BRESTON. NEW HAMPSHIRE
Es wird schon dämmrig an diesem Dienstagabend. Nur aus dem Sprechzimmer von Beeverstones Praxis fällt noch Licht auf den Weg. Dr. Beeverstone sitzt an seinem Schreibtisch und arbeitet in einem Buch. Hin und wieder macht er sich Notizen, setzt dann die Brille ab und denkt offensichtlich über etwas nach.
Draußen vor der Praxis erhebt sich ein gekrümmter Schatten aus dem Gebüsch. Er gibt einen unterdrückten Schmerzenslaut von sich und richtet sich ganz auf. Ein paar Mal atmet diese Gestalt tief durch, dann scheint er oder sie sich gefasst zu haben. Langsam steigt die Gestalt die Stufen zur Praxis hoch und klopft an die Tür. Beeverstone unterbricht seine Arbeit und schaut auf seine Uhr. 20.17 Uhr. Ein Patient? Zu dieser Zeit? Erneut, ein Klopfen an der Tür. Beeverstone erhebt sich von seinem Schreibtisch und tritt ans Fenster. Er schaut hinaus und erkennt eine Gestalt auf der Treppe, die sich krümmt und mit der Hand den Türknauf umschließt. Offensichtlich ein Notfall. Beeverstone eilt zur Tür und öffnet. Vor der Tür steht ein etwas zerzaust wirkender Mann, der sich den Bauch hält und schwer atmet:
„Bitte Doc!“, keucht er. „Ein Notfall!“
Dr. Beeverstone tritt zur Seite, um den Patienten herein zu lassen.
„Bitte, kommen Sie hier entlang!“, fordert er den Patienten auf und geht voraus Richtung Untersuchungsraum. „Legen Sie sich hier auf die Liege!“, weist er den Patienten an und hilft ihm, sich hinzulegen. Der Mann krümmt sich auch auf der Liege sofort wieder zusammen und stöhnt: „Die Schmerzen…ich… halt… das… nicht mehr aus! Au!“
Dr. Beeverstone betrachtet den Patienten aufmerksam und holt sein Stethoskop.
„Ich werde jetzt ihren Unterleib untersuchen. Möglich, dass die Schmerzen von einem Darmverschluss oder akuten Abdomen her rühren. Ich bin so vorsichtig, wie möglich.“
Beeverstone legt die Hände des Patienten, mit denen sich dieser den Bauch gehalten hat, vorsichtig neben dessen Körper. Dann schiebt er dessen Hemd hoch, öffnet den Bund der Jeans und beginnt vorsichtig den Bauch abzutasten. Die Bauchdecke ist stark behaart, macht aber einen weichen Eindruck und zeigt keine Abwehrspannung. Beeverstone massiert den Bauch entgegen der Uhrzeigerrichtung und setzt das Stethoskop auf, um die Darmgeräusche zu kontrollieren. Das ist gar nicht so einfach, weil der Mann ja diese starke Körperbehaarung aufweist. Beeverstone nimmt auch einen Geruch, wie nach nassem Hundefell wahr. Dann nickt er zufrieden. Die Darmgeräusche sind in Ordnung. Vielleicht eine Magen- und Darmgrippe mit Koliken?
„Hatten Sie heute Verdauung?“, fragt er den Patienten.
Es folgt ein Nicken.
„Und, wie war Ihre Ernährung heute? Normal? Irgendwelche Beschwerden?“
„Ähem, nur ein Sandwich. Keinen großen Hunger“, antwortet der Patient und versucht auf dem Rücken liegend tief und ruhig zu atmen. Wie, um seine Aussage Lügen zu strafen, beginnt sein Magen heftig zu knurren.
„Na“, sagt Beeverstone, „setzen Sie sich mal auf. Ich klopfe noch die Nierenlager ab, danach gehen wir rüber ins Sprechzimmer.“
Auch die Untersuchung der Nierengegend bleibt ohne Befund.
Dr. Beeverstone und sein Patient sitzen im Sprechzimmer. Da sowohl Martha Woolrich als auch alle anderen Angestellten die Praxis schon vor Stunden verlassen haben, übernimmt es Beeverstone selbst, seinem Patienten ein großes Glas Wasser und ein paar Kräcker hin zu stellen.
„Vielleicht haben Sie sich heute ein wenig übernommen und auch zu wenig gegessen, Mr….“
„Isegrim, Nicolas Ernest Isegrim.“
„Okay, Mr. Isegrim. Sehen Sie, unser Mineralstoffwechsel ist sehr anfällig. Zu wenig Flüssigkeit, und schon werden sie Natriumspeicher geleert, sie schwitzen zu viel und verlieren Magnesium, das führt dann zu Krämpfen, ein Mangel an Eisen erzeugt Schwächezustände…“
Sein Patient schüttelt den Kopf.
