BRESTON. NEW HAMPSHIRE
Der Wecker setzt mitten im Song „Son of a Preacherman“ ein. Dr. Beeverstone öffnet die Augen und räkelt sich. Durch die Lamellen der Jalousie scheint ihm die Sonne ins Gesicht.
„Das wird ein guten Tag!“, denkt Beeverstone und springt aus dem Bett. Er macht ein paar Gymnastikübungen, so wie jeden Morgen, und überlegt, ob er noch eine Runde durch den Park joggen will. Er fühlt sich so fit, heute Morgen, er könnte Bäume ausreißen!
Als er frisch geduscht am Frühstückstisch sitzt, überlegt er, ob er nicht doch auf den Vorschlag von Jimmy Parson eingehen soll, am Wochenende eine Kanutour zu unternehmen. Eigentlich fühlte er sich ja zu alt für so halsbrecherische Unternehmungen, Kanufahrten auf dem Wild Old Man, Campieren in der Wildnis, den Proviant selbst jagen, aber… warum eigentlich nicht? Vielleicht wird er Parson heute Abend mal besuchen. Beeverstone schüttet sich den letzten Rest Kaffee in den Hals und macht sich auf den Weg in seine Praxis. Beschwingt springt er die Stufen zur Praxis hoch.
„Guten Morgen!“, grüßt er Martha Woolrich und die neue Sprechstundenhilfe Violett, die ganz im Gegensatz zu ihrem blumigen Namen eine sehr farblose Erscheinung darstellt. Wäre sie mit roten Augen gesegnet, könnte man sie für eine Albino halten. Dr. Beeverstone startet durch in sein Sprechzimmer, reißt das Fenster auf und breitet die Arme aus.
„Hach“, sagt er und genießt die frische klare Luft. Er schaut in den Himmel, und fragt sich, ob der jemals so blau gewesen ist. Beeverstone lässt den Blick über die Blumen auf seiner Fensterbank gleiten, und gewahrt einen toten Maikäfer neben einem der Töpfe liegen. Es handelt sich um ein besonders prächtiges Exemplar. Zu schade, denkt Beeverstone, hebt den Maikäfer mit zwei Fingern auf und setzt ihn auf seine Hand, um ihn eingehender zu betrachten. Beeverstone dreht seine Hand im Gegenlicht ein wenig hin und her. „Wirklich zu schade“, denkt Beeverstone, „ich hätte dich gerne fliegen gesehen.“ Dabei strömt ihm ein warmes Gefühl durch die Brust. Als er den Maikäfer gerade nach draußen schütteln will, breitet dieser die Flügel aus und brummt davon. Beeverstone schaut ihm nach. Und ich habe ihn für tot gehalten…
Der Doktor setzt sich an seinen Schreibtisch und betätigt die Gegensprechanlage: „Wieviele Patienten haben wir heute, Martha?“
„Dreiundzwanzig, Doc!“
„Okay. Schicken Sie den ersten herein, und bringen Sie mir doch bitte einen Kaffee, Martha!“
„Sofort, Doc!“, flötet Mrs. Woolrich in die Sprechanlage.
Kurz darauf öffnet sich die Tür, und Martha Woolrich bringt den ersten Patienten und eine Tasse Kaffee herein. Sie setzt den Kaffee auf den Schreibtisch und erklärt mit Blick auf den Patienten:
„Mr. Eric Kripke!“ Dann geht sie hinaus und schließt die Tür.
„Mr. Kripke, was kann ich für Sie tun?“, fragt Dr. Beeverstone und bittet seinen Patienten näher zu kommen. Der Patient ist ein schmaler dunkelhaariger Mann, schätzungsweise Ende vierzig. Er macht einen sympathischen sportlichen Eindruck, hat aber seinen rechten Arm angewinkelt und eine offensichtlich versteifte Hand, an der sich die Finger verkrallt haben.
„Ich grüße Sie, Dr. Beeverstone“, sagt Mr. Kripke und reicht dem Arzt die linke Hand zur Begrüßung. „Wie Sie selbst sehen, ich habe eine Schreibblockade!“
„Nehmen Sie doch bitte Platz, Mr. Kripke. Wie ich sehe, haben Sie eine Krallenhand. Belasten Sie Ihre Hände besonders? Was machen Sie beruflich?“
„Ich bin Schriftsteller.“
„Ah, so. Ja, dann sind Sie natürlich auf Ihre rechte Hand angewiesen. Was schreiben Sie denn so?“, fragt Dr. Beeverstone jetzt ganz interessiert und lässt die angewinkelte Krallenhand einige Zeit unbeachtet.
