~Epilog~
Draußen versank die Abendsonne langsam hinter dem Horizont. Die Grillen gaben ihr zirpendes Konzert und durch das offene Fenster drang kühle Abendluft herein, während Chris grübelnd auf seinem Bett lag. Der vergangene Tag war lang und aufregend gewesen. Sie waren mit Samuel weiter die Küste abgelaufen. Er hatte Ihnen dabei einige aufregende Erlebnisse aus seinem ungewöhnlich langen Leben berichtet. Auch sie würden bald langsamer altern, hatte er versichert. Durch den Bernstein geschützt vor den stetigen, kleinen Angriffen des Verfalls würden sie Jahrhunderte überleben. Chris mochte es noch nicht so recht glauben, auch wenn es sehr verlockend klang.
Zuerst hatte er vorhin seinen Stein am Strand gefunden. Dann, am Nachmittag waren sie in einer kleinen Bucht weiter nördlich auf ein weiteres Stück Bernstein für Mick gestoßen. Auch in diesem befand sich eine dieser schimmernden Blasen. Mick hatte beim Anblick einen Freudentanz aufgeführt. Zufrieden waren sie mit Samuel zum Leuchtturm zurückgekehrt. Sie hatten Finn zusammen mit dem Affen auf der Couch vorgefunden. Der Junge lesend, die Nase zwischen staubigen Buchseiten und der seltsame Affe schlafend an ihn gekuschelt. Samuel wollte die beiden Bernsteine in der Nacht auf ihre Tauglichkeit testen. Sollte in ihnen wirklich ein erster Sonnenstrahl eingefangen sein, so würde für die drei Kinder bald die Ausbildung als Jäger des Kuratoriums beginnen.
Chris seufzte. So viel Unglaubliches war in den letzten Tagen geschehen. Begonnen hatte es mit der Nacht im Geisterhaus, dann die untoten Tiere, die sie angegriffen hatten und Nathaniel, der anschließend in einem Lichtblitz verschwunden war. Samuels Offenbarungen über das Kuratorium, die schrecklichen Geheimnisse über dunkle Kräfte im Erdinneren und deren Manifestationen, die die gesamte Menschheit bedrohten. Und nun wurde er Jäger und Kämpfer für einen geheimen Orden.
All diese Geheimnisse nagten an ihm. Weder mit seinen Eltern noch mit Ben durfte er darüber reden. Dabei hatte er mit seinem Bruder bisher über alles reden können. Doch Ben hatte sich verändert. Oder war er - Chris - es, der die Dinge nun anders sah? Er hatte seine endlich Angst überwunden, sogar mehrfach. Veränderte das einen Menschen? Chris wusste nur, dass er ...
Das enervierende Quaken eines Froschs vor dem Fenster riss ihn aus den Gedanken. Chris glitt vom Bett, um das Fenster zu schließen. Er stockte, als er einen huschenden Schatten unter dem Fenster bemerkte. Im schwachen Licht erkannte er seinen Bruder, der sich heimlich aus der Hintertür stahl. Chris erschrak. Es war dort draußen jetzt gefährlich. Samuel hatte sie immer wieder eindrücklich gewarnt. Jede Nacht krochen neue Manifestationen aus den Rissen hervor. Chris holte schon Luft, um Ben zu warnen, schloss dann aber doch wieder Mund. Was sollte er ihm sagen?
Ben, komm wieder rein, draußen sind böse Krähen und Ratten unterwegs, die dir deine Lebenskraft aussaugen wollen? Sein Bruder würde ihn höchstens auslachen. Natürlich konnte Chris zu ihren Eltern gehen. Bis dahin wäre Ben zwar schon lange verschwunden, doch immerhin würden sie in Zukunft besser auf ihn achten. Aber damit nahm er sich auch selbst die Möglichkeit, nachts das Haus zu verlassen, um sich zukünftig mit Samuel zum Training zu treffen. Wie sollte er den Verfall bekämpfen, wenn er zu dessen aktivster Zeit, der Nacht, unter den wachsamen Augen seiner Eltern im Zimmer festsaß? Also wünschte er lediglich das Beste für Ben und schwor sich, die Gegend bald wieder sicher zu machen, bevor jemandem etwas Schlimmes zustieß.
Ben schlich im Schatten der Rosenhecken weiter um das Haus herum. Bald war er aus Chris Sicht entschwunden.
Ob er sich wieder heimlich mit Nelly traf? Bei diesem Gedanken dachte Chris kurz, seinen Eltern besser doch davon zu berichten. Sich heimlich wegschleichen war eine Sache, aber sich dann auch noch mit Nelly zu treffen eine gänzlich andere. Der Gedanke traf Chris wie ein Pfeil in der Brust. Fühlte sich so Eifersucht an? Blödsinn. Nelly war zwei Jahre älter und außerdem ein Mädchen.
Erneut quakte der Frosch unter seinem Fenster. Der Junge blickte verwundert hinab. Hier gab es keinen Teich in der Nähe, wo kam das Tier her? Und da war es schon wieder. Ein langgezogenes, klagendes »HWRRUAAAAK!«
Das kam direkt aus der Hecke. Chris sah genauer hin und erkannte zwei kleine, rote Augen, die ihn boshaft anblickten. Kurz zögerte er, doch dann schloss er schnell das Fenster. Für heute war es genug gewesen. Alles Weitere konnte auch bis morgen warten.
~ENDE~