Die Wahl fiel selbstredend nicht auf die Unglück bringende Straßenbahn, war Felix nicht erpicht darauf, Anton eine halbe Stunde an der Haltestelle warten zu lassen, um ihn in einer ruckelnden und zuckelnden Gefahrenschleuder nach Hause bugsieren zu können, da die bereits abfahrbereite Bahn leider nicht in sein System passte.
So rief er ihnen kurzerhand ein Taxi und bekniete seinen augenverdrehenden und in schönstem wiener Dialekt vor sich hin brabbelnden Freund, sich auf die Rückbank zu legen, was dieser natürlich - natürlich, verflucht, es war doch Anton - vehement ablehnte, sich stattdessen lieber wie eine Klette an Felix hängte und diesen mit einer erstaunlichen Kraft angesichts dessen Zustands mit sich zog. Seinen Kopf schwer auf die Brust des jungen Malers gebettet, einen Arm um dessen Hüfte geschlungen, kuschelte Anton sich an ihn, grunzte jedoch bei jeder noch so kleinen Gewichtsverlagerung oder Bodenschwelle, die der Taxifahrer bei ihrer Heimfahrt mitnahm. Derweil tätschlete Felix linkisch die dunkle Haarpracht des ramponierten Bildhauers, fieberhaft überlegend, wie er sich aus der Zwickmühle der Zwangsumarmung lösen könnte, nicht sicher, ober er dies überhaupt wollte, schien sie dem sonst so starken und unerschütterlichen Mann doch erstaunlich viel Trost und Frieden zu schenken.
"Nur ein paar Minuten. Reiß dich zusammen, Felix", sprach er sich selbst Mut zu, erntete von Anton ein leises Brummeln, das von Zustimmung bis hin zu einer Bitte, endlich den Mund zu halten, alles hätte bedeuten können.
Beinahe tat es dem Jungkünstler leid, als sie vor dem herrlichen Altbau hielten und er Anton dazu nötigen musste, sich von ihm in eine aufrechte Sitzposition helfen zu lassen.
Er war bereits drauf und dran, seinen Freund möglichst sanft ziehend und zerrend aus dem Auto zu quälen als es Felix heiß und kalt den Rücken hinab lief. Wie nur sollte er diese Fahrt eigentlich bezahlen? Sicherlich wäre ihr Kutscher nicht begeistert, wenn er ihm nun zum Dank für die vortreffliche Reise, die restliche Sachertorte in eine Frischhaltebox packte, mit den Worten 'der Rest ist für die Familie'.
Mit heißen Wangen schielte er zu dem speckigen Gesicht des breit gebauten Mannes hinter dem Steuer, doch die Zeche prellen war keine Option, schon der Ehre wegen, war Felix nicht bereit, nun doch noch den Artikeln und Kommentaren der User in den Internetforen gerecht zu werden, die sich immer mehr anhäuften, seit dieser eine alles zerstörende Schund gedruckt worden war.
"Ich kann die Rechnung nicht begleichen", rang er sich nun doch zu einem geflüsterten Eingeständnis gegenüber Anton durch, der inzwischen mehr schlecht als recht an der Karosserie des Taxis gelehnt mit einem Arm seinen Brustkorb umschlang, in sich zusammengekrümmt und die Augen zusammengepresst, offensichtlich starke Schmerzen leidend. Ein kaum wahrnehmbares Nicken bewegte den Kopf des älteren Mannes auf und nieder.
"In meiner Hosentasche", murmelte Anton, machte allerdings keinerlei Anstalten, selbst zur Tat zu schreiten und Felix brauchte einige verblüffte Sekunden, um zu realisieren, was Anton da von ihm verlangte.
Verlegen, mit hektischen Flecken auf Wangen und Hals, schob er sich an Anton heran und eine Hand in dessen vordere Hosentasche. Räusperte sich, seine Kehle schien ganz grausam trocken geworden zu sein, Schweiß brach ihm aus.
"Da ist nichts", fiepte Felix, sich bereits ausmalend, wie er dem Taxifahrer erklärte, dass sie leider kein Geld hatten und dieser sie zu einer anderen Form der Entschädigung -
"Ist ja auch in der Gesäßtasche, Hascherl."
