Morgens die Augen aufzuschlagen, den stetig schlagenden Rhythmus eines kräftigen Herzens unter sich fühlen, den Kopf auf einem warmen Bauch abgelegt und den Arm um einen Leib geschlungen, der sich sacht regte. Lebendig, so lebendig. Das war Glück.
Nur, dass dieser Körper hin und her rutschte, als versuche er, eine bequemere Position zu finden, ohne, dass ihm dies gelang.
Auch erschien Felix die Wärme nicht mehr ganz behaglich, sondern hitzig. Erschrocken fuhr der junge Mann auf und fand sich Anton gegenüber, der ihn aus glasigen Augen ansah, die dunklen Haarsträhnen klebten ihm an der schweißnassen Stirn, doch das Lächeln, das dieser sorglose Mann ihm entgegenwarf, war noch immer so durch und durch Rebell. So durch und durch Toni.
"Morgen, Dornröschen", flüsterte Anton ihm zu, doch auch diese neckische Art, die er aufrechtzuerhalten versuchte, täuschte nicht über die Blässe und die geschwollene linke Gesichtshälfte hinweg.
Nicht über das schwere Atmen und die Nähte, Pflaster und Verbände. Wie nur hatte Felix es wagen können einzuschlafen? Er war ein grausamer Freund! Schändlich war es von ihm gewesen, sich der Erschöpfung hinzugeben, sich gar auf Anton nieder zu betten, ihn als Kissen zu missbrauchen und den Schlaf der Gerechten zu schlummern, während dieser großartige Mann in Schmerzen lag. Der Blitz sollte Felix treffen, hier und auf der Stelle.
"Ich glaube, du hast Fieber", hauchte er hilflos und strich seinem Freund mit den Fingerkuppen eine Strähne aus dem Gesicht.
"Glaub' ich nicht", nuschelte Anton kaum verständlich, "mir ist ganz kalt."
Alarmiert blickte Felix den Überlebensexperten an, der einen Unfall mit einer Killerblume nur so sagenhaft knapp überlebt hatte. Nein, Anton würde jetzt nicht - oder? Das durfte nicht passieren! Hätte er diesen nervtötenden Mann gestern Nacht überreden sollen, im Krankenhaus zu bleiben? Darauf bestehen sollen? Innere Blutungen oder einen Hirnschaden könnten die Ärzte übersehen haben, hatte Felix doch mal irgendwo gelesen, dass sich derartige Verletzungen oft erst Stunden später auf entsprechenden Bildgebungen präsentierten.
Fielen Anton gerade die Augen wieder zu?
Ruppig packte Felix diesen an der Schulter, um ihn kräftig zu rütteln, entlockte Anton ein Zischen und Stöhnen. Erleichtert atmete der Jungkünstler auf. Wer greinte, atmete noch.
"Haben sie dir in der Notaufnahme etwas mitgegeben?", kam ihm da ein Einfall, als er sich an einen Skiausflug vor Jahren mit der Familie erinnerte, bei dem seine kleine Schwester sich den Knöchel gebrochen hatte, "ein Rezept für Schmerzmittel vielleicht?"
"Mhm, Hosentasche", mauschelte es ihm als Antwort zu.
Was hatte Anton nur mit seinen verfluchten Hosentaschen?
Doch mutig brachte Felix sich über seinen entkräfteten Freund und setzte sich rittlings auf dessen Oberschenkel, darauf bedacht, nicht sein volles Gewicht auf ihn zu senken, kam er in dieser Position jedoch besser an die Taschen heran. Beherzt griff er hinein und ignorierte das Glucksen, das dem Bildhauer aus der Kehle drang. Eindeutig Fieber, wie Felix fachmännisch diagnostizierte.
Das Rezept triumphierend in der Hand, rollte er sich von der Couch und eilte sogleich los, zog in seiner Hektik Antons Schuhe an, entschied, dass es nun wirklich unwichtig war, wessen Schuhe an welchen Füßen steckten und hoffte darauf, dass er den anderen für kurze Zeit allein lassen konnte. Vielleicht sollte er dessen Eltern -
"Bloß nicht", entschied Felix und flitzte los.
Es war bereits später Nachmittag, als Anton die Augen das nächste Mal aufschlug, ohne direkt in fiebrigem Wahn Unverständiges vor sich hin zu brabbeln. Erschöpft aber unfassbar erleichtert nahm Felix wahr, wie sich die nebelgrauen Augen auf ihn fixierten, anstatt durch ihn hindurch zu blicken, ein müdes Lächeln die Mundwinkel des Bildhauers in die Höhe zog, zumindest auf der Seite, die nicht dick und geschwollen war, und auch die Atmung Antons wieder regelmäßiger zu gehen schien.
