-Als Chris den Frosch trifft-
«Was war das?» Die gleiche Frage wie zuvor, diesmal jedoch aus dem Mund von Mick.
Finn antwortete ihm schnippisch: «Um deine Worte von eben zu zitieren: Woher soll ich das denn wissen? Geh doch einfach nachsehen. Wahrscheinlich hat dein dämliches Frankensteinmonster nebenan ein paar Gläser zerschlagen.»
«Ey, brauchst du jetzt auch ´n Boxhieb, du Zwerg?»
In Finn stieg Empörung auf: «Du nennst mich Zwerg? Du intellektuelle Amöbe? Komm erst mal raus aus deiner bunten Bilderbuchwelt. Frankenstein ist übrigens die Erfindung einer englischen Autorin, ein Märchen! Aber selbst das weißt du ja nicht mal.»
Micks Gesicht verzerrte sich vor Zorn: «Damit hast du dir jetzt die Abreibung deines Lebens verdient, du verdammter Klugscheißer. Ab sofort werde ich nur noch lachend daneben stehen, wenn dich die anderen auf dem Schulhof wieder ärgern.»
«War ja so klar. Gewalt ist doch die einzige Sprache, die du wirklich verstehst. Dann mach deine blöden Hausaufgaben in Zukunft halt allein. Mit meiner Unterstützung brauchst du jedenfalls nicht mehr rechnen.»
«Glaubt du etwa ich brauche dich dafür, du, du ... dämlicher Brillenaffe!»
Chris hatte genug vom Zank der beiden. Ihm war schlecht. Vermutlich eine Nachwirkung der seltsamen und lauten Geräusche. Immerhin war die Maschine jetzt wieder aus, auch wenn noch Qualm aus dem seltsamen Holzkasten drang. Er wollte hier nur noch weg. Spielkonsole hin oder her, ihm reichte es mit diesem Haus und seinem unheimlichen Bewohner. Wenn der Weg oben frei war, würde er dieses Gebäude verlassen und garantiert nie wieder hierhin zurückkommen. Sollten die anderen ihre Monster hier alleine suchen. Er hatte genug.
Jetzt bekam er zusätzlich pochende Kopfschmerzen. In der Luft lag ein stechender, chemischer Geruch, der beim atmen in der Nase brannte. Ob das auch aus der Maschine kam? Chris trat unsicher zum Durchgang in den anderen Kellerraum und erschrak. Mehrere der Ekel-Gläser waren aus den Regalen gefallen und dabei zerbrochenen. Der stechende Geruch stammte eindeutig von hier. Tote Tiere und Körperteile lagen in Pfütze voll ausgelaufener, beißender Flüssigkeit.
Obwohl, hatte der Fisch dort gerade nicht gezuckt? Nein, das konnte nicht sein. Seine Nerven waren zum zerreißen gespannt, das seltsame, flackernde Licht ließ nur die Schatten tanzen. Alles nur Einbildung, sagte sich Chris. Er musste nur raus aus diesem Keller, hoch an die frische Luft.
Ein jämmerliches Quaken in einer Ecke ließ ihn herumfahren. Dort lag etwas Kleines, Schleimiges. Eine feuchte Spur führte von den Glassplittern am Boden dorthin. Chris sah genauer hin. Es war der Frosch, dessen konservierten Leichnam er eben noch in einem der Gläser gesehen hatte. Der Behälter musste durch die Erschütterungen der Maschine ebenfalls heruntergefallen sein. Der Kadaver war dann irgendwie in die Ecke gerollt. Alles andere musste er sich eingebildet haben. Tote Frösche quakten schließlich nicht. Lediglich seine Nerven spielten ihm einen Streich. Alles war gut. Er sollte jetzt nur hier schnell raus, bevor sein Hirn ihm noch schlimmere Dinge vorgaukelte. Chris würde liebend gerne auf die Konsole verzichten, wenn er nur endlich heil aus diesem schrecklichen Haus heraus käme.
Der Frosch in der Ecke quakte erneut, eines der langen Beine zuckte träge. Chris starrte ungläubig auf das Tier. Konnte das sein, lebte der Frosch noch? Steckte Nathaniel womöglich gar lebende Tiere in die Gläser?
