Der Donner grollte weit über die Ebene hinweg, die nur von Blitzen erhellt wurde, welche am verhangenen Nachthimmel aus dichter Wolkendecke niedersausten. Sie fanden kein Ziel. Keinen Baum, keinen Strauch. Und ebenso erging es dem jungen Krieger, der, orientierungslos und gehetzt von einer blutrünstigen Schar, lief, so schnell ihn seine Beine trugen. Noch waren die feindlichen Männer weit hinter ihm, doch das Gebell ihrer Hunde kam gefährlich näher. Sigmund wäre ihnen gewiss bald entkommen, wenn er seine Wolfsgestalt annahm, doch in dieser müsste er das Schwert zurücklassen, das er von seinem Vater, dem großen grauen Wolf, erhalten hatte. Nein! Er hastete weiter.
Der Boden unter seinen Füßen schien zu brennen, so sehr schmerzte sein Lauf, denn er war es nicht gewohnt, Stiefel zu tragen, wenn er rannte. Er stürzte und schlug sich das Knie auf. Er fluchte. Und wieder klang es, als käme die kläffende Meute näher. Er schätzte, es mochten wohl fünf Hunde sein und vielleicht doppelt so viele Kerle, die darauf aus waren, ihn in Stücke zu schlagen. Es war jetzt eindeutig zu spät, um zu bereuen, dass er sich in ihre Angelegenheiten eingemischt hatte. Er konnte jedoch nicht anders. Immer wenn er mit ansehen musste, wie einem anderen Menschen oder gar einer wehrlosen Frau oder einem Kind Unrecht getan wurde, dann ging es mit ihm durch. An seine eigene Sicherheit dachte er meist erst hinterher. So auch dieses Mal.
Er hatte versucht einem Mädchen beizustehen, das viel zu früh von seiner Sippe an einen grobschlächtigen Bauern als Frau verkauft werden sollte. Ihre Rufe nach Hilfe und Beistand hallten noch in Sigmunds Ohr. Auch ihre Todesschreie, als sie zuletzt den Kampf gegen die Männer verloren. In einem gerechten Streit hätte der junge Krieger gesiegt, doch ein Kerl aus ihrer Familie streckte die Braut feige nieder, um ihre Flucht zu vereiteln. Und noch mehr Bewaffnete kamen gelaufen. Entsetzt wandte sich Sigmund so der Ebene zu und rannte seitdem.
Für die Dauer eines Blitzschlags blieb er stehen und blickte sich um. Seine Augen durchdrangen die nächtliche Dunkelheit, auch in Menschengestalt. Da, am Horizont war etwas. Ein Baum oder eine primitive Wohnstatt. Er müsste nur die Verfolger in die Irre führen, dann konnte er dort Schutz suchen. Gewiss konnte keiner von ihnen diese Zuflucht in der Ferne erkennen. Und weiter ging die Hast. In einem Flussbett verwischte sich Sigmunds Spur. Er riss sich einen großen Fetzen vom Leib, auch die Stiefel und ließ beides mit der Strömung schwimmen, um die Hunde abzulenken. Dann lief er in andere Richtung. Sein geschärftes Gehör verriet ihm, dass die Meute ratlos zögerte. Dies verschaffte ihm einen Vorsprung, der groß genug war, um ihn nicht zu verraten.
Im Nu war es geschehen und er hatte sich in den Wolf verwandelt. So wäre er schneller, auch in den lästigen Kleidern. Er unterdrückte das Bedürfnis aufzuheulen, stattdessen nahm er sein Schwert zwischen die Zähne. So etwas hatte er noch nie tun müssen, aber für alles gab es wohl ein erstes Mal. Endlich ging es weiter, schneller als der Donner selbst. Sigmunds Augen blitzten auf. Irgendwo am Horizont sammelten sich seine Walkürenschwestern, also folgte er der Richtung der Blitze. Sicher führten sie zu der wilden Stätte, die er gesehen hatte. Schon war es, als könne er ihre brausenden Rösser über der Wolkendecke hören. Die Hufe in rasendem Windsgalopp, das wilde Wiehern, das freudige Jauchzen der Wotanstöchter. Seinen eigenen Ruf hielt er abermals zurück, doch sein Herz lachte auf. Menschlich war sein Schmerz über den Tod des Mädchens, doch wölfisch war seine Freude über die Jagd.
Als er sich schließlich dem Horizont näherte, hatte er die feindlichen Krieger und ihre Hunde längst abgehängt. Auch die Walküren waren über ihn hinfortgesaust und am Himmel verschwunden. Was ihn weitertrieb, war die Neugierde auf das Gebilde, das er von Ferne gesehen hatte. Es war wirklich eine Wohnstatt, die sich an eine uralte, riesige Esche lehnte. Darin glomm ein schwaches Feuer. Sigmund entschied, hier zu rasten, wenn man ihn ließe. So wandelte er sich wieder zurück in menschliche Gestalt und trat durch die Tür hinein.