Kapitel 13: Was uns in der Wildnis zusammenhält
Zynon seufzte, als er sich zu ihm setzte.
„Müde?“, fragte Jas.
„Geht so. Ich wollte eigentlich die letzte Wache. Das ist einfach mehr meine Zeit. Ich stehe meistens vor der Sonne auf. Abends ist mein Körper auf Schlaf eingestellt.“
„Verstehe. Vielleicht solltest du mit Dhunya und Rikhon sprechen. Als Gruppenleiter können sie dich zukünftig in die letzte Wache einteilen.“ Dieses Mal hatten sie beide die erste Wache erwischt.
„Hauptsache, es ist nicht die mittlere.“ Der Jäger lächelte tapfer. „Aber du weißt, dass du die Wahl gewonnen hättest. Du würdest einen viel besseren Job machen.“
Jas wich dem Blick des Jägers aus. Er hatte gerätselt, warum Zynon nicht wenigstens versucht hatte, die Wachschicht zu tauschen. Nun hatte er seine Antwort. Er atmete tief durch. „Zynon, die Entscheidung ist gefallen. Sie haben Dhunya und Rikhon gewählt. Ihr habt sie gewählt.“
„Ich nicht! Diese beiden … Abenteurer sind keine Anführer! Ich bin sicher, jeder würde dich unterstützen!“
„Irgendjemand hat auch für Dhunya und Rikhon abgestimmt“, hielt Jas dagegen. Er war diese Diskussion eigentlich so leid. Aber vielleicht war jetzt der Moment gekommen, um Zynon endlich umzustimmen.
„Sie haben für sich selbst abgestimmt.“
„Das mag sein, aber sie hatten trotzdem vier Stimmen.“
Zynon sprang auf. „Die haben sie vielleicht gestohlen! Wer weiß das schon? Die Kisten wurden ja nicht bewacht.“
Jas blieb sitzen. „Wir haben die Regeln vorher nicht abgesprochen, das stimmt. Auch das Zusammenlegen von Stimmen nicht. Aber wir alle haben zugestimmt, die Wahl unter diesen Bedingungen abzuhalten. Und nun müssen wir das Ergebnis akzeptieren.“ Streng sah er Zynon an. „Wir alle.“
„Aber …“
„Zynon, es geht nicht darum, wer der bessere Anführer ist. Sieh dich um!“ Jas wies auf den finsteren Dschungel. „Da draußen lauern Bestien, die auch du nicht kennst. Wir haben es mit einem Fluch zu tun, der ganze Landstriche entvölkert hat. Wir können es uns einfach nicht leisten, uns zu zerstreiten. Verstehst du? Vielleicht würden einige Teilnehmer eine Rebellion unterstützen. Andere wären vielleicht für einen ganz neuen Anführer, und wieder andere würden zu Dhunya und Rikhon halten. Das wäre unser Tod! Wir müssen jetzt eine Gemeinschaft sein, ansonsten überleben wir das hier nicht.“
Zynon schwieg. Jas rutschte auf dem Baumstamm zur Seite, der ihm als Sitz diente, und lud den Menschen mit einer Geste ein, wieder Platz zu nehmen. Zynon zögerte noch einen Moment, dann folgte er der Einladung.
„Gibt Dhunya und Rikhon eine Chance“, sagte Jas sanfter. „Wer weiß, vielleicht wärst du überrascht, wie viel besser sie dir dann gefallen!“
⁂
Am nächsten Morgen überraschten Rikhon und Dhunya sie.
„Wir werden heute nicht weiterreisen.“
Zynon war zwar ein Morgenmensch, doch in diesem Moment fragte er sich trotzdem, ob er noch träumte. Normalerweise schlug er die Augen auf und war hellwach, doch er wusste, dass es nicht allen so ging. Manche Leute träumten nur, dass sie aufstanden. Vielleicht war es jetzt an der Zeit, dass auch ihm so etwas passierte.
„Wie meint ihr das?“ Er räusperte sich, seine Stimme war noch kratzig.
„Wir haben beschlossen, diesen Tag anderweitig zu nutzen!“ Dhunya schlug unternehmungslustig in die Hände. „Wir sind seit Tagen nur gereist, ohne Erfolge. Stattdessen hatten wir sogar ein paar herbe Rückschläge. Das zehrt an der Moral.“
Zynon verzog das Gesicht. Anilas‘ Tod hätte er jetzt nicht unbedingt als ‚Rückschlag‘ bezeichnet. „Haben wir denn Zeit dafür?“, fragte er. „Was ist mit unseren Vorräten? Unser Essen wird nicht so lange …“
„Es sei denn“, unterbrach Rikhon ihn, „du nutzt diesen Tag zum Jagen. Und um uns anderen ein bisschen was über dein Handwerk beizubringen.“
Zynon stutzte. „Wie, jetzt?“
„Genau“, stimmte nun wieder Dhunya ein. „Heute wollen wir den ganzen Tag lang nur lernen. Außerdem haben wir uns einige Übungen ausgedacht, die unseren Zusammenhalt fördern. Somit werden wir ein noch besseres Team. Wir lernen voneinander, lernen miteinander. Damit wir zu Kampfesgefährten zusammenwachsen.“
„Außerdem“, fügte Rikhon hinzu, „haben wir immer noch nicht den kleinsten Hinweis, wie wir den Fluch bekämpfen sollen. Wir rennen eigentlich nur kopflos herum. Da kann man sicherlich auch mal einen Tag opfern und etwas Produktives tun!“
Zynon nickte langsam. Die beiden hatten natürlich recht. Sie verloren eigentlich keine Zeit, denn vielleicht liefen sie ja sowieso in die falsche Richtung. Sie würden womöglich längere Zeit im Dschungel sein. Und wenn er die anderen Teilnehmer dazu bringen konnte, Fallen aufzustellen oder bloß essbare Pflanzen zu sammeln, würde das ihre Vorratslage massiv verbessern. Früher oder später würden sie alle – Giorgio eingeschlossen – vom Wald leben müssen.
