Gertrud schrie.
In ihrer Situation war das durchaus verständlich, denn sie saß in einem Kochtopf in irgendeiner Höhle auf Island und wurde gerade von einem Troll zum Essen zubereitet. Niemand hatte ihr beigebracht, wie man sich in solchen Situationen zu verhalten hatte, also tat sie das, was ihr intuitiv einfiel: Schreien. Den Troll schien das jedoch nicht zu beeindrucken; er summte fröhlich vor sich hin, während er mit verschiedenen Töpfen herumhantierte.
"Halt!", ertönte plötzlich eine Stimme. Gertrud drehte ruckartig den Kopf. Hatte tatsächlich jemand ihre Hilfeschreie gehört?
Eine wunderschöne Lichtgestalt stand im Eingang der Höhle. Zuerst dachte sie, es sei ein Engel, doch dann erkannte sie, dass es ein Elf sein musste, denn die Gestalt trug ein grünes Gewand und ihre Ohren waren an den Enden leicht spitz.
Gertrud sabberte.
Der Elf eilte sogleich zu ihr, hob sie ohne erkennbare Schwierigkeiten aus dem Kochtopf und setzte sie sanft daneben ab. Dann wandte er sich dem Troll zu und hob drohend die Hand, zweifellos, um ihn niederzuschlagen.
"Eh, warte mal!", rief der Troll und der Elf hielt in der Bewegung inne. "Du kriegst sie nur, wenn du meinen Namen errätst!"
"Oh", machte der Elf. Er sah etwas unglücklich aus. "Warte mal, du heißt bestimmt ... äh ..." Hilflos blickte er in der Höhle hin und her.
Da kam Gertrud eine – wie sie fand – geniale Idee. "Versuch mal Rumpelstil..."
Der Rest des Satzes ging im Wutgeheul des Trolls unter.
"Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der Teufel gesagt!", schrie er und stieß mit dem rechten Fuß so tief in die Erde, dass sein ganzes Bein darin versank. Dann packte er den linken Fuß mit beiden Händen und riss sich selbst mitten entzwei. Der Elf, der darauf nicht vorbereitet gewesen war, wurde von einem Trollfetzen am Kopf getroffen und fiel hin, Gertrud dagegen konnte noch rechtzeitig hinter dem Kochtopf in Deckung gehen.
Als der Trollhagel langsam abebbte, kroch sie zu dem Elfen und strich vorsichtig über sein Gesicht. Seine Haut war so wunderbar glatt. Schade nur, dass die Beule an seinem Kopf die Ästhetik ein bisschen störte.
"He, Elf", sagte sie sanft. "Alles in Ordnung?"
Er stöhnte leise. "Schon gut. Hat ziemlich wehgetan, aber wir Elfen regenerieren schnell." Während er das sagte, ging die Beule bereits zurück.
"Was der Troll gesagt hat, stimmt nicht", erklärte Gertrud. "Es war nicht der Teufel, es war meine Mutter, die mir das gesagt hat. Sie hat mir das Märchen vorgelesen."
Der Elf kratzte sich am Kopf. "Stimmt, mein Lehrer hat mir auch gesagt, dass Trolle immer Rumpelstil heißen. Und die Kobolde heißen Rumpelstilzchen."
"Echt?", fragte Gertrud erstaunt.
Er nickte. "Mh. Hatte ich leider vergessen."
Nachdenklich blickte Gertrud auf die Trollreste. "Du hättest ihn ja auch einfach k. o. schlagen können. Oder geht das nicht, weil du so zart bist und er so groß und stark?"
"Doch. Aber weißt du, ich bin halt nicht so der Hellste. Das macht dir doch nichts aus, oder?"
Gertrud musterte ihn eingehend, dann schüttelte sie den Kopf. "Nein, dafür bist du ja wunderschön." Tatsächlich war jetzt von der Beule nichts mehr zu sehen.
Der Elf atmete erleichtert aus. "Dann ist ja alles gut. Ich wollte dir nämlich gerade erlauben, mich zu heiraten."
"Oh toll! Wenn du schon ein Elf bist, dann bist du doch sicher auch ein Prinz, oder?"
"Glaube schon. Jedenfalls bin ich auch der Junge von vorhin."
"Dann heirate ich dich gerne." Gertrud lächelte ihn an.
Wenige Tage später heirateten sie und lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Ende.