Erst am nächsten Morgen beim gemeinsamen, liebgewonnen Frühstücksritual, als Anton in seine Zeitung vertieft seine zweite Melange schlürfte, sah Felix wie vom Hafer gestochen von seinem Buch auf. Zögerlich stellte er den Teller mit den Eiern fort, schienen sie aufgrund einer dunklen in ihm keimenden Vorahnung plötzlich faulig zu schmecken, seine Eingeweide sich fürchterlich zu verknoten und es in ihnen zu rumoren.
"Ähm", begann Felix unsicher, "Toni? Was war denn das jetzt gestern für ein Termin?"
Statt einer einfachen besänftigenden Antwort, folgt leises Papierrascheln, das ein Räuspern seines Partners kaum zu übertönen vermochte. Angestachelt von dieser sonderbaren Reaktion, wurde es dem jungen Künstler zugleich heiß und kalt, ahnte er doch bereits die nächste Katastrophe über sie hereinbrechen. Das Frühstück lag ihm zentnerschwer im Magen, er fühlte sich mit einem Mal ganz fürchterlich aufgebläht und sein Bauch schmerzte quälend.
"So schlimm, dass du es mir nicht einmal sagen kannst?", wisperte er erschrocken.
Damit erreichte er immerhin, dass der Bildhauer über den Rand der Zeitung hinweg einen Blick aus seinen Sturmaugen auf ihn warf, um dann die Brauen eng zusammengezogen die Blätter beiseite zu legen und sich auf dem Sofa etwas in Felix' Richtung zu drehen. Die Hände auf seinen von glühenden Schürhaken malträtierten Bauch gepresst, sah der Blondschopf zu seinem das Unglück anziehenden Mann hinüber, das Schlimmste erwartend.
"Nein", antwortete Anton besonnen, wie es nun einmal seine Art war, brachte den Knoten in Felix' Eingeweiden dazu, sich mit einem Schlag zu lösen, "ich wollte dich nur nicht beunruhigen. Ich war bei Gericht - ein Jahr Sperre und eine saftige Geldstrafe. Danach habe ich noch kurz was erledigt, worüber du dir nicht den Kopf zerbrechen musst."
Das nannte Anton also halb so wild? Zum Haareraufen. Dieser Mann schaffte ihn, er sorgte noch dafür, dass ihm mit gerade einmal zwanzig Jahren die ersten grauen Haare wuchsen. Kein Führerschein. Ein Jahr lang sollte sein wagemutiger Rebell auf die Nutzung seiner Höllenmaschine verzichten? Das war - ja - also - das war doch -
"Okay", gab Felix vor, es locker hinzunehmen, strich dem Bildhauer tröstend über das in schwarzen Jeansstoff gekleidete Knie, erhob sich dann, um das Geschirr in die Küche zu tragen ... und sein erleichtertes Grinsen zu verstecken. Kein Motorrad. Keine Unfälle, weil sein unglaublich waghalsiger Tunichtgut fuhr, wie der Henker persönlich.
Beschwingt machte sich Felix an den Abwasch, bekam nur mit halbem Ohr mit, wie Anton einen Anruf erhielt und angeregt eine Unterhaltung führte. Es war einerlei, heute konnte ihm nichts die Stimmung vermiesen, denn einer seiner schlimmsten Dornen, die in seinem Fleisch steckten, seit er in dem Bildhauer mehr sah, als seinen langjährigen und geschätzten Rivalen, war gezogen. Wie überaus schön! Ja, es war geradezu beschwingend, er könnte glatt eine Arie trällern, wäre das seinem Partner gegenüber nicht doch sehr unsensibel gewesen.
Dieser schlenderte auch prompt in die Küche, als haben seine Ohren geklingelt, lehnte sich mit verschmitztem schiefen Grinsen an den Türrahmen und beobachtete Felix bei seinem fröhlichen Abwasch. Summte er vor sich hin? Ja, das tat er und Anton schien es zu gefallen, denn er kam zu ihm herüber, umschlang die Taille des jungen Malers, vergrub das Gesicht an seiner Halsbeuge und wiegte sie beide im Takt der von ihm angestimmten Melodie seiner frühesten Kindheit. Eine weitere Erinnerung an seine Nonna. Schon merkwürdig, wie diese Fetzen immer mehr und mehr in sein Bewusstsein drangen.
"Wir müssten dann auch noch mal zur Werkstatt", raunte Anton in seinen Nacken, lenkte seine Aufmerksamkeit geschickt mit geübten Fingern zu seinen empfindlichen Flanken, an denen er hinaufstrich.
"Ins Atelier?", fragte Felix zerstreut.
"Nö, mein Maschinchen abholen."
Anton löste sich von ihm, verschwand schelmisch lachend im Hausflur. Wie? Was? Wo? Unfassbar! Er könnte diesen nervtötenden Mann doch glatt -
Mit hängenden Schultern trottete der Maler zur Haustür.