„Nein. Nein, das ist es nicht. Ich leide regelmäßig an diesen Zuständen. Außerhalb dieser Anfälle bin ich topfit. Ich arbeite als Holzfäller“, er lacht. „Wer da nicht topfit ist, der lebt nicht lange.“
Beeverstone nimmt sich ein Blatt Papier und einen Stift: „Können Sie diese Zustände genauer beschreiben, Mr. Isegrim?“
„Tja, sie treten eigentlich immer bei Vollmond auf.“
„Oho“, lacht Dr. Beeverstone, „Das ist ein weitverbreitetes Kriterium! Fast die Hälfte der Bevölkerung leidet bei Vollmond! Die einen klagen über Schlaflosigkeit, die anderen sind gereizt, wieder andere schlafwandeln dann auf den Dachfirsten herum.“
„Ja“, nickt Mr. Isegrim bestätigend, „so ist das auch bei mir. Zuerst werde ich sehr unruhig. Es ist als würde Adrenalin meinen ganzen Körper überschwemmen… Ich fühle mich so… es ist… ich weiß gar nicht, wie ich das erklären soll, … ich werde zum Tier!“
„Ah ja“, lacht Dr. Beeverstone. „Das Problem haben auch einige meiner Patienten…“
„Wirklich?“, fragt Mr. Isegrim hoffnungsvoll. Ist er doch kein Einzelfall?
„… ja. Bei Ihnen staut sich so viel Frust und Aggression auf, bis das Fass sozusagen voll ist, und dann bricht alles heraus. Die Aggressionen übernehmen das Kommando, und man fühlt sich, wie ein wildes Tier. Lymphatischer Cortex, verstehen Sie?“
„Äh, eigentlich nicht.“
„Na, Sie müssen an Ihren Problemen arbeiten, bevor es so weit kommt. Vielleicht käme für Sie auch ein Antiaggressionstraining in Betracht.“
„Hm… ich weiß nicht. Ich habe einfach das Gefühl, nicht mehr Herr meiner Sinne zu sein. Als wäre meine Wahrnehmung verändert. Ich stolpere mehr, als dass ich gehen… manchmal muss ich auf allen Vieren weiter… und meine Hände greifen einfach daneben. Ich habe Schwierigkeiten Dinge fest zu halten, verstehen Sie, Doc?“
Beeverstone fasst seinen Patienten jetzt genauer ins Auge. Stimmt, er macht einen wenig gepflegten Eindruck. Das Haar ist wirr, die Fingernägel lang und schmutzig, riechen tut er auch nicht gut… vielleicht hat er es einfach mit einem Quartalssäufer zu tun?
„Wie viel trinken Sie so für gewöhnlich, Mr. Isegrim?“
„Was meinen Sie, Doc?“, fragt der Patient zurück.
„Ich meine Alkohol, Mr. Isegrim. Bier, Whiskey, Wein…“
Der Patient zuckt mit den Achseln: „Och, für gewöhnlich ein, zwei Bier. Abends zum Essen.“
„Und heute, haben Sie da schon etwas getrunken?“
„Nein, heute noch nichts.“
Beeverstone macht sich ein paar Notizen. Er ist sich nicht sicher, ob die Angaben seines Patienten der Wahrheit entsprechen. Dann fragt er weiter:
„Und was für Beschwerden treten sonst noch auf, Mr. Isegrim?“
Der Patient sitzt auf dem Sessel und knetet verlegen seine Hände.
„Jetzt lachen Sie mich bestimmt aus, Doc. Aber ich habe das Gefühl, als würde meine Nase lang.“
„Sie haben das Gefühl, als würde Ihre Nase lang?“, wiederholt Dr. Beeverstone überflüssigerweise.
„Ja.“, sagt Mr. Isegrim und schaut angestrengt auf das Teppichmuster. „Ich weiß, es klingt völlig bescheuert, aber es fühlt sich so an, als würde sie in die Länge wachsen.“
„Hm.“ Beeverstone stützt das Kinn in eine Hand. „Ja. Die Wissenschaft kennt dieses Phänomen unter dem Begriff „Pinocchio-Syndrom“. In MEDICAL AMERICA gibt es dazu einige bemerkenswerte Artikel.“
„In echt jetzt?“, fragt Mr. Isegrim ganz aufgeregt.
„Ja. Aber mit dieser Problematik bin ich dann überfordert. Das gehört in das Fachgebiet meines Freundes O’Leary. Er ist Psychiater und kennt sich mit solchen Störungen besser aus. Wenn Sie wollen, mache ich einen Termin für Sie?“
„Ach“, sagt Nicolas Isegrim, „Wissen Sie, ich war bislang bei drei verschiedenen Psychiatern und keiner von ihnen hat mir auch nur einen Schritt weiter geholfen.“ Resigniert lässt sich der Patient wieder nach hinten sinken.
