Prompt vom 08.12.2020
Der Wind heulte kräftig und Anwen war froh, dass er das heruntergekommene Haus erreichte, bevor die ersten Regentropfen vom wolkenverhangenen und vor allem dunklen Himmel fielen. Es wäre ihm ein Graus gewesen jetzt dort draußen zu sein, doch glücklicherweise hatte die Tür offen gestanden.
Anwen schüttelte den Kopf. Natürlich stand die Tür offen, schließlich war dies hier ein Laden. Zwar ein sehr ungewöhnlicher, doch noch immer kaufte man hier ein.
„Hallo?“, fragte er in die etwas düstere Hütte, die einzig und allein aus Holz zu bestehen schien. Überall lag verschiedenster Krimskrams herum und Anwen war sich sicher, dass er sich hier niemals zurechtgefunden hätte. Von verschiedenen Pflanzen bis zu kaputten Tontöpfen und Fensterscheiben schien es hier absolut alles zu geben.
Ein Geräusch ließ den Mann aufschrecken, als eine ältere Frau hinter einem etwas wackelig auf seinen Beinen stehenden Tisch hervorlugte. Ihre Augen, die absolut weiß waren, jagten ihm einen Schauer über den Rücken und er schluckte hart. War es richtig gewesen, hierher zu kommen?
„Wie kann ich dir helfen?“, fragte sie mit rauer Stimme, als hätte sie schon lange kein Wort mehr gesprochen und blickte ihn direkt an, als könnte sie sehen, wo er stand.
„Ähm… Ich suche…“, stotterte Anwen, aber brachte kaum ein Wort heraus. Noch nie in seinem Leben hatte er eine Blinde gesehen und diesen Anblick musste er erst einmal verdauen. Natürlich, er hatte Geschichten darüber gehört, doch nun jemand solchen leibhaftig vor ihm zu haben, das war unheimlich.
„Sag nichts weiter“, meinte die Frau und Anwen verstummte sofort. „Ich kann sehen, was du brauchst.“ Und auch über ihre gruseligen Fähigkeiten hatte er Erzählungen gehört, doch er hatte es nie so recht glauben wollen. Nun wurde er vom Gegenteil überzeugt.
Sie fuhr fort: „Deine Stimme sollte noch kalt sein, vom Wetter dort draußen, doch sie ist warm wie lauer Sommerwind, der dich mit auf die Reise genommen und dich vor allen Gefahren und Erfrierungen geschützt hat. Deine Sehnsucht hat dich hierher getrieben, auch wenn deine Verzweiflung dich angespornt hat.“ Sie kam etwas schwerfällig auf ihm zu und zu Anwens Verwunderung stieß sie an keinen einzigen Gegenstand.
„Du bist verliebt, junger Mann, ist es nicht so?“ Sie blickte ihn direkt in die Augen, sodass er selbst in diese milchige Leere starren musste und er erschauderte. „Unglücklich verliebt, wie ich feststellen muss. Ich habe genau das Richtige für dich.“ Ihre grauen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und sie humpelte wieder zurück, dorthin, wo sie hergekommen war.
Gerumpelt und lautes Gepolter ertönte, dann ein „Nichts passiert!“ von der Blinden, bis sie wieder zum Vorschein kam und ihm ein Fläschchen in die Hand drückte.
„Nimm es mit“, sprach sie, doch als Anwen den Inhalt genauer betrachtete, sah er absolut nichts. Nichts füllte das Glas, es war leer. Die Flüssigkeit, auf die er gehofft hatte, unsichtbar.
„Sind Sie sich sicher, dass es das richtige Fläschchen ist?“, fragte er vorsichtig nach und bekam einen empörten Klaps auf das Gesicht.
„Natürlich bin ich mir sicher! Lege die Flasche unter ihr Bett und öffne sie. Dann lass der Wirkung einfach freien Lauf. Sie wird sich sofort in dich verlieben.“ Die Frau sah ziemlich sicher aus und er nickte leicht.
„Vielen Dank.“ Er übergab ihr einige Goldmünzen und verließ dann mit neuer Hoffnung die Hütte, nachdem er sich verabschiedet hatte. Vielleicht würde seine Liebe doch noch erwidert werden.