»Hier ist der Anschluss von Anton Fuchs. Leider bin ich gerade zu faul, um deinen Anruf entgegen zu nehmen. Quatsch mir was drauf. Wenn du Pech hast, rufe ich zurück.«
"Hey, Toni - äh - ja - hier ist Felix - also - Jeger - Kannst du mich anrufen, wenn du das hörst?"
»Hier ist der Anschluss von Anton Fuchs. Leider bin ich gerade zu faul, um deinen Anruf entgegen zu nehmen. Quatsch mir was drauf. Wenn du Pech hast, rufe ich zurück.«
"Bitte, Toni! Ich wollte mich einfach entschuldigen. Geh ran und lass uns nochmal darüber reden ... hier war Felix. Jeger."
»Hier ist der Anschluss von Anton Fuchs. Leider bin ich gerade zu faul, um deinen Anruf entgegen zu nehmen. Quatsch mir was drauf. Wenn du Pech hast, rufe ich zurück.«
"Komm schon, das ist doch albern. Hör auf rumzuzicken und nimm ab."
»Hier ist der Anschluss von Anton Fuchs. Leider bin ich gerade zu faul, um deinen Anruf entgegen zu nehmen. Quatsch mir was drauf. Wenn du Pech hast, rufe ich zurück.«
"Ich habe jetzt meine Sachen gepackt, Toni! Wenn du es nicht anders willst, dann bitte, bitte! Ich meine es ernst. Ich bin weg. Im. Ernst!"
»Hier ist der Anschluss von Anton Fuchs. Leider bin ich gerade zu faul, um deinen Anruf entgegen zu nehmen. Quatsch mir was drauf. Wenn du Pech hast, rufe ich zurück.«
"Ich mache mir langsam Sorgen. Geh doch bitte einfach an dein Telefon. Du musst auch gar nichts sagen. Nur rangehen, damit ich weiß, dass du nicht irgendwo im Graben liegst."
»Hier ist der Anschluss von Anton Fuchs. Leider bin ich gerade zu faul, um deinen Anruf entgegen zu nehmen. Quatsch mir was drauf. Wenn du Pech hast, rufe ich zurück.«
"Bitte, Toni - ich - ich flehe dich an - ich mache mir ehrlich Sorgen. B-Bitte nimm ab ... du musst ran gehen. Geh ran! Komm schon, sei bitte einfach noch am Leben, okay?"
Mit zitternden Händen ließ Felix das Smartphone sinken, starrte in die dunkle Nacht hinaus, nicht sicher, wie lange genau er nun schon auf dem Bordstein vor Antons Haus saß und versuchte, diesen elendig nervtötenden Mann zu erreichen. Seine Reisetasche gepackt hinter sich als Rückenstütze verwendend, hatte er in einer Übersprungshandlung zunächst noch gehofft, der Bildhauer käme nach einer kurzen Spritztour zurück, mit nunmehr freiem und klarem Kopf, fiele ihm um den Hals, um sich wortreich bei ihm zu entschuldigen, gar die Reisetasche aus den Händen zu entreißen, versichernd, dass er für Felix' tapferen Beistand dankbar sei.
Doch Anton war nicht zurückgekehrt. Und so hatte der junge Maler zunächst entschlossen seine leichte Sommerjacke angezogen, die Schuhe geschnürt und war hinaus auf die Straße gestürzt, hatte gar mit Schwung die Tür hinter sich zu gepfeffert, um dann auf dem Fußgängerweg entkräftet zusammenzusinken. Denn wo sollte er hin? Weder hatte Felix Geld für Bus oder Bahn, geschweige denn ein Hotel, noch wollte er zurück zu seiner Mutter und seinen kleinen Schwestern nach Deutschland. Auf diese furchteinflößend beengende winzige Hallig, die ihm die Luft zum Atmen nahm. Auch diese Fahrt hätte er sich so oder so nicht leisten können, lag er doch seit Wochen Anton auf der Tasche.
Ohne Fragen zu stellen hatte der Bildhauer dies hingenommen, keine schrägen Blicke hatte Felix kassiert, als er seinem Freund kleinlaut hatte gestehen müssen, dass er sich von ihm aushalten lassen musste. Seine Mutter? Nein, die stand auf Seiten seines Vaters, wollte kein schlechtes Licht auf die Familie werfen - lieber den Sohn verleumden, denn dieser war doch bereits immer etwas komisch geraten.
Somit hatte Felix beschlossen, dass es vielleicht doch keine schlechte Idee war, der Versöhnung eine Chance zuzugestehen. Sich aussprechen, analysieren, wo genau er eventuell zu weit gegangen war, warum Anton so abrupt hässlich reagiert hatte. Ja, das klang vernünftig. Nach etwas, was Freunde taten, wenn sie eine Meinungsverschiedenheit entzweite. Wenn dieser nervige Mann dies denn zuließ.
Doch bei Felix' Kontaktversuchen hatte sich gezeigt, dass nicht nur dieser einen Sturkopf besaß, oh nein, auch Anton konnte sich rar machen, verkrümeln, sich gar wie ein Geist in Luft auflösen. Gern hätte er dem Bildhauer einige Zeit gegönnt, um seine Gedanken zu sortieren, das Gemüt abkühlen zu lassen, doch vier Stunden waren dann doch ein Grund zur Sorge. Nicht wahr? Ein Anreiz für Felix, sich ernsthaft auszumalen, was in dieser Zeit Anton hatte zustoßen können. Eine Räuberbande war noch das Harmloseste, was sein Gehirn ihm an Szenerien und Vorschlägen vorspielte. Doch die Krönung waren verschiedenste Versionen von Autounfällen.
Hatte Anton seine Kombi getragen?
