BRESTON, New Hampshire, Samstag gegen 17.00 Uhr.
Neuntes Loch Par 5 und Beeverstone hat schon acht Schläge gebraucht. Jetzt steht er neben seinem Freund und Psychiater Christopher O’Leary in der Sandgrube. Verschwitzt und nervös dreht er den Golfschläger in den Händen.
„Glaube, du nimmst besser einen birdie“, schmunzelt ihm O’Leary zu.
„Geht schon“, antwortet Beeverstone, schlägt eine Sandfontäne hoch und… der Ball schießt am Loch vorbei.
„Lass uns für Schluss machen, Thornton“, sagt O’Leary und klopft Beeverstone aufmunternd auf die Schulter, „ist heute nicht dein Tag!“
„Ich glaube, du hast Recht“, räumt Beeverstone ein und stopft den Schläger in der Tasche. „Ich bin nicht in Form. Eigentlich wollte ich dich nur sehen und mit dir reden…“
„In der Praxis war diese Woche der Teufel los! Dann kam uns auch noch dieser Amoklauf dazwischen. Lass uns zum Clubhaus rüber gehen und eine Kleinigkeit essen, dann können wir in Ruhe reden“, schlägt O’Leary vor.
„Ja, ist vielleicht das Beste“, stimmt Beeverstone zu und greift nach dem Caddy.
Beeverstone dreht das Glas mit Eiswasser in den Händen hin und her. Er schaut auf die Tischplatte und sucht nach einem Anfang:
„Hm… ja, vielleicht bin ich nur überarbeitet und sollte mal Urlaub machen…“
Er schaut auf in O’Learys Gesicht, aber dieser wartet nur mit freundlicher Miene darauf, dass sein Freund weiter spricht.
„Ich weiß gar nicht, wann ich den letzten Urlaub hatte… warte mal, das muss 2011 gewesen sein, als…“
„Thornton, du willst mit mir nicht über Urlaub reden, um was geht’s?“, unterbricht ihn O’Leary.
„Darf ich schon etwas zu Trinken bringen?“, fragt ein junger Kellner, der an den Tisch getreten ist.
„Ein Lager“, antwortet Beeverstone ohne aufzusehen.
„Und für mich eine Weißweinschorle, bitte“, fügt O’Leary hinzu. „Also, über was wolltest du mit mir reden?“
„Ich glaube, es geht wieder los, Christopher.“
„Was meinst du, Thornton, es geht wieder los?“
„Meine Nerven. Offensichtlich machen meine Nerven nicht mit.“
„Du meinst, du fühlst dich überlastet, angespannt. Hast du Schlafstörungen?“
„Nein, nein… es ist… mehr so, wie nach Rosmarys Tod“, bringt Beeverstone leise heraus.
„Du meinst“, fragt O’Leary und fasst seinen Freund fest ins Auge, „Du meinst, die Halluzinationen, die Ängste…?“
„So, die Herren! Ein Lager und eine Weißweinschorle. Soll ich Ihnen die Speisekarte dalassen?“
Nur Christopher O’Leary reagiert auf den Kellner: „Ja, bitte.“
O’Leary wirft einen raschen Blick auf die Menüs. Der Kellner wartet. Er strömt etwas Unangenehmes aus, findet O’Leary.
„Ich nehme die Hähnchenbrust Hawaii. Und du, Thornton?“
„Cheeseburger Pommes“, antwortet Beeverstone und starrt weiterhin auf die Rasenfläche.
Der Kellner hält seinen Blick auf Beeverstone gerichtet: „Noch einen Salat dazu?“, fragt er.
„Nein, keinen Salat.“
„Und für Sie?“, wendet er sich wieder an O’Leary. Christopher O’Leary läuft ein kalter Schauer über den Rücken, als er dem Kellner ins Gesicht blickt. Irgendwie strahlt der junge Mann etwas Kaltes und Hoffnungsloses aus.
