Kapitel 1: Ein konspiratives Treffen
Der Lärm des Dschungels konnte an manchen Tagen ohrenbetäubend sein, und hier traf er wie eine Flutwelle auf die Geräusche der großen Siedlung. Vögel kreischten auf der einen, Händler auf der anderen Seite. Affen turnten über die Dächer der vielen niedrigen Hütten, die sich über die einzelnen Stufen des Hangs verteilten wie wuchernde Pilze. Auf den Wegen, die manchmal wenig mehr als ein Streifen rötlicher Erde, manchmal unregelmäßig gepflastert waren, spielten die Kinder fangen: Grünhäutige Mooselfen, braunhäutige Waldelfen und -menschen mit dunklem Haar, und die blassen, silberhaarigen Kinder des Flussvolks.
Anilas hasste den Lärm der Stadt, doch es half alles nichts – er musste noch einmal hinein. Wenigstens wäre es für eine lange Zeit sein letzter Besuch. Er hatte keine Ahnung, wie Jaswath das aushielt.
Die Straßen zwischen den niedrigen Hütten waren verwinkelt und dreckig. Yamayini erstreckte sich rings um eine große, flache Bucht auf sumpfigen Inseln zwischen den Bächen und Flussläufen, die hier dem Meer zuströmten. Die Häuser der reichen Händler befanden sich auf sicheren Hügeln, aber die ärmlicheren Hütten drängten sich auf jeden halbwegs trockenen Flecken in Wassernähe, und hier führte auch die Straße entlang. Holzstege auf Pfählen und kleine Brücken spannten sich über die Wasseradern, in denen Flussmenschen ihre schmalen Boote zwischen den Abfällen hindurchmanövrierten.
Anilas‘ Weg führte ihn in unzähligen Windungen über und unter Brücken hinweg. Unterwegs sah er immer wieder die Aushänge, die er vor zwei Monaten angebracht hatte, obwohl viele fehlten. Diejenigen, die noch da waren, riss er ab, bis er schließlich an die ‚Hauptstraße‘ gelangte: den Fluss Sheebjana.
Das Wasser war kaum zu sehen. Man könnte trockenen Fußes über die vielen Kähne und Boote bis zum anderen Ufer des breiten Stroms gelangen, sofern man das Risiko eingehen mochte, von zornigen Händlern mit Paddeln beworfen zu werden. Ihre wütenden Stimmen reichten bereits, dass Anilas diesen Weg nicht in Betracht zog. Wie immer, wenn er hier war, herrschte Stau auf dem Fluss, doch der Weg am Ufer war relativ frei. Er wich Frauen mit Körben oder Wasserkrügen auf dem Kopf aus, spielenden Kindern und halbwilden Pfauen, und Händlern oder Gehilfen, die Stoffe, Gewürze und kupfernen Tand transportieren. Einmal musste er ins knöcheltiefe Wasser des Flusses treten, um einen Maultiertreiber mit zwei schwerbeladenen Tieren passieren zu lassen.
Der Fluss wurde noch breiter und mündete schließlich in die Bjunkik-Bucht, wo das bunte Treiben unerträgliche Ausmaße annahm. In der Bucht und auf dem Ozean davor schaukelten mehrere Schiffe auf den Wellen. Das reichte von großen, buntbemalten Galeeren aus Kivehara oder schnittigen, vinpallischen Drachenschiffen zu wajbaqischen Kanus oder castrischen ‚Nussschalen‘. Auf dem Marktplatz, der sich halbmondförmig zu beiden Seiten der Flussmündung auffächerte, erklangen die verschiedensten Sprachen der Eisenwelt, und immer wieder gebrochenes Kham. Zwischen Moos- und Waldelfen, Flussmenschen, Waldmenschen und einigen einheimischen Tiermenschen drängten sich Zwerge, Menschen und Elfen aus den verschiedensten Ländern. Die Düfte der Stände versprachen warme Ziegenmilch, frisches, süßes Obst oder gebratene Fleischspieße, und die reißerischen Stimmen der Händler priesen die schönten Kleider, den besten Schmuck und die seltensten magischen Amulette an. Schwerter und Lanzen, Panzer und Degen wurden dicht neben Ferngläsern, Analysesets und Schreibwaren angepriesen. In Käfigen auf der Ostseite hockten Vögel, Affen oder Schlangen und warteten auf einen neuen Besitzer. Näher zur Bucht hin schleppten Träger Fässer und Kisten zu den Beibooten oder über einen der wenigen Stege, der ihnen die Arbeit erleichterte und damit dem höchstbietenden Kapitänen vorbehalten waren.