„Romane“, antwortet Mr. Kripke, scheint aber mehr an der Behandlung seiner Verkrampfung interessiert zu sein.
„Hm, Romane also. Welche denn? Vielleicht habe ich schon mal was von Ihnen gelesen?“, bohrt Beeverstone weiter.
„Das glaube ich nicht“, antwortet Mr. Kripke und schüttelt ungeduldig den Kopf. „Ich denke, Sie gehören da eher nicht so zur Zielgruppe.“
„Na, das weiß man ja nie so“, lacht Beeverstone. „Also, was schreiben Sie, Mr. Kripke?“
„Horrorromane!“
„Horrorromane?“
„Ja, Horrorromane!“, antwortet Mr. Kripke fast trotzig.
Beeverstone überlegt einen Moment, bevor er weiter fragt: „So mit Monstern und Geistern und so?“
„Ja… und Monster- und Geisterjägern“, antwortet Mr. Kripke sehr bestimmt.
Beeverstone überlegt. „Und davon kann man leben?“, fragt er erstaunt.
Mr. Kripke zuckt mit den Achseln und nickt: „So lange man keine Schreibblockade hat, ja!“
Beeverstone lacht und sagt kopfschüttelnd mehr zu sich selbst: „Mit was die Leute heutzutage ihr Geld verdienen, tse, tse, tse.“
Dann wendet er sich wieder seinem Patienten zu:
„Erzählen Sie mir, seit wann Ihre Schwierigkeiten bestehen“, fordert er Mr. Kripke auf.
Mr. Kripke lehnt sich im Sessel zurück, reißt die Augen auf, wie um sich zu erinnern und beginnt:
„Also, ich arbeite gerade am letzten Band meiner Reihe. Es bahnt sich der dramatische Showdown an. Um es besonders dramatisch zu gestalten, wollte ich einen der beiden Hauptcharaktere sterben lassen. So, von wegen, jetzt ist nur noch einer ganz alleine unterwegs gegen das Böse. Da fingen die Beschwerden eigentlich schon an. Immer mal wieder bekam ich Krämpfe in der rechten Hand. Tat höllisch weh, war aber nach ein paar Minuten vorbei.“
Mr. Kripke schaut zu Dr. Beeverstone hinüber, um zu überprüfen, ob der ihm bis hierher folgen kann. Dr. Beeverstone nickt ihm zu, und bezeigt ihm fortzufahren.
„Um die Sache voran zu treiben, und um zu einem Abschluss zu kommen… ich will diese Geschichte endlich beenden… hatte ich mir einen Zeitplan für’s Wochenende gemacht. Wissen Sie, manchmal schreibe ich die ganze Nacht hindurch, wenn es mal läuft. Also, das Ganze sollte an diesem Wochenende definitiv sein Ende finden. Als besonderen Climax stellte ich mir vor, das die Hauptperson, die ich sterben lassen wollte, den Tod durch den anderen finden sollte. Ob willentlich oder durch Zufall? Ich war mir noch nicht sicher. Aber es sollte noch einmal richtig tragisch werden, um meine Leser vollends vom Hocker zu hauen. Nur noch ein lonely rider, und dann der große Showdown.“
„Okay“, mischt sich Beeverstone wieder zu Wort, „Sie wollten Ihre Arbeit also zu einer von Ihnen gesetzten Frist zum Abschluss bringen?“
„Genau!“, stimmt ihm Mr. Kripke zu. „Aber je mehr ich mich dem dramatischen Wendepunkt näherte, desto größer wurden meine Schmerzen. Als ich zu der Szene kam, in der einer der Hauptcharaktere –nennen wir ihn einfach Sandy- sterben sollte, hat sich meine Hand völligst verkrampft, und seit dem laufe ich so herum.“ Mr. Kripke wirft einen verzweifelten Blick auf seine Krallenhand.