Hatte er sich in den Stunden der Sorgen und Ängste, nachdem er seinem Freund die Schmerz- und Fiebertabletten eingeflößt hatte, abgelenkt, indem er das Haus auf Vordermann gebracht hatte und anschließend Tonnen an Pastateig zubereitet. Diesen dann in unterschiedlichste Formen geknetet, getrocknet oder eine schöne fette Hühnersuppe gezaubert, um diesem ihm alle Nerven kostenden Mann wieder auf die Beine zu helfen.
Schließlich saß er nun seit eineinhalb Stunden auf einem Stuhl neben der Couch, hielt Antons klamme Hand in seiner, die Stirn auf die Lehne gebettet und ... haderte. Mit dem Leben. Mit der Welt. Vor allem mit sich. Ja, mit sich, weil er einfach schon wieder nichts tat, als hier zu sitzen und darauf zu warten, dass Anton alles für ihn tat. Denn wenn es schwierig wurde, dann war es Anton, auf den man sich besser verließ. Nicht Felix, niemals, nein, besser nicht auf Felix.
"Hi", grüßte ihn Anton heiser und der junge Blondschopf konnte nicht anders, als mit zitterndem Kinn zurück zu lächeln.
Ohne große Gedanken daran zu verschwenden, was er tat oder wie es auf den anderen wirken mochte, führte er ihre verschränkten Finger zu seinem Gesicht und presste seine Lippen auf Antons Handinnenfläche.
Seine Nasenflügel bebten, ihm blieb nichts anderen übrig, als ein Schluchzten, das sich in seiner Brust bildete, nieder zu kämpfen. So schloss er lediglich für eine Sekunde die Augen, verschloss sie vor der Welt und Anton, ja vor allem vor ihm, sammelte sich, bevor er sich wieder dem Verletzten zuwandte.
"Du hast mir Angst gemacht", gestand Felix ein.
"Jetzt geht's mir ja besser."
"Wirklich? Soll ich dir noch eine Tablette holen? Was zu essen? Ich habe Pasta gemacht und Hühnersuppe."
Das amüsierte Schnauben klang schon fast wieder nach dem alten Toni, den er so sehr lie -
Mit wackligen Beinen stand Felix auf und besorgte seinem Sorgenkind eine ordentliche Stärkung, brachte auch gleich ein Schmerzmittel und ein Glas Wasser mit.
Da war ein zartes Funkeln in den Sturmaugen, dem Felix nur schwer widerstehen konnte, doch ahnte er, dass hinter diesem ebenso etwas lauerte.
"Ich finde ja, ich hätte mir zumindest einen Wein auf diesen Schreck verdient", brachte Anton heraus.
Felix stand da, starrte zu diesem nervtötenden Mann hinunter, schwer versucht, ihm die Suppe einfach über den Schoß zu kippen. Unverschämt, dieser Mann war einfach nur unverschämt.
"Klar, zu den Schmerztabletten. Vielleicht soll ich dir auch noch deine Zigaretten bringen?", trieb es Felix mit dem Sarkasmus auf die Spitze, handelte sich von Anton allerdings ein unter Schmerzen vorgebrachtes Schulterzucken ein.
"Wenn du es schon so lieb anbietest."
"Ach, du Esel!", ereiferte sich Felix.
"Nein, ich Fuchs."
Als sich der Blondschopf sträubte, sich von Anton am Handgelenk auf das Sofa ziehen zu lassen, konnte Felix gerade noch sie beide vor der heißen Speise retten, als der brünette Idiot beschloss, dass der eingeschnappte Pedant mit einem Angriff auf seine empfindlichen Flanken aufgelockert gehörte.
Japsend sackte Felix auf Antons Beinen zusammen, krümmte sich unter den kitzelnden Fingern, bis er nach einem Gnadengesuch erlöst wurde.
"Das - h-hat dir doch - wh-he get-tan!", protestierte er kläglich nach Luft ringend.
"Das war's mir wert", lautete das schlichte Urteil, "und jetzt komm endlich her und leg dich wieder auf meinen Bauch. Ich esse, du quasselst. Wir hatten gesagt, wir reden über dieses ganze Bohai um deine Pleite-Geschichte."
Schade, das war also nichts, was Anton im Fieberwahn vor sich hin gesäuselt hatte.