Prompt vom 26.01.2021
Es war dunkle und düstere Nacht, als er sich aus der Gruft erhob und die frische Luft einatmete. Ein und aus, immer wieder, bis Sauerstoff seine Lungen füllte und endlich dieser modrige Geschmack aus seiner Nase entwich. Seine Augen hielt er für einige Sekunden geschlossen, um seinen Körper zu spüren, der aus dem Schlaf erwacht war, das Blut in seinen Adern rauschen zu hören und zu fühlen, wie sein Herz anfing zu pumpen.
Dann jedoch öffnete er seine Lider und seine leeren Augen starrten in die Finsternis, als würden sie dort etwas sehen, wo es nichts gab. Nichts, außer Bäumen und Sträuchern, die seine Gruft verbargen und vor ungewünschten Blicken schützten. Vorsichtig bewegte er seine Finger, zunächst etwas ungeschickt, doch dann schlossen sie sich zu einer Faust. Sein Gesichtsausdruck stabilisierte sich und sein sich öffnender Mund lechzte nach Nahrung. Nach Nahrung, die er seit dem letzten Neumond missen musste.
Einen Schritt nach dem anderen bewegte er sich fort. Das Laub raschelte unter seinen Schuhen, während ein eiskalter Wind durch seine dunklen Haare strich. Hätte der Mond geschienen, so wäre sicherlich jeder erschaudert, der seine Gestalt zu Gesicht bekommen hätte. Dann hätte man ihn genauer betrachten können, doch so blieb er in der Finsternis verborgen.
Er durchquerte den Wald und waren seine Schritte zunächst langsam, so beschleunigte sich sein Gang mit jeder verstreichenden Minute. Schneller und schneller wurde er, umrunde Bäume, bis er den Rand des Waldes erreicht hatte. Erst dann blieb er stehen und verschnaufte. Tief ein und ausatmen, um Luft zu fühlen, wie sie in deine Lungen strömte.
Ein letztes Mal blickte er zurück in den Wald, führte sich seine Schlafstätte vor Augen, die er nur dann verlassen durfte, wenn sich kein Mond der Erde ergab und Licht spendete. Doch nun, nun endlich war es wieder soweit.
Sein Blick huschte zu einigen Häusern, die sich dicht an dicht aneinanderschmiegten und beinahe Fehl am Platz wirkten. Doch für ihn war dieser Umstand kein Fehler, sondern pures Glück und Hoffnung. Hinter keinem der Fenster brannte Licht zu dieser späten Stunde und er machte sich auf, um zu der Wohnsiedlung zu gelangen. Nur wenige Sekunden dauerte es, bis er dort angelangt war und sich hinter einer Hauswand versteckte. Sicher war sicher.
Nur widerwillig löste er sich aus den Schatten, denn er spürte die Schwäche, die seinen Körper entlangkroch. Die Bewegung tat ihm nicht gut, beschleunigte sie doch nur den Vorgang des Sterbens.
Schnell schlich er zwischen den Häusern entlang, nutzte Gassen, um nicht entdeckt zu werden, während er sich auf die Suche nach einem offenen Fenster machte. Es dauerte seine Zeit, bis er endlich einen Vorhang flattern sehen konnte, der durch den steten Luftstrom hier draußen in Bewegung geraten war. Ein sicherer Hinweis für eine Einstiegsmöglichkeit.
Die Verwandlung lief langsamer und träger als üblich ab und entzog ihm damit nur noch mehr seiner so wertvollen Energie. Er spürte viel zu deutlich, wie sich sein Körper verbog, seine Knochen splitterten und in sich zusammenschrumpften. Wie tausend Messerstiche fühlte es sich an und beinahe wäre ihm ein gellender Schrei entwichen. Sekunden verstrichen so langsam, wie man es niemanden gewünscht hätte und die Schmerzen übernahmen die Oberhand. Er wand sich, stieß einen unterdrücken Schrei aus und dann, dann war Ruhe. Die Schmerzen ließen nach.
