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Zögerlich bewegte Padhi die Hände, während ihre beiden Freundinnen wie gebannt an jeder Bewegung ihrer Finger hingen. Wenig später ließ Padhi die Hände sinken.
Mantis und Itoko tauschten einen nachdenklichen Blick.
„Das ist alles?“, fragte Itoko.
Mantis stieß dem Fuchs die Ellbogen in die Seiten. „Sag mal, spinnst du? Das ist richtig seltsam!“
„Ihr Vater hat vielleicht eine Affäre. Oder er guckt sich gerne ungestört die Sterne an. Es kann alle möglichen Erklärungen geben.“
„Nur eine Affäre?“, fauchte Mantis.
Padhi schüttelte den Kopf und machte eine kurze Geste.
„Und Padhi hat recht, das passt nicht zu ihm“, fuhr die Menschenfrau fort.
Itoko seufzte. „Trotzdem. Ich dachte, du hättest einen Mord beobachtet oder eine riesige Verschwörung entdeckt, so, wie du hier Panik gemacht hast!“
Padhi schüttelte den Kopf und bewegte die Hände etwas langsamer und nachdenklicher.
„Da hast du recht. Du kennst deinen Vater am besten, und wenn du glaubst, dass er was verheimlicht, wirst du schon recht haben.“
Padhi nickte Mantis dankbar zu.
Itoko ließ sich im Wasser auf dem Rücken gleiten. „Gut. Mal angenommen, da geht wirklich irgendetwas vor. Was sollen wir tun? Deinen Vater verfolgen und beschatten?“
Padhi überraschte ihre Freunde damit, dass sie ein leises Schniefen von sich gab. Itoko sprang in die Höhe und Mantis lehnte sich über den Rand des Steinbassins. Tränen liefen Padhi über die Wangen, als sie unglücklich gebärdete: Ich weiß es nicht.
„Hey, Schätzchen!“ Mantis zog Padhi in eine recht kalte und nasse Umarmung. „Tief durchatmen.“
Padhi schluchzte nun hörbar.
„So habe ich das doch nicht gemeint!“, beteuerte Itoko verdutzt und schwamm zu Mantis. „Wir helfen dir natürlich, Padhi. Egal, was es ist.“
Danke, antwortete Padhi ihren Freunden, indem sie die Hände vor der Brust zusammenlegte. Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht.
Mantis klopfte Padhi auf den Rücken und ließ sich zurück in das kalte Wasser gleiten. „Und jetzt erzähl uns bitte alles von Anfang an. Wann geht dein Vater? Wie oft hast du ihn gesehen? Denkst du, dass er das jede Nacht macht?“
Padhi atmete tief durch und hob nun gefasster die Hände.
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Shymron lag mit dem Oberkörper auf der Tischplatte und schnarchte leise. Mibbi lag neben seinem Herrchen zusammengerollt und schnarchte ebenfalls. Siscas saß seinem Bruder gegenüber und hielt mit viel Mühe die Augen offen.
Beide zuckten zusammen und fuhren in die Höhe, als die Tür geöffnet wurde – diesmal nicht die Eingangstüre, sondern die schwere Holztür, die zu den Kerkern führte. Während die Zwillinge müde Haltung annahmen, betrat General Rashadhi die Wachkammer, dunkle Ringe unter den Augen und blassbraune Haut.
Er blinzelte zu einem der kleinen Fenster, durch das das schwache Licht der Sonne schimmerte. „Ist es schon Morgen?“
„Ja, General“, antwortete Siscas. „Hat der Gefangene noch etwas gesagt?“
„Kein Wort, jedenfalls nichts, womit wir etwas anfangen können. Er heißt Aionas Manri und hat schon eine ganze Weile versteckt in der Akademie gewohnt, sich von Küchenresten ernährt und in den Kellern versteckt. Aber mehr konnte oder wollte er mir nicht erzählen.“
Mit einem Seufzen ließ sich der General auf einen Stuhl fallen und winkte den beiden jungen Wächtern. „Setzt euch, Jungs.“
Die Zwillinge kamen der Aufforderung nach. Ihr General rieb sich die Augen.