Anilas versuchte, das Chaos zu auszublenden, und wühlte sich durch die Menge zu einer Treppe, die auf eine erhöhte Plattform aus Bambusholz führte. Hier fand er endlich die Gelegenheit, aus dem Gedränge zu treten, indem er sich nah ans Geländer stelle. Er wischte sich Schweiß von der Stirn und zog einen Handspiegel aus der Tasche, um sein Aussehen zu kontrollieren. Sein grünes Haar klebte platt an seinem Kopf und die Hitze setzte ihm sichtlich zu. Er war die Kühle unter den Bäumen oder in den Hallen der Akademie gewohnt. Mit dem fadenscheinigen Taschentuch, dem man sein Alter ansah, wischte er den Schweiß ab.
Er musste mehrmals durchatmen, um das nervöse Kribbeln nach all der Hektik abzuschütteln. Wahrscheinlich sah man ihm die unterschwellige Panik an, die ihn in solchem Gedränge überkam. Auch der Saum seines Gewandes war schon wieder staubig, seine Sandalen matschig von dem langen Weg durch die Stadt, doch das war egal. Er trat ja nicht vor einen Flusskönig der Manobahe, er musste nur einen halbwegs repräsentablen Eindruck machen.
Er wusste nicht einmal, ob er überhaupt vor jemanden treten würde. Nachdenklich rückte er die Umhängetasche zurecht, in der er die zusammengerollten Aushänge platziert hatte. Die auf grobes, ledernes Papier geschriebenen Botschaften riefen zu einer Expedition nach Norden auf, in die gefürchtete Akademie Tipanyaaris. Während er sie eingesammelt hatte, hatten einige Passanten ihm anerkennend zugenickt, offenbar in der Annahme, dass er die Aufrufe entsorgen wollte.
Aber das wollte er nicht. Er war der Leiter der Expedition, und hätten die Leute das erraten, wären ihm ganz andere Blicke zugeworfen worden.
Nun atmete Anilas tief durch und straffte sich, dann mischte er sich wieder ins Gedränge. Die Menge spülte ihn über die Bambusplattform und eine weitere Treppe hinauf, die ihn in die höheren Stadtgebiete führte. Die Wege hier waren breiter und bestanden oft aus uralten Bambusrohren, denn die Hügelkuppen waren mit vorspringenden Plattformen erweitert worden. Anilas suchte sich seinen Weg in eine schmalere Gasse und brach endlich aus dem Treiben aus, als er den Hinterhof einer Wäscherei überquerte, wo unzählige bunte Stoffe an Leinen hingen.
Hier, fast am Ende des Hügels, über der Stadt thronend, aber wenig besucht, erhob sich ein buntes Zelt. Durch Öffnungen im Dach drang etwas Rauch heraus, doch das Teehaus konnte nicht mit den dichten, oft bunt eingefärbten Fahnen seiner größeren Cousins entlang der frequentierten Wege mithalten.
Ein junger Waldmensch stand neben dem Eingang. Anilas drückte ihm ein Zwei-Ubun-Stück in die Hände und schlug den Vorhang beiseite.
Die Luft im Raum dahinter war erstaunlich frisch für ein Teehaus. Das Aroma verschiedener Heißgetränke, Räucherstäbchen und Shishas waberte durch den Raum und leichter Nebel hatte sich unter der Decke gesammelt. Es war kein Vergleich mit dem undurchdringlichen Dunst teurerer Etablissements, doch Anilas hörte trotzdem ein Husten.