„Nein, danke. Nur etwas gedünstetes Gemüse bitte.“ Und mit einem Nicken in die Richtung des forteilenden Kellners sagt er zu Beeverstone:
„Mein Gott, der Junge ist aber drauf! Hast du seine Pupillen gesehen? Die Augen sind fast schwarz… Aber zu dir. Du sagst, du fühlst dich so, wie nach Rosmarys Tod?“
Beeverstone schaut seinem Freund ins Gesicht: „Christopher, ich glaube, ich verlier die Kontrolle!“
„Aber, Thornton, das war damals eine ganz andere Situation! Dieser schreckliche Unfall! Und dann der Schock, als du Rosmary identifizieren musstest! Das war eine posttraumatische Störung. Und die hast du mit meiner Hilfe überwunden.“
„Ja, Christopher, ich weiß, wir haben damals ziemlich hart gearbeitet… Bis letzte Woche habe ich geglaubt, ich sei da durch und es geht mir gut…“, Beeverstone lacht bitter, „aber dann ging es Freitag plötzlich los! Ich hatte meinen letzten Patienten und da verzerrte sich alles. Es war, als sei mir die Realität entglitten. Dieser Patient… sein Gesicht war mein Gesicht. Sein Arm war mein Arm. Er hatte die gleiche Narbe, wie ich… das gleiche Alter…“
Christopher O’Leary lacht auf, und klopft seinem Freund aufmunternd auf den Arm:
„Ach, Thornton, das ist völlig normal in unseren Berufen. Der letzte Patient der Woche?! Da sind wir aufgebraucht, durch, zu nichts mehr zu gebrauchen! Da verwischt sich die Grenze zwischen uns und unseren Patienten, ihre Probleme werden zu unseren Problemen!“
„Meinst du…“, erwidert Beeverstone zögerlich, „ich hätte schwören können…“
„Einmal Cheeseburger Pommes, einmal Hähnchenbrust Hawaii“, wirft der Kellner, der lautlos an den Tisch getreten ist, dazwischen und stellt die Teller vor Beeverstone und O’Leary ab. „Guten Appetit!“, sagt er knapp und schon ist er wieder weg.
„Aber sicher, Thornton“, lacht O’Leary, „unter Stress spielt uns unser Gehirn oft einen Streich. Was meinst du, wie oft ich mich schon für verrückt gehalten habe, haha. Wenn du willst, können wir noch ein paar Sitzungen vereinbaren. Aber jetzt lass es dir erst einmal schmecken!“
„Na, ich werd drüber nachdenken, dann guten Hunger!“
DIENSTAG.
„Der junge Mann kommt ohne Termin, Dr.Beeverstone, aber er sagt, er würde Sie kennen.“ Mrs Woolrich führt einen Patienten ins Sprechzimmer. Dr.Beeverstone schaut auf den jungen hochgewachsenen Mann, der hereinkommt und runzelt die Stirn.
„Sollte ich Sie kennen?“, fragt Beeverstone und bedeutet dem Patienten Platz zu nehmen.
„Der Kellner“, antwortet der junge Mann.
Beeverstone schaut ihn nach wie vor fragend an.
„Der Kellner aus dem Golfclub“, fügt der junge Mann hinzu.
„Ah, so“, sagt Beeverstone, kann sich aber nur dunkel erinnern. „Und woher haben Sie meine Adresse?“
„Aus der Dä… äh WhatsApp Gruppe. Mon… äh ModernHealing.“
„Hm, ach so. Womit kann ich Ihnen helfen?“
„Äh ja, ich habe gehört, dass sie wahnsinnige Heilerfolge haben…“
„Aha“, schmunzelt Beeverstone, „und wo haben Sie das gehört; das mit den wahnsinnigen Heilerfolgen?“
„In unserer WhatsApp Gruppe. Da wird so was gepostet.“
„Jaha“, lacht Beeverstone und kaut auf seinem Stift, „ich gebe aber keine Heilsversprechen ab.“
„Das ist mir auch lieber so“, antwortet der jung Mann knapp.
„Was ist denn ihr Problem?“, fragt Beeverstone.
„Ich vertrage kein Salz!“, lautet die Antwort.
„So, Sie vertragen kein Salz?“
„Genau.“
„Können Sie das genauer darlegen?“
„Nein.“
„Nein?“
„Nein!“
„Hm, meinen Sie, dass Sie Probleme kriegen, wenn Sie zu viel Salz essen? Ödeme, Wassereinlagerungen, Bluthochdruck?“
„Ja, so ungefähr. Ich vermeide Salz einfach, wo ich kann.“
„Naja, ganz vermeiden werden Sie es wohl nicht. Der menschliche Körper benötigt Salz, um nicht auseinander zu laufen. Wie ein Pudding in der Hitze… bildlich gesprochen.“
„Sie meinen, Doktor, ohne Salz würde ich meine Gestalt verlieren, und es bliebe dann nur eine Pfütze übrig?“
„Nicht ganz so drastisch vielleicht, aber Sie würden ihre Form verlieren, wie so ein Marshmallow im heißen Kakao.“
„Nein, Doktor, das ist nicht mein Problem!“
„Sondern?“
„Ich vertrage kein Salz. Ich mag es nicht einmal anfassen. Es wirkt auf mich ätzend, wie Säure, ich…“
„Sie wollen sagen, Sie meiden Salz, wie der Teufel das Weihwasser…“
Der junge Mann blinzelt und für einen Augenblick sind seine Augen pechschwarz.