Statt nun also wie sonst ihre Taschen zu packen, kamen die Expeditionsteilnehmer zu einem gemütlichen Frühstück zusammen. Erneut hatte Giorgio den einfachen Brei gemacht. Zynon mochte diese einfachen, praktischen Mahlzeiten, womit er in der Gruppe ziemlich allein dastand. Doch wenn er auf Jagdreise war, lebte er meist wochenlang von Trockenfrüchten und Trockenfleisch. Das vielfältige Nahrungsangebot in den Städten machte die Leute weich. Zynon bevorzugte er, wenn er sich keinen großen Kopf um die nächste Mahlzeit machen musste, wenn es jeden Tag die gleiche Speise aus den gleichen Zutaten gab und sich das Kochen zu einer Routine entwickelte, die er im Schlaf ausführen konnte.
Nach dem Essen half er Giorgio beim Abwasch, als Dhunya zu ihnen kam.
„Wie ist es mit euch beiden? Giorgio, bringst du uns kochen bei? Und Zynon macht Jagd?“
Die Zwergin hatte schon mit den restlichen Teilnehmern gesprochen und stellte vermutlich einen Lehrplan zusammen. Nach allem, was Zynon über die Akademien wusste, bediente dort jeder Lehrer bloß ein Fach. Ein Spezialgebiet, jedoch ohne sich mit anderen Lehrern abzusprechen. Was das bringen sollte, wusste Zynon nicht. Das Leben bestand aus Zusammenhängen. Um junge Erdwesen darauf vorzubereiten, musste man ihnen auch alles zusammen zeigte. Es brachte nichts, einem Kind zu zeigen, wie man einen Pfeil abschoss. Sie mussten auch wissen, wie sie den Bogen herstellten und das erlegte Tier zubereiteten!
Aber was verstand ein einfacher Jäger schon von den Vorgängen in den Akademien?
„Kochen?“ Giorgio hatte Luft geholt und plusterte sich jetzt auf wie ein Paradiesvogel zur Balz. „Ich kann euch nicht einfach so kochen beibringen! Das ist ein Kunstwerk, was über Jahrzehnte perfektioniert werden will! So, wie einige von euch Karotten schneiden, sehe ich keine Chance, dass solche Barbaren …“
Dhunya unterbrach ihn verdutzt. „Es muss ja keine Sterneküche sein. Ein paar einfache Grundlagen würden reichen!“
„Einfache Grundlagen!“, äffte Giorgio sie nach. Er lachte gekünstelt. „Einfache Grundlagen!“
Mehr war aus dem Koch nicht herauszukriegen. Kopfschüttelnd wandte er sich dem Abwasch wieder zu.
„Na gut … Zynon?“
„Ich denke, für Jagdunterricht sind wir eine zu große Gruppe“, gestand er. „Wir würden zu viel Lärm machen und alle Beute vergraulen.“
„Oh.“ Dhunya senkte enttäuscht den Kopf.
„Aber wir können Fallen bauen, vielleicht die Umgebung nach Spuren absuchen oder ich erkläre etwas über essbare und giftige Pilze.“
Dhunyas Gesicht erhellte sich schlagartig. „Das klingt super!“
„Vielleicht auch einfach ein paar Sachen dazu, wie man sich im Wald richtig bewegt“, murmelte Zynon. Die Gruppe trampelte noch immer durch das Unterholz wie eine Rotte Wildschweine. Ihnen fehlte sowohl Geschick als auch die Wahrnehmung für ihre Umgebung. Wenn er eine Übung fand, um dort anzusetzen …
„Großartig! Habt ihr beide schon euren Partner?“
Zynon wurde aus seinen Gedanken gerissen. „Partner?“
„Ja, für … Oh, ich hatte euch das noch gar nicht erzählt. Wir machen heute einen Staffellauf. Ihr bildet Zweierteams und lauft verschiedene Stationen ab. Das Team, das sich am besten anstellt, kriegt einen Preis.“ Dhunya sah zwischen ihnen hin und her. „Sieht so aus, als wärt ihr ein Team!“
Zynon und Giorgio tauschten einen skeptischen Blick.
⁂
Der große Wolf starrte ihn noch immer unverwandt an. Thuli kletterte einige Äste weiter herauf.
Der merkwürdige Wolf sprang um den Baum herum, bellte und stellte sich wieder auf die Hinterbeine. Thuli zog die Rute ein und bleckte die Zähne. Er versuchte, den Wolf im Blick zu behalten. Doch durch dessen Gebell aufgeschreckt tauchten nun noch weitere Wölfe auf, alle goldblond mit Federn und Efeu im Fell.