„Was den Hasenmenschen angeht, müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen. Irgendetwas hat ihn so sehr erschreckt, dass er nicht darüber reden kann. Hasenmenschen sind sowieso so schreckhaft und zart besaitet, und jetzt ist er mir zweimal bewusstlos geworden.“
„Sollen wir mit ihm sprechen?“, bot Shymron an.
Der General hob die Schultern leicht. „Versucht es. Würd mich nicht wundern, wenn ihr ein wenig mehr aus ihm raus kriegt als ich, ihr seid weniger bedrohlich. Ich werde trotzdem mit Universitätsleiter Upadhy sprechen. Er muss von der Sache erfahren, vielleicht haben sich wieder mehr Schmarotzer in der Akademie eingenistet.“
Der General schlug die flachen Hände auf den Tisch, was Mibbi in die Höhe jagte, und stemmte sich in die Höhe. „Ich werde eure Schicht für heute verkürzen und dafür sorgen, dass ihr am Mittag abgelöst werdet.“
Die jungen Elfenzwillinge salutierten dankbar, bevor ihr General den Wachraum verließ.
Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, gähnte Shymron weit. Siscas blinzelte nicht einmal und tippte seinem Bruder auf die Zunge, der das Gähnen auf der Stelle abbrach.
„Igitt, Sis, das ist schon seit drei Jahrzehnten nicht mehr lustig!“
„Du fällst aber immer wieder drauf rein.“ Siscas grinste und musste im nächsten Moment selber gähnen. Allerdings hielt er sich klugerweise die Hand vor den Mund.
Shymron streckte sich, stand auf und ging ein paar Schritte durch den Raum. „Wir müssen noch bis Mittag durchhalten? Wie sollen wir das schaffen?“
„Indem wir uns beschäftigen. Du befragst den Hasen und ich treibe für uns einen schönen Wachmachtee auf, was sagst du?“
Shymron nickte. „Klingt nach einem Plan. Beeil dich aber, bevor ich noch beim Verhör einschlafe!“
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An diesem Morgen hatte die Klasse von Kairas Kanpadi Nambisdad Unterricht bei einem anderen Lehrer, Noya Nadri Amadhia, eine Mooselfe, die sich auf Magiegeschichte spezialisiert hatte.
Padhi hockte in der zweiten Reihe und machte sich aufmerksam lauschend Notizen. Itoko kauerte neben ihr und flocht sich die kurzen Haare und Mantis hatte sich an Padhis Rücken gelehnt, den Kopf auf ihren Schultern abgelegt und schien zu schlafen.
„Fräulein Janiwhar!“, rief die Geschichtslehrerin streng.
Mantis öffnete ein Auge. „Anwesend.“
„Dann kannst du mir sicherlich sagen, zu welcher Zeit die Misch-Elementarmagie zum ersten Mal entdeckt wurde.“
Mantis richtete sich nicht einmal auf. „Jahreszahl weiß ich nicht mehr, is mir auch egal, aber etwa zur gleichen Zeit, als auch die ersten Mischlingselfen gezeugt wurden, was diese spitzohrigen Wichtigtuer zu der Annahme verleitete, dass Magie das Elfenerbe ist und manche glauben sogar, dass Menschen und Zwerge keine Magie nutzen dürften.“
Die Anwesenden im Klassenraum, die Mantis noch nicht kannten, schnappten nach Luft.
„Stur wie immer“, erkannte Amadhia und wandte sich ohne Umschweife der Klasse zu: „Tatsächlich ist über diese frühe Zeit unserer Welt kaum etwas bekannt, doch aus dem Jahr 700, als die ersten Berge bezwungen wurden und die Urvölker der Wald-, Wasser- und Feuerelfen aufeinander trafen, werden uns auch erstmals Berichte von Mischelementen überliefert: Statt Erd-, Feuer- und Wassermagie gab es nun auch Eis, Blitz, Luft, schließlich Blutmagie, Schattenmagie …“
Mantis unterbrach Padhis eifriges Mitschreiben, indem sie sich zu ihren Freunden vorbeugte. „Ich sagte euch ja, die Trulla hasst mich!“
„Es hätte mich nicht wundern sollen, dass du einen fünf Jahre dauernden Eindruck bei ihr hinterlassen hast. Und das bei deiner ersten Klassenlehrerin, Respekt!“ Itoko grinste.