„Tja.“ Beeverstone klopft ratlos mit dem Stift auf dem Blatt Papier herum. Er weiß sich eigentlich nicht so recht Rat. Die Probleme des Patienten scheinen eher psychischer Art zu sein. Andererseits, wenn er die Therapie schon bei drei Psychiatern hinter sich hat…
„Wenn es vorbei ist…“, setzt der Patient noch einmal an. „Also, wenn es mir dann wieder besser geht, habe ich immer so Flash-backs. Grauselige Bilder tauchen vor mir auf. Ich weiß nicht, woher die kommen…“
„Hatten Sie eine schwierige Kindheit, Mr. Isegrim?“
„Nein… eigentlich nicht.“
„Hm.“ Dr. Beeverstone überlegt. Er möchte den Patienten nicht gerne so gehen lassen, aber was hat er schon in der Hand? ‚Verschlimmerung bei Vollmond‘. Da macht es in Beeverstones Gedächtnis Klingelingeling. Genau! Eugene B. Nash, ‚Leitsymptome der homöopathischen Therapie‘! Verschlimmerung bei Vollmond!
„Mr. Isegrim, schwitzen Sie schnell am Kopf?“, fragt Beeverstone jetzt ganz munter.
„Oho, und wie! Bei der geringsten Anstrengung läuft mir der Schweiß in den Nacken.“
„Und, hatten Sie als Kind häufiger Mandelentzündungen?“
„Ja. Ich hab immer wieder wochenlang im Bett gelegen und konnte kaum schlucken.“
„Sehr schön!“, sagt Dr. Beeverstone zufrieden. Der Patient begreift allerdings nicht, was daran erfreulich sein könnte, dass er als Kind krank war, aber Beeverstone fühlt sich auf der richtigen Fährte.
„Sagen Sie mir doch bitte noch, Mr. Isegrim, was essen Sie am liebsten?“
„Am liebsten? Hm. Definitiv Eier! Die mag ich am allerliebsten.“
Beeverstone klatscht erfreut in die Hände. „Dann, Mr. Isegrim, denke ich, kann ich Ihnen helfen! Ich werde Ihnen jetzt ein homöopathisches Medikament mitgeben. Sie nehmen es aber bitte erst, wenn der Mond wieder abnimmt. Das ist sehr wichtig!“
„Was bekomme ich da?“, fragt Nicolas Isegrim nach.
„Calcium carbonicum. Muschelkalk. Nichts Besonderes, nur das es als Leitsymptom ‚Verschlimmerung bei Vollmond‘ hat“, erklärt Beeverstone, während er aus seinem Arzneischrank eine kleine Menge des Mittels abfüllt. „So, nehmen Sie das mit, und nehmen Sie das Mittel nicht vor dem 12. dieses Monats ein. Sollte sich wider Erwarten keine Besserung zeigen, was ich allerdings nicht glaube, melden Sie sich wieder bei mir.“
NEWCASTLE. MAINE
Sam und Dean sind mit dem Wagen auf dem Highway unterwegs in Richtung Norden. Dean hat einen Duftbaum in den Impala gehängt. Ginger liegt zusammengerollt auf dem Rücksitz und schläft. Ab und zu zucken nach Hundemanier ihre Pfoten und Ohren im Schlaf.
„Findest du das nicht ein bisschen übertrieben, Dean?“, fragt Sammy genervt mit dem Blick auf den Duftbaum, der ein Aroma von Limette und Orange verbreitet.
Dean wirft einen kurzen Blick auf den am Rückspiegel baumelnden Papptannenbaum und dann auf den schlafenden Hund. Er trommelt auf’s Lenkrad, wippt mit dem Kopf im Rhythmus der Musik und sagt gelassen: „Nö. Finde ich in jeder Weise angemessen.“ Er grinst ironisch zu seinem Bruder hinüber: „Hilft gegen Hundegeruch.“
„Dean, ich bitte dich! Sie riecht kein bisschen nach Hund. Außerdem hat sie mir das Leben gerettet!“
„Ja, genau! Und fandest du nicht auch, dass sie für einen Hund ein bisschen zu schnell reagiert hat.“
„Was meinst du, Dean?“
Dean zuckt betont lässig mit den Schultern: „Na, man hört nicht alle Tage, dass gewöhnliche Streuner es mit einem Wassermonster aufnehmen, und es dann auch noch besiegen…“
Sam stöhnt und schüttelt resigniert den Kopf: „Verstehst du, Dean, das macht halt einen guten Hund aus, dass er sich für ihren Besitzer einsetzt. Es gibt massenhaft Hunde, die ihr Herrchen gegen Wölfe und Bären verteidigen… Gib es zu, du magst einfach keine Hunde, und von diesen Prinzipien gehst du nicht ab!“
„Du sagst es, Bruderherz, du sagst es. Es sind wandelnde stinkende Flohkissen und ich mag sie NICHT!“, erwidert Dean trotzig, dreht die Musik lauter und tritt auf’s Gas.
