Dies ist eine Fortsetzung! Die Geschichte beginnt hier: https://belletristica.com/de/books/17559-writeinktober-2019/chapter/65204-01-gold
Ich warte, bis sie im Inneren des Gebäudes verschwunden sind. Dann endlich wage ich, wieder normal zu atmen – sofort schießt der scharfe Schmerz von der Bauchwunde durch meinen ganzen Körper. Oh Phex! Danke, dass sie die Hauptschlagader verfehlt hat ...
Eine Hand presse ich auf die Wunde, in der Hoffnung, den Blutverlust damit ein wenig eindämmen zu können, mit der anderen stemme ich mich hoch. Meine Zähne knirschen, so fest beiße ich sie aufeinander, um der Schmerzen Herr zu werden. Das Efeu bietet mir Halt, hilft, mich in eine aufrechte Position zu ziehen.
Keuchend stehe ich an die Mauer gelehnt. Allein aufzustehen hat mich unglaublich viel Kraft gekostet.
Mein Blick wandert zweifelnd an der Mauer hinauf. Plötzlich wirkt sie viel höher als zuvor – wie soll ich es nur nach da oben schaffen? Beklemmung, nein, Angst kriecht langsam in mir hoch, lähmt meinen Körper, meine Gedanken.
Aber wie ist das möglich? Phex war mit mir, die ganze Nacht über – warum lässt er zu, dass ich jetzt scheitere?
Nein. Das muss eine Prüfung des Fuchses sein. Er will, dass ich mich erneut als würdig erweise, sein Geweihter zu sein! Und, bei den Zwölfen, das werde ich! Viel Zeit bleibt mir nicht mehr, um mich aus dem Staub zu machen.
Mit einem Stoßgebet an Firun, den Herrn der inneren und äußeren Kälte, Meister der Disziplin, packe ich die Efeuranken und ziehe mich nach oben. Der Schmerz in meinem Bauch scheint zu explodieren, doch Firun erhört mich, segnet meine Selbstkontrolle und hält den Schmerz so weit in Grenzen, dass ich das Bewusstsein nicht verliere.
Auf der Mauerkrone bleibe ich für einen kurzen Moment liegen, zitternd vor Anstrengung, die Hände wieder auf der Wunde. Das Blut auf den Blättern wird meinen Fluchtweg verraten, doch ich kann nichts dagegen.
Was jetzt kommt, macht mir beinahe mehr Angst als die Wachen. Wenn ich in die Gasse springe, auf den Füßen lande, werde ich beim Aufkommen die Bauchmuskeln anspannen müssen. Im Geiste flehe ich alle Zwölfe um Gnade an, auf dass es nicht so schlimm werden und meine Flucht gelingen möge.
Wie zur Antwort setzt Regen ein. Er wäscht mein Blut von den Blättern, verwischt meine Spur, und Hoffnung keimt in mir auf wie Saat im Frühjahr. Noch ist nicht alles verloren.
Ich beiße die Zähne zusammen, schicke ein stummes Stoßgebet an die Zwölfe und lasse mich von der Mauer gleiten, falle auf das Pflaster. Der Aufprall raubt mir fast vollständig die Sinne, doch noch kann ich mir keinen Zusammenbruch erlauben! Mit letzter Kraft schleppe ich mich ein, zwei Gassen weiter, bevor mich Borons gnädige Arme umfangen und den Schmerz mit barmherziger Ohnmacht ersticken.