„Ruhe!“, fuhr Amadhia die drei Freundinnen an.
Padhi beugte sich noch etwas tiefer über ihr Papier, doch Mantis konnte an ihren Mundwinkeln sehen, dass die junge Halbelfe schmunzelte.
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Siscas betrat den Kerker, einen niedrigen Bau aus Stein, mit einem langen Gang, von dem die schweren Holztüren zu mehreren Kerkerzellen abgingen. Eine der Türen stand offen und Siscas fand seinen Bruder dort im Vorraum auf einem Holzschemel sitzen. Die eigentliche Zelle begann erst hinter einer Wand aus Gitterstäben, in die eine Tür eingelassen worden war. Der Gefangene kauerte dort auf einem Strohbett, zu einem kleinen Knäuel zusammengerollt, von dem die nervös zuckenden Ohren abstanden.
Siscas platzierte den dritten Tee dieses Morgens auf dem Verhörtisch, der neben Shymron stand. „Und?“
„Immer noch nichts“, seufzte Shymron.
Siscas trat an das Gitterfenster und sah auf den Hasenmenschen. „Wir wollen dir nichts tun, Manri. Wir wollen dir helfen. Du kriegst keinen Ärger, weil du in der Akademie warst.“
Doch der Hasenmensch rührte sich nicht.
Shymron seufzte. „Siehst du?“
Siscas nickte. „Trink deinen Tee. Der General ist gerade oben. Er sagt, wenn wir bis jetzt noch nichts haben, geht er zum Universitätsleiter und bespricht alles Weitere mit ihm. Das heißt, wir haben gleich frei.“
Shymron nahm einen Schluck aus der Tasse, stand auf und streckte sich. „Wird auch Zeit. Ich bin reif für’s Bett!“
Siscas nickte und gähnte. „Ich auch.“
Shymron streckte die Hand aus, um Siscas auf die Zunge zu tippen, doch sein Bruder war schneller und schlug die Hand zur Seite. „Vergiss es, Schnecke!“
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Nach einer Stunde Geschichte eilte die Klasse geschlossen zu Nambisdad, um weiteren Unterricht in Kampfmagie zu haben. Kaum, dass alle saßen, rief der junge Lehrer Padhi auf: „Komm doch bitte einmal nach vorne.“
Padhi schritt mit leicht zitternden Fingern vor.
Nambisdad nahm etwas vom Schreibtisch und drückte es ihr in die Handfläche. Erstaunt erkannte Padhi einen weißen Jadestein.
Sie starrte ihren Lehrer mit offenem Mund an.
„Du konntest uns gestern nichts zeigen. Ich würde dich bitten, das jetzt nachzuholen. Und – bitte übertreibe nicht, ich habe den Stein lediglich geliehen. Ich glaube, sein Wert übersteigt meinen Jahreslohn.“
Padhi lächelte artig und umschloss den Jadestein dann mit den Händen. Sie machte die Augen zu und überlegte, was sie tun sollte …
Das Bild einer wuchernden Blumenwiese sprang ihr vor die Augen und sie öffnete die Hände, um klare, leuchtende Blumen hervorsprießen zu lassen, die aussahen wie echte Pflanzen aus hauchfeinem Glas, bis man die Hand ausstreckte und einfach durch die Illusion hindurch fasste.
Die Blumen breiteten sich von Padhis Füßen aus kreisförmig um Raum aus und erblühten bald schon an den bemalten Wänden. Bunte Kreise zogen sich wie gemusterte Monde über die Decke des Zimmers, veränderten dabei stetig ihre Farbe und Form.