Ein Rudel von sicherlich zehn Tieren versammelte sich um den Stamm. Einige hielten Abstand, vermutlich jene, die in der Rangfolge niedriger standen. Doch mindestens vier sprangen inzwischen um den Baum herum. Es war unmöglich, sie alle im Auge zu behalten. Thuli drehte sich auf den Zweigen, die unter seinen Pfoten knarzten und zitterten. Er versuchte, sich so klein wie möglich zu machen.
Immerhin zeigten die Wölfe keine Aggression. Im Gegenteil, sie wedelten mit den Schwänzen und japsten fröhlich. Schließlich tauchte ein offenbar älteres Tier auf – es war nicht größer als der Rest, aber der Efeu auf seinem Rücken wirkte welk und das Fell war stellenweise grau.
Mit einem brummelnden Laut rief der Wolf alle anderen zu sich. Das Rudel legte sich flach auf den Bauch. Nur einer sprang wild herum, jagte welpenartig nach seinem Schwanz. Ein scharfes Bellen, der Alpha schnappte nach ihm – und der vorlaute Wolf wich gehorsam zurück.
Thuli kauerte sich im Geäst zusammen. Doch der Alphawolf hatte ihn natürlich längst bemerkt. Das Tier trottete näher und hob witternd den Kopf. Seine goldenen Augen fanden Thuli in seinem Versteck.
Er bleckte die Zähne, dann leckte er sich die Lippen und wich dem Blick des Wolfs aus. Er wollte ihn nicht provozieren. Einen Kampf könnte er nicht gewinnen.
Der Alphawolf stieß ein gedämpftes Wuff aus und setzte sich. Thuli spitzte überrascht die Ohren. Das hatte richtig freundlich geklungen. War das wirklich der gleiche Wolf, der gerade das gesamte aufgeregte Rudel zur Ordnung gerufen hatte?
Langsam richtete sich der Wolf auf, setzte die großen Pranken an den Stamm und schnupperte. Er war vorsichtiger, streckte den Hals nicht so weit durch wie seine Rudelmitglieder und behielt Thuli wachsam im Blick, als wolle er ergründen, was der Fremde hier zu suchen hatte.
Dann ließ sich der Alphawolf zur Erde sinken und trottete zu seinem Rudel, wo er sich auf der Erde ausstreckte und den Kopf auf die Pfoten legte, um Thuli aus der Ferne zu beobachten.
Eine ganze Weile wartete der schwarze Wolf im Baum. Dann streckte er zögerlich eine Pfote weiter nach unten. Das Rudel war nicht aggressiv … vielleicht könnte er es wagen, nach unten zu gehen. Doch er würde sich damit definitiv Zeit lassen.
⁂
Der Staffellauf fand etwas zeitversetzt statt, da ein Teil von ihnen auch Unterricht gab. Wenn einer der Lehrer im Team war, erhielt dieses automatisch einen Punkt für diese Station. So musste Shiak nicht zum Religionsunterricht, welchen Viya gab. Seine zugeteilte Partnerin hatte durchgesetzt, dass sie den Reisenden von ihrer Göttin erzählen und ihnen die Riten Aitharas beibringen konnte. Somit hatten sie einen Punkt Vorteil.
Shiak selbst hatte jedoch nichts gefunden, was er seinen Gefährten beibringen könnte. Er war recht gut im Umgang mit dem Katana und wusste sicherlich auch das eine oder andere, aber nirgendwo war er gut genug, um sich als Lehrmeister hervorzutun.
Nun, am Vormittag, fand die erste ‚Station‘ statt. Zynon erklärte ihnen etwas über die Pflanzen des Dschungels. Um die Idee des Staffellaufs umzusetzen, mussten sie dabei eine kleine Aufgabe erfüllen. Getrennt hörten sie sich die Ausführungen des Jägers an. Was Shiak über Poplyk* lernte, einen Dickblattstrauch mit roten Früchten, musste er Viya erklären, damit diese die Pflanze in der Umgebung suchen.
„Also, du suchst große, rote Früchte. Ein oder zwei davon kann man gefahrlos essen, wenn man die Kerne ausspuckt. Die enthalten aber ein Toxin, das Übelkeit und Durchfall auslöst. Wenn man die Beeren kocht, kann man das darin verbliebene Gift neutralisieren.“
Viya nickte eifrig und erwiderte: „Und du musst Equin genea* finden. Das ist ein Strauch mit gefiederten Blättern und weißen Blüten. Die Früchte sind klein, schwarz und ungenießbar. Zynon sagte, sie schmecken bitter und pelzig.“
„Das muss ich ja nicht probieren“, sagte er hastig.