Offenbar war wohl doch jemand gekommen.
Er wandte sich dem Tisch zu, den er reserviert hatte, und staunte nicht schlecht, als er acht Personen daran sitzen sah. Der Auffälligste war der hustende Zwerg, dem ein recht blasser, vermutlich lirhajnischer Mensch auf den Rücken klopfte. Er sah eine Menschenfrau mit ovalen Augen, einen Menschen mit heller Haut und blondem Haar, zwei Mooselfen und einen Waldmenschen. Die drei Einheimischen hatten bereits bestellt. Vor dem Waldmenschen stand das Räuchergefäß, das den Hustenanfall des Zwergs verursacht hatte, und der Mooself hatte einen Tee bestellt – das schalenförmige Glas und die bräunliche Farbe sprachen für beruhigenden Kräutertee. Die Mooselfe hatte ein gelbes Aithara-Gedeck vor sich und schien mit geschlossenen Augen zu beten.
Der letzte in der Runde war Jaswath, ein braunhaariger Waldelf, der gerade begeistert von den Heilbrunnen in Tipanyaaris sprach: „Die Kraft in ihnen kommt aus der weißen Jade, die überall im Gebiet der Akademie vorherrscht. Ihre Kräfte sind einzigartig und womöglich unser bester Ansatz für die Suche.“ Er stockte, als er sah, dass die Blicke seiner Zuhörer sich auf etwas hinter ihm richteten. Dann drehte auch Jas sich um und lächelte breit. „Da bist du ja!“
Die sieben Fremden musterten ihn, als Anilas sich zu ihnen setzte. „Ihr wollt also teilnehmen.“
Außer den sieben waren keine Gäste im Teezelt, und die Besitzerin war nicht besonders neugierig, sodass er keine Angst hatte, offen zu sprechen. Es überraschte ihn etwas, wie viele Wagehalsige sich zusammengefunden hatten.
„Steckt Ihr hinter dem Aufruf?“, fragte die Frau mit den schmalen Augen. Ihre Haut war etwas heller als die der Waldmenschen von Dhubayaana, doch ihr Gesicht war zu rundlich, um eine Einheimische zu sein. Vermutlich stammte sie aus Yurvatis oder Euwren.
Anilas nickte. „Mein Name ist Anilas-Ashkeyrios Bhagatoglou. Ich bin im Auftrag der Burkhadooi unterwegs. Davon habt ihr ja sicher schon gehört.“ Das letzte richtete sich vor allem an die Fremden, doch Anilas wurde überrascht.
„Ich war ein paar Wochen dort, um mich auszutauschen“, erklärte die vermutliche Yurvatin, während der Mooself unbestimmt murmelte: „Hab mal davon gehört.“
Die anderen Fremden schüttelten zögerlich die Köpfe.
„Das ist auch eine Akademie, oder?“, fragte der Zwerg, dessen Stimme ihn als Frau auswies.
Anilas zog die Landkarte [https://ibb.co/kgJckkV] aus seiner Tasche. „Genau. Es gibt drei Akademien in Dhubayaana. Miinayama im Süden, Burkhadooi im Westen und schließlich Tipanyaaris im Norden, unser Ziel.“ Er tippte jedes Mal auf die eingezeichneten Türme für die Position der Magieschulen. „Wie ihr hoffentlich wisst …“ Aber sicher konnte man sich da nie sein! „… wurde Tipanyaaris vor etwa zehn Jahren fluchtartig verlassen. Die meisten Dhubyani halten die Geschichten über Monster für übertrieben, doch irgendwas muss diese Elfen von dort vertrieben haben. Sämtliche Bücher und Schriftrollen wurden in der Bibliothek gelassen, die Dörfer von Generationen aufgegeben.“ Er fand, er könne stolz auf sich sein. Seine Stimme zitterte nicht und niemand seiner sieben Rekruten schien etwas zu bemerken. Dennoch atmete er tief durch, um so sachlich wie möglich fortzufahren: „Mein Auftrag lautet, herauszufinden, was genau dort vorgefallen ist. Und, wenn möglich, die Akademie und das Dorf zurückzuerobern.“
„Mit neun Leuten?“, fragte die Zwergin ungläubig.