„Illusionen, wunderschön!“, rief Nambisdad. „Im Kampf allerdings nicht unbedingt von Nutzen, wenn man sie so schnell als Illusionen enttarnt. Machen wir das hier doch gleich zur ersten Lektion: Um deine Illusionen im Kampf nutzen zu können, musst du sie entweder nutzen, um deinem Gegner eine tödliche Gefahr vorzugaukeln oder um in ihrem Schutz zu verschwinden.“
Padhi ließ die Blumen verblassen. Nambisdad machte eine auffordernde Geste: „Kannst du etwas erschaffen, das realistisch aussieht? Ein wildes Tier vielleicht? Eine Waffe?“
Padhi schüttelte den Kopf. Ihre Illusionen beschränkten sich auf die Gebilde aus Glas.
„Nun, dann musst du sie im Ernstfall nutzen, um deinen Gegner zu verwirren. Versuchen wir es – und keine Angst, wir fangen langsam an. Versuche doch einmal, eine Wand aus Blütenblättern oder ähnlichem zu schaffen, die dich komplett vor meinem Blick -“
Nambisdad kam nicht dazu, auszusprechen, denn Padhi hüllte sich in einen Wirbel bunten Herbstlaubes ein, der wie ein Tornado durch den Klassenraum toste und dann spurlos in Rauch aufging. Einige der Schüler pressten die Papiere gegen die Brust oder hielten die Röcke fest.
Nambisdad klatschte in die Hände. „Sehr gut! Einen solchen Wirbel kannst du nutzen, um einem Kampf zu entfliehen oder um dich deinem Gegner unbemerkt zu nähern. Das reicht auch schon für heute mit der Praxis.“
Padhi setzte sich zurück zu ihren Freundinnen.
„Ich bin neidisch!“, flüsterte Itoko ihr zu. „Eine Privataufführung mit Nambisdad!“
Padhi winkte ab.
„Du wirkst fast schon kriminell unbegeistert“, knurrte Itoko.
Padhi bewegte die Hände.
„Du musst ja nicht wirklich gegen jemanden kämpfen, es geht darum, im Notfall zu wissen, was du tun musst!“
In diesem Moment klopfte es. Alle Köpfe drehten sich zur Tür.
„Herein!“, rief Nambisdad.
Die Tür wurde geöffnet und zwei junge Mooselfen traten in den Klassenraum. Sie trugen beige und weiße Kleidung, die sie als Wächter der Akademie kennzeichnete.
„Entschuldigt.“ Einer der beiden machte eine Verbeugung in Nambisdads Richtung. „Wir kommen in einem dringenden Auftrag von General Rashadhi. Wir suchen Padhi Panyiota Upadhy, sie soll in Eurer Klasse sein.“
Padhi spürte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich. Zögerlich stand sie auf.
Die beiden Mooselfen musterten sie und nickten ihr zu. Diesmal sprach der andere: „Würdest du uns bitte folgen? Tut mir leid, aber es ist leider sehr dringend. Dein Vater meinte, dass du uns helfen könntest.“
Ihr Vater! Padhi lief es eiskalt über den Rücken. Sie warf einen Blick zu Itoko und Mantis, die ihr mit entschlossenen Gesichtszügen zunickten.
Padhi straffte sich und ging auf die Wächter zu, doch ihre Gedanken rasten. Hatte ihr Vater irgendwie von dem Gespräch am gestrigen Abend erfahren? Wohin würden die beiden Wächter sie dann bringen? Sie hatte panische Angst. Ihre Freundinnen würden sicherlich versuchen, sie zu finden, falls sie jetzt einfach verschwinden sollte – aber möglicherweise war schon geplant, die beiden ebenfalls verschwinden zu lassen.
Du steigerst dich in etwas herein. Vermutlich ist da nicht einmal etwas, was du nicht wissen solltest!, beteuerte eine leise Stimme in Padhis Kopf.
Vielleicht gab es einen guten Grund für das Verhalten ihres Vaters und überhaupt keine Gefahr.
Aber irgendwie wusste sie, dass sie sich das nur einredete. Sie spürte, dass etwas vor sich ging. Ihr Vater machte sich große Sorgen, das sah sie an den Falten, die sich täglich tiefer in sein Gesicht gruben, und er verheimlichte ihr etwas von größter Wichtigkeit.
Sie ballte die Hände zu Fäusten und tastete nach der kleinen Metallpfeife, die an ihrem Gürtel hing.