Sam schüttelt den Kopf, presst die Lippen zusammen und dreht sein Gesicht zum Fenster. So fahren sie noch ungefähr anderthalb Stunden, bis Dean den Wagen vor einem Diner zum Stehen bringt, wo Castiel schon auf sie wartet.
Sam öffnet die Wagentür. Ginger springt nach draußen und entert die Büsche. Sam geht auf Castiel zu und begrüßt ihn herzlich. Dean steigt aus, zieht seine Jeans hoch, streckt die Arme und schlendert dann gleichfalls auf Castiel zu.
„Hi, Castiel!“, sagt Sam und drückt ihm die Hand.
„Hallo Sam“, antwortet Castiel, und mit einem Blick auf den Hund: „Ich sehe, du hast sie behalten?“
„Ähm, ja. Sehr zu Deans Missfallen…“, antwortet Sam mit einer raschen Bewegung in Richtung von Dean.
Castiel geht auf Dean zu: „Hi, Dean, schön euch zu sehen.“
„Hi Castiel“, antwortet Dean. „Du hast uns gerufen. Was gibt es?“
„Wir haben hier eine Gruppe von Engeln, die versucht sich so etwas wie einen Stützpunkt aufzubauen.“
„Okay“, sagt Dean und greift sich mit den Händen ans Revers seiner Jacke, „und wo ist das Problem?“
„Das Problem ist, dass sie von einem Oberchaoten namens Queriel angeführt werden, der davon träumt die Weltherrschafft zu übernehmen. Er sieht sich als eine Art „überlegene Rasse“ und hat den Vorsatz, alle anderen „Rassen“ sprich Menschen, Monster Dämonen zu vernichten. „Überlegen“ sind natürlich auch nur die Engel, die sich ihm angeschlossen haben. Alle anderen sind gleichfalls der Vernichtung preisgegeben. Es ist ein absoluter Spinner, und ich weiß nicht, wie es ihm gelungen ist, die anderen davon zu überzeugen, aber es schließen sich ihm mehr und mehr Engel an. Sie gehen äußerst brutal vor, übernehmen mehr menschliche Hüllen, als sie benötigen und rotten mehr und mehr Menschen aus.“
„Moment mal“, unterbricht ihn Dean, „willst du damit sagen, dass jeder dieser Engel mehrere Hüllen in Besitz genommen hat?“
„Ja, genau so sieht es aus. So, wie ihr eure Kleidung wechselt, wechseln sie zwischen den Hüllen hin und her.“
„Abgefahren!“
„Dean, sie breiten sich hier von Greengwroth immer weiter aus. Wir müssen sie stoppen!“
„Okay, okay. Lass uns in das Diner gehen, ich verhunger! Haben die da auch Apfelkuchen?“
„Keine Ahnung, Dean. Ich hab nur ein Glas Wasser da drin getrunken, weil meine Hülle schon anfing Falten zu werfen.“
Nachdem Sammy Ginger zu sich gerufen hat, betreten alle das Diner. Sam, Dean und Castiel haben sich an einen Tisch in einer Nische niedergelassen, Ginger liegt auf Sammys Füßen. Eine junge Bedienung mit großer Zahnlücke nimmt die Bestellung entgegen.
„Einmal den Riesencheeseburger, eine doppelte Portion Wedges, Bier und einen Apfelkuchen mit Sahne“, sagt… wer wohl? -> Dean!
„Für mich bitte einmal das Veggie Menü und einen Karottensaft… und ein Steak… aber auf einem Extrateller!“, gibt Sam seine Bestellung auf.
„Das Steak blutig oder durch?“, fragt die Bedienung zischelnd durch ihre Zahnlücke.
„Äh, blutig bitte!“, antwortet Sam. Worauf er einen hämischen Blick von Dean erntet.
„Für mich bitte nur ein Glas Wasser.“ Castiel ist, wie immer, die Bescheidenheit in Person.
Die drei werden von zwei Männern beobachtet, die sich in der Nähe der Kuchentheke befinden und nur mit Blicken miteinander kommunizieren. Ginger erhebt sich unter dem Tisch und beginnt leise zu knurren. „Schon gut, mein Mädchen“, flüstert Sammy ihr zu und streichelt ihren Kopf. Aber Ginger lässt sich nicht beruhigen. Immer wieder stößt sie ein drohendes Knurren aus. Die beiden Männer verlassen kurz darauf das Diner. In einem unbewachten Augenblick, reißt sich Ginger los und rennt nach draußen.
„Ginger, hier!“, ruft Sam und will hinter ihr her rennen.