Dr. Beeverstone hat sich ein paar Notizen gemacht, schaut jetzt zu Mr. Kripke auf und sagt im typischen Doktorton: „Sie haben sich schlichtweg überarbeitet, Mr. Kripke! Die motorischen Nerven in Ihrer Hand sind überreizt worden, und an irgendeinem Punkt geht dann nichts mehr. Dann löst die Überreizung den Krampf aus, dem auch die Muskulatur unterliegt.“
„Und jetzt?“, fragt Mr. Kripke erschrocken.
„Jetzt müssen Sie eine Pause einlegen, und wir werden Ihren Muskeln gut zureden. Hilft das nicht, bekommen Sie Relaxantien.“
„Sie meinen, ich bin gezwungen, eine Schreibpause einzulegen, Doktor?“
„Naja, was hindert Sie denn daran, es noch nicht enden zu lassen? Zögern Sie den Abschluss einfach etwas hinaus.“
Der Patient wirkt ein wenig resigniert. „Ja, wenn mir momentan nichts anderes übrig bleibt“, sagt er mit Blick auf seine verkrampfte Hand.
Dr. Beeverstone drückt die Sprechtaste der Anlage: „Martha, bereiten Sie doch bitte das Tens-Gerät vor, und… suchen Sie mir doch bitte die Telefonnummer von diesem Mr. Hangor raus!“ Und zu seinem Patienten gewandt: „Mr. Kripke, ich kenne da vielleicht jemanden, der Ihnen bei Ihrer Arbeit helfen kann.“
„Oh! Der Scheißdrucker funktioniert wieder nicht, Doc!“, bricht es verzweifelt aus Violett heraus. „Das Scheißding leuchtet nicht mal mehr!“
„Haben Sie den Stecker drin?“, fragt Beeverstone seine Angestellte. Wo ist denn bloß Mrs. Woolrich? Die hat doch so ein Händchen für’s Technische. Ach ja, die ist gerade mit Mr. Kripke im Behandlungsraum.
„Klar. Der Stecker ist drin.“
„Dann warten Sie doch, bis Mrs. Woolrich wieder hier ist. Die versteht am meisten von diesen Dingen“, schlägt Beeverstone vor.
„Nee. Die hat auch schon eine Stunde erfolglos daran herum gebosselt“, quengelt Violett weiter.
„Ach, Kindchen, zeigen Sie mal her!“, sagt Beeverstone und beugt sich über den Drucker. Nach irgendeinem Hinweis suchend, legt er seine Hände auf das Gerät und sagt im Stillen „Na, was hast du denn? Komm, druck einfach weiter!“ Mit einem Ruck setzt sich der Drucker wieder in Gang und spuckt haufenweise Papier aus. Violett klatscht freudig überrascht die Hände zusammen und jauchzt: „Wow, Doc! Jetzt heilen Sie schon durch Handauflegen!“
Dr. Beeverstone schüttelt den Kopf und verschwindet in die Kochküche, um sich einen Keks zu holen.
Nachdem Mr. Kripke die Behandlung am Tens-Gerät, einer Apparatur, die durch kleine Stromstöße auf Nerven und Muskelfasern wirkt, hinter sich gebracht hat, schlüpft er mit Mühen in seinen Trenchcoat und steht an der Anmeldung, um einen neuen Termin zu vereinbaren. Seine Hand sieht nicht viel besser aus als vorher, auch wenn er Mrs. Woolrich versichert hat, die Schmerzen hätten doch nachgelassen. Er steht und wartet, als Dr. Beeverstone aus der kleinen Küche kommt. Dieser ergreift mit beiden Händen die Rechte seines Patienten, um ihn zu verabschieden und ihm alles Gute zu wünschen. Mr. Kripke erwidert die Wünsche, nimmt von Martha Woolrich den Terminzettel entgegen und verlässt die Praxis.
Er schließt seinen Wagen auf und setzt sich hinein. Erst jetzt bemerkt er, dass seine rechte Hand wieder ganz locker und beweglich ist. Ob das die Spätwirkung dieses Tens-Gerätes ist?, fragt sich Kripke. Oder vielleicht Wunderheilung! Er lacht: damit kann er seine Hauptcharaktere sterben und wieder auferstehen lassen... Genial!
Mr.Kripke schaltet die Anlage ein und gibt Gas. Aus dem geöffneten Seitenfenster dringen noch ein paar Akkorde von "Knocking on heavens door", dann ist der Lamborghini außer Sicht.