„Also, ich werde nicht kämpfen!“, stellte der blonde Mann sofort fest. „Ich bin Koch, kein Krieger.“
„Einen Koch brauchen wir auch dringend“, sagte Anilas schnell, weil der andere Menschenmann zu einer entgeisterten Antwort ansetzen wollte. Er wollte jedoch nicht zulassen, dass sich die Teilnehmer zerstritten und absprangen. „Darf ich fragen, warum Ihr teilnehmen wollt, Herr Koch?“
„Mein Name ist Giorgio“, stellte der Koch verschnupft fest.
Anilas musterte ihn etwas genauer. Giorgio war untersetzt, gar nicht so viel größer als ein Zwerg, und ausgesprochen dick. Er trug einen weißen Kittel und eine merkwürdige, weiße Mütze, die den großen Teil seines kurzen, blonden Haars verdeckte. Der Hut wackelte, während er redete und dabei wild gestikulierte: „Ich habe genug von den immer gleichen Herren mit ihren immer gleichen Rezepten! Ich will selbst entscheiden, was ich koche. Dann werde ich es ihnen allen zeigen. Aber vorher brauche ich Erfahrung. Ich will Neues entdecken. Aber diese Herren sagen immer ‚Lass die Experimente, Giorgio‘ und …“
Offenbar war Giorgio auf seine Weise auch ein Abenteurer. Er sprach mit einem deutlichen Akzent, den Anilas von einigen Forschungsreisenden an der Akademie kannte. Celyvar! Das Land des guten Essens – das war zwar ein Klischee, aber es gab ihm große Hoffnungen für seinen Koch.
„Ist sonst noch jemand Koch?“, fragte er und unterbrach damit Giorgios Schimpfen.
Die anderen fünf schüttelten die Köpfe. Damit war Giorgios Position sicher, also wandte sich Anilas an den Mann, der neben dem Koch saß. Dieser trug einen breitkrempigen Hut und staubige, praktische Reitkleidung, womit er im Dschungel auffiel wie ein schwarzer Pfau. Er saß dicht neben der Zwergin. Vermutlich kannten sich die beiden.
„Wie ist Euer Name und warum habt Ihr Euch angeschlossen?“
„Dhunya und ich sind Abenteurer.“ Der Mann deutete erst auf die Zwergin, dann hob er grüßend den Hut. „Ich bin Rikhon. Wir waren lange auf dem neuen Kontinent unterwegs, Wajbaqwinat, aber jetzt war uns nach etwas Neuem.“
Dabei ergriff der Mann die Hand der Zwergin. Anilas konnte ein Stöhnen gerade noch unterdrücken. Zuerst ein Koch, der nicht aufhörte, zu reden, und nun ein Liebespaar? „Die Expedition wird aber kein gemütlicher Ausflug. Es könnte gefährlich werden und wir brauchen fähige Mitglieder.“ Er war zwar nicht in der Position, jemanden abzulehnen, der mitkommen wollte, doch er hatte auch eine gewisse Ahnung davon, welche Schrecken ihnen auflauern würden.
„Oh, wir können beide kämpfen“, versicherte ihm die Zwergin. „Rikhon ist ein ausgezeichneter Wabawi und ich habe eine tragbare Schleuder, die gewisse Überraschungen bereithält. Außerdem kann ich Tränke brauen.“ Ihr Blick verriet, dass sie es ernst meinte, und ihr Freund ebenso. Beide schienen aus Lirhajn zu stammen, obwohl ihre Haut, vermutlich als Folge ihrer Abenteuer, deutlich gebräunt war. Sie hatten beide braunes Haar und braune Augen und ihre Kleidung wirkte zusammengewürfelt und staubig wie nach einer langen Reise. Vermutlich waren sie wirklich erfahrene Abenteurer.