Dean drückt seinen Bruder an der Schulter wieder in seinen Sitz: „Setz dich, Sammy. Sie ist ein Hund! Wahrscheinlich hat sie da draußen eine Katze gesehen.“
Widerwillig bleibt Sam auf seinem Platz sitzen und wendet sich an Castiel: „Also, wie gehen wir vor?“
Die drei stecken die Köpfe zusammen und reden leise über ihren Plan:
„Also, wir trennen uns gleich wieder. Du und Dean, ihr nehmt euch ein Motelzimmer und gebt euch dann als Journalisten aus, die einen Bericht über die Vergangenheit von Greengwroth als alter Goldgräberstadt machen wollt. Ich komme etwas später nach und mache den Lockvogel…“
„Du machst den Lockvogel wofür?“, fragt Dean.
Die zahnlückenbewaffnete Bedienung tritt an den Tisch und bringt das Essen. Dean beißt sofort in seinen gigantischen Cheeseburger und wiederholt mit vollem Mund: „Hm lecker. Alfo du mafft den Lockvogel weffalb…?“
Castiel beugt sich noch weiter über den Tisch: „Ich mache den Lockvogel für Queriel. Ich tue so, als wolle ich mich ihm anschließen. Ich bin ziemlich bekannt, also wird er persönlich kommen, um mich aufzunehmen. Dann brauchen wir nur noch ein paar Engelsigellen und löschen sie aus.“
„Wir löschen die Engel aus?“, fragt Sam erschrocken über seine Süßkartoffelchips hinweg.
Castiel flüstert: „Wir löschen diese Engel aus. Es gibt keinen anderen Weg. Sie sind völlig verblendet.“
„Und du meinst, dass das klappt?“, fragt Sam.
„Hmpf, naftürliff klafft daf!“, bestätigt Dean.
„Ich hoffe es“, antwortet Castiel.
Als sich Dean noch ein Bier bestellt, ist auch Ginger plötzlich wieder da und stupst Sammy mit der Schnauze ans Bein.
„Ach, da bist du ja wieder“, freut sich Sammy und lässt das blutige Steak vorsichtig unter den Tisch gleiten. Es sind kaum Fressgeräusche zu hören, da ist das Steak auch schon verschwunden.
Ein paar Meilen vom Diner entfernt, im Herrensaal eines alten viktorianischen Hauses: ein Hüne mit schulterlangem blonden Haar, martialischer Ausstrahlung und weißem Leinenanzug tigert vor der Fensterreihe auf und ab.
„M…Mei…Meister…“, setzt ein schmächtiger Typ mit kahlem Kopf an.
Der Hüne im weißen Anzug hebt nur gebieterisch die Hand und bezeigt dem anderen zu schweigen. Er wandert weiterhin vor der Fensterreihe auf und ab und scheint nachzudenken. Dann bleibt er abrupt stehen und schaut den schmächtigeren mit durchdringendem Blick an:
„Berichte!“, herrscht er den anderen an.
Der andere macht eine Verbeugung, hält den Blick gesenkt und berichtet:
„Olivier und Leandriel sind tot aufgefunden worden, Meister.“
Der Hüne macht einen Schritt auf den Boten zu:
„Was soll das heißen? Tot?“
„Äh, Meister… wir haben nur ihre leeren Hüllen gefunden. Von den beiden fehlt jede weitere Spur… Sie hatten Bisswunden an der Kehle… Es gibt kein Anzeichen dafür, dass sie ihre Essenz haben retten können.“
Der Hüne hält inne. „Das ist… merkwürdig.“
„Ja, Meister.“, pflichtet ihm der andere bei.
„Sag Sanniel und Dafor, sie sollen mich in meinem Zimmer aufsuchen.“
„Ja, Meister Queriel.“
Sam und Dean sitzen in ihrem –wie immer geschmackvollen 70er Jahre- Motelzimmer. Auf dem vorhandenen Tisch zwei Laptops, Bierflaschen, Chipstüten und Dad‘s Tagebuch.
„Was sollen wir mit Dad’s Tagebuch, Dean?“, fragt Sam. „Dad hatte nie mit Engeln zu tun. Du wirst nichts darin finden.“
„Ach“, fährt Dean ihn an, „Und wo, Mr.Überklug, meinst du, sollen wir sonst auf Hinweise für eine Engelsburg suchen?!“
Die Jungs sind seit drei Stunden im Netz unterwegs. Kontakt zu Castiel ist tabu, bis der sich von selbst meldet. Alles andere könnte den Plan gefährden. Ein Telefonat mit Bobby Singer hat auch nichts gebracht. „Fragt mich nach Dämonen, Jungs!“ war sein einziger Kommentar. Dean knallt das Laptop zu:
„Scheiße! Wir kommen nicht weiter!“
„Kann ich vielleicht behilflich sein?“, kommt die Frage ziemlich cool von Crowley, der in der Zimmerecke aufgetaucht ist.
