Dies ist eine Fortsetzung! Die Geschichte beginnt hier: https://belletristica.com/de/books/17559-writeinktober-2019/chapter/65204-01-gold
Peraine ist mir gnädig und schützt mich vor Wundbrand und anderen Widrigkeiten. Ich habe die Geweihten nicht erneut darum gebeten, die Wunde liturgisch zu heilen, sondern überlasse es meinem Körper, wie lange die Genesung dauern wird. Inzwischen glaube ich, dass es Phexens Wille war, mich für eine Weile in einen Tempel zu schicken, um mir Zeit zum Nachdenken zu verschaffen.
Wenn ich mir nicht gerade Ruhe gönne oder im Gebetsraum meditiere, bemühe ich mich, den Perainegeweihten zur Hand zu gehen, soweit ich es vermag. Ich reiche ihnen Materialien an, hole sie zu Kranken, die das Bedürfnis nach einem Gespräch verspüren, und erledige zunächst kleine, mit fortschreitender Heilung immer größere Aufträge für die Geweihten. So drücke ich nicht nur meine Dankbarkeit aus, sondern lerne durch Beobachtung und Assistenz auch einiges über Wundversorgung – wer weiß, wann mir dieses Wissen einmal nutzen wird.
Den Rucksack mit der Diebesbeute habe ich unter einem niedrigen Regal im Krankensaal verborgen. Bislang ist niemandem aufgefallen, dass mein Gepäck verschwunden ist – glücklicherweise liegt das Hauptaugenmerk der Perainediener nicht auf den weltlichen Besitztümern ihrer Patienten.
Obwohl niemals jemand danach gefragt hat, hallt die bloße Existenz des Rucksacks und seines Inhalts beständig in meinem Verstand, genau wie das Echo meiner Verfehlung. Denn was ich getan habe, war falsch – ein nicht phexgefälliger Diebstahl! Sollte der Listige mir verzeihen, muss ich unbedingt einen Weg finden, meine Tat wiedergutzumachen!
Aber wird er mir verzeihen? Was, wenn nicht? Beklemmung steigt in mir auf.
Rasch lege ich die Hand auf die Wunde und übe leichten Druck aus. Muskulatur und Haut protestieren gegen die Belastung, doch der entstehende Schmerz ruft meinen Verstand zur Ordnung, verdrängt die sinnlosen Emotionen und lässt mich innerlich ruhig werden.
Sobald ich den Tempel verlassen kann, werde ich sehen, welche Pläne Phex mit mir hat. Ich vertraue seinem Urteil, sich jetzt in Grübeleien zu verrennen, hilft mir nicht.
Lächelnd lasse ich die Hand wieder sinken. In der Rückschau hat Schmerz schon immer geholfen, mich zu fokussieren und Gefühle zu bannen – warum erkenne ich erst jetzt, dass ich dafür mit niemandem kämpfen muss? Seit Tjeika mir in Perainefurten ins Gesicht gesagt hat, dass die Prügeleien, mit denen ich die Frustration aus mir herausließ, meine unterbewusste Strafe für Fehler waren, hatte ich im Kampftraining ab und an bewusst die Deckung fallen lassen. Es war ein großartiger Weg gewesen, niemandem zu schaden und dennoch für meine Fehler zu büßen. Hal konnte ganz schön zuschlagen ...
Kam die Ungeduld, derentwegen ich mich in dieses Abenteuer hier in Warunk gestürzt habe, vielleicht daher, dass mir die Trainingseinheiten aus Perainefurten fehlten? Falls dies zutrifft, habe ich endlich eine Lösung gefunden! Ich weiß nun, dass ich für bloße Buße oder für Fokussierung keine zweite Person brauche!
Die Erkenntnis verschafft mir ausgesprochen gute Laune. Unter diesen Umständen sehe ich der Zukunft entspannt entgegen: Geduld, Selbstdisziplin, Fokus – damit werde ich es schaffen, Phex zuverlässig zu dienen!