„In geringen Mengen kann er Fieber und Schmerzen lindern, insbesondere die Blüten sind da wirksam, aber in höherer Konzentration ist das Gift tödlich.“ Sie lächelte. „Wie so oft macht es die Menge. Außerdem gibt es einen ähnlichen Strauch, Equin liveus*, dessen Blätter rötlich gemasert sind, die Blüten rot geadert. Der wirkt narkotisierend und löst Visionen aus, wir benutzen ihn auch im Tempel!“
„Haben die auch normale Namen?“
„Zynon sagte … Federpanter und Herzblüte.“
„Herzblüte! Natürlich, davon habe ich schon gehört.“
Sie brachten die Pflanzen zu Zynon und erhielten ihre nächste Aufgabe. Shiak musste vorsichtig Feuerwürger* einsammeln. Diese Pflanze, auch Erlgis* genannt, konnte einen fiesen, gräulichen Ausschlag auslösen. Die Früchte sollten aber essbar sein. „Wenn ihr den scharfen Geschmack der Kerne im Fruchtfleisch bemerkt, spuckt sie sofort aus und spült euch den Mund aus!“ Shiak konnte sich nicht vorstellen, dass er irgendetwas essen würde, was von dieser Pflanze kam.
Viya suchte so lange nach Aminja*, auch Zitronenpilz* genannt. Dieser gräuliche Pilz sah einem verbreiteten Speisepilz zum Verwechseln ähnlich, konnte jedoch Krämpfe der Atem- und Herzmuskulatur bewirken. Einzig ein leichter Zitrusduft und eine gelbliche Färbung an der Schnittstelle warnten vor dem unangenehmen Tod.
Zuletzt zeigte Zynon ihnen noch einen violett blühenden Busch, als letzte Prüfung sollten sie entscheiden, was sie damit anstellen sollten. Während Dhunya für Niederbrennen stimmte – etwas, das Shiak nach dem Unterricht gut nachvollziehen konnte – und die anderen Teams schlicht Abstand hielten, überraschte Viya sie, indem sie erklärte, dass man die Blüten des Schattenflieders, auch als Pha oder Byndorii bekannt, trocknen und für Räucherwerk verwenden könnte. Man sollte die Blumen nur nicht mit bloßer Haut berühren, denn ihr lähmendes Gift sei zwar schwach, würde aber extrem lange anhalten. Asherah schrieb hastig mit, der Rest starrte Viya ungläubig an.
Dadurch gewann Shiak unverhofft die erste Aufgabe ihres Staffellaufs, ihr Zweierteam erhielt damit zwei Punkte für die Station und sie gingen in eine frühe Führung. Doch niemand hatte sich so schlecht angestellt, dass Zynon keine Punkte verteilt hätte, damit war ihr Vorsprung nur klein. Doch immerhin, es war ein Vorsprung!
Grinsend drehte sich Viya zu ihm um und Shiak erwiderte das Lächeln aus tiefstem Herzen. Der Dschungel bewies ihm einmal mehr, dass nicht alles so wahr, wie es auf den ersten Blick schien. Hübsche Blüten mochten ein tödliches Gift wirken, doch einige unscheinbare Gewächse bewiesen erstaunliche Fähigkeiten.
⁂
„Generell ist es wichtig, dass wir voneinander lernen und unsere Fähigkeiten miteinander teilen.“
Dhunya nickte ernst. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass das hier eine gute Idee gewesen war. Trotzdem war es natürlich schön, auch ein wenig Lohn zu erhalten. Wer hätte gedacht, dass sie mal mit der Langweilerin Asherah einer Meinung sein würde?
„Wir sind ein Team, und wir wollen ja alle überleben. Da ist es eigentlich längst überfällig, dass man etwas geschieht!“
Dhunya stieß Rikhon an, der neben ihr saß. „War wohl einfach mal Zeit für einen Leitungswechsel, nicht wahr?“
„Aber dazu brauchen wir keinen Gruppennamen und kein Geflausche“, fuhr Asherah in ihrem Vortrag fort.
Dhunya und Rikhon klappten die Münder auf.
„Ganz im Gegenteil!“, rief ihr geliebter Wabawi sofort. „Gemeinsames Flauschen stärkt den Zusammenhalt und hebt die Moral.“
„Und verbreitet Krankheiten, was unsere Gruppe weiter schwächen würde!“ Asherah schüttelte den Kopf. „Deswegen bringe ich euch jetzt bei, wie ihr Spuren von anderen Zivilisationen erkennt. Wir müssen alles Leben, ob freundlich oder feindlich, entdecken können, bevor es uns entdeckt. Vielleicht treffen wir ja auf Überlebende! Spätestens in den Ruinen der Akademie werden wir aber auch nach Spuren für den Ursprung des Fluchs suchen müssen, um herauszufinden, was wir unternehmen können.“
Dhunya blendete den Vortrag wieder aus. So erpicht war sie auf den Punkt in dieser Disziplin dann doch nicht! Asherah hatte eindeutig keine Ahnung. In der Wüste hatten sie damals auch nicht mit kalter Logik überlebt, sondern mit Mut, Herz und Verstand!
„Rikhon!“, flüsterte sie. „Hey, Rikh!“
„Ja, Giftzwerg?“ Er grinste sie an.
„Haben wir überhaupt noch genug Malz?“, fragte sie, was das Grinsen des Wabawis verblassen ließ.
„Ich habe noch nicht nachgeguckt!“
„Das sollten wir vielleicht machen – und zwar, bevor unser Unterricht an der Reihe ist!“
⁂
Dhunya und Rikhon waren als drittes an der Reihe. Jas schwirrte noch immer der Kopf von allem, was Zynon und Asherah ihnen über verschiedene Aspekte des Lebens beigebracht hatten. Die Gelehrte, die auch seine Gruppenpartnerin war, mochte ein wenig steif sein, aber ihre Kenntnisse waren sehr wertvoll.
