Dies ist eine Fortsetzung! Die Geschichte beginnt hier: https://belletristica.com/de/books/17559-writeinktober-2019/chapter/65204-01-gold
So lange Phex mir keine neue Aufgabe zuweist, nutze ich meine Zeit anderweitig und biete im Rondra- und im Perainetempel meine Hilfe gegen Lehrstunden an. Als Zwölfgöttergeweihter ist es ratsam, auch den übrigen elf Göttern des Pantheons Ehre erweisen zu können und sich nicht ausschließlich auf den ausgewählten Hauptgott zu beschränken.
Im Sankt-Leomars-Tempel, dem berühmten Warunker Rondratempel, unterrichte ich vormittags Anfänger in der Fechtkunst. Mittags begebe ich mich zum Perainetempel, wo ich den Geweihten assistiere und so weitere Wissen über die Heilkunde sammle, und gegen Abend erhalte ich von den Rondrageweihten als Lohn für meinen Unterricht wahlweise Übungsduelle mit den dortigen Fechtmeistern oder Lehrstunden im Faustkampf.
Letztere erinnern mich sehr an meine Trainingsstunden mit Hal in Perainefurten. Natürlich gibt es Unterschiede – ich kenne Bewegungen, die meine Gegner nicht kennen, und umgekehrt. Meine Partner schlagen außerdem nicht so fest zu wie Hal. Ich habe sie aus zwei Gründen darum gebeten: Einerseits will ich die immer noch nicht vollständig verheilte Narbe nicht überstrapazieren, andererseits bin ich mir keiner Fehler bewusst, die ich nicht bereits gesühnt hätte, und verspüre kein Verlangen, mir eine Strafe zu suchen. Ich erfreue mich einfach an den gemeinsamen Übungen.
Vielleicht, weil mir die Trainingssituation so vertraut ist, verstehe mich gut mit den Rondrageweihten. Gelegentlich bleibe ich abends länger, sitze mit ihnen am Feuer und genieße ihre Gesellschaft, bevor ich als letzte Unternehmung des Tages Alfons im Stall besuchen gehe.
Fast zwei Wochen verbringe ich so in Warunk. An einem windigen, kühlen Abend nach einem schweißtreibenden Übungsduell überkommt mich völlig unvermittelt das erste Mal wieder das Gefühl, dass Phex mir zu einer Entscheidung rät.
Überrascht sehe ich Dela an, die mich gerade gefragt hat, ob ich noch auf ein Bier bleibe. Ich wollte heute eigentlich ablehnen: Dichte, dunkle Wolken verdecken den Himmel, verbergen den Mond und alle Sterne, und die Luft riecht bereits nach Regen. Doch mein Gefühl sagt mir, dass ich trotz des Wetters noch ein wenig bleiben sollte. Ich nehme die Einladung daher an.
Es ist schon sehr spät, als ich mich auf den Weg zu meiner Unterkunft mache. Die Hoffnung, der Regen möge nachlassen, hat sich nicht erfüllt, und die Feuchtigkeit durchdringt meine Kleider bereits nach dem ersten Dutzend Schritte. Nach einem weiteren Dutzend bin ich bis auf die Haut durchnässt und verziehe unglücklich das Gesicht.
Hat sich Phex einen Scherz mit mir erlaubt? Er ist nicht umsonst auch Gott des Schabernacks! Nein, das glaube ich nicht wirklich. Warum führt er mich durch diesen Regen?
Eine große Pfütze blockiert den kürzesten Weg zum Gasthaus. Noch sind meine Stiefel innen trocken – ich will nicht auch noch nasse Füße bekommen! Nach einem leisen, einem Geweihten höchst unwürdigen Fluch, für den ich sofort um Verzeihung bete, gehe ich ein Stück zurück und nehme eine parallel verlaufende Gasse.
Hier stehen die Häuser wesentlich dichter als an der breiten, durch die Pfütze blockierten Straße. Nein, das ist nicht korrekt – hier wurden die Zwischenräume zwischen den Gebäuden durch Dächer zu Ställen und Abstellflächen umgebaut. Ein bisschen beneide ich die paar Bettler, die ich hier und dort in einem trockenen Strohhaufen schlafen sehe ...
Ein unerwartetes Zischen zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich muss zweimal hinschauen, um die Überreste des kleinen Lagerfeuers zu bemerken, das unter einem der Dächer entzündet wurde und nun verlassen vor sich hin glüht. Tropfen treffen immer wieder auf die rot leuchtenden Holzreste, verdampfen oder erzeugen durch die Abkühlung Risse, die die erhitzten Scheite zerreißen. Funken werden hochgewirbelt und schweben durch die Luft ...
Entsetzt wird mir klar, was ich da beobachte. Wer hat ein Feuer in der Stadt entzündet und es dann auch noch unbeaufsichtigt gelassen?