INTENSIVSTATION.
„Idioten“, sagt er mit leiser Stimme und sein Kopf sinkt ins Kissen.
Der Monitor gibt einen Dauerton von sich und zeigt die Nulllinie an. Sam und Dean stehen wie vor den Kopf geschlagen da. War es das jetzt? Ist Bobby wirklich tot? Dean rauft sich die Haare, Sammy hat Tränen in den Augen. Und was bedeuten die Zahlen auf Sams Hand?
Eine Krankenschwester erscheint, kurz darauf der Arzt. Sie treten zu Bobby ans Bett. Der Arzt überprüft Atmung und Herztätigkeit noch einmal, dann testet er die Augenreflexe. Er schaut auf Sam und Dean und schüttelt den Kopf…
Sam und Dean sitzen im Impala. Sammy schaut auf seine Hand: „Was kann er damit gemeint haben?“, fragt er seinen Bruder und betrachtet die Ziffern, die Bobby ihm auf die Hand geschrieben hat.
Dean schüttelt den Kopf und sagt mit leiser Stimme: „Keine Ahnung, Sammy, keine Ahnung.“
Nach einer Weile fragt Sam: „Und was jetzt? Was machen wir jetzt?“
Dean zuckt mit den Schultern. „Solange wir nicht wissen, was Bobby uns damit sagen wollte… Verfolgen wir den Fall, den wir begonnen haben.“
„Den Werwolf oben in Breston?“
Dean nickt: „Den Werwolf in Breston!“ Dann reißt er das Steuer des Impalas herum, wendet auf der Fahrbahn und beschleunigt.
Ginger wird auf der Rückbank hin und her geworfen. Sie hechelt. Es geht nach Breston… in ihre Heimat.
PRAXIS BEEVERSTONE.
Martha Woolrich linst um die Ecke ins Sprechzimmer hinein. „Ein Mister Singer für Sie, Dr. Beeverstone!“
Dr. Beeverstone schaut nur kurz von seinen Akten hoch und sagt: „Schicken Sie ihn rein, Martha!“
Bobby Singer tritt leise ins Sprechzimmer. Er sieht grau und müde aus. „Hallo, Thornton“, sagt er zu Beeverstone. Dr. Beeverstone schaut hoch, schaut auf den Patienten, kurz schießt ihm durch den Kopf ‚Der sieht aber gar nicht gut aus‘, dann erkennt er seinen Jugendfreund Bobby! Beeverstone springt auf, kommt auf Bobby zu und drückt ihn in seine Arme. „Bobby! Mein Gott, wie viele Jahre ist das her! Oder sollte ich sagen: Jahrzehnte?“ Bobby erwidert die Begrüßung eher zaghaft. „Thornton, du siehst gut aus!“, sagt er.
„Bobby! Ich freue mich, dich zu sehen! Was hast du all die Jahre getrieben? Komm, du musst mir alles erzählen!“ Beeverstone zieht Bobby mit zu einem kleinen Tischchen mit zwei Sesseln, der sich in der Ecke des Sprechzimmers befindet. Sie setzen sich. „Was trinkst du? Bourbon?“ Beeverstone öffnet ein Fach im Schrank, holt eine Flasche Whiskey und zwei Gläser heraus und stellt beides auf den Tisch. Er schenkt Bobby und sich ein, dann prostet er Bobby zu: „Auf die alten Zeiten!“ Auch Bobby hebt sein Glas und prostet Beeverstone zu. Er führt es an die Lippen, trinkt aber nicht. Beeverstone schüttelt sich: „Ist ein bisschen frisch hier drin. Ich dreh mal die Heizung höher“, sagt er und dreht das Thermostat hoch.
„Mensch, Bobby! Wo sind all‘ die Jahre geblieben? Aber… was führt dich zu mir?“
Bobby räuspert sich. „Äh, ich war gerade mal wieder in der Gegend, und dachte… ich schaue mal rein.“
Dr. Beeverstone betrachtet seinen alten Freund kritisch. „Aha. Aber wie das blühende Leben siehst du nicht gerade aus, wenn ich ehrlich sein soll.“
Bobby zuckt kurz mit den Schultern. „So richtig gut geht’s mir auch nicht, Thornton.“ Er macht eine Pause, schaut dabei aus dem Fenster. „Ich fühle mich momentan nicht richtig wohl in meiner Haut. Ein bisschen unscheinbar. Die Leute gucken einfach durch mich hindurch.“
„Ah…“, sagt Beeverstone und wartet darauf, dass Bobby weiterspricht.
„Es war für mich nicht so einfach, hier runter zu kommen… eigentlich sollte ich gar nicht hier sein, aber ich vermisse die Jungs“, erklärt Bobby.
„Mit ‚den Jungs‘ meinst du die Söhne von John Winchester, Bobby? Oder hast du doch noch geheiratet und eigene Kinder bekommen?“
Bobby schaut Thornton Beeverstone ins Gesicht. „Nein, nein. Die Söhne von John. Sam und Dean“, nickt er dann.
„Aber die Jungs sind doch jetzt auch schon Mitte bis Ende dreißig, oder?“
„Sogar noch drüber“, sagt Bobby und winkt ab.
„Ist es da nicht ein bisschen überholt… ich meine, die führen doch sicher ihr eigenes Leben… ohne dich…“, gibt Beeverstone vorsichtig zu bedenken.
Bobby ist den Tränen nah. „Ja, die führen ihr eigenes Leben!“, stimmt ihm Bobby zu.
