"Jetzt nicht wieder dein ewiges Wigglwaggl“, moserte Anton, als Felix herumzudrucksen begann.
Ergeben schob der Blondschopf sich höher und kuschelte sich in die Kissenberge, zog vorsorglich eine Wolldecke höher über Antons Beine, wollte er doch nicht, dass dieser nachlässige Mann sich doch noch den Tod holte. Auffordernd klopfte sich der Bildhauer auf den Bauch, brachte Felix ein wenig zum Schmunzeln, schien es, als habe er Gefallen daran gefunden, wenn der Maler ihn als Kissenersatz missbrauchte.
Ganz vorsichtig rückte er an seinen Freund heran und ließ sich dazu überreden, erneut Kopf und Nacken auf Anton abzustützen, diesmal jedoch nicht seitlich sondern so, dass er diesem von unten herauf in die Sturmaugen blicken konnte, während dieser seine extra für ihn zubereitete Hühnersuppe löffelte.
„Gut?“, fragte Felix lobheischend.
„Hm … Mhm“, brachte Anton nur heraus.
Freude durchflutete Felix prompt und durchzog seinen Körper mit einem sanften Prickeln von den Fußsohlen bis unter die Schädeldecke. Ewig könnte er einfach hier liegen und an die Decke starren, ohne etwas zu denken. Wie selten kam es vor, dass er zur Ruhe kam, eben nicht dachte, seine Hände weder mit einem Ritual beschäftigt waren, noch sein Verstand bereits im Geiste die nächste Liste an Horrorszenarien für ihn bereithielt? Er wusste doch schon gar nicht mehr wie das ging. Entspannen.
„Was ist jetzt?“, kroch da Antons Stimme in diese wohltuende Stille und Felix wusste, dass sie nun zum Ernst der Lage zurückkehrten, um den er schon so lang einen Bogen schlug.
Schade. Gern hätte er sich einfach weiterhin der Illusion hin gegeben, dass hier alles gut wäre.
Jetzt, wo es Toni besser ging. Er offensichtlich nicht sterben würde. Hoffentlich, wer wusste das schon. Ärzte übersahen ja gern etw-
Ein Finger fuhr zart über die steile Falte über Felix‘ Nasenwurzel, glättete sie mit rauer Fingerkuppe und sanftem Druck.
„Du verlierst dich schon wieder in deinen Gedankenfäden, Hascherl“, warnte Anton leise aber nachdrücklich, „sprich sie aus, damit ich dir sagen kann, wie unsinnig sie sind.“
Doch kein Wort schaffte es Felix über die Lippen. So sehr er es auch wollte, brachte er es schlicht nicht über sich. Weder seine Angst um Antons Dreistigkeit und Leichtsinn, der ihn so oft in Gefahr zu bringen schien, dass man diesen nervtötenden Mann besser in Luftpolsterfolie einwickeln sollte, noch über seinen Vater und dessen Verrat oder seine Mutter und deren Verleumdung.
„Okay“, beruhigte ihn Anton, nachdem noch immer keine Worte aus ihm herauszubekommen waren, nicht einmal ein Krächzen sich über seine Lippen schob, „erinnerst du dich noch an den Wettbewerb in Dresden vor vier Jahren? Damals haben wir uns kennengelernt.“
Nur ein Blinzeln ließ darauf schließen, dass Felix dem Bildhauer zustimmte, war aber in Gedanken ganz bei Anton, ließ sich von ihm mit in dessen Erinnerungen entführen.
Ich weiß noch, dass du der Neue warst. Alle anderen haben sich schon gekannt, weil eigentlich alle bereits mit ungefähr sechs oder so von ihren Eltern zu sowas geschleift wurden. Ich war schon eine Ausnahme und fiel auf wie der bunteste Hund, den man sich vorstellen konnte. Schon allein, weil ich es wagte, nicht mit Gemälden anzutreten. Aber du – nein, dich hatte noch keiner von uns je bei einem der Wettbewerbe gesehen. Schon gar nicht sowas wie dich.
Wie Espenlaub hast du gezittert, in deinem grellen taubenblauen Anzug. Der dir im Übrigen mindestens drei Nummern zu groß gewesen ist. Und ich weiß noch, dass ich dachte, was für hübsche braune Augen sich unter dieser Matte aus Haaren verstecken, als du endlich mal aus deiner Limo hoch geschielt hast.
„Ich habe doch nur versucht, mein Getränk nicht zu verschütten.“
Klappe, ich erzähle die Geschichte! Wo war ich? Ach ja. Du hast immer vor dich hin gemurmelt und an dir dran klebte dein Vater. Das war dir peinlich, das habe ich dir sofort angesehen. Immer, wenn er dir auf die Pelle gerückt ist, bist du rot geworden. Andererseits wolltest du aber auch nicht, dass er zu weit von dir weg geht, weil du immer ganz verschreckt nach ihm gelangt hast, wenn er sich herumgedreht hat, um mit jemandem zu quatsch. Das war super niedlich.