Mit vor der schmalen Brust verschränkten Armen stand Felix keine dreiviertel Stunde später vor einem blitzsauberem und generalüberholtem Motorrad. Blitzend und Blinkend strahlte die Karosserie dieses tödlichen Gefährts in der Mittagssonne in einem schon lächerlich provozierenden Fuchsia. Wenn Felix schnippisch wäre, so würde er behaupten, dass Anton diesen Farbton lediglich gewählt hatte, da sein Name darin vorkam, denn er konnte sich beim besten Willen noch immer nicht erklären, warum ein Mann, der jegliche Farbe des Spektrums aus seiner Garderobe verbannte, das Bedürfnis verspürte, mit einem Gefährt durch die Straßen Wiens zu rasen, das laut schrie. Es schrie zum Himmel.
"Wie willst du das Ding denn nach Hause schaffen?", wunderte Felix sich, denn er hoffte doch nun wahrlich, dass Anton sich nicht erdreistete, die nächste Straftat zu begehen und ohne Führerschein zu fahren.
Der Bildhauer schlüpfte gerade in seine schwarze Motorradjacke aus Leder, als er aufblickte und wieder dieses gefährliche Blitzen in seinen nebligen Irden erkennbar wurde.
"Geh mal rein, ja, und such dir eine hübsche Kombi aus, Hascherl."
Brüskiert pustete der Jungkünstler sich eine verirrte Haarsträhne aus der Stirn, sah er doch nun wirklich keinen Grund für dieses Unterfangen.
"Wieso?", maulte er daher drauflos, "du kannst eh nicht fahren."
"Aber es wird in Zukunft unser bevorzugtes Fortbewegungsmittel sein. Ohne vernünftige Schutzkleidung nehme ich dich auf längeren Strecken aber sicher nicht mit. Jetzt mach halt, bitte."
Auffordernd wurde Felix die Bankkarte entgegengestreckt, sodass er ergeben hinein trottete.
Um nach einigem Hin und Her in einer eng anliegenden Lederkombi in schwarz und weiß mit dezenten purpurnen Akzenten herauszutreten. Aus zwei einfachen Gründen hatte er sich für diese Version entschieden.
"Erstens", sprach Felix zu sich und zog die festen Handschuhe über, "es beißt sich farblich nicht mit dieser Maschine des Todes."
Was ein Pluspunkt war, denn es widerstrebte dem Maler, auf dem Zweirad zu sitzen, mit dem Gedanken, dass jeder, der sie betrachtete spontan an Augenkrebs erkrankte.
"Zweitens", führte er weiter aus, als er neben Anton trat, der ihm half, den Helm, den er bisher stets getragen hatte, überzustreifen, "mit dieser Kombination aus weiß und knallig leuchte ich hoffentlich auch im Dunkeln und wir werden nicht überfahren."
Zu seiner Erleichterung nahm Anton sein Gebrabbel so hin, doch als er beschloss, genug gemodelt zu haben, hielt sein Partner ihn zurück.
"Nee, Jeger, hiergeblieben. Schwing dich rauf da. Du fährst."
Nass. Er war schweißnass, nein, geradezu durchgeschwitzt. Anton hatte keine Ausreden gelte lassen, ihn nur hinauf gedrängt und sich hinter ihn auf den Sozius gesetzt. Eng an Felix' Rücken geschmiegt, war sein Partner ruhig dazu übergegangen, ihm zu erläutern, wie er dieses Höllending zwischen seinen Beinen bediente, erklärte Schalter und Hebel, Fußpedalen und Knöpfe.
Dann war der Ständer mit einem Kick eingerastet und der Motor erwachte röhrend zum Leben.
Bockend fuhr das Motorrad unter Felix' Führung an, machte einen Satz und der junge Blonde schrie erschrocken auf, doch Anton sprach ihm beruhigend Mut zu. Tatsächlich wurde es besser, langsam schaffte er es, sich in den Verkehr einzufädeln. Hielt an einer roten Ampel, indem er stabilisierend die zitternden Beine von den Fußrasten nahm und die Füße in den Stiefeln auf den Asphalt setzte.
"Du machst das sehr gut, Jeger", lobte ihn Anton über das Brüllen den Motors hinweg, doch Felix war viel zu aufgeregt, um eine Antwort - ob verbal oder non-verbal - geben zu können.
"Jetzt musst du nur noch aufhören, zu lenken, als würdest du ein Fahrrad fahren. Lass den Lenker, nutz deine Hüfte."
Keine Ahnung. Er hatte keinen blassen Schimmer, was dieser nervtötend spontane Mann ihm damit sagen wollte. Dies schien auch eben jenem bewusst zu werden, denn als die Ampel auf grün sprang, spürte Felix, wie Anton noch ein wenig näher rutschte, seine Oberschenkel sich plötzlich eng an ihn pressten. Als sie an eine Kurve herankamen, nahm der Maler mit einem Mal wahr, wie der Körper hinter ihm, ihn sanft in diese hinein legte. Überrumpelt, aber positiv erstaunt, bemerkte er die Veränderung.
Zunehmend entspannter fuhr er sie nach Hause.
Dennoch konnte er deutlich die Verspannungen in den Schultern und im Rücken spüren, als er absaß.
"Das war dann aber hoffentlich die letzte Überraschung fürs Erste", lachte Felix müde.
"Mhm ..."
Alarmiert folgte er Anton ins Haus.