der jungen Arzthelferin mit.
DONNERSTAG Vormittag.
„Ja schön, schön“, ruft Beeverstone ins Telefon, „Das klingt gut. Damit sind wir auf dem richtigen Weg. Das Mittel passt. Ich würde nur die Potenz noch etwas erhöhen auf Borax C200. Ich kann meine Sekretärin bitten, Ihnen das Mittel zuzuschicken… Nein, wie Sie wollen. Dann kommen Sie morgen einfach rein und holen es persönlich ab.“
Jonathan Smith streicht lächelnd über sein linkes Schienbein, auf dem das Borax nach der Behandlung nur noch eine leichte Hautrötung bewirkt hat.’Morgen also’, denkt er.
Ein Stück außerhalb des Ortes am Straßenrand steht das, was von Janet übrig geblieben ist: ein roter Stöckelschuh mit dem Rest eines abgerissenen Unterschenkels…
ST.LOUIS.MISSOURI.
„Sammy! Halt drauf! Der darf uns nicht durchgehen!“, schreit Dean und versucht dem Leviathan den Rückweg abzuschneiden. Sam stellt sich ihm in den Weg und feuert das Borax aus einer Mega Wasserpumpgun.
„Scheiße, Dean, das wirkt nicht!“
Dean nähert sich von hinten und schlägt dem Leviathan mit einer Machete den Kopf von den Schultern. Die Brüder schauen sich verdutzt an. Keine fünf Sekunden später sitzt der Kopf wieder auf dem Hals und der Leviathan setzt seinen Angriff fort. Schon schließen sich seine Klauen um Sams Hals. Sam ringt nach Luft, während Dean erfolglos Borax verspritzt. Der Leviathan dreht den Hals und entblößt sein furchterregendes Gebiss. Fauliger Atem schlägt Sam ins Gesicht als…
Plötzlich ein gleißendes Licht die Szene erhellt und blendet. Der Leviathan stößt einen gellenden Schrei aus und verschwindet.
„Cas, das war in letzter Sekunde!“
Cas zuckt nur entschuldigend mit den Schultern: „Ich dachte, ihr beide bekommt das alleine hin.“
„Tja, sah nicht so aus“, würgt Sam heraus.
„Da muss irgendwas schief gelaufen sein“, sagt Dean und stapft wütend und suchend umher.
„Dean“, wendet sich Sam an seinen Bruder, „bist du sicher, dass es sich bei ihm um einen Leviathan gehandelt hat?“
„Sammy, den Scheißkerl würde ich unter tausenden wiedererkennen. Wir sind ihm schon mal in Dallas begegnet. Damals hätten wir ihn fast erwischt.“
„Sicher?“
„Hast du nicht die Narben auf seinem Arm gesehen? Da stand: Dean was here!“
“Und was ist hier falsch gelaufen, Dean?”
„Ich hab keine Ahnung, Sammy. Kommt, lasst uns fahren. Cas, du sitzt hinten!“