„… da hatte ich in den letzten Wochen so einen ähnlichen Fall…“, sagt Beeverstone mehr zu sich selbst und wühlt in seinen Papieren. „Auch so eine merkwürdige Unverträglichkeit… mit ganz heftigen allergischen Reaktionen… wo hab ich das denn nur?“
Der junge Mann atmet langsam aus und lehnt sich wieder zurück.
„Na, ist ja auch egal“, fährt Beeverstone fort. „Sind Ihre Nieren mal untersucht worden? Schwierigkeiten mit dem Elektrolyte-Haushalt entstehen häufig durch eine nicht erkannte Nierenerkrankung. Waren Sie diesbezüglich mal bei einem Urologen?“
Der junge Mann schüttelt den Kopf.
„Dann suchen Sie in der nächsten Zeit bitte einen Urologen auf, und lassen das abklären.“
„Okay, aber Sie, Doc, können Sie jetzt etwas für mich tun?“
„Ja, ich werde Sie zunächst untersuchen, und dann beginnen wir mit der Desensibilisierung, wenn Sie einverstanden sind.“
Der junge Mann zieht sein T-Shirt wieder über und steht von der Untersuchungsliege auf.
„Tja, junger Mann, die körperliche Untersuchung hat nichts ergeben. Sie können stolz darauf sein, in solch einer guten körperlichen Verfassung zu sein. Ihre Pupillen sind auffällig erweitert; ich muss Sie das fragen: Nehmen Sie Drogen[?“]
„Was, ich?“, fragt der Patient und schlägt sich gegen die Brust, „Nein!“
„Na, nichts für ungut“, lenkt Beeverstone ein, „es gibt auch Menschen, bei denen die Pupillen einfach größer sind, aber Ihre sind schon extrem vergrößert… Vielleicht stehen Sie auch einfach unter emotionalem Stress. Wie ist das Verhältnis zu ihrem Chef?“
„Ich habe kein Verhältnis mit meinem Chef!“
„Nein, wie stehen Sie zu ihm? Ist er teamfähig… umgänglich… seinen Mitarbeitern freundlich gesinnt?“
„Er ist ein Fürst.“
„Aha, also Typus Alleinkämpfer?“
„Ja, Alleinherrscher.“
„Und ist er gerecht, ihr Chef?“
„Kleine Sünden straft der liebe Gott sofort, die Großen straft Crowley…“
„Ha, ha, ja, ich verstehe, was Sie meinen“, lacht Beeverstone. „Wenn Sie so unter Stress stehen, passt auch die heftige allergische Reaktion. Kommen Sie doch bitte mit in den Raum dort drüben.
Beeverstone und der Patient betreten einen zum Garten gelegenen Raum, der in harmonischen Farben gehalten ist und Entspannungstherapien dient. Als sie eintreten, fällt eine Engelsstatue aus Marmor aus einem Regal und zerspringt in tausend Stücke.
„Huch“, ruft Beeverstone und erschrickt. Er sieht sich den Schaden an und schüttelt den Kopf: „Und das hat man mir in Volterra als Marmor verkauft! Man kann heutzutage keinem Menschen mehr trauen.
„So, setzen Sie sich da hin. Wie vorhin schon angesprochen, möchte ich mit Ihnen eine Desensibilisierung durchführen. Das ist zugleich ein Verhaltenstraining. Die meisten Patienten leiden unter Höhenangst, Spinnenphobien oder ähnlichen irrationalen Ängsten. Bei Ihnen handelt es sich sicherlich auch um die Angst vor Ihrem Chef. Ohne diesen Chef, keine Probleme mit Salz, wenn ich das mal so platt sagen darf, haha. Salz an sich ist ja ein völlig harmloser Stoff. Sehen Sie, ich lasse ihn einfach durch meine Hände rieseln“, erklärt Beeverstone und wühlt mit den Fingern in einer Packung Kochsalz.
Der junge Mann springt aus dem Sessel hoch, wirft ihn dabei zu Boden und rückt in eine Zimmerecke zurück. Er faucht und hält sich dabei die Hände schützend vor das Gesicht.
Beeverstone ist von der heftigen Reaktion etwas überrascht und lässt das Salz schnell im Schrank verschwinden.
„Ruhig, ruhig, mein Lieber. Keine Angst. Wir werden es ganz langsam angehen.
DREI WOCHEN SPÄTER.