Sam ist aufgesprungen und zückt den Revolver. Der wird im nächsten Augenblick glühend heiß und fällt ihm aus der Hand. Dean hat sein Messer gezückt und wird umgehend von unsichtbarer Hand an die Wand gedrückt. Crowley lächelt amüsiert und kommt langsam in die Zimmermitte: „Aber, Jungs? Ist das eine Art einen alten Freund zu begrüßen? Na, kommt.“
Dean fasst sich als erster wieder: „Crowley!“ Crowley wackelt charmant mit dem Kopf: „Eben jener; und immer bereit zu helfen, wenn Not am Mann ist!“
Sammy stöhnt. Crowley dreht sich um die eigene Achse, streichelt dann den Kopf von Ginger, die auf dem Bettende liegt und fährt fort: „Wie ich höre, sucht ihr nach der Engelsburg. Und, da es sich um einen gemeinsamen Feind handelt, könnte ich behilflich sein. Wie sieht’s aus, Jungs? Kommen wir ins Geschäft?“
Dean stapft wütend im Raum umher. „Ich mache keine Geschäfte mit dir, Crowley!“
„Und wie sieht es mit dir aus, Phöni?“, fragt er Sam.
„Ich verstehe nicht, warum du uns helfen willst? Wo liegt da der Vorteil für dich, Crowley?“
„Na“, sagt Crowley und tänzelt weiter durch den Raum, „das habe ich doch soeben gesagt: wir haben es mit einem gemeinsamen Feind zu tun. Wir gehen sozusagen eine Vernunftehe ein.“
„Und der Vorteil für uns? Mal vorausgesetzt wir würden mit dir gemeinsame Sache machen?“, fragt Dean.
„Der Vorteil für euch, Jungs, liegt darin, die Weltherrschaft nicht an eine durchgeknallte Engelsbande zu verlieren…“
„…sondern an den Höllenfürst persönlich!“, beendet Sam den Satz.
Plötzlich erscheint Castiel im Raum. Erschrocken fährt Dean herum. „Castiel!“
Crowley zieht scharf die Luft durch die Nase ein. Vermutlich zu viel Glamour im Raum. Castiel hebt beschwichtigend die Arme: „Ganz ruhig. Ich glaube, sein Vorschlag ist gar nicht so schlecht.“ Crowley verdreht die Augen und wackelt mit dem Kopf als Kommentar auf das, was Castiel eben äußerte. Aber Castiel fährt unbeirrt fort: „Wir könnten seine Hilfe hier wirklich gebrauchen. Ich meine… diese ‚Engel‘ sind keine Engel mehr. Mit dem Verlust des Himmels haben diese offensichtlich auch jede Moral und Skrupel verloren.“
Dean geht auf Castiel zu und sieht ihn an, als habe dieser den Verstand verloren: „Aber Castiel! Das ist Crowley. Der König der Hölle! Seit wann willst du mit dem gemeinsame Sache machen?!“
„Ich will keine gemeinsame Sache mit ihm machen, aber mir sind die Hände gebunden. Wenn wir diese Abtrünnigen jetzt nicht aufhalten, hält sie niemand mehr auf“, sagt Castiel leise. Dann nickt er mit dem Kopf in Crowley’s Richtung: „Und er weiß es.“
„Aber Castiel“, wendet sich jetzt Sam an ihn, „ebnen wir damit nicht Crowley den Weg an die Macht?“
Castiel schüttelt bedächtig den Kopf: „Wenn es so einfach wäre, hätte er die Macht längst übernommen.“
Crowley tut, als habe er diesen letzten Satz nicht gehört und betrachtet äußerst interessiert seine Fingernägel…
Castiel ist genauso schnell verschwunden, wie er aufgetaucht ist. Crowley lächelt zu Sam und Dean hinüber: „Also, Jungs, wie sieht’s aus?“, fragt er grinsend. Sam und Dean schauen sich in die Augen und treffen wortlos eine Entscheidung.
„Also gut, Crowley“, beginnt Dean und kommt langsam auf Crowley zu, „nur für dieses eine Mal. Du verrätst uns den Ort der Engelsburg. Wir vernichten diesen Queriel. Und Ende aus! Keine Seelenverkäufe, keine blutsignierten Verträge. Nichts, nada.“
Crowley hebt beschwichtigend die Hände. „Aber nicht doch, Jungs. Ihr kennt mich doch!“
„Und keine Tricks!“, mischt sich jetzt auch Sam ein.
Crowley verdreht die Augen. „Ich bitte euch, Jungs. Für Tricks war ja eher Gabriel zuständig, wenn ich nicht irre.“
„Okay, und wie soll unsere Zusammenarbeit genau aussehen?“, fragt Sammy.
