Dies ist eine Fortsetzung! Die Geschichte beginnt hier: https://belletristica.com/de/books/17559-writeinktober-2019/chapter/65204-01-gold
Die Kunde vom nächtlichen Feuer hat sich bis zum nächsten Morgen in ganz Warunk herumgesprochen. Aus ‚zuverlässiger Quelle‘, wie meine Wirtin mir augenzwinkernd versichert, habe sie erfahren, dass ein Almadani wesentlich dazu beitrug, dass der Brand keine Opfer forderte. Sie besteht darauf, mich für die nächsten Tage ohne Bezahlung hier wohnen und essen zu lassen, auch meine Kleidung will sie unbedingt auf ihre Kosten waschen und flicken. Sie bietet mir sogar einen Badezuber an, den ich mit niemandem teilen muss! Ich bin zwar überrascht – woher rührt nur ihr Interesse an dieser Sache? –, nehme ihr Angebot aber dankbar an, bevor sie es sich wieder anders überlegt.
Satt, sauber und mit exzellenter Laune, wandere ich gegen Mittag wieder ein wenig durch die Stadt. Ich habe noch einige Dinge zu erledigen, und da ein Gefühl mir sagt, dass meine Abreise nicht mehr allzu lange auf sich warten lässt, will ich die Aufgaben lieber alsbald hinter mich bringen.
Zunächst besuche ich den Rondratempel. Die Geweihten dort empfangen mich sehr distanziert, doch als ich erkläre, mich verabschieden und vor allem entschuldigen zu wollen, dass das Fechttraining heute unangekündigt ausgefallen ist, wandelt sich ihr Verhalten.
Ich will von dem Brand erzählen, den Umständen, die mich davon abhielten, zum Tempel zu kommen, aber die Geweihte, mit der ich spreche, winkt ab. Die Geschichte vom Feuer hat auch hier längst die Runde gemacht, man kannte den Grund für meine Abwesenheit und verstand, dass ich nicht fechten konnte. Man war allerdings pikiert, erklärt sie, dass ich so pflichtvergessen war, dass ich das Training nicht abgesagt hatte. Unter den gegebenen Umständen verstehe man jedoch, dass ich den Schlaf nötig gehabt habe, und vergebe mir aufgrund meines Besuchs diesen Fauxpas.
‚Rondrageweihte!‘, denke ich schmunzelnd im Stillen. Der Ehrenkodex der Kriegerpriester ist kompliziert, und ich bin erleichtert, mich durch meine persönliche Entschuldigung instinktiv an deren Etikette gehalten zu haben.
Die nächste Station auf meiner Wanderung ist der Perainetempel. Auch dort entschuldige ich mich für meine Abwesenheit, doch der Tempelvorsteher wischt meine Worte lachend beiseite.
„Wir haben einige Helfer behandelt, die mit leichten Verbrennungen hier ankamen, und auch der von Euch gerettete Gardist befand sich in der Obhut des Tempels. Sie haben von Eurer Tat erzählt! Dass Ihr danach ein wenig Ruhe nötig hattet, war uns sofort klar.“ Neugierig lässt er seine Blicke über meinen Körper schweifen. „Habt Ihr keine Verletzungen davongetragen? Wie geht es der Narbe?“
Die Musterung, derer er mich unterzieht, löst ein unbehagliches Gefühl in mir aus. Ich bin ihm zwar dankbar für die Hilfe, die mir hier zuteilwurde, doch ich verspüre keinerlei Verlangen, mich ohne Not vor ihm zu entkleiden. Möglichst unauffällig trete ich den Rückzug an.
„Nein, ich hatte Glück“, erwidere ich. „Und der Narbe geht es sehr gut, sie verheilt dank Eurer Pflege exzellent.“
Überrascht hebt er die Augenbrauen „Verspürt Ihr kein Ziehen, wenn Ihr sie belastet?“
Ich zögere nur einen Augenblick, bevor ich die Wahrheit sage. „Doch“, gebe ich zu, „Aber darüber, dass das passieren würde, hatte mich Eure Kollegin bereits informiert.“
Nun lächelt er. „Wenigstens seid Ihr ehrlich! Ja, dieses Gefühl wird Euch noch eine Weile begleiten. Passt weiterhin gut auf Euch auf! Und nun entschuldigt mich bitte – ich muss noch nach einigen Patienten sehen.“
Erleichtert über seinen Zeitmangel verabschiede ich mich höflich und kehre auf die Straße zurück.
Wie von selbst tragen meine Füße mich in die entlegenen, verwinkelten Gassen der Stadt, lassen sich von den Ohren leiten, bis ich wieder vor Fugxeas Schmiede stehe.