"Nein", begann Felix seine persönliche Checkliste, klaubte seinen Körper vom Bordstein auf und besah sich mit gerunzelter Stirn nachdenklich sein Telefon.
Und selbst wenn, hätte er sie fachgerecht geschlossen?
"Natürlich nicht."
Mit dem Finger fuhr der Künstler über das Display, kam ihm doch die absonderliche Idee, dass Antons dreiste Spionage auch andersherum funktionieren müsste, war eine Synchronisation ja bekanntlich beidseitig. Tatsächlich fand Felix auch mehr durch zufälliges Herumexperimentieren das Gewünschte, wurde ihm endlich anhand eines kleinen roten Punktes der letzte bekannte Standort Antons angezeigt - oder zumindest, wo sein Smartphone sich aufgehalten zu haben schien.
"Er hat keinen Helm getragen", würgte Felix hervor und lief los.
Er war nicht sportlich, nein, nie gewesen. Zwar war Felix mit stattlichen langen Beinen gesegnet, auch seine schlanke Figur sollte als aerodynamisch gelten, doch diese Vorteile machte der junge Mann mit einer überraschenden Portion an unterdurchschnittlicher Fuß-Augen-Koordination wieder wett. Hinzu kam eine quasi nicht vorhandene Ausdauer, was dazu führte, dass Felix mit erheblichen Sehstörungen und schnaufend wie eine Dampflok an seinem Ziel ankam. Blinzelnd versuchte er mit schierer Verzweiflung seine Sicht wieder zu fokussieren, stürzte jedoch bereits in die vollkommen in kaltem Weiß gehaltene Informationshalle, um sich zum Tresen zu schleppen, an dem zwei Damen in den typischen blauen sackähnlichen Kleidungsstücken einen kritischen Blick auf seine ramponierte Gestalt warfen.
"Fuchs!", rief Felix keuchend aus, schien dabei aber nur bedingt auf Verständnis zu stoßen.
"Fuchs", wiederholte er etwas ruhiger, "hier? Bitte - ich - muss bitte zu Anton Fuchs."
Nun schien er zu den Damen durchzudringen, erntete er doch zum ersten Mal ein beinahe freundlich zu nennendes Lächeln, als die blonde Frau zur Rechten der anderen auf ihrer Tastatur zu klappern anfing.
"Ah ja, hier haben wir ihn. Sind Sie denn ein Verwandter?"
Felix fühlte sich, als habe man einen Kübel kalten Wassers über ihn ausgegossen, blieb ihm doch keine andere Wahl, als den Kopf betrübt zu schütteln.
"Dann können wir Ihnen leider keine Ausk-"
"Bitte", presste er flehentlich hervor, ging gar ein wenig in die Knie, während sich seine Finger in den Empfangstresen krallten, "ich bin - er - er ist ... Er ist alles, was ich habe."
Der Blick der Dame wurde milder, verstehend. Leicht beugte sie sich dem verzweifelten jungen Mann entgegen, ließ ihn sich hinunterbeugen.
"Durch die Tür dort und dann das zweite Zimmer, hinterstes Bett. Ihr Partner hatte wirklich Glück im Unglück."
Felix korrigierte die falsche Annahme nicht, hatte sie ihm doch die gewünschte Möglichkeit eröffnet, Anton sehen zu dürfen.
Mit zitternden Gliedern, kalten Händen, ganz und gar zugeschnürter Kehle trat er den angewiesen Weg entlang, erwartete, auf der Intensivstation zu gelangen, um auf ein Bett zu stoßen, in dem ein fürchterlich zugerichteter einstmals fröhlicher und nun gebrochener nervtötender Mann liegen würde.
Doch es blieb bei der Notaufnahme, die hintere Pritsche war nicht besetzt, denn Anton lag nicht darauf. Verblüfft starrte Felix den anderen an, der mit schmerzverzerrter Miene dabei war, sich in sein Hemd zu quälen, während eine fürchterlich grässlich aussehende genähte Platzwunde seine Stirn zierte, seine eine Gesichtshälfte bereist begann, in den schönsten Farbnuancen zu schillern und der Brustkorb des Bildhauers fest in einen Verband verschnürt worden war. Die Kleidung zerknittert, die Haut fahl und kränklich, sah Anton aus, als sollte er die nächsten Wochen - besser Monate - im Krankenhaus verbringen, anstatt, wie sein Vorhaben zu sein schien, in den nächsten Minuten fiedel aus der Tür zu marschieren.
"Du lebst", hauchte Felix, nicht sicher, ob er seinen Augen trauen konnte.
Sein Freund fuhr zu ihm auf und zuckte mit einem Schmerzenzlaut zusammen, ermunterte damit Felix dazu, sich ihm mit Vorsicht zu nähern.
"Was ist passiert, Toni?", krächzte der Blondschopf schockiert.
"Hing'haun hats mi. Der Lotus kam von links. So ein Trottel depperta!"
Perplex und ernsthaft besorgt musterte Felix den Österreicher, der leicht unsicher vor ihm stand, im Begriff, sich schlurfend an ihm vorbei zu schieben, um den Raum zu verlassen.
"Du wurdest von einer Blume angefahren? Toni, du solltest dich weiter untersuchen lassen ... du könntest eine Hirnblutung haben. Damit ist nicht zu -"
"Ah" stöhnte Anton kläglich, kniff die Augen zusammen, wedelte lediglich mit der Hand nach ihm, sodass Felix stützend an seine Seite eilte, "laß mi angelahnt! Ich will einfach heim, okay? Bringst mi heim?"
Da brauchte dieser nervtötende Mann doch nun wirklich nicht fragen. Vorsichtig geleitete Felix seinen Freund aus dem Krankenhaus.