(eine Fortsetzung zum Drabble "Mutterseelenallein" https://belletristica.com/de/books/29982-sixty-minutes-die-challenge-2021/chapter/185714-mutterseelenallein)
In den Augen der Frau war keine Spur von Angst, als sie Sigmunds Frage bejahte. „Wohin es dich führt, fremder, mir seltsam vertrauter Mann, folge ich dir.“
Ihm war, als setze sein Herz vor Freude für einen Schlag aus, um gleich darauf in Zweifel wild zu pochen. Wie konnte sie so sicher sein?
„Weißt du, was du tust? Keiner Menschensippe gehöre ich an und was ich beginne, hat niemandem je Heil gebracht.“
Nun suchte sie still in seinem Blick nach Zeichen, doch verstand sie nicht, was sie fand.
„Du sprichst in Rätseln, liebster Fremdling. Was du mir schon jetzt gegeben hast, ist mir jedes Unheil wert, wenn ich nur bei dir bin.“
Mit sanfter Geste legte sie Sigmund eine Hand an die Wange, wie es zuvor noch keine Frau getan hatte. Nicht, seit er Mutter und Schwester verlor.
„Du kennst nicht meine wilde Natur, Weib. Der Wolf in mir wird dich schrecken.“
Was er flüsterte, ließ sie aufhorchen. Ihre Augen weiteten sich, aber noch immer lag keine Furcht, nur Neugier darin.
„So zeig ihn mir und du wirst sehen, wie wenig er mich ängstigt.“
Sigmund ergriff ihre Hand. Sie zitterte nicht. Dann erhob er sich von ihrem gemeinsamen Lager und ging zur Tür, wo er sein Schwert zurückgelassen hatte. Dies gab er der Frau.
„Nimm dies und sieh her“, wies er sie an.
Siglindes Atem verriet ihre Anspannung. Das Gewicht der Waffe in ihren Händen überraschte sie, doch nicht so sehr wie das, was Sigmund als Nächstes begann. Wo er eben noch gelegen hatte, sank er urplötzlich krampfend nieder. Sein großer stattlicher Leib begann zu beben und mit einem wilden Rucken setzte die Verwandlung ein. Seine Knochen knackten und brachen, er bäumte sich auf. Er wirbelte herum und alles an ihm, was menschlich war, verformte sich. Hände wurden Pfoten, Lippen wurden Maul, Haut wurde Fell. Ein Heulen ertönte, lauter als alles, was Siglinde je gehört hatte, doch sie wich kein Stück zurück. Das war noch immer der geliebte Fremde, der sie alsbald mit wölfischen Augen ansah. Da legte sie das Schwert zu Boden. Mit freien Armen umschlang sie den Hals des Tieres und zog es fest an sich.
„Wunderschön bist du.“