Wie bei meinem letzten Besuch steht sie mit dem Rücken zur Straße vor dem Amboss, bearbeitet mit sicheren, geübten Schlägen ein Stück glühenden Metalls. Dieses Mal trete ich nicht näher heran, sondern betrachte sie aus einigen Schritt Entfernung. Immer noch faszinieren mich ihre Kraft und Präzision, und ich will mir diesen Anblick einen Augenblick lang gönnen, bevor ich weitergehe.
„Gut, dass du wieder auf den Beinen bist, Junge.“
Verwundert sehe ich mich um, doch die Straße ist leer.
„Ich bin vielleicht eine Zwergin, aber ich bin nicht blöd.“ Fugxea hebt eine Hand und deutet auf einen kleinen Spiegel, der an der dem Amboss gegenüberliegenden Wand hängt. „Hast gedacht, ich lass jeden in meinem Rücken herumschleichen?“
Ich fühle mich ertappt und spüre, wie sich meine Wangen leicht zu röten beginnen. Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll.
„Was willst du?“, fragt sie mich ruhig, während sie das bearbeitete Eisen in einen Eimer Wasser taucht, aus dem sofort heißer Dampf aufzusteigen beginnt. Dann dreht sie sich um und sieht mich an.
„Nichts“, murmle ich, und mein Gesicht fühlt sich noch wärmer an.
Ein amüsiertes Funkeln tritt in ihre Augen. „Fast schade“, sagt sie grinsend. „Könntest ein ganz hübscher Bursche sein, wenn du kein Mensch wärst.“ Meine immer dunkler werdende Gesichtsfarbe ignoriert sie gnädigerweise. „War schon neugierig, was du mit den Dietrichen anstellen willst. Hab dann am nächsten Tag von einer Sache bei den Burkherdalls gehört ...“ Sie wirft mir einen vielsagenden Blick zu.
Ich starre sie verdattert an. Hat sie gerade mit mir herumgeschäkert? Wo hat sie das mit Burkherdalls erfahren? Ich gäbe einen hübschen Zwerg ab? Was, bei den Zwölfen, will sie mir sagen? Diese Frau überfordert mich! Sicherheitshalber bringe ich einen weiteren Schritt Abstand zwischen uns.
Zu meiner Überraschung lacht sie schallend, nachdem sie die Verwirrung auf meinem Gesicht eine Weile beobachtet hat. „Schon gut, Kleiner“, brummt sie dann, nachdem sie sich Lachtränen aus den Augen gewischt hat. „Komm wieder ran. Musst mir nix erzählen. Aber hier sprechen sich Sachen schnell rum.“ Sie mustert mich. „Du verlässt Warunk, hm? Bist ja jetzt auch zu bekannt, nachdem du den Neffen deiner Wirtin gerettet hast. Da ist nix mehr mit unerkannt bleiben!“
Meine Wirtin ist die Tante des Gardisten? Bei Phex, das erklärt ihr Verhalten! Worüber weiß diese Zwergin denn nicht Bescheid?
„Woher wisst Ihr das alles?“, frage ich, nachdem ich meine Stimme wiedergefunden habe.
Einen Moment zögert sie mit der Antwort. Ihr Blick hält meinen, als suche sie darin nach irgendetwas. Als sie es gefunden hat, nickt sie leicht und bedeutet mir mit einer Kopfbewegung, zu ihr in die Schmiede zu treten. Sie macht mich damit viel zu neugierig, als dass ich dieser Einladung widerstehen könnte.
„Du bist mir aufgefallen“, sagt sie mit einem beiläufigen Schulterzucken, das ihr ernster Blick Lügen straft. „Die meisten Menschen schauen mich an und sehen nur irgendeinen Zwerg. Dein Blick war anders – das hat mir gefallen. Du hast mich neugierig gemacht, und ich hab dich dann im Auge behalten. War ganz schön knapp, die Sache! Cordovan und Vorlop haben dich fast nicht rechtzeitig zu den Perainepriestern bringen können. Die beiden dachten, du hast nur eins auf den Kopf bekommen ... Nicht die hellsten Kerzen am Leuchter. Freut mich aber, dass alles gut verheilt ist. Hoffe, du hast deine Lektion gelernt, Jungspund – der, den ich zu dir in den Tempel geschickt hab, war sich da nicht so sicher.“
War ich gerade noch dabei, mit Mühe meine Verlegenheit zu unterdrücken, weil sie mir schon wieder unterstellt hat, ich hätte sie mit interessiertem Blick gemustert, so starre ich sie jetzt offen entgeistert an.