Jedoch war ihr Unterricht auch sehr theoretisch geblieben, ganz anders als bei Zynon, der dafür gesorgt hatte, dass sie die von ihm behandelten Pflanzen auch suchten und fanden. Asherah hatte ihnen dagegen beschrieben, wie sich das Gebüsch veränderte, wenn es über ein zerfallenes Fundament wuchs. Irgendwie sei es dann einseitiger, weil nur bestimmte Pflanzen dort Wurzel fassen konnten, diese wuchsen dafür meist dichter und grüner. Zynon hatte dazu wissend genickt, der Rest hatte eher ausdruckslos geguckt. Der Test am Ende war hart gewesen, denn er prüfte nicht nur ihr Gedächtnis, sondern auch das Verständnis der Teilnehmer. Genau wie an einer Uni! Und ähnlich streng bewertete Asherah die Antworten auch. Jas war sehr dankbar, dass er in ihrem Team war und darum nicht antworten musste.
Nun winkte jedoch etwas Abwechslung. Rikhon und Dhunya hatten vier Sets aus Töpfen, Kochfeuern und einigen Schläuchen und Gefäßen aufgestellt. Die Materialien waren behelfsmäßig, teilweise nicht mehr als ihre Wasserschläuche. In vier großen Fässern sollten sie jetzt das wajbaqische Milchbier Qbak brauen.
Im Kreis auf der kleinen Lichtung ihres Lagers aufgestellt boten die behelfsmäßigen Destillen einen absurden Anblick. Man könnte sich in einem Ramschladen wähnen, oder in einem der billigen Rauchzelte, wo die Kräuter mit illegalen Substanzen gepanscht wurden. Jas hatte sich von solchen Orten meist ferngehalten, aber während seiner Zeit an der Uni war er einmal von einer Gruppe Bekannter in eine solche Spelunke geschleift worden. Der beißende Gestank und der Anblick halbnackter, in Krämpfen zitternder Elfen mit Schaum auf den Lippen hatte sich ihm tief ins Gedächtnis gegraben.
Hier hatten sie immerhin frische Luft! Dhunya schärfte ihnen die korrekte Reihenfolge der Zutaten ein, während Rikhon die Destille befüllte.
„Zuerst stellen wir Sirup her, aus Zucker und Wasser im Verhältnis eins zu eins. Dabei ständig rühren, damit der Zucker nicht anbrennt …“
Die Teilnehmer nahmen nun jeder einen Wasserschlauch und ein Säckchen mit den süßen Körnern. Ein Großteil ihrer Vorräte ging hier gerade für dieses Vergnügen drauf. Giorgio hatte ihnen den Zucker mit dem spöttischen Hinweis überlassen, dass er den Brei sowieso nicht süßen würde.
Jas rührte mit einem langen Holzstiel, während Asherah sich neben das Feuer kniete und geschickt die richtige Temperatur hielt, indem sie rechtzeitig kleine Ästchen nachschob.
Rikhon drehte, die Hände hinter dem Rücken, eine Runde und warf prüfende Blicke in jeden Kessel. Die anderen Teams schlugen sich auch nicht schlecht. Giorgio schimpfte zwar über jeden Handgriff, den der bedauernswerte Zynon tat – um dann am Ende einfach alles selbst zu machen – doch auch dort nickte Rikhon anerkennend über das Ergebnis.
„Als nächstes kommen die Zutaten!“, verkündete Dhunya. „Für Qbak nehmen wir Malz, aber hier kann man, rein theoretisch, alles einfüllen. Experimentiert ruhig mit einigen Gewürzen!“
Jas hielt sich lieber an das Rezept, doch Giorgio sandte Zynon aus, um verschiedene Kräuter und einige Äpfel zu holen.
„Gut, und als letztes kommt Hefe hinein.“
„Was?“ rief Asherah erschrocken aus. „Das … das ist ein Triebmittel, dann explodiert uns doch alles!“
Dhunya winkte ab. „Nicht, wenn man es richtig macht.“
„Und wenn wir es nicht richtig machen?“ Asherah hatte sich auf die Knie aufgerichtet und sah Jas mit fassungslos geöffnetem Mund auf. „Sag doch auch was! Die bringen uns alle um!“
„Ich …“ Jas sah in den Kessel, wo die schwarzen Malzblöcke langsam zu braunem Sirup zerkochten und dabei Flocken und weiß-beigen Schaum bildeten. „Keine Ahnung.“
„Sie hat schon recht“, ließ sich Giorgio vernehmen. „Alkohol zu brauen ist zwar eine Kunst, aber wenn man sie beherrscht, dann gärt alles, ohne zu explodieren!“ Überheblich grinste er sie an. „Ihr könnt genauso gut jetzt aufgeben, der Punkt gehört mir … ähh, uns.“ Er schient Zynon fast vergessen zu haben.