Das klang schon besser und Anilas stieß besänftigt die Luft aus, ehe er in die Runde sah. „Ich möchte nur, dass ihr alle wisst, worauf ihr euch einlasst.“
„Ich weiß es“, wandte die Mooselfe mit sanfter, fast verträumter Stimme ein. „Ich habe es in einer Vision gesehen.“
Alle Blicke wandten sich dem Mädchen zu, das hinter dem gelben Räuchergesteck saß. Sie machte einen zarten, zerbrechlichen Eindruck, aber sie war auch wunderschön. Hellgrüne Haut, dunkelgrünes, kurzes Haar und große, neugierige Augen.
„Seid Ihr eine Priesterin der Aithara?“, fragte Anilas mit Blick zum Gedeck.
Die Elfe nickte. „Ich bin Viya.“
„Warum habt Ihr den Tempel verlassen?“
„In einer Vision sah ich diese Expedition. Meine Göttin sagte mir, ich müsse den Schrecken von Tipanyaaris aufhalten, und ihr herrliches Licht in jene Finsternis bringen.“
Anilas registierte, dass Dhunya und die vermutlich yurvatische Menschenfrau mit den Augen rollten. Offenbar Wissenschaftler, die wenig von Religion hielten. Er musste zugeben, dass es ihm auch nicht behagte, diese junge Elfe mitzunehmen. Sie sah nicht aus, als hätte sie bisher auch nur eine Nacht in der Wildnis verbracht.
„Was sind Eure Fähigkeiten?“, fragte er.
„Ich bin Seherin“, erklärte Viya etwas verwundert. „Ich sah die Kreaturen in einer Vision.“
Eine Seherin wäre ihnen nützlich. Anilas hätte am liebsten geflucht. Er durfte die Priesterin nicht abweisen.
„Ich dachte, es sind nur Gerüchte“, warf der Mooself ein, also wandte Anilas ihm seine Aufmerksamkeit zu.
„Alle Legenden haben einen wahren Kern. Bei Gerüchten ist es sogar noch wahrscheinlicher.“
„Ja, aber … unsterbliche Bestien? Die sich selbst dann wiederbeleben, wenn sie zerstückelt wurden?“
„Wie ist Euer Name, guter Mann?“
„Akshiake Anushoos Parekheas.“
„Und Ihr seid auch ein Magier?“
„Wie kommt Ihr denn darauf?“, erwiderte der Elf giftig. „Nein, ich bin Abenteurer, wie diese beiden.“
Anilas zuckte zusammen. Er war fest davon ausgegangen, einen weiteren Zauberer in der Gruppe zu haben. Da Akshiake ein Mooself war und der Tee, den er trank, bevorzugt von Magiern konsumiert wurde, war er sich sicher gewesen. Damit hatte er offenbar einen wunden Punkt getroffen. Nur wenige Elfen wurden ohne das Talent der Magie geboren, und das musste dieser junge Bursche sein Leben lang deutlich zu spüren bekommen haben. Er wirkte jünger als Anilas, war schlank und nicht extrem großgewachsen, und hatte einige Strähnen seines grünen Haars lila eingefärbt. Akshiake hatte außerdem ein Katana an der Seite. Anilas konnte nur hoffen, dass der Junge wusste, wie man es einsetzte.
„Dann gilt für Euch dasselbe wir für die anderen Abenteuer: Ich hoffe, Ihr wisst, worauf Ihr Euch einlasst.“
Fast schon etwas genervt nickte Akshiake. „Ich habe eine gute Vorstellung davon.“
Anilas zögerte. Der Elf klang fast schon etwas zu spöttisch. Doch er würde es nicht auf einen Konflikt ankommen lassen, also wandte er sich dem Waldmenschen zu. Der Mensch schien zu erraten, dass er nun an der Reihe war.
„Zynon“, stellte er sich vor und lächelte. „Ich bin Jäger. Ich kenne die Dschungel gut.“ Er war wohl kein Mann großer Worte.