Ihre Augen funkeln amüsiert, während sie sich an meiner Verblüffung weidet. „Na also, hab ich dich noch ein bisschen überraschen können. Du hast kaum Vorurteile gegenüber den Personen, denen du begegnest, egal welcher Rasse oder welchem Geschlecht sie angehören – das ist gut. Behalt das bei. Es wird dir deinen Weg so manches Mal erleichtern, nicht nur hier.“
Ich starre immer noch. Ich weiß es. Aber ich kann beim besten Willen nicht damit aufhören.
Fugxea hat die beiden geschickt, die mich in der Gasse aufgeklaubt und zu Peraines Dienern gebracht haben? Sie hat mir auch den Mann in den Tempel geschickt, der mich wegen meiner Ungeduld rügte? War sie Teil des ‚wir‘, von dem er sprach? Gehört sie zur hiesigen Phexgemeinde? Hat der Fuchs meine Schritte zu ihr gelenkt? Weiß sie etwas über den weiteren Weg, auf den der Listige mich schicken wird?
„Du wirst seit heute Morgen von Gardisten beobachtet, Junge. Du brauchst also einen Grund, warum du hier bei mir warst“, sagt sie unvermittelt und drückt mir einen Dolch in die Hand. „Nimm den hier. Ich verkauf ihn dir zu einem Sonderpreis.“
Wie im Traum greife ich nach meiner Geldkatze. Mein Kopf ist immer noch voll verwirrt umherschwirrender Gedanken, und es fällt mir schwer, einen klaren Satz zu formulieren. Fugxea muss eine hohe Stellung in der Warunker Phexgemeinde innehaben, wenn sie über solche Macht verfügt.
Ich räuspere mich und frage nach dem Preis für den Dolch.
„Zwei Dukaten“, antwortet Fugxea ungerührt. Als ich ihr einen ungläubigen Blick zuwerfe, lächelt sie selbstbewusst. „Das ist Zwergenarbeit, Junge! Wirklich hochwertige Qualität – hab ihn selbst gemacht, ich weiß es. Könnte ich locker für vier, fünf Dukaten verkaufen. Wirst sehen – der ist so gut verarbeitet, den hast du dein Leben lang, wenn du ihn gut pflegst!“
Ein schwaches Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Das klingt schon wieder viel mehr nach der zwergischen Schmiedin, die ich erwartet habe. Obwohl sie die Hälfte meines aktuellen Vermögens fordert, glaube ich ihr und suche die Münzen heraus.
„Danke“, sage ich schlicht, als ich sie bezahle. Ich danke ihr nicht nur für den Sonderpreis, sondern auch für ihre Worte, ihre Wachsamkeit, ihre Verschwiegenheit. Ihr Lächeln zeigt mir, dass sie verstanden hat.
Dann grinst sie. „Und nun schau, dass du fortkommst. Phex mit dir, Bruder!“
Bruder? Das hatte ich zwar bereits vermutet, doch sie hätte es mir nicht bestätigen müssen. Dass sie es doch tut, erzeugt ein warmes Gefühl in meinem Inneren, das mich veranlasst, ihr noch ein letztes Lächeln zuzuwerfen, bevor ich zu meiner Unterkunft zurückkehre.
Auf dem Weg bemerke ich die beiden mich überwachenden Gardisten, von denen Fugxea gesprochen hat. Sie sind wirklich geschickt – ich habe keinen Zweifel, dass die Kommandantin sie höchstpersönlich für diese Aufgabe ausgewählt hat. Auch sie trägt dazu bei, dass ich Warunk mit ein wenig Bedauern verlasse. Sie ist eine hervorragende und ausgesprochen herausfordernde Gegnerin für jeden Spion, Dieb oder Fassadenkletterer!
Ich besuche im Stall meinen treuen Freund Alfons und berichte ihm im Stillen, was für überraschende Neuigkeiten ich über Fugxea erfahren habe. Er schaut mich stoisch an, als habe er das alles schon immer gewusst. Dieser Esel!
In der Herberge schaue ich mich in dem winzigen Zimmer um, in dem ich die meisten der Nächte hier in Warunk verbracht habe. Inzwischen bin ich mir sicher, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis mir einer von Phexens Hinweisen den Weg zu meinem neuen Ziel zeigt.
In der mich umgebenden Ruhe schließe ich die Augen, konzentriere mich auf die Verbindung zu meinem Gott und bete leise: „Danke, Phex, für die Lektionen, die du mich hier gelehrt hast. Ich sehe ein, dass ich sie nötig hatte. Hiermit erneuere ich mein Versprechen dir gegenüber: Verfüge über mich, ich werde dir treu – und geduldig! – als dein Werkzeug in der Welt dienen. Sende mich, wohin es dir beliebt – ich bin bereit!“