„Probiert es einfach.“ Rikhon klaute einige Blätter Salbei aus dem Vorrat, den Zynon angeschleppt hatte, und warf diese in den Kessel, vor dem Dhunya stand. „Die Temperatur sollte nicht zu heiß werden. Verschließt den Hauptkessel gut und dann … warten wir!“
Kopfschüttelnd strich Asherah sich das Haar aus der Stirn, kniete sich wieder auf die Erde und schob die Glut unter dem Topf auseinander.
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„Die Dunkelheit der Welt zerrt uns alle auseinander“, trug Viya mit verträumter Stimme vor. „Aitharas Licht ist ein Leitstern in unserem Leben, ein Lagerfeuer in der Wildnis, an dessen Schein wir uns immer wieder versammeln können. Der Zusammenhalt ist unsere größte Kraft!“
Die etwas zu dünne Stimme der Priesterin erlaubte es Zynons Gedanken, auf ihre eigene Reise zu gehen, fort vom Lagerfeuer der Göttin. Eigentlich sollte Giorgio neben ihm sitzen, doch der Koch war schon wieder bei den Destillen, wo der Qbak bis zum Abend verarbeitet wurde. Ständig kontrollierte der Celyvari, dass auch alles funktionierte. Dabei waren die Punkte für jene Runde bereits festgeschrieben!
Der Jäger unterdrückte ein Seufzen. Viya erklärte ihnen, dass sie nun einige Teamübungen zum Zusammenhalt machen würden. Rikhon brüllte bereits was von Flauschen, doch Viya schien eher auf das Vortragen von Versen der heiligen Schriften abzuzielen.
„Möge deine gütige Flamme uns weisen, Aithara, möge sie uns ein Licht sein in der Nacht. Möge ihr Schein alle Feinde verbrennen, Aithara, die du über uns wachst.“ Das Gebet war einsam ohne einen Teampartner. Unglücklich sah Zynon zu Viya.
Sie machte die rituellen Gesten mit Shiak vor. „Die nächste Geste bedeutet, die Flamme im Herzen zu tragen. Es soll Hoffnung und Vertrauen geben. Bei einem Mann berührt ihr die Brust, direkt beim Herzen.“ Shiak zuckte unwillkürlich zusammen. Mit den religiösen Riten schien er sich höchst unwohl zu fühlen. „Und bei einer Frau berührt man das Brustbein etwas höher. Mit dieser Geste tragt ihr Licht in das Herz eures Gegenübers. Seht!“ Viya streckte die Handfläche aus. „Ihr könnt die Wärme der Liebe fühlen, wie eine Kugel aus Licht. Drückt sie einfach sanft durch die Haut. Genauso könnt ihr ein strahlendes Licht an eurem Zeigefinger schaffen – ihr müsst es spüren, sehen kann man es nicht – und die Stirn eines anderen berühren. Das erfüllt ihre Gedanken mit Licht, sodass sie sich auf das Gute konzentrieren und optimistischer sind!“
Zynon segnete die Luft ihm gegenüber mit Wärme und Licht. Ob sie sich nun wirklich besser fühlte? Er konnte tatsächlich eine Art Wärme über der Hand wahrnehmen, wenn er sich darauf konzentrierte. Laut Viya spürte man darin die Präsenz der Göttin, welche einem Erdwesen diese übernatürliche Macht erst verlieh. Man borgte von der großen Liebe Aitharas und vermochte mit ihrem Geschenk zu tun, was man beliebte. Einem anderen, einem Zweifler etwas schenken, wie es in den Segnungsgesten geschah, war erst der Anfang. Erfahrene Priester könnten Dämonen austreiben und Wunden heilen! Außerdem konnte man die Segnung auch sich selbst geben – das war dann ein Gebet, in dem man Aithara um die Erfüllung eines Wunsches bat. Immer jedoch musste man ihr Licht preisen und ihr danken, ob sie den Wunsch nun erfüllte oder nicht. Niemals sollte man vergessen, dass man ein bloßer Sterblicher war.
Zynon hatte damit kein Problem. Er wusste, dass er ein Mensch war. Er war es zufrieden, ein bescheidener Jäger im Wald zu sein. Worum er die Göttin bitten sollte, wusste er trotzdem: Aithara sollte den Wald befreien, den Fluch von Tipanyaaris beenden. Damit Zynon hier wieder jagen konnte, in seinem alten Revier. In seiner Heimat!
⁂
Zunächst war er doch auf dem Baum geblieben. Die großen, goldenen Wölfe wären sicherlich schneller, so hatte Thuli beschlossen, in dem fremden Revier lieber auf Nummer sicher zu gehen. Die merkwürdigen Wölfe hatten eine Weile um den Baum herumgetollt oder ihn beobachtet, aber schließlich hatten sie das Interesse verloren.
Nun war schon länger kein Wolf zu sehen gewesen. Thuli fasste gerade Mut, um langsam nach unten zu steigen, Ast für Ast. Es war eine längere Strecke bis zum Waldrand, doch immerhin lag kein Rudel Riesenwölfe mehr zwischen ihm und der Sicherheit der Wildnis.
Als ihn nur noch ein Sprung vom Boden trennte, sah er sich um – und erstarrte. Rasch flüchtete er wieder nach oben, denn eines der großen Tiere kam zu ihm.
Es war das Alpha-Tier, das sich mit nahezu lautlosen Schritten näherte. Kurz vor dem Baum hob der fremde Wolf den Kopf und Thuli bemerkte überrascht einen großen Beinknochen mit frischem, blutigem Fleisch im Maul des Tieres.
