Gertrud war eine fünfzehnjährige Klimaaktivistin und Fridays-for-Future-Sprecherin in ihrem Heimatort. Während einige ihrer Klassenkameraden in den Sommerferien nach Mallorca flogen, um dort in Form von Alkoholkonsum und Freizügigkeit die Sau rauszulassen und die Umwelt zu verschmutzen, wollte Gertrud mit Zug und Schiff nach Island reisen, um sich über die dortige Energiepolitik, die sie zutiefst bewunderte, zu informieren.
Ihre Eltern wollten zunächst lieber nach Mallorca, doch Gertrud konnte sie schnell davon überzeugen, dass sie unbedingt nach Island musste.
"Spanien hat noch nicht mal halb so viele erneuerbare Energien wie Deutschland (1)", erklärte Gertrud ihren Eltern. "Und wir haben schon viel zu wenig. Island produziert dagegen den Strom fast ausschließlich aus erneuerbaren Energien. Ich möchte mich mit isländischen Klimaschützern treffen und ihre Vorgehensweise erörtern. Und dann können wir nach Mallorca und denen das erklären."
Ihre Eltern waren beeindruckt und begleiteten sie auf ihrer Reise.
Als sie nach einigen Tagen ankamen, bewunderte Gertrud die naturbelassene Insel und die wunderschönen Wasser- und Geothermiekraftwerke. Sie fand jedoch, dass es kaum Bäume und kaum Windräder gab. Sie bezogen ihr Zimmer in einem veganen Biohotel. Anschließend machten sich Gertruds Eltern zu einem Biomarkt auf, um die notwendigen Lebens- und Hygienemittel zu besorgen, während Gertrud durch die Stadt lief, auf der Suche nach Klimaaktivisten. Sie wurde sehr schnell fündig in Form eines ausgesprochen süßen Jungen, der ihr einen Flyer (selbstverständlich aus Recyclingpapier) in die Hand drückte.
"Hey, du bist auch von Fridays for Future!", rief Gertrud erfreut in ihrem perfekten Englisch, das sie gelernt hatte, um in der ganzen Welt Politik betreiben zu können.
"Ja, klar", antwortete er in ebenfalls perfektem Englisch.
Sie nickte eifrig. "Ich komme aus Deutschland. Wir sind noch längst nicht so weit mit unserer Umweltpolitik wie ihr. Nahezu die gesamte Elektrizität in Island wird aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt, wobei 73 % der Elektrizität aus Wasserkraftwerken und 26,8 % aus geothermischer Energie stammen, was zusammen über 99 % des gesamten Stromverbrauchs in Island ausmacht. (2) Aber ich finde, ihr könntet noch ein paar Windräder bauen. Dann hättet ihr noch mehr Strom. Ihr habt doch so viel Wind hier."
Der Junge nickte. "Ja, genau das will ich auch erreichen. Ich hab mir da schon ein gutes Konzept überlegt." Er deutete auf den Flyer. "Schau mal, hier hab ich eine Karte erstellt, die die Orte zeigt, die am besten für Windräder geeignet sind."
"Oh, wow!" Staunend betrachtete Gertrud die Karte.
"Wir versuchen auch ein bisschen aufzuforsten, auch wenn das schwierig ist, weil auf dem vulkanischen Boden die meisten Baumarten nicht wachsen. Aber dafür liefern uns die Vulkane natürlich auch die Geothermie." Er lächelte sie an. "Was hältst du davon, wenn wir eine kleine Radtour über die Insel machen? Dann zeig ich dir das alles in echt."
"Oh ja." Gertrud strahlte ihn an. Sie hatte ein merkwürdiges Gefühl in ihrem Bauch, so als entstünde dort eine Schmetterlingspopulation. Aber natürlich konnte das nicht sein, denn die klimatischen Bedingungen in ihrem Bauch waren sicher nicht ideal für Schmetterlinge.
Gertrud schaltete ihr altes Handy an und schrieb eine SMS an ihre Eltern, damit sie sich keine Sorgen machten, dann holten sie schnell ihre Fahrräder – der Junge erklärte ihr, dass es auch einen Fahrradverleih gab, aber Gertrud hatte natürlich ihr eigenes Fahrrad mitgebracht – und machten sich auf den Weg.
Gertrud radelte zunächst ein Stück hinter dem Jungen, was ihr einen atemberaubenden Ausblick auf seinen knackigen Po verlieh. Wie gut, dass er nicht nur Klimaaktivist, sondern auch noch attraktiv war. Natürlich war das Äußere nicht das Entscheidende, aber dennoch war sie erfreut darüber. Es fühlte sich so an, als würde die Schmetterlingspopulation in ihrem Bauch noch weiter wachsen. Auch über Island erfuhr sie vieles und sie konnte sich an der unberührten Natur kaum sattsehen. Irgendwann machten sie eine Pause auf einem Vulkan und tranken einen Schluck Wasser.
"Ist es nicht wunderschön hier?", fragte der Junge.
