Gisberta traute ihren Augen nicht! Hektisch fuhr sie mehrmals mit den Handflächen über die Oberfläche ihres Bildschirms, um die Helligkeit zu erhöhen. „Potzblitz!“, krächzte sie. „Das schlägt doch dem Fass den Boden aus!“ Während ihr Kater neugierig von der Fensterbank aufsprang, um nachzusehen, was die Wetterhexe so in Aufregung versetzte, holte diese in Windeseile ihre Kristallkugel hervor und konzentrierte sich auf eine Verbindung mit Xanni, ihrer jüngsten Hexenschwester.
„Was ist denn los, Gissi?“, tönte es sogleich in dem für Xanni typischen Flötenton, der verriet, dass sie in ihrer Bude nicht allein war.
„Süße, schick deinen Typen mal kurz in den Eimer. Wir müssen reden. Ertel ist in der Zeitung!“
Xanni begriff zwar nicht, warum ihr Wasserdämon das Folgende nicht hören sollte, aber ihre Überraschung war nicht geringer als die von Gisberta.
„Kelpie, Süßer, mach dich mal flüssig, wir Mädels müssen reden“, rief sie hinter sich, dann rückte sie näher an ihre Kugel. „Schieß los!“
„Schau her, was heute Morgen in der Brockenrundschau zu sehen ist“, begann die Wetterhexe und hielt ihren Kristall direkt vor den Bildschirm.
„Ach du liebe Güte, dreimal schwarzer Kater! Das ist doch bei Ertel!“
„Ja genau!“
Gisberta hielt ihre Hand ganz ruhig, damit Xanni alles genau sehen konnte. Zu sehen waren ganz offensichtlich das Haus und Grundstück ihrer ältesten Schwester – und auch wieder nicht.
„Wie hat sie das hingekriegt?“
„Ich habe keine Ahnung! Es kann sich nur um einen alten Zauber für falschen Schein handeln“, mutmaßte Gissi. Eine andere Erklärung gab es nicht dafür, warum das windschiefe alte Fachwerkhaus mit den von Moos und Flechten bedeckten Schindeln ohne Schornstein aussah, als sei es direkt aus einer Ausgabe von „Schöner wohnen“ herauskopiert. Sogar der halb vermoderte Jägerzaun um das sonst verwilderte Grundstück schien wie neu und umrahmte eine Wildblumenwiese mit geschnittenen Heckenrosen und Insektenhotels darin.
„Ertel hat doch seit 800 Jahren noch keinen Bausparvertrag besessen oder einen Rasenmäher. Glaubst du sie hat wen verhext, der ihr Geld gegeben hat? Einen Liebhaber vielleicht?“
„Das ist eher so dein Stil, Xanni. Nein. Eher glaube ich, sie hat endlich meinen Rat befolgt und alles mit ein wenig Hexerei auf Vordermann gebracht. Vor zwei Wochen hatte sie einen Brief vom Ordnungsamt bekommen. Darin stand, die Bewohner ihres Orts hätten sich über ihre alternative Lebensweise beschwert. Die freilaufenden Katzen überall am Haus, der mit roter Farbe auf dem Dach markierte Besenlandeplatz, der Schuppen, aus dem es nach Tränken roch … Aber das ist wirklich …“
„ … hübsch geworden!“, fand Xanni. „Sie hat sich selbst auch gleich um mindestens 600 Jahre verjüngt.“
„Du meinst, das auf dem Foto ist Ertel?“
„Was dachtest du denn, wer das ist? Mireille Mathieu?“
„Die muss doch auch fast 800 sein …“
„Unsinn, das ist Ertel. Steht ihr gut, der Minirock. Und zoom doch mal ran, da ist noch was im Hintergrund.“
Gisberta zoomte gespannt. Dann sah sie es auch. Eine Pfütze direkt vor der Eingangstür zu Ertels Haus! Sie musste sich auch einen Wasserdämon zugelegt haben.
„Das ist doch echt nicht zu glauben!“, rief die Wetterhexe aus. „Was immer das für ein Zauber ist, wir besuchen sie gleich morgen und wollen auch was davon!“