Sofort meldete sich sein Magen. Futter! Er hatte schon den ganzen Tag nichts gehabt!
Der goldene Wolf ließ das Fleisch am Fuß des Baumes fallen, trottete ein paar Schritte zurück und setzte sich. Das war Thuli vertraut. So brachten die Kriegerwölfe Nahrung zu den Schwächeren ihres Rudels. Nur war Thuli weder alt noch ein Welpe.
Zögerlich sah er zu dem Fleisch, das offenbar für ihn gedacht war. Wieder ging er die Äste hinab, was ihm inzwischen gelang, ohne auch nur hinzusehen. Der Geruch des köstlichen Fleisches stieg zu ihm auf. Das Blut war noch nicht ganz kühl, das Fleisch von einem starken Tier. Ein Rind vielleicht. So, wie der Goldwolf sich die Lefzen leckte, waren er und sein Rudel sicher bereits satt. Das gab Thuli das nötige Vertrauen, um nach unten zu steigen. Das Fleisch wog knapp ein Viertel seines Gewichts. Hätten die Wölfe es wirklich auf ihn abgesehen, wäre das den Aufwand des Köders nicht wert!
Er packte das Fleisch vorsichtig mit den Zähnen und sah wieder unsicher zum Alpha. Durfte er wirklich fressen?
Der goldene Wolf schlug mit der Rute. Nervös packte Thuli das Fleischstück fester, hob es auf und trottete rückwärts gen Wald. Der Alpha erstarrte wieder und legte den Kopf schief. In etwas Abstand, die Vorderbeine stark gebeugt und angespannt, um jederzeit fliehen zu können, schlang Thuli den ersten Bissen herab.
Die Beute war wirklich frisch! Und je mehr er aß, desto sicherer wurde er, dass der Alpha ihm nichts tun wollte. Der goldene Wolf erhob sich zwar, jedoch nur, um ein Stück tiefer zwischen die hohen, eckigen Holzbauten zu gehen. Auf den Feldern sah Thuli dagegen kaum etwas.
Nach einer Weile tauchten zwischen den Holzhügeln jedoch wieder mehr goldene Wölfe auf. Thuli, der bereits stellenweise am Knochen jagte, versuchte, sie alle im Blick zu behalten. Blut netzte seine Schnauze, seine Ohren bewegten sich unablässig. Wäre der Knochen bloß etwas leichter, dann könnte er damit fliehen!
Mit einem Ruck hob er den Kopf, als er etwas anderes sah. Einen Zweibeiner, mitten zwischen den großen Wölfen. Nun hörte Thuli auch die Stimme, als das Erdwesen einen der goldenen Wölfe streichelte und offenbar etwas fragte.
Das Fleisch war vergessen. Thuli presste sich flach in das Gras zwischen den Holzhäusern und dem Wald.
Verdammt! Selbst an diesem Ort waren die Hütten nicht verlassen. Nahmen die Merkwürdigkeiten denn gar kein Ende?
⁂
Nach Viyas Unterricht war der Tag des Trainings immer noch nicht um. Es gab ein Abendessen aus dem gleichen faden Brei wie schon seit Tagen. Danach ging Shiak mit dem Rest zu den Destillen. Der Qbak sollte nun bald fertig sein, sodass sie probieren konnten. In den Schläuchen hatten sich bereits Tropfen und beschlagener Nebel gesammelt.
„Den ersten Schluck dürft ihr niemals probieren!“, warnte Dhunya, als sie ihnen vormachte, wie man die Schläuche öffnete. Die erste Flüssigkeit fing sie in einem Becher auf und warf ihn weg. „Der ist giftig, vor allem aber auch bitter. Aber nun … sollte allmählich etwas Genießbares kommen!“ Sie füllte den Becher wieder, ließ den restlichen Alkohol in den zweiten Topf rinnen und probierte.
„Und?“ Rikhon beugte sich neugierig vor. Die Teilnehmer beobachteten, wie der Topf der beiden Abenteurer sich mit trüb-weißlichem Alkohol füllte.
Dhunya grinste anerkennend. „Ein perfektes Pykkn Qbak! Da wir Salbei und Milch hinzugefügt haben, wird unser Bier etwas anders sein als eures.“
Der Reihe nach gingen sie die anderen Ergebnisse durch. Das Qbak war eigentlich tiefbraun vom Malz. Der noch heiße Alkohol wurde mit etwas Milch vermischt, woraus ein warmes, von Flocken erfülltes Bier entstand. Besonders lecker war Giorgios Gebrautes, allerdings hatte der säuerliche Geschmack der Äpfel vieles überdeckt.
„Die lasse ich beim nächsten Mal weg!“, sagte der Koch entschlossen. „Also wirklich, Zynon, was hast du dir dabei gedacht? Äpfel im Bier! Ist das hier Cider oder was? Limura Newa!“
Shiak ging mit seinem Krug zurück zu Viya. „Möchtest du gar nicht probieren?“
Die Priesterin schüttelte den Kopf. „Wir trinken eigentlich nur zu den heiligen Messen Alkohol. Der Rausch soll uns enger mit Aithara verbinden. Trinken zum Vergnügen ist …“ Sie verzog die schmale Nase, sprach aber nicht weiter.