NEWCASTLE.MAINE
Während Dean bestürzt neben Sammy am Boden sitzt und immer wieder dessen Namen ruft, ist Castiel zu Ginger hinüber gegangen. Die Hündin liegt bewusstlos auf dem Boden und atmet sehr schwach. Castiel erkennt, dass sie zwar bei dem wuchtigen Aufprall gegen die Wand einen Lungenriss und ein paar gebrochene Rippen davon getragen hat, dass sie aber genügend Lebenskraft in sich bewahrt, so dass er ihr helfen kann. Castiel legt eine Hand auf Gingers Kopf und die andere auf ihren Brustkorb. Dann lässt er seine Energien auf die Hündin fließen. Nur Augenblicke später zuckt die Hündin mit den Ohren und öffnet die Augen. Noch benommen hebt sie den Kopf ein wenig.
„Ruh dich noch einen Moment aus, meine Kleine“, sagt Cas und krault sie hinter dem Ohr.
„Cas!“, schreit Dean mit ziemlich verzweifelter Stimme. „Kannst du jetzt mal den Köter in Ruhe lassen und mir verdammt noch mal helfen!!“
Während Cas auf Dean und den noch immer regungslos daliegenden Sammy zu geht, redet Dean weiter auf seinen bewusstlosen Bruder ein: „Sammy, mach die Augen auf. Bitte. Sam, wach auf! Sammy!“
Castiel kniet neben Sam und macht ein ernstes Gesicht. Dean schaut ihn mit aufgerissenen Augen an: „Verdammt, Cas! Tu endlich was! Mach deinen Engels Hokuspokus oder was immer, aber sieh zu, dass Sammy wieder auf die Beine kommt!“
Castiel schaut aufmerksam auf Sam, schüttelt aber wieder den Kopf: „So einfach ist das nicht. Queriel hat Sam mit einem Fluch belegt… und da er ein Engel ist, mit einem ziemlich mächtigen. Ich kann den höchstens abmildern… und ihn damit auf die Beine bringen. Aber er wird nicht ganz bei uns sein…“
„Du meinst, wie so ein Zombie?“, fragt Dean zweifelnd.
Cas schaut ihn irritiert an: „Was ist ein Zombie?“
„Ach vergiss es. Schön. Du bist also so was wie die zwölfte gute Fee im Märchen. Du kannst den Fluch von Queriel abmildern… Also tu was!“
Castiel hebt beschwichtigend die Hände: „Schon gut. Schon gut, Dean. Ich werde tun, was ich kann. Aber wir werden noch fremde Hilfe brauchen.“
„Darüber reden wir dann später“, sagt Dean und erhebt sich. Hier kann er momentan nichts tun, also hat er beschlossen, die Lage außerhalb des Hauses zu checken.
Draußen ist alles still. Auf dem Platz vor dem Haus geben tiefe Kratzspuren im Boden, blutbesudelte und verbrannte Federn Hinweise darauf, dass hier ein Kampf um’s Überleben stattgefunden hat. Es scheint, als habe Cowley Recht behalten, und Queriel zur Strecke gebracht.
„Crowley?“, ruft Dean. „Bist du hier? Crowley?“ Aber nichts geschieht. Die Umgebung wirkt wie ausgestorben. Dean geht auf den Impala zu und setzt sich hinein. Er sitzt nur da und starrt über das Lenkrad. Dann legt er die Arme auf das Lenkrad und[vergräbt den Kopf in den Armen. Zucken seine Schultern ein wenig? Nach einigen Minuten hebt er den Kopf wieder, fährt sich mit den Händen über das Gesicht und zieht die Nase hoch. Er gibt sich einen Ruck und steigt aus. Er wirft die Tür des Impalas zu und geht wieder ins Haus.
Mittlerweile ist es Castiel gelungen, Sammy wieder ins Bewusstsein zu ziehen. Sam sitzt mit dem Rücken an der Wand und wirkt schwach. Ginger ist zu ihm gekrochen und leckt ihm die Hand. Dean prallt bei dem Anblick zunächst zurück. Dann läuft er erfreut auf Sam zu und boxt ihn freundschaftlich in die Seite: „Sammy!“ ruft er und fällt seinem Bruder um den Hals.
