Prompt vom 10.11.2020
Langsam und bedächtig betrat ich das Haus meines neuen Freundes. Ich folgte ihm vorsichtig über den leicht quietschenden Holzboden zwischen den Mauern des Flures entlang. Die Wände kamen mir seltsam leer vor, Fotos und Collagen fehlten, keine netten Dekorationen waren zur Zierde aufgestellt worden. Und auch keine Geruch spendenden kleinen Tannenbäumchen konnte ich entdecken. Nur der trübe Duft seines Shampoos lag in der Luft und zog ungehindert durch die Räume.
„Setz dich.“ Wir traten ins genauso leere Wohnzimmer und mein Begleiter deutete auf einen der Sessel, die rund um einen kleinen Tisch aufgestellt waren. Diese Stühlen waren das einzige, das den Raum füllte, abgesehen von einem Fernseher. Keine Blumen, keine Figürchen. Nichts außer den Möbeln.
Ich ließ mich in den Sessel sinken und er fühlte sich angenehm weich an. Die Spannung und Beklemmung wich etwas von mir, denn trotz all der Leere war es doch etwas heimelig in dem weichen Stuhl.
„Auch ich habe Geschmack“, ließ mich seine Stimme aufhorchen und in seine sonst harten Gesichtszüge trat ein weicher Schimmer, der seine Wangen belegte. Auch er setzte sich auf einen der Sessel mir gegenüber und blickte mich aus seinen so dunklen braunen Augen an. Seine Mundwinkel zuckten leicht, als er mich musterte und feststellte, dass mir sein Stuhl wirklich gefiel.
„Ich werde dir nichts tun. Ich habe keinen Grund dich anzugreifen“, sprach er ruhig und gelassen, doch auch wenn mich seine Worte wohl beruhigten sollten, so wühlten sie mich erst recht auf.
Ich räusperte mich kurz, weil ich mir nicht sicher war, ob mir meine Stimme ansonsten gehorchen würde. „Ich habe gesehen, was du getan hast.“
Der Mann nickte leicht und seine Züge wurden augenblicklich wieder hart. Das waren wohl nicht die richtigen Worte gewesen. „Ich brauche das Blut.“
Und das wusste ich, doch es war mir viel zu unheimlich. Es war doch einfach nicht normal, wenn man Blut trank und ohne dieses nicht leben konnte. „Du musst damit aufhören.“
„Das kann ich nicht. Ich trinke das Blut, um mich zu ernähren. Das weißt du ganz genau. Ohne es würde ich sterben!“ Seine Augen blitzten für einen kurzen Augenblick gefährlich auf. Seine Iris wirkte urplötzlich heller und ich bildete mir ein, dass ich für einen Moment in seine Seele sehen konnte.
Ich konnte plötzlich das Leid sehen, das ihn heimgesucht hatte, die Qual, das Blut der Menschen zu trinken, um selbst nicht zu sterben. Ich spürte die Zerrissenheit, die ihn voll und ganz in der Hand hatte, wenn er das Blut trank.
Und für einen Augenblick konnte ich ihn verstehen.