„Ich bin nicht niedlich. Toni, das hatten wir doch schon besprochen - wir sind nur -“
Freunde, schon klar. Ich meine ja nur, das waren eben so meine Gedanken. Ich kann doch nichts für meine Erinnerungen. Was ich zumindest erzählen wollte, war, dass du in der Kategorie der unter Achtzehnjährigen den zweiten Platz geholt hast. Verdammich, du hast über beide Ohren gestrahlt. Ich habe noch nie ein so schönes Lächeln gesehen. Aber dein Vater. Der stand in einer Ecke da am Jurytisch und hat einfach nur nach dem Check gefragt. Das weiß ich noch ganz genau. Er hat dich nicht mal angesehen, Jeger.
„Quatsch! Er hat mich immer unterstützt. Er war es doch erst, der -“
Dich zu diesen Wettbewerben überredet hat? Der dich gedrängt hat, dich und deine Kunst bei sowas zu präsentieren? Ich würde dir so gern sagen, dass er es getan hat, um der Welt zu zeigen, was für ein Talent sein Sohn ist ... Aber - Jeger - er - hat es nur getan, um mit dir zu kassieren. Habe ich recht? Darum geht es doch. Nicht du hast das getan, was in all diesen Zeitungen und Internetforen steht … sondern dein Vater.
Felix drehte sich herum, starrte Anton für einen Moment an und erhob sich wortlos, konnte und wollte sich nicht weiter diesen verbalen Faustschlägen aussetzen, die Anton auf ihn niederprasseln ließ. Nein, es kam nicht überraschend, dass Johann Jeger sich mit seinem Vermögen ins Ausland abgesetzt hatte, ganz heimlich - oder eben doch nicht, denn er hatte es ja jahrelang angehäuft und schließlich alles so aussehen lassen, als habe Felix sein Atelier ausgeräumt. Ganz wunderbar musste es seinem Vater in den Kram gepasst haben, als Felix Hals über Kopf nach Wien gefahren war, um sich von seiner Krise zu erholen. Oh wie sehr es ihn gefreut haben musste.
Immer schneller ging Felix' Atem, strömte aus seinen Lungen, kroch heiß über seine Lippen, während er doch das Gefühl hatte, als zöge sich sein Brustkorb immer enger, bilde sich ein Kloß in seiner Kehle. Da war auch wieder dieser glühende Schmerz in seinen Eingeweiden. Also doch der Herzinfarkt? Ausgelöst durch die Zweifel an der Liebe senes Vaters, die Anton in ihm gesät hatte? Warum hatte er nur geglaubt, dass Johann in ihm mehr gesehen hatte, als einen Goldesel? Warum waren seine Erinnerungen an die Wettbewerbe so - so - so falsch?
"Hey, shhh, alles gut", beruhigte Felix diese wohltuend warme Stimme, presste sich trotz des erschrockenen Fluchtversuchs nach vorn ein starker Körper an seinen Rücken.
Da wäre auch die Küchenspüle im Weg gewesen, auf die sich der Jungkünstler keuchend gestützt hatte. Obwohl Anton Schmerzen haben musste, schlang er fest seine Arme um Felix, zog ihn an sich, ließ zu, dass dieser seinen Kopf nach hinten fallen lassen und ihn auf seine Schulter betten konnte. Atmete mit ihm im Einklang. Und es wurde besser, erträglicher.
"Er hat dir dein Geld geklaut, oder?", fragte der Bildhauer behutsam und wurde mit einem leichten Zustimmung ausdrückenden Brummeln belohnt, denn mehr schaffte Felix nicht zu artikulieren.
"Du hast nichts mehr?"
Ein leichtes Hin und Her seines Kopfes.
"Du musst ihn anzeigen, Jeger."
"Ich weiß", krächzte Felix, brachte es nicht über sich, sich aus der Umarmung zu lösen, obwohl alles in ihm nach Flucht drängte.
Vor der Schmach, sich als dumm und naiv zu outen. Vor den verachtenden Blicken der Beamten, wenn er seinen eigenen Vater ans Messer lieferte. Vor der Auseinandersetzung mit seiner Mutter, wenn diese erführe, dass er nicht länger für Johann am Pranger stünde, die Verleumdungen nicht länger auf sich nähme. Und vor den Sorgen, die sich in den Augen eines Mannes spiegelten, der sonst so unbescholten durchs Leben wandelte, frei war von Angst, nun alles brauchte, aber sicher keinen problembeladenen Pedanten ohne Ehrgefühl.
Doch wohin hätte er flüchten sollen? Anton war alles, was ihm blieb.