Sam schaut ihn an und sagt leise: „Dean…“
Dean und Castiel stehen vor dem Motel und unterhalten sich leise. Sam liegt im Zimmer und schläft. Sie haben ihn im Wagen zurück gefahren. Nach ein paar Bissen vom mitgebrachten Sandwich ist er wieder in einen tiefen ruhigen Schlaf gefallen. Castiel hat die Hände in seinen Manteltaschen und macht einen resignierten Eindruck. Dean lehnt am Impala und trinkt sein Bier. Er wirkt eher zuversichtlich.
„Ach komm, Cas! Das sind halt noch die Nebenwirkungen von Queriel‘s Schlag. Du wirst sehen, morgen ist Sam schon wieder ganz der Alte!“
„Nein, Dean.“
„Aber er machte doch einen ganz normalen Eindruck. Er hat uns alle erkannt. Konnte sich sogar an diesen Flohtransporter erinnern! Er hat gegessen, getrunken. Jetzt schläft er. Alles normal.“
Castiel schüttelt den Kopf. „Nein, Dean. Es ist nicht alles normal. Queriel hat einen Fluch auf Sam geschleudert. Es ist, als habe er damit Sammys Seele ein Stück aus seinem Körper heraus katapultiert. Das lässt sich nicht so ohne weiteres rückgängig machen.“
„Aber es sieht alles danach aus, als hätte Crowley den Scheißkerl erwischt, und Queriel wäre Geschichte.“
„Ja, Dean, das halte auch ich für wahrscheinlich. Aber der Fluch besteht jetzt losgelöst von Queriel. Einen Fluch setzt man in die Welt, und er führt dort sein Eigenleben, bis er gelöst wird.“
„Dann lös ihn, Cas!“
„Das kann ich nicht. Es steht nicht in meiner Macht.“
Dean ist scheinbar sehr unzufrieden mit dieser Antwort. „Und, wer kann diesen Fluch lösen?“
Castiel zuckt die Achseln: „Jemand, der genug Gegengewicht zu Queriel bilden kann.“
„Und, das wäre??“
Castiels Antworten kommen sehr leise, so, als sei er selbst von diesen Aussichten nicht angetan: „Crowley.“
„Wow! Nein, nicht Crowley. Wir haben keine Kontrolle darüber, was er mit Sammy macht.“
„Ein Kreuzungsdämon.“
„Oh, nein. Mit diesen Geschäften haben wir keine besonders guten Erfahrungen gemacht!“
„Dann, ein Hexentrio.“
„Ein, was?“
„Ein Hexentrio. Drei Hexen.“
„Drei Hexen? Ist das dein Ernst, Cas?“
„Drei Hexen, die das Gleiche fokussieren, bilden eine magische Einheit und stellen eine sehr große Macht dar.“
„Ist das dein Ernst?“
„Das ist mein voller Ernst, Dean.“
In den nächsten Tagen zeigt sich, dass Sam eben nicht wieder der Alte ist. Immer wieder sitzt er selbstvergessen da und scheint seinen Körper nicht übernehmen zu wollen. Auch Dean muss einsehen, dass sein Bruder irgendwo zwischen Himmel und Erde festhängt. Ein Leben als Jäger ist so nicht drin. Sie müssten sich trennen. Sammy wirkt, wie in einer eigenen Welt gefangen, wie unter Drogen. Ginger, die wieder vollständig hergestellt ist, weicht ihm nicht von der Seite. Das toleriert selbst Dean, da Sammy ohne sie schon in mehrere Autos herein gerannt wäre, so tagträumerisch bewegt er sich.
Daher folgt er Castiels Vorschlag, ein Hexentrio zu suchen. Bobby geht nicht ans Telefon. Also durchforstet Dean Dad‘s Tagebuch. Er blättert durch das Buch in der Hoffnung auf einen Hinweis oder hilfreichen Kontakt. Wo, zum Teufel, soll er eine ‚gute Hexe‘ auf tun? Und dann auch noch drei davon?! Dann entdeckt Dean einen Eintrag vom 3.Juli 1972:
3.7.72/Frenton/Skowhegan/MAINE. Lucilla Prentaston,3554 WaterDr.
Hexenbeutel-Gegenzauber,LCXX Spruch, . Dann findet sich noch eine Zeichnung von einem ornamentierten Kreissymbol, in dem sich unter anderem zwei Vögel befinden. Vermutlich eines der Hex Signs.
Dean greift nach seinem Handy, um Castiel zu informieren… da steht er auch schon neben ihm.