Das verschmitzte Grinsen in Antons Stimme war nur zu deutlich herauszuhören, trieb Felix noch weiter die Röte ins Gesicht. Fahrig fischte er erst die Geldbörse heraus und dann die gesuchten Scheine aus ebenjener.
Grollend führte er schließlich seinen vollkommen unmöglichen Freund mit äußerster Vorsicht hinein, zuckte bei jedem Zischen und Stöhnen zusammen, das Anton von sich gab, bereit, die Ambulanz zu verständigen, die Seite mit dem Tutorial zur Wiederbelebung bereits vorsorglich auf dem Smartphone geladen.
Ihn eine unverschämt steile Treppe hinauf zu scheuchen, erachtete Felix als vollkommen schwachsinniges Unterfangen, auch, wenn Anton protestierend bereits den Aufstieg begonnen hatte. Schnaubend ließ Felix den Sturkopf machen, wuselte unterdessen zur Couch, um diese auszuziehen und ein Nest aus warmen wie flauschigen Kissen und Wolldecken zu bereiten. Hin und her verschob er dieses und jenes, bis er vollends zufrieden mit seinem Krankenlager wieder eine Kehrtwende hinlegte, um Anton auf der dritten Stufe sitzend vorzufinden, schwer schnaufend, fix und alle von der Anstrengung, die es ihn gekostet zu haben schien.
Leicht legte Felix den Kopf schief, stützte die Fäuste in die Hüften, damit er den ausgepowerten Superhelden mit sarkastisch erhobenen Brauen und aus funkelnden dunklen Augen mustern konnte.
"Niedergestreckt von einem lausigen Aufgang?", stichelte der Jungkünstler, "war doch angeblich kein Problem."
"Hilfst mir jetzt beim Aufstehen?", meckerte Anton gnadschig, brachte den Jüngeren zum Lachen, der zu ihm kam und ihn sacht auf die Füße zog.
Auf dem Sofa rutschte Anton sogleich in das gemachte Nest, forderte aber Gesellschaft, die Felix dem Unglücksraben nicht verwehren wollte. So krabbelte er zu ihm, wenn er auch etwas Abstand hielt, beobachtete, wie dem ramponierten Bildhauer die Augen zufielen.
Erst, als Antons Atemzüge zwar noch immer flach aber gleichmäßig wurden, gestattete er sich, mit den Fingerspitzen durch die seidigen dunklen Strähnen dieses nervtötenden doch für ihn so wichtigen Mannes zu fahren.
"Über die Sache mit dem Geld müssen wir noch reden", murmelte eben dieser Mann ganz leise, kaum verständlich.
Felix fuhr gerade deswegen umso stärker zusammen. Er hatte befürchtet, dass Anton es ihm nicht ewig durchgehen ließe. Ob er das Geld zurückfordern würde? Nähme er auch Ratenzahlung? Doch wie sollte Felix selbst diese abstottern? Sich doch einen Job hinter der Theke eines Schnellrestaurants suchen? Was bliebe ihm für eine andere Wahl? Seine Karriere war vorüber, nicht mehr existent, ein einziger Witz und sein Ruf eh für immer ruiniert. Seine Konten leer geräumt. Sein Vater machte sich ein schönes Leben, seine Mutter hatte die Verbindung zu ihm gekappt, sogar ihre Nummer geändert, behauptete, keinen Sohn zu haben. Was sollte er denn tun, wenn Anton nun eine Entschädigung verlangte? Wie sollte er -
"Nicht wieder alles zerdenken, Hascherl", wisperte Anton, zog bestimmt an Felix' Jackenärmel, die er in dem Trubel vergessen hatte auszuziehen.
Genau genommen steckten sie beide noch immer in ihren Straßenkleidern, hatten nur ihre Schuhe abgestreift. Doch keiner von ihnen hatte noch die Kraft oder den Willen, etwas daran zu ändern.
Nachgeben war so einfach. Erschöpft ließ sich Felix von Anton an dessen Seite dirigieren, wurde mit dem Kopf auf den weichen Bauch seines Freundes gebettet, um den er sich so sehr sorgte. Doch selbst für diese Sorgen war Felix jetzt und hier einfach zu müde. Ergeben schloss er die Lider und glitt in einen unruhigen Schlaf.