Dies ist eine Fortsetzung! Die Geschichte beginnt hier: https://belletristica.com/de/books/17559-writeinktober-2019/chapter/65204-01-gold
Es ist zwar ein wenig unangenehm, doch für ein paar Stunden wird diese Kleidung ertragbar sein. Ein wohlhabender Kaufmann, der im gleichen Gasthaus untergekommen ist wie ich, hat einem der Schankburschen Hemd, Wams und Hose zur Reinigung in die Hand gedrückt. Die Unhöflichkeit des Mannes hat den Burschen nicht unbedingt motiviert, so dass die Kleidung sehr lange unbeachtet in einem Korb hinter dem Haus lag, von wo ich sie mir ausgeliehen habe.
Der Besitzer ist ein wenig kleiner und fülliger als ich. Mit ein paar zusätzlichen Stoffstücken habe ich zumindest das Wams ein wenig ausgestopft. Außerdem polstern zwei zurechtgeschnitzte Stück Kartoffel meine Wangen aus, um meinem Gesicht eine andere Form zu verleihen und meine Aussprache zu verändern. Die fehlende Länge von Wams, Hemd und Hose kann ich nicht kompensieren – doch wenn Phex gnädig ist, beachtet niemand die kleinen störenden Details.
Mit meinem Rucksack und einer möglichst elitären Miene nähere ich mich dem Anwesen der Burkherdalls. Ein Söldner öffnet mir die Tür, und für einen Moment befürchte ich, trotz meiner Verkleidung erkannt zu werden. Doch ich habe Glück: Es ist der Mann, der mich als Erster angegriffen hatte – er hat mein Gesicht nie gesehen.
Nun bin ich froh über die strenge Erziehung meines Vaters, der überzeugt war, wir seien etwas Besseres als andere Menschen. Dieses elitäre Verhalten beherrsche ich! Ich schenke dem Mann keine Aufmerksamkeit und schicke mich an, einfach an ihm vorbeizugehen. Es hat den erhofften Effekt: Er ist verunsichert.
„Äh ... Verzeihung? Kann ich Euch helfen? Habt Ihr einen Termin?“
Ich bedenke ihn mit einem abschätzigen Blick. „Termin? Ich benötige keinen Termin! Sagt den Burkherdalls, dass Trimalchio Valeroso Cavazaro, Händler aus dem fernen Almada, sie zu sprechen wünscht!“ Lügen funktionieren dann am besten, wenn man möglichst nahe an der Wahrheit bleibt.
Nach einer schlampigen Verbeugung eilt der Mann davon, nach oben in Richtung des Arbeitszimmers. Kurz darauf werde ich hinaufgebeten.
Der Mann, der mich dort begrüßt, ist bei weitem nicht so aufgeregt wie sein Söldner. Mit einem freundlichen Nicken stellt er sich als Praioslob Burkherdall vor und streckt mir zur Begrüßung die Hand entgegen. Darauf war ich vorbereitet! Mit aller Entschlossenheit überwinde ich meinen Widerwillen gegen Berührungen, schüttle sie und lächle.
Phex sei Dank lässt er mich rasch wieder los.
„Was kann ich für Euch tun?“, erkundigt er sich mit höflicher Neugier.
Mit affektierter Geste streiche ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, lasse meinen Blick durch das Zimmer schweifen und wende mich dann erst an meinen Gastgeber. Auch ihn mustere ich von oben bis unten, bevor ich mit starkem almadanischen Akzent mein Anliegen erläutere.
„Ich verfüge über eine Wagenladung besten almadanischen Weins“, informiere ich ihn. „Ich hörte, Ihr wärt in dieser ... Stadt ... wohl am ehesten geeignet, seine Qualität zu schätzen.“
Er hat sein Gesicht exzellent unter Kontrolle. Während er mir aufmerksam zuhört, verrät lediglich ein kaum wahrnehmbares Zucken der Mundwinkel, dass er den aufgeblasenen almadanischen Händler vor sich nicht ganz ernstnehmen will.
„Dringende Geschäfte rufen mich zurück in meine Heimat“, fahre ich fort, „Daher sehe ich mich gezwungen, die ganze Ladung zu einem Spottpreis zu verkaufen. Wärt Ihr interessiert?“
Damit wecke ich nun doch sein Interesse! „Wir können gerne darüber diskutieren“, erklärt er. „Wollt Ihr nicht morgen Mittag vorbeikommen, um –“
„Nein“, unterbreche ich ihn. „Wir müssten es sofort erledigen. Wenn Ihr die Ware nicht wollt, finde ich sicherlich einen anderen Abnehmer – ich muss morgen in aller Frühe abreisen. Fünfundzwanzig Dukaten für zehn Fässer vom Weingut der Familia Vascagni aus Punin.“
Ich weiß, dass das selbst in Almada ein Spottpreis wäre – und er offenbar auch.
„Abgemacht, bei Phex!“, nimmt er sofort an, bevor ich es mir anders überlegen kann. Ich unterdrücke ein Schmunzeln über seinen Anruf des Gottes der Händler – für mich fühlt es sich an wie eine Bestätigung, dass ich auf dem richtigen Weg bin, auch, wenn es sicherlich nicht mein Gott war, der ihn zu diesem Ausruf verleitet hat.
Rasch zieht er Schreibutensilien und Papier von seinem Schreibtisch zu sich heran und beginnt, ein Dokument aufzusetzen. Während ich ihn dabei beobachte, überlege ich fieberhaft, wie ich nun weiter verfahre. Selbstverständlich werde ich meine Unterschrift nicht unter einen erlogenen Handel setzen! Dass ich improvisieren muss, falls ich so weit komme, war mir von Anfang an klar.