An der Stelle, an dem er noch vor wenigen Momenten gestanden hatte, hockte nun eine kleine Fledermaus, die ihre Flügel spreizte und sich empor in die Lüfte erhob. Durch das offene Fenster gelangte sie ins Innere des Hauses.
Normalerweise hätte er jetzt die Einrichtung, die in den schönsten Tönen gehalten wurde, und vor allem die Unordnung bestaunt, die sich in diesem Raum breitmachte. Doch für solch Albernheiten blieb ihm keine Zeit. In seiner Fledermausgestalt landete er auf dem Bett, in dem jemand zu schlafen schien. Zu seinem Glück, wohl gemerkt, denn inzwischen war er nicht einmal mehr dazu in der Lage, sich in einen Menschen zurück zu verwandeln.
Mit einem seiner Flügel schob er die Bettdecke zur Seite, um den Hals der Person besser sehen zu können, doch dann stutze er und seine Augen wurden so groß wie runde Vollmonde.
Kein Mann und keine Frau langen in dem Bett, wie er es sich erwartet hatte, nein. Er konnte die jungen und noch so frischen Züge eines Kindes erkennen. Seine braunen Locken fielen beinahe über das gesamte Kissen, was im kompletten Kontrast zu seinem Gesicht lag. Seine Haut, die rosig hätte sein können, war blass und unter seinen Augen zeichneten sich tiefe Augenringe ab. Es schien nicht gesund zu sein und er wusste sofort, was er riskieren würde, wenn er von diesem Kinde trank.
Ein stechender Schmerz fing an in seinem Magen zu pochen und seine Beine wurden taub. Nicht mehr lange und er würde am Bett eines kranken Kindes sterben. Es ging um Leben oder Tod und er wusste, dass er keine Wahl hatte, wenn er überleben wollte.
Seine spitzen Zähne blitzten für einen Bruchteil einer Sekunde auf, bevor er sie in der Halsschlagader versenkte. Blut floss aus der Wunde hervor und in diesem einen Augenblick verlor er die Kontrolle über sich. Er saugte und saugte, wollte das ganze Blut in sich aufnehmen. Es schmeckte so köstlich, dass sich ein Lächeln auf seinen Lippen breitmachte. Er war so voller Gier und konnte, vielleicht wollte er es auch gar nicht, sich einfach nicht mehr von dem Kind lösen. Er spürte, wie dessen Herzschlag immer schwächer wurde, doch es war unmöglich sich jetzt zurück in den Wald zu schlagen.
Gedanken wirbelten in seinem Kopf herum und entfachten einen Sturm, der nie zu enden drohte. Sollte er das Kind sterben lassen, indem er sich rettete? War sein Tod gerechtfertigt? Aber das Blut war doch so köstlich, so perfekt, noch so jung. Es schmeckte nicht nach Zigaretten oder Alkohol, sondern war noch so rein. Er wusste, dass er viel zu viel riskierte. Das Kind schien krank zu sein, zu krank, um sich zu wehren, denn es hätte schon längst vom Blutentzug aufwachen oder zumindest einen Ton von sich geben müssen. Doch es war still und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Aber das Blut, das schöne Blut. Noch nie hatte er so etwas geschmeckt. So lecker. Würde es sterben, so würde es sich verwandeln. Durch einen einigen Biss bei Krankheit war das Schicksal besiegelt. Er biss Kranke nicht. Niemals, doch diesmal ging es um seinen Tod oder um den dessen, das da im Bett lag.
Mit großen Augen löste er sich von dem Kinde, als er realisierte, was er getan hatte und blickte für einige Sekunden auf dieses herab. Nein, es lebte noch. Es war am Leben und nur das zählte. Von irgendwoher vernahm er das Näherkommen von Schritten und er erhob sich in die Luft.
Ein einziger Flügelschlag und er hatte das Haus verlassen. Und diesmal ging die Verwandlung zurück ganz leicht.