Gertrud sah sich um. Der Blick nach unten ins Tal und auf die nahe liegenden Gletscher war wirklich wunderschön. Dann sah sie den Jungen an. Er war ebenfalls wunderschön. Unwillkürlich rückte sie näher an ihn heran und bevor sie ganz verstanden hatte, wie es geschah, küssten sie sich schon. Er roch ein bisschen nach Schweiß, da er sich natürlich nicht ständig waschen konnte, aber es war sehr angenehmer Schweiß. Doch urplötzlich packte sie jemand von hinten und riss sie von ihm fort. Bevor sie irgendwie reagieren konnte, hatte die Person sie hochgehoben und rannte in rasender Geschwindigkeit mit ihr davon. Dann fiel sie plötzlich in etwas Nasses. Gertrud sah auf. Ihr Entführer war ein großer, hässlicher Typ, so eine Art Troll. Sie befand sich in einer Art Höhle.
Und sie saß in einem Kochtopf.
Gertrud schrie. "Bist du verrückt? Ich wiege 54 kg, weißt du, wie viel Energie du verbrauchst, um mich zu kochen?!"
Der Troll machte eine abwehrende Handbewegung. "Ich bin groß, ich brauche nun mal viel zu essen. Und natürlich koche ich mit Geothermie, also mach dir nicht in die Hose. Ich meine, ich würde dich natürlich trotzdem essen, aber ich mag Uringeschmack nicht sonderlich. Und außerdem bin ich sehr nachhaltig, ich esse nämlich alle Teile von dir."
"Aber ..." Gertrud wurde heiß – das lag sicher am kochenden Wasser, in dem sie saß. "Was ist, wenn ich ungesund bin?"
Der Troll musterte sie stirnrunzelnd. "Du siehst doch gesund aus. Du bist jung und frisch, du schmeckst bestimmt gut und du ernährst dich gesund." Plötzlich musterte er sie mit zusammengekniffenen Augen. "Du stammst doch nicht etwa aus Massentierhaltung, oder?"
Sie schüttelte den Kopf. "Nein, ich bin aus Premiumhaltung. Und ich wurde auch weitgehend bio ernährt. Aber ... ich hab mal ein Antibiotikum bekommen. Und Kopfschmerztabletten habe ich auch schon gegessen." Verlegen blickte sie unter sich. Sie schämte sich ja dafür, aber damals war sie noch zu klein gewesen, um zu verstehen, wie ungesund das war.
"Igitt. Ich dachte, du wärst Wild. Nee, da bleib ich doch lieber bei meinen Steinen. Die sind naturbelassen."
Gertrud atmete erleichtert aus – sie war froh, dass der Troll gesund bleiben würde. Gerade als sie aus dem Kessel stieg, kam ein wunderschöner Elf in die Höhle gejoggt. Er sah so ähnlich aus wie der Junge von vorher, nur noch schöner und mit spitzeren Ohren.
"Gertrud!", rief er und zog sie in die Arme. "Geht es dir gut? Hat er dir was angetan?"
"Ach nein, schon gut. Er wollte mich nur essen, aber das wäre auch nicht so schlimm gewesen, weil er so umweltfreundlich und nachhaltig kocht. Aber wir sind übereingekommen, dass es gesünder ist, wenn er sich von naturbelassenen Steinen ernährt."
Der Elf nickte verstehend. Er strich ihr zärtlich über die Wange und näherte sein Gesicht dem ihren. Sie spürte seinen Atem, der nach frischen Kräutern roch, und schloss verträumt die Augen. Aber dann rückte sie von ihm ab. "Hör zu, Elf, du bist wirklich nett und du scheinst dich sehr für Klimaschutz und gesunde Ernährung zu interessieren, aber ich habe vorhin einen anderen Jungen geküsst, und es wäre unfair, jetzt hinter seinem Rücken mit dir herumzumachen."
Der Elf stieß ein wunderschönes, klares, elfenhaftes Lachen aus. "Ach so. Aber das bin ja ich. Also ich bin der Junge und der Junge ist ich. Ich bin eigentlich ein Elf, aber wenn ich in die Stadt gehe, nehme ich die Gestalt eines menschlichen Jungen an, um die Leute nicht zu verwirren."
"Ach so." Gertrud lachte nun ebenfalls. "Ja, deshalb kommst du mir so bekannt vor. Elfen finde ich toll, sie leben so wunderbar in Einklang mit der Natur."
"Ja, wir Elfen sind die größten Klimaaktivisten", flüsterte der Junge, dann küsste er sie. Wenige Tage später reisten sie mittels klimaafreundlicher Elfenmagie ins Elfenland, wo sie bald heirateten und für immer glücklich und Co2-neutral lebten.
Quellennachweise:
(1) "Spanien produziert zurzeit 59 Gigawatt an Erneuerbarer Energie, nicht einmal halb so viel wie Deutschland." aus: https://www.riffreporter.de/de/umwelt/spanische-naturschuetzer-kaempfen-fuer-umweltvertraegliche-energiewende, zuletzt abgerufen am 01.08.2022
(2) direktes Zitat aus: https://de.visiticeland.com/article/renewable-energy, zuletzt abgerufen am 01.08.2022
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Seit Neuestem gibt es auch Fanfiction zur Gertrud-Island-Story: