Dies ist eine Fortsetzung! Die Geschichte beginnt hier: https://belletristica.com/de/books/17559-writeinktober-2019/chapter/65204-01-gold
Bedächtig setzt sie einen Schritt vor den anderen, kommt dabei nur langsam auf mich zu. Dennoch bin ich sicher, dass Wegrennen nicht funktionieren wird. Die Mauer zu überklettern wird einfach zu lange dauern.
„Na, wohin willst du denn, Bürschchen?“ Ihre Stimme ist leise, als wolle sie die anderen Wachen nicht auf uns aufmerksam machen. Ich bin überrascht – was soll das? Mein Blick zuckt zur offenen Gartentür. Wie weit ist es bis zum Haupteingang?
„Vergiss es, Kleiner“, raunt sie, „Da kommst du auch nicht durch. Du gehörst mir!“
Da verstehe ich. Sie will den Ruhm für eine Ergreifung alleine einheimsen – das verschafft mir eine unerwartete Chance, denn es bedeutet, dass sie ihre Kameraden nicht zu Hilfe rufen wird. Phex sei Dank!
Der Garten ist rechteckig und liegt völlig im Dunkeln. Langsam lasse ich mich von ihr aus dem Lichtkreis ihrer Laterne treiben, die sie kurz vor der Tür im Inneren des Anwesens abgestellt hat. Ich will nicht, dass ein weiteres Paar Augen mich hier entdeckt – und wenn ich es schaffe, sie in der Ecke des Gartens zu besiegen, wird sie dort auch nicht allzu schnell aufgefunden.
„Was gibt es hier denn so Wertvolles, dass gleich vier von euch es bewachen?“, lenke ich sie ab, während ich mich langsam rückwärts taste.
„Das würdest du wohl gerne wissen, Süßer“, sagt sie lachend. „Aber es würde dir ohnehin nichts mehr nutzen – gleich hab ich dich!“
Ihre Siegesgewissheit macht mich vorsichtig. Sie mag älter sein als ich, vermutlich Mitte dreißig, sodass ich ihr an Kraft und Wendigkeit überlegen sein dürfte, doch wer so redet, hat Erfahrung. Und Erfahrung im Kampf darf nicht unterschätzt werden, wie Hal mir immer und immer wieder bewiesen hat, wenn er mich mit seinen fast fünfzig Jahren spielend auf die Bretter schickte.
Dann geht alles sehr schnell. Sie hat den Zeitpunkt perfekt abgepasst – sie hat mich so vor sich hergetrieben, dass der schwache Schein der Laterne ihr die Sicht auf mich ermöglicht, mich aber blendet. Wie konnte ich das übersehen! Mit einer raschen Bewegung täuscht sie einen Tritt gegen mein Knie vor und schlägt dann in schneller Abfolge einmal gegen meine linke, dann die rechte und wieder die linke Schulter. Obwohl es nicht fest ist, stört diese Kombination empfindlich mein Gleichgewicht, und so hat sie leichtes Spiel, als sie mir eine harte Rechte in den Magen schlägt, meinen Gegenangriff abblockt, den Arm gepackt hält und mich mit einer geschickten Bewegung so weit dreht, dass sie mir ihren kräftigen Arm um den Hals schlingen kann.
Die Stöße meiner Ellbogen, meine windenden Bewegungen, die Tritte gegen ihre Füße – alles nimmt sie hin, steckt meine Schläge ein, während sie mir ohne Eile mit sicherem Griff die Luft abdrückt.
Langsam wird mir schwarz vor Augen – sie wird gewinnen ...
Ein letzter rettender Gedanke! Mit tauben Fingerspitzen greife ich auf den Boden, nehme eine Hand voll Erde auf und werfe sie über eine Schulter in die Augen meiner Gegnerin.
Sie schreit überrascht auf, lässt mich los, flucht und blinzelt. In einer hastigen Drehung führe ich einen schlecht gezielten Schlag gegen ihren Kopf, erwische nur knapp ihr Kinn, doch es genügt – sie sinkt ohnmächtig zu Boden. Phex sei Dank!