Crowley zuckt leicht mit den Achseln um anzudeuten, das es sich um die simpelste Sache der Welt handelt und erklärt in seiner leicht herablassenden Art: „Ich gebe euch den Standort der Engelsburg, die sich übrigens gar nicht so weit von hier befindet… Ihr setzt die Engel darin fest und tötet diesen Oberguruengel Queriel. Das wird euch vermutlich nicht gelingen. Deshalb sind euer himmlischer Freund Castiel und meine Wenigkeit noch da, um es zu vollbringen. Das ist alles! Danach spielen wir weiter wie bisher.“ Crowley lacht.
„Okay“, sagt Dean. „Einverstanden. Wo also befindet sich diese Engelsburg?“
Crowley schnippt einmal in die Luft, und auf dem Stadtplan, der ausgebreitet auf dem Tisch liegt, zeigt sich an einer Stelle ein Brandfleck in Form einer Teufelsgabel. Während Dean das Ganze mit: „Sehr witzig, Mr. Höllenfürst“ kommentiert, tritt Sammy an den Tisch heran und betrachtet die Karte. „Bakersfield 333; das liegt ungefähr drei Meilen von hier, etwas außerhalb der Stadt.“
Plötzlich appariert Castiel wieder, schaut in die Runde, sagt: „Dann sehen wir uns dort in zwei Tagen um 22.00 Uhr“, und ist wieder verschwunden.
BAKERSFIELD. SONNTAG 21.30 UHR.
Sam und Dean haben sich mit ausgeschalteten Scheinwerfen dem viktorianischen Gebäude in Bakersfield 333 genähert.
„Sammy, glaubst du, dass das klappt?“
„Keine Ahnung, Dean, aber Castiel schien mir sehr zuversichtlich.“
„Castiel schien mir verzweifelt, wenn du mich fragst. Es ist sonst nicht seine Art, Engel auszulöschen.“
„Vielleicht blieb ihm keine andere Wahl?“
„Was glaubst du, mit wie vielen wir es da drin zu tun bekommen, Sam?“
„Keine Ahnung. Aber ich vertraue darauf, dass Castiel nicht mehr seiner geflügelten Brüder und Schwestern opfert, als unbedingt nötig.“
„Cas ist jetzt da drin. Wir sollten langsam loslegen.“
Sam und Dean verlassen den Impala. „Nein, Ginger, du bleibst hier!“, befiehlt Sam und der Hund legt sich wieder auf die Rückbank. Dean öffnet den Kofferraum und gibt Sam das Messer, während er selbst zu einer Machete greift und noch einen Gegenstand in der Innenseite seiner Jacke verschwinden lässt. Ginger hat ihre Nase in den Spalt zwischen Rückbank und geöffnetem Kofferraum gesteckt und jault. „Nein bitch! Du bleibst hier!“, schnauzt Dean und knallt die Kofferraumhaube zu. Sam schüttelt wütend den Kopf. Er trägt zwei Eimer rote Farbe. Sam und Dean schleichen an das Gebäude heran und malen die Engelsigellen auf die Fassade. Als sie fertig sind, gleichen sie die Uhrzeit ab und nicken sich zu: dann mal los! Während sie in das Gebäude stürmen, entdecken sie Crowley, der ihnen aus einiger Entfernung zuwinkt. „Oh, Daddy ist auch schon da“, zischt Dean. Dann laufen Sam und Dean los.
Im Inneren des Gebäudes spitzt sich die Szene zu. In einem hohen Raum steht Castiel dem hünenhaften Queriel gegenüber, der von seinem kahlköpfigen Lakaien und einem weiteren Engel, Jastriel, geflankt wird.
„Du bist also nicht gekommen, Castiel, um uns beizutreten, sondern um mich heraus zu fordern“, donnert Queriel mit höhnischem Lachen.
„Du bist weit vom Pfad eines Engels abgekommen, Queriel. Ich bin gekommen, um dich zu stoppen.“
„Du hattest einen gewissen Ruf, damals im Himmel, Castiel. Aber schau, was aus dir geworden ist: ein Wurm! Ich werde Dich zertreten!“
„Nein, Queriel, das wirst du nicht“, antwortet ihm Castiel ganz ruhig, streckt die Arme nach vorne und spreizt seine Finger. Ein Strahl gleißenden Lichts fährt Queriel gegen die Brust. Ohne von seiner Position zu weichen, erwidert Queriel den Angriff mit seiner Macht. Der ganze Raum sirrt und riecht nach Ozon. Castiels Macht scheint immer schwächer zu werden.