„Du musst loslassen, Bobby. Was machst du denn so jetzt? Ach, die Heizung muss auch mal wieder überprüft werden!“
„Nichts. Nichts weiter. Ich denke viel nach, und überlege, für welchen Weg ich mich entscheiden soll.“
„Na, siehst du. Du klammerst dich an die Jungen, weil dir dein eigener Lebensinhalt fehlt!“
„Wenn du wüsstest, wie recht du hast, Thornton“, sagt Bobby resigniert.
„Bobby, jetzt mal unter alten Freunden, auf mich wirkst du etwas depressiv. Du siehst auch völlig farblos aus, so, als sei dir die Lebensfreude abhanden gekommen. Das ist nicht mein alter Freund Bobby. Fühlst du dich müde?“
„Ich hab das Gefühl, ich könnte tausend Jahre schlafen.“
„Antriebslos?“
„Es fällt mir unsäglich schwer, die Dinge in Gang zu setzen.“
„Spürst du überhaupt noch das Leben in dir?“
„Nein.“
„Hm“, Dr. Beeverstone verschränkt die Arme und versucht sich durch Reibung ein wenig zu erwärmen. Vergeblich. „Ich würde dir gerne meinen Freund O’Leary empfehlen… er ist Psychiater. Meiner Meinung nach hat dich eine Altersdepression erwischt. Die saugt dann jedes Lebensgefühl aus dir heraus… Allerdings ist die Sitzung bei O’Leary nicht gerade preiswert…“ Beeverstone schaut Bobby fragend an. Bobby schüttelt den Kopf. „Du kennst mich, Thornton. Die schnelle Mark war noch nie mein Fall. Momentan kann ich gar kein Geld in die Hand nehmen.“
„Hm…“, Thornton überlegt. Bobby knetet seine Hände und ringt mit sich: „Ich habe gehört, du könnest wahre Wunder mit deinen Händen vollbringen.“
„Wo hast du das gehört?“
„Ein Eng… enger Bekannter hat es in seinem Radio gehört…“
Beeverstone zuckt mit den Achseln und schüttelt unwirsch den Kopf: „Ach, was immer so alles erzählt wird! Wunder vollbringen! Es scheint mehr so eine Art Reiki Energie zu sein. Ja, es gibt ein paar Erfolge, aber ich glaube, das beruht alles auf Energiefluss. Das ist schon seit Jahrtausenden das Geheimnis der Traditionellen Chinesischen Medizin.“
„Würdest du es trotzdem bei mir versuchen, Thornton? Ich glaube, außer dir kann mir keiner mehr helfen“, bittet ihn Bobby.
Dr. Beeverstone überlegt kurz. Dann nickt er. „Gut, Bobby. Sehen wir, was ich tun kann. Was auch immer! Es kann nicht schaden, dein Chakrensystem wieder aufzubauen.
„Martha! Ich möchte in der nächsten Stunde nicht gestört werden“, ruft Beeverstone seiner Sekretärin zu und schließt dann die Tür hinter sich.
Beeverstone dreht auch in diesem Raum das Thermostat hoch. Er schüttelt sich wieder, weil er fröstelt. „Tut mir leid, Bobby. Irgendwas scheint mit der Heizung nicht in Ordnung zu sein. Leg dich doch bitte da auf die Behandlungsliege und schließ die Augen. Wenn du willst, gebe ich dir noch eine Decke.“
Bobby legt sich auf die Liege und sagt: „Ist schon okay, Thornton. Ich friere nicht.“
Dr. Beeverstone holt sich einen Hocker und setzt sich neben Bobby. Dann erklärt er ihm, wie die Behandlung aussieht. Er wird die sieben Hauptchakren nacheinander energetisch aufladen und anschließend miteinander verbinden. Es sei so ähnlich wie eine Reiki Behandlung, falls Bobby so etwas schon einmal gesehen habe. Danach, so hofft er, wird sich sein Freund besser fühlen. Beeverstone dreht die Hände nach oben und konzentriert sich. Dann legt er die Hände auf Bobbys Wurzelchakra. Während Beeverstones Hände Bobbys Körper ganz sanft berühren, hat er nicht das Gefühl den Körper oder die Kleidung zu berühren, sondern in einen kalten Abgrund zu greifen. Da ist kein Widerstand zu spüren. Eher fühlt es sich so an, als würde Beeverstone von einer leeren Kälte gepackt und mitgezogen. Dr. Beeverstone atmet einige Male tief ein und aus. Die Kälte kriecht seine Arme hinauf. Thornton Beeverstone löst die Hände und legt sie auf das Sakralchakra. Eigentlich sollte er hier eine starke orange Lebensenergie spüren. Aber auch hier trifft er eher auf ein Vakuum, das alle Energie aus ihm selbst heraus saugt. Und so geht es weiter. Beeverstone fängt vor Anstrengung und Kälte an zu zittern. In jedem von Bobbys Chakren trifft Beeverstone auf einen abnormen Mangel an Energie. Nur im Kronenchakra scheint die Energie überhaupt noch messbar zu sein. Beeverstone steht vor einem Rätsel. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er denken, Bobby sei tot. Beeverstone beendet die Sitzung und spürt, dass sie ihn selbst viel Kraft gekostet hat. Bobby steht vor ihm und reicht ihm zum Abschied die Hand: „Ich hoffe, wir sehen uns wieder, Thornton.“
Aus dem Radio in der Anmeldung dringen gedämpft die Akkorde einer alten Rockballade herüber: „…and she’s buying a stairway to heaven“