„Du willst mich sprechen, Dean?“
„Wow, Mann! Kannst du nicht wenigstens anklopfen? Ich war gerade dabei dich anzurufen!“, fährt Dean erschrocken auf. Castiel ignoriert diese Einwände, beugt sich über das aufgeschlagene Buch und fragt: „Hast du was gefunden, Dean?“ Dean zeigt auf den Eintrag vom 3.Juli 1972. „Hier, das sieht nach einem Anfang aus. Ich wollte dich fragen, was du davon hältst?“
„Das Zeichen ist ein Schutzzeichen, das von Hexen benutzt wird. Es handelt sich um das Ruddock Hex.“
„Okay, dann scheint es ein hilfreicher Kontakt zu sein, vorausgesetzt, dass die Lady noch lebt.“
„Der Ort liegt in Maine. Also nicht weit von hier.“
„Wir fahren morgen früh los.“
Am nächsten Morgen fahren sie los. Sam sitzt mit Ginger auf dem Rücksitz, Castiel sitzt ausnahmsweise vorne, neben Dean. Ab Skowhegan folgt Dean dem Navi. Nicht ohne sich ständig mit der säuselnden Stimme zu zoffen. Nachdem Dean zweimal falsch abgebogen ist, beschimpft er das Gerät:
„Bo hey! Kannst du das auch vielleicht mal eher sagen! Wie soll man denn hier einen Feldweg erkennen! Ich kann nicht erraten, was du mit solchen blöden Hinweisen meinst!“
Und kurz darauf wieder: „Das waren keine 300 Yards! Im Leben nicht! Ich glaube, die haben bei dir ein paar Updates vergessen!“
Von Dean‘s Beschimpfungen völlig unbeeindruckt erklärt ihm die elektronische Domina wo’s lang geht: „Folgen Sie weiter der Rute [Route]!“ Nach weiteren zwanzig Minuten haben die Jungs den Water Drive in Frenton erreicht.
„Welche Nummer suchen wir, Cas?“, fragt Dean und bewegt den Kopf suchend hin und her. Castiel beugt sich über das Tagebuch und sucht.
„Hm…3-5-5-4“,antwortet ihm Cas.
„Geht es um einen Job?“, fragt Sam von der Rückbank aus. Castiel und Dean schauen sich kurz an. Dann schaut Dean in den Rückspiegel und sagt: „Ja, Sammy. Wir sind hier wegen eines Jobs. Aber du musst dich noch etwas schonen, wegen der Verletzung. Also übernehmen Cas und ich die Arbeit.“ Dann grinst Dean und nickt Sammy wie zur Bestätigung zu. Ganz gegen seine Art gibt sich Sam damit zufrieden und schaut wieder aus dem Fenster.
„3-5-5-1, 3-5-5-2, 3-5-5-3, 3-5-5-4 hier ist es. Das muss das Haus sein!“, sagt Castiel und zeigt auf ein Holzhaus mit verblasster roter Farbe. Die eine Hauswand ist dicht mit Efeu überwuchert. Das Haus macht einen verwitterten, aber dennoch einladenden Eindruck.
„Du wartest hier auf uns“, sagt Dean zu seinem Bruder gewandt und verlässt mit Castiel den Wagen. Sie passieren einige hohe Blumenstauden auf dem Weg zur Eingangstür. Castiel weist auf einen Fleck oberhalb der Eingangstür. Es ist das Ruddock Hex, das Schutzsymbol, das John in sein Tagebuch übertragen hat.
„Dann sind wir hier wohl richtig!“, grinst Dean und drückt die Klingel. Überraschender Weise öffnet ihnen nicht eine alte Vettel mit Warze und Krückstock, sondern eine sympathische junge Frau mit langen dunkelroten Haaren.
„Miss Prentaston?“, wendet sich Dean an die junge Frau.
„Ja“, bestätigt diese mit fragendem Gesichtsausdruck.
„Ich bin Dean Winchester.“
„Aha“, antwortet die Rothaarige ein wenig belustigt.
„Der Sohn von John Winchester“, fügt Dean hinzu.