„Ausgezeichnet. Und warum wollt Ihr ausgerechnet unsterbliche Schrecken jagen?“
Zynon zuckte mit den Schultern. „Damit wieder Frieden eingekehrt.“
Vermutlich war der Bhanyaa aus einem der Dörfer in der Nähe. Die Waldmenschen lebten oft im Umkreis der Akademien und versorgten diese mit Nahrung. Da das Dorf Tipan Dheeristos bei Tipanyaaris ebenfalls verlassen worden war, hatten die Flüchtlinge irgendwo unterkommen müssen. Vielleicht gehörte Zynon zu ihnen. Obwohl Anilas eher vermutete, dass der Junge nichts von den Schrecken wusste und nur über Bekannte davon erfahren hatte.
Damit blieb nur noch einer übrig, die menschliche Yurvatin.
„Mein Name ist Asherah“, stellte sie sich auf Anilas‘ Nicken hin vor. „Ich bin Forscherin. Mich reizt das Wissen, das in der Akademie verborgen ist. Es wäre schrecklich, würde dieses für immer verloren gehen.“
„Ah, eine Kollegin“, grüßte die Zwergin Dhunya grinsend.
„Eine Kollegin, die sich der Historik verschrieben hat und keinen albernen Abenteuern.“ Asherahs Stimme war scharf. „Ich habe an der Schule von Bashinyai gelernt und die beste Ausbildung genossen.“
Dhunyas Brauen wanderten ein Stück nach oben.
Ihr Freund war weniger zurückhaltend. Der Krieger sprang auf. „Willst du damit sagen, Dhunya hätte keine Ausbildung? Sie hat mehr drauf als du, du …“
„Bitte, nicht streiten“, warf Anilas ein. Der Wabawi setzte sich zwar wieder, aber er und die mandeläugige Forscherin tauschten giftige Blicke.
„Wir haben also einen Koch, zwei Wissenschaftler, eine Magierin und drei Krieger“, fasste Anilas zusammen.
„Ich kann auch kämpfen“, sagte Dhunya und Asherah zog den Griff ihres Säbels vor, der um ihre schlanken Hüften hing.
„Fünf Kampffähige“, verbesserte Anilas und atmete tief durch. Das waren nicht so viele, wie er sich erhofft hatte. Er sah Dhunya an. „Du sagst, du braust Tränke. Heiltränke?“
„Eher nicht. Ich beherrsche einen“, erklärte Dhunya.
„Damit ist Jaswath also unser einziger Heiler.“ Anilas klopfte dem Waldelfen auf den Rücken, der sich bisher zurückgehalten hatte. „Ihn kennt ihr ja schon. Jas ist ein guter Freund von mir, ebenfalls von der Burkhadooi, und begleitet mich auf dieser Expedition als mein Gehilfe. Er ist Erdmagier und Heiler.“
Jaswath lächelte in die Runde, doch keines von Anilas‘ Worten schien die sieben Teilnehmer zu überraschen. Sein Freund hatte sich also bereits vorgestellt.
Anilas ging seine gedankliche Liste durch. Der Jäger und die beiden Abenteurer würden ihnen sicherlich nützlich sein, nicht nur als Kämpfer, sondern auch durch ihre Erfahrung darin, essbares zu finden. Der Koch war natürlich eine ausgezeichnete Ergänzung, denn gutes Essen würde die Moral der Expeditionstruppe stärken. Die Seherin würde jedoch vermutlich den größten Nutzen bringen. Und die Forscher waren ebenfalls wertvoll. Aus Akshiake wurde er nicht so ganz schlau. War er der verwöhnte Sohn eines reichen Mooselfen, auf der Suche nach Ablenkung? Oder ein verzweifelter, magieloser Elf auf der Suche nach einer neuen Bestimmung? Anilas war sich sicher, dass es nicht schaden konnte, den Jungen trotzdem mitzunehmen.