Queriel lacht höhnisch. „Ist das alles, was du zu bieten hast, Castiel?“
Die Tür fliegt auf, und Sam und Dean stürmen in den Raum und entzünden das heilige Feuer um den Meisterengel herum. Der flammende Ring schließt sich um Queriel. Dieser ist nur einen Augenblick lang erschrocken, dann breitet er seine Arme aus. Durch seine Macht zieht er seinen kahlköpfigen Lakaien heran und wirbelt ihn durch den Ring heiligen Feuers. Sieben Mal, dann ist das Feuer erloschen, und der Kahlköpfige nur noch ein Überrest.
„Oh Castiel, ich sehe, du hast dir Verstärkung mitgebracht!“, lacht Queriel, dass es Sam und Dean in den Ohren dröhnt.
Während Castiel einen neuen Angriff versucht, ist auch Sam auf den Meisterengel zugestürmt und versucht ihm das Messer in die Brust zu rammen . Mit einer leichten Handbewegung schleudert Queriel Sam zu Boden, während er mit der anderen Castiels Angriff abwehrt. Sam kommt hart auf den Steinboden auf und bleibt bewusstlos liegen. Dean schnaubt vor Wut.
„Warte ab, du Mistkerl!“, zischt er, während er mit der Ersten Klinge auf Queriel zustürmt. Dean holt aus und schleudert die Klinge auf Queriel. Dieser erkennt die Gefahr, hebt erstaunt die Brauen und zieht mit einer unendlich schnellen Bewegung Jastriel als Schutzschild vor sich. Die Klinge bohrt sich in den vor Queriel hängenden Jastriel, der aufschreit und seine Gnade durch den Riss in seiner Brust verliert. „Mir kann gar nichts geschehen“, stottert Jastriel, während seine Gnade aus ihm herausströmt, „das ist nichts Schlimmes, sagt
Dr. Beeverstone. Ich muss jetzt nur…“. Als Jastriel entdeckt, dass es diesmal doch etwas Schlimmes ist und verlöscht, lässt er den Rest seiner Gnade auf Dr. Beeverstone übergehen. Ein gleißendes Licht fährt in den Himmel und bewegt sich, wie ein Kometenschweif Richtung Breston und fährt dort in den schlummernden Beeverstone ein.
Queriel lässt die erschlaffte Hülle des Engels zu Boden gleiten. Da seine Gegner offensichtlich über ein paar mächtige Waffen verfügen, will er das Gebäude eiligst verlassen. Auf seinem Weg zur Tür kommt er Sammys Körper bedrohlich nahe. Er hebt den Fuß, um Sammys Brustkorb mit einem Tritt zu zerschmettern. Während Castiel zurück stolpert und Dean außer sich vor Angst „Neeeeiiiiinn!“ brüllt, fliegt ein heller Schemen auf Queriel zu und beißt sich tief in dessen Schienbein. Queriel hält inne, fühlt den Schmerz, fühlt die Wut. Blut läuft aus seiner Hülle. Ginger knurrt und zerrt an dem Bein. Queriel schleudert das Bein nach vorne. Durch die Wucht lösen sich Gingers Fangzähne aus dem Bein, sie wirbelt durch den Raum und sie knallt gegen die Wand. Schmerzerfüllt jault sie auf und bleibt dann bewegungslos liegen. Wie kommt sie überhaupt hier hin?
Es dauert nur einen Augenblick, bis Queriel merkt, dass er das Gebäude nicht verlassen kann. Die Engelsigellen halten ihn gefangen. Dean erhebt sich, um erneut nach der Klinge zu greifen, die noch in Jastriels Hülle steckt. In dem Moment spreizt Queriel zwei mächtige violette Schwingen und stößt einen fürchterlichen Schrei aus. Dann schraubt er sich wie ein Tornado aus dem Dach des Gebäudes heraus, in den freien Himmel darüber…
…wo Crowley schon die ganze Zeit auf ihn gewartet hat. Der Höllenfürst verdunkelt die Luft um Queriel und füllt sie mit Schwefeldampf. Dann wirft er ein Höllenfeuer in die Luft, das Queriels Schwingen versengt, so dass der Engel zu Boden taumelt. Keuchend landet er auf dem Boden. Ein gefährliches Knurren wird laut.
„So, meine Süßen, jetzt seid ihr an der Reihe. Hat Papi euch zu viel versprochen? Lauft los!“ Queriel wird von den unsichtbaren Höllenhunden an den Schwingen und Armen gepackt und über den Boden gezerrt. Schon löst sich die eine Schwinge blutig von seinem Rücken. Queriel windet sich vor Schmerzen am Boden. Crowley wendet sich ab, als seine beiden Höllenhunde sich über den geschwächten Queriel hermachen. Er pfeift vor sich hin, schnippt mit den Fingern und ist verschwunden.
Castiel läuft auf Dean zu, der neben dem bewusstlosen Sammy kniet.
„Kannst du was tun, Castiel? Bitte, bitte hilf ihm.“
„Es hat ihn ziemlich schlimm erwischt, Dean“, sagt Castiel leise.