Vorsichtig trat Chris einen Schritt näher. Das zuckende Tier lag hilflos auf dem Rücken. Es strampelte jetzt verzweifelt mit den Beinen, konnte sich jedoch nicht allein aus seiner misslichen Lage befreien. Ohne weiter darüber nachzudenken streckte Chris die Hand aus und drehte den Frosch um. Er fühlte sich kalt und seltsam schwammig an, fast wie ein alter Spüllappen. Angeekelt rieb sich Chris die feuchte Hand an der Hose sauber.
Der Frosch hockte noch immer in der Ecke, betrachtete den Jungen abwartend aus seinen kleinen Augen. Ein tückischer Ausdruck erschien in seinem Blick. Er quakte Chris erneut an, riss dann sein Maul weit auf und ließ die Zunge vorschnellen. Chris zuckte zurück, doch der Frosch war schneller. Die klebrige Zungenspitze wickelte sich um seinen Mittelfinger. Sie verhakte sich dort und Chris riss den Frosch beim Zurückweichen aus der Ecke. Das Tier zog sich an seiner Zunge langsam näher, hoch bis zu der Hand. Die Kiefer schlossen sich um den Finger. Verzweifelt schüttelte Chris mit der Hand, doch der Frosch hatte sich fest verbissen. Die Augen des Tieres glommen rot auf. Chris schrie in Panik.
Mick und Finn kamen angelaufen und verharrten einen Moment ungläubig starrend. Der Frosch zappelte wild mit seinen Beinen in der Bemühung, den gesamten Finger zu verschlingen. Alle drei konnten die hektischen Schluckbewegungen sehen.
«Aua! Verdammt, helft mir doch endlich!», schrie Chris. Er schleuderte die Hand wieder wild durch die Luft.
«Oh je, was machen wir denn jetzt bloß?» Mick wirkte völlig aufgelöst.
Doch Finn griff nach einem der Skalpelle auf dem Tischen. «Halt still», rief er zu Chris.
Dieser sprang jedoch weiter umher. Er versuchte, den Frosch abzuschütteln. Bei einem der Versuche schlug er mit der Hand gegen eines der Regale. Vermutlich aus Reflex ließ das Tier los. Es fiel auf den Boden zurück. Sofort drehte der Frosch sich zu Chris und öffnete erneut das Maul. Finn griff rasch nach einem leeren Glas und stülpte es über das Tier.
«Verdammt!» Chris wich zurück, hielt sich zitternd am Tisch fest. «Der wollte mich gerade fressen.»
Alle blickten auf seinen schleimbedeckten Finger. Die roten Abdrücke des kleinen Kiefers waren gut zu erkennen.
«Es sah ein wenig so aus», gab Finn zu, «aber normalerweise fressen Frösche Insekten. Sie fangen sie...»
«Willst du uns jetzt etwa erklären, es wäre normal, dass eingelegte Frösche plötzlich wieder lebendig werden und Menschen anfallen?» Mick sah seinen Freund scharf an.
Finn rieb sich unschlüssig an der Nase: «Naja, ein wenig seltsam erscheint es mir ja schon.»
Alle blickten auf den Frosch, der hinter dem Glas saß und sie böse aus seinen glühenden Kohlenaugen
anstarrte.
Finn holte Luft und wollte etwas sagen. Doch Chris hatte genug von der endlosen Debatte der beiden. «Ich will hier raus. Und zwar jetzt!» Herausfordernd blickte er die anderen an. «Kommt ihr beiden mit oder wollt ihr die halbe Nacht hier weiter zanken? Ich hab´ jedenfalls genug.»
Als er sich zur Tür wandte, raschelte es im Regal. Automatisch sahen alle drei Jungen hin. Dort lagen die Knochen des Hamsters oder der Maus, die Chris schon zuvor aufgefallen waren. Die zu dem Zeitpunkt noch dort gelegen hatten. Jetzt allerdings schoben sie sich ruckartig zusammen. Sie bildeten wieder einen Körper, der sich zögernd im Glasbehälter aufrichtete. Rote Augen blickten die drei Jungen an.
Chris stöhnte auf und stürmte aus dem Raum.