„Oho!“, antwortet die junge Frau und kann sich das Grinsen nicht mehr verkneifen. „Womöglich haben Sie auch noch einen Großvater und Urgroßvater. Hm, lassen Sie mich raten, George und Henry?“
Castiel fasst Dean am Arm: „Ich glaube, sie weiß nicht, wer du bist.“
Jetzt richtet die junge Frau den Blick belustigt auf Castiel: „Und Ihr Freund hier, scheint ein ganz schlauer zu sein… Um was geht es denn eigentlich?“
„Ich hab Ihren Namen hier im Tagebuch meines Vaters gefunden… und… ich habe gehofft, dass Sie uns weiterhelfen können.“
Die Frau runzelt die Stirn, aber dann sagt sie: „Lassen Sie mich mal sehen!“
Dean hält ihr das Tagebuch hin und deutet mit dem Finger auf den Eintrag. Miss Prentaston liest, zieht die Augenbrauen hoch und beginnt dann herzhaft zu lachen. Sie winkt Castiel und Dean ins Haus und ruft: „Großmutter? Großmutter, kommst du mal bitte? Hier ist Besuch für dich!“ Und während sie Dean und Castiel jetzt die Hand reicht, erklärt sie: „Sie suchen meine Großmutter, Lucilla Prentaston. Ich bin Samantha, ihre Enkelin!“
Samantha bittet die beiden Platz zu nehmen, während sie auf das Erscheinen von Lucilla Prentaston warten. Auf dem Tisch steht ein Teller mit Cookies, und noch bevor die alte Dame Gelegenheit hat, zu erscheinen, hat sich Dean bereits zwei Kekse in den Mund gestopft.
„Aber Dean, kennst du nicht das Märchen von Hänsel und Gretel? Du hast dir soeben das Schicksal der Käfighaltung erkauft“, kommentiert Cas belustigt.
Dann erscheint die Großmutter: es handelt sich um eine zierliche ältere Person mit einem geflochtenen grauen Zopf. Ihre blauen Augen kontrastieren zu dem perlmuttfarbenen Seidenanzug, den sie trägt.
„Oh, hallo!“, begrüßt sie die beiden herzlich. „Entschuldigen Sie bitte, aber ich befinde mich mitten in meiner Tai-Chi Übung. Mit dem Alter muss man anfangen, dem Körper Gutes zu tun. Was führt Sie zu mir?“
Dean erhebt sich, um der alten Dame die Hand zu reichen. Er bemüht sich, beim Sprechen nicht zu viele Kekskrümel im Raum zu verteilen. Lucilla Prentaston wirft einen amüsierten Blick auf den Teller mit den Cookies, dann auf Dean.
„Ich bin Dean Winchester, der Sohn von John Winchester. Ich habe Ihre Adresse aus dem Tagebuch meines Vaters“, erklärt Dean.
„John Winchester…“, sagt Lucilla nachdenklich. „Ja, ich erinnere mich… ich erinnere mich gut, aber das ist sehr lange her. Und du bist Dean? Dann ist das dein Bruder Sam?“
„Oh, nein, Maa’m, nein. Das ist mein Freund Castiel. Er ist ein… Sam sitzt da vorne im Auto.“
„Okay, Dean Winchester, und was genau kann ich für euch tun? Ist John auch da?“
Dean schüttelt traurig den Kopf. „Nein, Mrs Prentaston, mein Vater ist schon vor einiger Zeit gestorben.“
„Oh, das tut mir leid. Dann also, was kann ich für dich tun?“
Dean erklärt Lucilla Prentaston ihre Lage, und dass sie gekommen sind, um Hilfe für Sam zu erbitten. Lucilla Prentaston überlegt.
„Hm, hm. Ein Hexentrio also… Ja, ja das müsste zu verwirklichen sein. Ich kann aber nicht versprechen, dass wir den Engelsfluch auflösen können. Wisst ihr, Jungs, wir sind weiße Magierinnen, also gute Hexen. Natürlich haben wir Berührungen mit schwarzer Magie… aber dunkle Engelsmagie ist selbst mir in all den Jahren nicht untergekommen. Ich werde mit meiner Freundin Esme sprechen. Wenn sie zusagt, haben wir das Trio zusammen. Meine Enkelin Samantha ist eine hervorragende Hexe! Wie bleiben wir in Verbindung?“
DREI TAGE SPÄTER.