Er atmete durch. „Also, ich freue mich, dass ihr gewillt seid, mich zu begleiten. Wir werden morgen früh aufbrechen. Wir treffen uns am Morgen hier, vielleicht sind bis dahin noch einige weitere Interessenten aufgetaucht.“ Er hatte die Besitzerin des Teehauses angewiesen, alle, die sich hier nach der Expedition erkundigten, auf die beiden Termine zu verweisen, zu denen er reserviert hatte. Der eine war heute gewesen, der zweite war morgen früh. „Wir werden zuerst auf dem Fluss reisen, bis wir die Salwälder um Tipanyaaris erreichen. Ich würde euch bitten, euch auszurüsten. Mein Forschungsgeld reicht nur für den Flößer, der uns nach Norden bringt. Wir werden jagen und fischen können, aber wenn ihr sonst etwas an Nahrung braucht, müsst ihr euch selbst darum kümmern. Denkt auch an Decken und was ihr so an Ausrüstung für eure Waffen oder Forschungen braucht. Heute ist Markttag, da solltet ihr fast alles bekommen können. Und ich kenne ein Hotel, wo ihr für einige Ubun unterkommen könnt, wenn ihr noch nichts habt.“
Die Teilnehmer gehorchten und gingen nach und nach, um alles zu kaufen. Rikhon erkundigte sich, welche dhubyanischen Gerichte man unbedingt probieren müsste, und Anilas empfahl ihm schulterzuckend eine Reisplatte. Jas bot an, die Teilnehmer zum Hotel zu führen, die noch keine andere Unterkunft hatten, da dort ebenfalls der Karren mit ihren eigenen Vorräten war.
Wenig später war Anilas schließlich alleine und ging zu Kritha, der Besitzerin.
„Na, wie ist es gelaufen?“
„Nun, ich habe noch niemanden rausgeworfen.“ Anilas lächelte schief.
Die kräftige Mooselfe, die das kleine Teezelt führte, musterte ihn scharf. Obwohl sie nur 50 Jahre älter war als er, spielte sie sich gerne wie seine Mutter auf. Allerdings bemutterte sie alles, was sich in das Teezelt wagte, sodass der kleine Laden trotz seiner abgeschiedenen Lage besonders abends gut besucht war. Es war eine Art Geheimtreff für alle, die dem wilden Trubel von Yamayini nichts abgewinnen konnten. „Vielleicht kommt ja noch jemand“, versuchte sie, ihn aufzumuntern.
„Ich kann eigentlich nicht klagen. Es sind einige Kämpfer darunter. Aber niemand von ihnen ist ein Genetiker. So kommen wir dem Ursprung der Kreaturen nicht auf die Schliche. Und manche von ihnen sind so jung! Ich … ich will einfach niemanden von ihnen verlieren.“
Kritha legte ihm die Hände auf die Schultern. „Es ist ja nicht gesagt, dass du jemanden verlierst. Vielleicht sind alles nur Legenden.“
Anilas schüttelte ernst den Kopf. „Sie sind real, Kritha.“
„Ich weiß, die Akademie sitzt dir im Nacken. Wenn du nichts findest, wird dir alles gestrichen. Aber das heißt noch nicht …“
„Es geht nicht um die Akademie“, unterbrach er sie. „Um ehrlich zu sein, bin ich gar kein Student.“
Kritha sah ihn mit großen Augen an. „Anilas …“
„Ich habe mich in Burkhadooi eingeschlichen und alles über Fauna und Genetik gelernt, was ich konnte“, gestand er. Am Vorabend seiner Abreise wollte er Kritha nicht mehr belügen, die ihm so sehr geholfen hatte. „Aber ich wurde erwischt. Mein Talent hat sie überzeugt, deshalb lebe ich noch, aber … wenn diese Expedition nichts wird, kann sich das rasch ändern.“
Kritha trat einen Schritt zurück und setzte sich schwerfällig auf eines der Sitzkissen. „Du bist eine Kellerratte?“
„Ein heimlicher Student, ja.“ Anilas seufzte. „Tut mir leid.“
„Nein, mir tut es leid. Ich wusste nicht, dass für dich so viel von dieser Expedition abhängt.“ Kritha sah auf. „Aber wieso Tipanyaaris? Wieso interessiert dich das so?“
Anilas lächelte bitter. „Ist das nicht offensichtlich? Ich habe in Tipan Dheeristos gelebt. Ich habe die Monster gesehen. Und ich will mein Zuhause zurück.“