Gisberta schaute schon seit Tagen regelmäßig den Wetterbericht im Fernsehen. Ihr als Wetterhexe konnten die Vorhersagen eines Stümpers im Öffentlich Rechtlichen zwar nur ein müdes Grinsen entlocken, doch wenigstens bot die Karte, vor der sich der recht ansehnliche junge Mann hin und her bewegte, im Herbst etwas Abwechslung. Ein kleiner Sturm hier und da, ein wenig Starkregen und natürlich Bodennebel. Es sah ganz so aus, als müsste sie nicht eigenhändig für anständiges Flugwetter an Halloween sorgen, denn wie jedes Jahr, waren sie und ihre Hexenschwestern - die noch immer in der Erprobungsphase ihrer Sexualität befindliche Junghexe Xanni und ihr genaues Gegenteil, die abgebrühte, tausend Jahre alte Ertel, die sich zuweilen ihrem Alter entsprechend gehen ließ – zu einem spektakulären Teezirkel verabredet. „Spektakulär“, weil ihnen in aller Regel immer etwas Dramatisches einfiel, was sie tun konnten, um den Menschen einen Streich zu spielen. Es gab immer Bahnen, die man verspäten konnte, Strommasten oder Brückenpfeiler zu verbiegen, Ampelanlagen, die plötzlich in allen Farben blinkten und vieles mehr.
An diesem Halloween waren sie bei Ertel eingeladen. Das versprach besonders interessant zu werden, denn die hatte sich unlängst mit irgendeinem faulen Zauber verjüngt, ihr windschiefes Haus auf Vordermann gebracht und Gerüchten zufolge, hatte sie auch einen ersten festen Freund seit fünfhundertachtundzwanzig Jahren. Gisberta hatte das von Xanni, die hatte es von ihrem süßen Wasserdämon Kelpie, der hatte es vom Wassermann und der wiederum behauptete, es vom Klabautermann zu haben. Die Wetterhexe würde nichts davon glauben, es sei denn, sie sah es mit eigenen Augen. Und überhaupt waren da zu viele flüssige Wesen im Spiel. Ertel war doch eher der feurige Typ Frau.
Am Morgen des 31. Oktober schwang sich Gissi also gemeinsam mit ihrem Kater Nikodemus auf den Besen und mit Rückenwind kamen sie bereits zwei Stunden später am Brocken an. Der Kater war vor der Landung immer etwas ängstlich und krallte sich auf der Schulter der Wetterhexe gut fest, als sie zum Sturzflug durch den Kamin ansetzte. Mit einem lauten „Miauuow“ und einem noch lauteren „Autsch, Nikodemus!“ kamen die beiden auf dem Kaminvorleger an und bremsten gerade noch rechtzeitig, um nicht versehentlich einen Eimer mit Wasser umzustoßen, der dort im Weg stand. Offenkundig war Xanni schon da und hatte ihren Kelpie im Eimer abgestellt. Gisberta löste Nikodemus die Krallen aus ihrem Hexenumhang, klopfte ich den Ruß ab und fluchte.
„Xanni, verdammt! Wenn du ihn schon mitbringst, dann räum ihn zur Seite!“
Die Angepflaumte kam sofort herbeigeeilt, wirkte jedoch seltsam aufgeregt und deutete ihrer Hexenschwester an, leise zu sein.
„Was ist los?“ Gisberta klang direkt besorgt. So kannte sie Xanni nicht. Und überhaupt: Wo war Ertel?
„Ey Gissi, mach nicht so einen Wirbel. Ertel hat sich noch etwas hingelegt.“
„Hingelegt?!“ Jetzt schlug’s aber dreizehn! Wie konnte sich die verjüngte Alte an so einem besonderen Tag, wenn sie Besuch kriegte auf’s Ohr hauen? „Was meinst du mit hingelegt? Hatte sie einen Unfall mit dem Besen und hat sich gemault?“
Xanni schüttelte den Kopf. „Ach, wenn es das wäre!“
Gisberta verlor langsam die Geduld. „Jetzt sag schon was los ist!“
Die Jüngere deutete der anderen Hexe an, ihr zu folgen. Es gab wohl etwas, was Gisberta sehen sollte, damit sie begriff, was los war.
„Versprich mir, ruhig zu bleiben“, verlangte Xanni und führte Gissi an der Hand durch das renovierte und mit IKAE eingerichtete Schlafzimmer. In einem französischen Bett, eingemummelt zwischen rosa Bettwäsche lag Ertel und schlief tief und fest. Sie war wirklich viel jünger gezaubert und nur an dem tiefen, grunzenden Schnarchen erkannte man eindeutig die alte Kräuterhexe.
Auf Zehenspitzen schlichen die beiden Hexen vorbei und in das angrenzende Badezimmer. Dort, vor dem Spiegel, blieb Xanni stehen.
„Jetzt mach’s nicht so spannend“, drängelte Gissi.
„Du bist echt von vorgestern“, begann Xanni. „Was glaubst du hat Ertel so erschöpft, dass sie den heutigen Tag verschläft, obwohl ich und Kelpie und du mit Niko durch den Kamin gekracht sind?“
„Keine Ahnung!“
„Na, das kann doch nur an ihrem neuen Liebhaber liegen!“
Gisberta schnappte nach Luft. Da hätte sie nun wirklich drauf kommen können! Dass sie es nicht tat, verriet mehr über ihr eigenes Liebesleben als ihr lieb war. Aber da war ein anderes Thema. So wie Xanni schaute, hatte sie noch einen Trumpf unterm Spaghettiträger.
„Und jetzt rate mal, wen sich unsere schmucke Schwester da an Land gezogen hat!“
„Keine Ahnung. Den Klabautermann? Moby Dick?“
„Du bist doof, Gissi. Du weißt doch, dass sie mehr auf heiße Bad Boys steht.“
„In ihrem Alter sollte sie auf Bad Grandpas stehen.“
„Jetzt bleib mal ernst!“
Die Wetterhexe nahm sich zusammen. „Also schön. Was hast du, während Ertel vor Erschöpfung schläft alles ausspioniert?“
Das waren die rechten Worte, denn Xanni bekam jetzt dieses Funkeln in den Augen, wenn sie einen Trumpf ausspielte. Dann hielt sie eine Haarbürste hoch, die vor dem Spiegel gelegen hatte. Darin schimmerten drei goldene Haare.
„Nein!“, entfloh es Gissi wie vom Donner gerührt.
„Oh doch!“, bestätigte Xanni.
„ER?!“
„Ja, ER! Du kennst doch Ertel. Meinst du, sie hat die ganze Mühe mit der Verjüngung und dem Umdekorieren ihres Hauses für einen geringeren als IHN getan?“
Gisberta schluckte. Nein, das war unwahrscheinlich. Das war undenkbar.
Gerade in dem Moment räusperte sich hinter den beiden plötzlich wie ein altes Walross die erwachte Kräuterhexe.
„Oh, Gissi und Xanni! Ihr seid schon da? Tut mir leid, ich hab verschlafen, aber ich hatte echt eine Teufelsnacht.“