„Ich glaube, es beschwert sich niemand, wenn du verzichtest.“ Er nahm noch einen Schluck. Wie schade, dass der Destillierprozess gerade erst begonnen hatte – es gab erst wenig Alkohol zu probieren und er tröpfelte nur langsam nach, dabei war er so köstlich! „Ich wundere mich ja, dass du überhaupt mitgemacht hast.“
„Es war eine gute Übung.“ Viya lächelte. „Außerdem … in den Schriften steht nichts davon, dass die Herstellung von Alkohol falsch wäre!“
Shiak lachte auf. „Wie durchtrieben!“
Im Endeffekt, das musste er der neuen Leitung zugestehen, war der Tag gut verlaufen. Die Übungen hatten den Zusammenhalt in der Gruppe eindeutig verbessert, das zeigte sich schon daran, wie alle nun über den Qbak diskutierten.
Nun stand nur noch die Auswertung bevor. Die Verteilung der Punkte war geheim geblieben, abgesehen von der ersten Runde. Rikhon hatte kurzerhand beschlossen, eine Überraschung aus dem Sieger zu machen. Shiak wusste aber schon mal, dass Viya allen Teilnehmern die vollen zwei Punkte verliehen hatte. Andere hatten das System – sie konnten keinen, einen oder zwei Punkte verteilen – vermutlich besser ausgenutzt.
Als der Wabawi vortrat, wurden sie neugierig still.
Rikhon grinste breit. „Herzlichen Glückwunsch! Alle haben gewonnen! Und der Preis ist – eine Flauschrunde!“
Er traf nicht unbedingt auf Begeisterung.
„Und Qbak“, fügte der Abenteurer deshalb rasch hinzu. „Habt ihr toll gemacht, Leute.“
Danach war es nur noch Giorgio, der darüber meckerte, dass er ja eindeutig gewonnen hätte, und Asherah, die meinte, dass der Sinn des Wettbewerbs dadurch nichtig gemacht worden war. Shiak trank zufrieden sein Qbak, ließ sich für die erste Wache eintragen und wartete geduldig, bis er seinen Krug bei Giorgios Destille komplett füllen konnte, da alle anderen sich zum Schlafen auf ihren Rollen ausgestreckt hatten.
Shiak hielt die Wache gemeinsam mit Dhunya. Die Zwergin konzentrierte sich aber auch vorwiegend auf eine weitere Kostprobe des Alkohols.
„Ich gehe mal ein Stück“, sagte Shiak.
„Brauchst wohl etwas Abstand, wie?“ Dhunya grinste. „War ein langer Tag. Bleib in Rufweite und so weiter.“
Shiak nickte. Inzwischen war es zum Glück recht normal, dass sich mal jemand für eine halbe Stunde entfernte. Jeder brauchte ab und an Zeit für sich, und dass Shiak diese Möglichkeit öfter in Betracht zog, stieß zum Glück auch nicht auf Verwunderung.
Er stellte den noch recht vollen Krug auf die Erde, als einige Pflanzen das Licht des Feuers abschirmten, und streifte das Hemd ab, um den Binder zu lösen. Erleichtert atmete er durch und massierte die roten Einschnitte, die der Stoff hinterlassen hatte.
Leider lagerten sie hier nicht in der Nähe von Wasser, sodass er sich nicht waschen konnte. Shiak stopfte den alten Binder in die Tasche, wo er auch die Streifen für einen frischen trug, setzte sich auf die Erde und trank das abkühlende Milchbier.
Es tat gut, mal allein zu sein. Schon immer war er eher introvertiert gewesen. Nach den letzten Tagen gab es mehr als genug, über das er in Ruhe nachdenken musste.
Anilas zum Beispiel. Hätte sich ihr ehemaliger Leiter wirklich für sie opfern müssen? Es ging Shiak nicht aus dem Kopf. Wären sie damals doch nur leiser gewesen! Dann hätten die Piribis sie niemals gefunden.
Der Alkohol ließ seine Gedanken angenehm verschwimmen. Jetzt, da alle schliefen, konnte er sich endlich einmal entspannen. Die Fallen, die Zynon rings um das Lager aufgestellt hatte, sollten sie beschützen, falls sich ein Fluchwesen näherte. Und so …
Ein Knacken riss Shiak aus seinen Gedanken. Irgendwo war ein Zweig unter einem Gewicht gebrochen. Er versuchte, seinen Blick zu fokussieren. Die Sterne leuchteten hell genug, um den Waldboden zu erhellen, wo eine große Baumkrone ihn nicht verdunkelte. Doch auch so gab es noch genügend tiefe Schatten.
Den Krug in der Hand stand Shiak vorsichtig auf. Qbak schwappte in dem Gefäß. Seine Hand zitterte.
Er setzte vorsichtig einen Fuß nach hinten. Dann sah er plötzlich etwas. Verwirrt blinzelte er einen roten Kreis an, der in den Zweigen vor ihm aufleuchtete wie ein kleiner Blutmond.
Sein Schrei riss die anderen aus dem Schlaf.
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*Die Pflanzen, abgesehen vom Schattenflieder, wurden von Lyzian gespendet!