„So, sehen Sie mal Ihre Fortschritte!“, ruft Beeverstone erfreut aus. Der uns bereits bekannte junge Mann hält ein verschlossenes Glas mit Kochsalz in den Händen. Stolz lacht er zu Beeverstone herüber.
„Toll, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Vor Wochen hat mich allein schon der Gedanke an Salz verrückt gemacht, und jetzt halte ich sogar ein Glas damit auf meinem Schoß.“
„Wie ich schon sagte“, lacht Beeverstone, „Alles ist möglich! Wollen wir dann weitermachen?“
Der Patient nickt.
„Schön. Sie haben das Wort ‚Salz’ gelesen, geschrieben, laut ausgesprochen. Dann haben Sie sich dem Anblick von Salz ausgesetzt. Zunächst in der Verpackung, dann in einem Schraubglas. Sie haben es geschafft, dass Gefäß zu berühren, jetzt halten Sie es sogar in Händen. Als nächstes möchte ich, dass Sie ein paar Körnchen Salz auf der Haut erdulden. Einverstanden?“
„Einverstanden, Doc.“
Beeverstone nimmt dem Patienten das Salzgefäß aus der Hand und stellt es auf das Tischchen. Er öffnet den Schraubverschluss.
„So, jetzt strecken Sie Ihre Hand aus. Nein, anders herum! Zuerst mit dem Handrücken nach oben. Der ist unempfindlicher.“
Dr.Beeverstone greift sich ein paar Körnchen Salz zwischen Daumen und Zeigefinger und lässt sie auf den Handrücken des Patienten rieseln. Dieser lässt die Hand einige Sekunden lang ausgestreckt und wartet.
„Atmen Sie tief durch. Ein und aus. Ein und aus. Es handelt sich um eine völlig langweilige ungefährliche Substanz. Sie kann Ihnen nichts anhaben… sie kann Ihnen nichts anhaben… Atmen Sie ganz ruhig und tief. Bleiben Sie entspannt. Sprechen Sie vielleicht ein kleines Mantra, ein Gebet….“
Entsetzt kreischt der Patient auf und wischt panisch mit der freien Hand auf seinem Handrücken herum. Er ist aufgesprungen und atmet schwer.
„Beruhigen Sie sich, beruhigen Sie sich. Die Kunst besteht darin, ganz entspannt zu bleiben. Dennoch war das für den Erstkontakt sehr gut. Zeigen Sie mal Ihre Hand. Ach, die Rötung kommt sicherlich durch die Reibung. Ich denke, wir machen nächste Woche weiter.
VIER WOCHEN SPÄTER.
„Bravo! Bravo!“, jubelt Dr.Beeverstone, „Jetzt haben Sie’s!
Der Patient lächelt zufrieden zu Beeverstone herüber, während er stinknormales Kochsalz durch die Finger rieseln lässt.
„Tja, mein Lieber, damit kann ich Sie als geheilt entlassen. Es ist erstaunlich, was Sie in dieser kurzen Zeit vollbracht haben. Chapeau!“
„Ja, Doc, wenn einem eine Sache am Herzen liegt…“
SALTY LAKE; WYOMING.
„Mensch, Sammy, schau dir diese Sauerei an!“
„Ich würde sagen, da hat jemand ganze Arbeit geleistet.“
„Ja, aber was für ein Monster soll das gewesen sein, frage ich dich!“
„Keine Ahnung, Dean. In Dad’s Tagebuch habe ich nichts darüber gefunden.“
„Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich sagen, ein Dämon hat ihn zerfetzt.“
„Ja, nur dass ein Dämon keinen Salzstollen betreten würde.“
„Welcher verf….. Scheißkerl konnte hier überhaupt rein?!“
„Keine Ahnung, Dean.“, Sam blickt sich noch einmal in dem Raum um. Ein Salzstollen, tief unter der Erde, zusätzlich durch eine Teufelsfalle gesichert, das hätte den anderen Jäger schützen sollen, der sich an Sam und Dean gewandt hatte. Bobby Singer hatte gemeint, sicherer sei es nur in Abrahams Schoß, aber das sei auch kein Aufenthalt für einen Jäger. Daher hatten sie Georg hier versteckt. Er sollte ein paar Wochen untertauchen, bis die Dämonen seine Spur verloren hätten. Und jetzt… jetzt lag Georg überall auf dem Salzboden verteilt.
„Ich denke Sammy, wir müssen ihn zusammensammeln und bestatten.“
„Hm ja. Ja klar, ich geh und hole einen Plastiksack und den Spaten.“
Nachdem das Feuer herunter gebrannt ist, sieht man den schwarzen Impala den Salty Creek Highway in Richtung Süden beschleunigen. '