Prompt vom 06.01.2021
Heute Morgen schien der Tag noch so gewöhnlich zu werden, doch jetzt war nichts mehr von dieser Vorstellung in meinen Gedanken zurückgeblieben. Meinen Kaffee, den ich mir heute unglücklicherweise über meine Hose gekippt hatte, an eine sehr ungünstige Stelle, schien in weite Ferne gerückt zu sein. Die Pein, die ich empfunden hatte, war wie ausgelöscht, stattdessen machte sich in mir pures Erstaunen und vor allem Fassungslosigkeit breit.
Die Augen, in die ich starrte, waren dunkel und tiefschwarz, als würden sie die Finsternis und die Nacht demonstrieren wollen, nur um mir Respekt einzuflößen. Sie waren so unterschiedlich zu meinen dunkelbraunen, dass es mir die Sprache verschlug. Und auch das Gewand, das das Geschöpf trug konnte so gar nicht mit dem meinen verglichen werden. Im Gegensatz zu ihm trug ich eine Hose, Haare und einen Pullover, während das vor mit Stehende ganz und gar aus Federn zu bestehen schien. Zumindest seine Flügel. Weiß, so strahlend weiß, leuchtete es mir entgegen und blendete mich beinahe. Das ganze Auftreten stand so im Gegensatz zu seinen Augen, dass mir unwillkürlich ein kalter Schauer über den Rücken lief. Auf vier langen Beinen trottete das Tier auf mich zu und senkte kurz seinen mächtigen Kopf, der alles andere zu überragen schien.
Willkommen. Unwillkürlich zuckte ich zusammen und schnappte nach Luft, als eine fremde Stimme in meinem Kopf ertönte, auch wenn sie mir keine Angst einjagte. Diese Ruhe und dieser Frieden, den sie mit sich zu bringen schien, ging ohne mein Zutun auf mich über und meine Muskeln entspannten sich. Ich atmete ruhiger und der Schreck, der alles in mir in seiner Hand hatte, ließ langsam nach.
„Was zum Teufel…?“, wisperte ich ehrfürchtig, doch leise, weil meine Stimme nachzugeben drohte.
Erwähnt nicht den Teufel! Das Wesen schwenkte den massigen Kopf von einer zur anderen Seite und musterte mich ausgiebig, während aus seinen gewaltigen Nüstern Rauchwolken quollen. Seine Vorderhufe donnerten auf den Boden nieder und mein Kopf schien zu zerbersten von der angeschlagenen Lautstärke. Ich verzog schmerzverzehrt das Gesicht.
Verzeiht. Die Stimme hatte wieder den sanften Ton von noch vor wenigen Sekunden angeschlagen. Auf des Wortes Teufels soll nicht gehört werden.
Ich zögerte kurz, bevor ich endlich die Frage aussprach, die mir so lange schon auf den Lippen lag: „Wer bist du?“ Das Wesen vor mir schlug heftig mit seinen Flügeln und bäumte sich majestätisch auf.
Ihr wisst nicht, wer ich bin? Erzählt man sich nicht seit Urzeiten Geschichten über meine Gestalt? Über unsere Art des Verschwindens und des Krieges?
Ich runzelte etwas verwirrt die Stirn und schüttelte leicht den Kopf. „Es gibt Geschichten, aber solche Bekanntheit habt ihr nicht erlangt.“ Das waren wohl ganz und gar die falschen Worte gewesen, denn das Tier schnaubte voller Wut und schwang bedrohlich seinen Kopf in die Luft, während der Boden den Zorn seiner Hufe zu spüren bekam.
Wie könnt Ihr es wagen! Diesmal war das Kopfgrimmen so stark, dass ich auf die Knie fiel und tatsächlich befürchtete, mein Schädel würde in hunderte Einzelteile zerspringen. Wie könnt Ihr es wagen, nicht zu wissen, wer ich bin! Ich bin ein Pegasus, der Herr aller Pferde und Gott des Himmels.
Es dauerte etwas, bis sich das Wesen wieder beruhigt hatte und ich den Mut aufbrachte, eine weiterer Frage zu stellen: „Wie… Wie machst du das? Das mit meinem Kopf?“
Diesmal schien der Pegasus nicht verärgert, sondern eher belustigt zu sein.
Euch Menschen hat man die Fähigkeit des Bauchsagens genommen. Ein spitzes Grinsen erschien auf seinen Lippen, was im Anbetracht, dass er das Maul eines Pferdes hatte, ein seltsames Bild abgab.
Durch meine Stimme, die ich im Kehlkopf, ähnlich des Bauchredens erzeuge, gelangt sie in die Luft. Da Ihr jedoch nicht im Stande seid, die Schwingungen eines Gottes aufzufangen geschweige denn zu verarbeiten, hat Euer Körper eine Schutzfunktion entwickelt, die meine Stimme in Eurem Geiste zusammensetzt und wiedergibt.
Ich nickte nur leicht, um den angeblichen Gott nicht erneut zu verärgern, auch wenn ich nicht einmal die Hälfte von dem verstand, was er da von sich gab.
„Das heißt also, du kommunizierst durch Bauchreden und Gedankenlesen?“, hackte ich noch einmal nach und der Pegasus nickte nur leicht mit dem Kopf.
Schluss mit all den Nichtigkeiten. Euch wird jetzt eine große Ehre zuteil kommen, dessen Notwendigkeit leider nicht bestritten werden kann. Steigt auf meinen Rücken und haltet euch fest, wenn ich mich erhebe. Gedenkt jedoch, dass dies eine Ausnahme ist und unter absolut keinen Umständen wiederholt werden wird.
Wahrscheinlich war es einem Gott nicht würdig, wenn ein Mensch auf ihm ritt. Und seltsamerweise gefiel mir das. Ich konnte ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken, als ich auf den Rücken des Wesens kletterte und mich an seinen Hals klammerte, um nicht runterzufallen. Dabei entlockte ich dem Gott ein verärgertes Schnauben und es bereitete mir ein derbes Vergnügen, während des Rittes dem Pegasus auf die Nerven zu gehen.