Unter dem Vorwand, ihnen bei dem Job zu helfen, bringen Dean und Castiel Sammy auf den sogenannten Hexenplatz. Es ist eine Lichtung mitten im Wald. Lucilla hat ihnen die genauen Koordinaten gegeben. Es ist kurz vor Mitternacht, und Sam sitzt an einem kleinen Lagerfeuer. Ginger ist ein Stück entfernt an einen Baum festgebunden worden. Sam hält einen langen Glasstab in Händen. Esme hatte glücklicherweise noch einen in ihrem Keller und war bereit ihn zu opfern.
„Also, Sammy“, sagt Dean zu seinem Bruder, und er spricht mit ihm, wie mit einem Kind, das der Aufgabe nicht gewachsen scheint und Ermahnung braucht. „Du lässt auf gar keinen Fall diesen Glasstab los! Bei dieser Zeremonie hängt alles von dir ab!“
„Und dann haben wir den Waldgeist gebannt?!“, fragt Sam, dem man diese Story aufgetischt hat. Dean schaut auf Cas, der nur mit den Schultern zuckt.
„Ja, Sammy, dann haben wir den Dämon gebannt. Ansonsten…“, beginnt Dean und schielt zu der angebundenen Hündin, „ansonsten schnappt er sich Ginger und entwischt!“ Jetzt ist er sich sicher, dass Sam den Glasstab festhalten wird. Es sein denn, er vergisst es… Dean streut eine Handvoll zerriebenen Weihrauch ins Feuer, „Du weißt Bescheid, Sammy!“, und entfernt sich.
Samantha, Lucilla und Esme haben sich an drei ausgemessenen Stellen am Hexenplatz postiert. Die Verbindungslinien zwischen ihnen bilden ein symmetrisches Dreieck. Der Glasstab befindet sich genau im Schnittpunkt. Alle drei beginnen wie auf Kommando ein Summen, das in den folgenden Minuten an Intensität zunimmt. Während Samantha und Esma weiter summen, beginnt Lucilla mit einer Beschwörungsformel in aramäischer Sprache. Der Glasstab, den Sam hält, nimmt ein leuchtendes rosafarbenes Licht an. Nachdem Lucilla verstummt ist, setzt Samantha zu einer Beschwörungsformel an. Daraufhin verfärbt sich der Glasstab azurblau. Nachdem auch Samantha ihre Beschwörungsformal gesprochen hat, verstummt auch sie. Dann setzt Esme zu ihrer Beschwörung an. Der Glasstab pulsiert in einem violetten Licht. Nachdem auch Esme geendet hat, ist es plötzlich ganz still. Nur der Glasstab in Sammy’s Händen pulsiert weiter im violetten Licht. Das Pulsieren wird immer schneller und heftiger. Sam hält den Stab mit aller Kraft mit beiden Händen fest.
„Halt durch Sammy! Halt durch!“ ruft ihm Dean von der Baumgruppe her zu.
Plötzlich explodiert der Stab mit einem lauten Zischen in tausende winziger Scherben. Das violette Licht verteilt sich über der Lichtung und verblasst.
„Was… was war das?“, fragt Sam erschrocken und sieht sich um. Er scheint erst jetzt wieder richtig zu sich gekommen zu sein. Da kommen auch schon Dean und Castiel auf ihn zu gelaufen.
„Sammy, alles okay bei dir?“, fragt Dean besorgt.
„Er ist in Ordnung“, antwortet Castiel um Dean zu zeigen, dass der Fluch wirklich gebannt ist. Jetzt lösen sich drei Schatten unter den Bäumen und die Hexen treten ebenfalls zu Sammy. Lucilla tritt auf ihn zu und tätschelt ihm die Wange; wobei sie sich ziemlich recken muss…
„Der kleine Winchester. Ich bin froh, dich kennengelernt zu haben“, sagt sie mit mütterlichen Lächeln. Auch Esme und Samantha kommen heran und geben Sam die Hand. Sam wirft einen fragenden Blick auf Dean und zuckt kurz mit den Schultern. „Später, Sammy. Ich erklär dir nachher alles“, sagt Dean, als er Sammy in den Arm nimmt.
„Okay, Jungs“, sagt Lucilla, „das war’s dann wohl.“ Sie reibt sich die Hände und wendet sich zum gehen. „Wenn ihr mal wieder in der Gegend seid, lasst was von euch hören.“ Esme nickt ihnen kurz zu. Samantha gibt allen dreien noch einmal zum Abschied die Hand und sagt mit Blick auf Ginger: „Macht’s gut, Jungs! Einen interessanten Hund habt ihr da!“