Letzter Schalter ... An und aus. Und an - und aus. Drittes Mal: An und aus. Anstarren, bis dreißig zählen.
Bekräftigend nicken.
Hatte er auch mit Sicherheit den Herd ausgestellt?
"Ja - ja - ja -ja."
Wurden die Kochplatten auch wirklich nicht heiß?
"Nein - nein - nein - nein."
Roch es nicht vielleicht doch faulig nach Gas?
"Kruzifix noch eins, Jeger! Das ist immer noch ein verfluchter Elektroherd!"
Ergeben zog sich Felix aus der Küche zurück, schaute sich jedoch noch ein letztes Mal versichernd nach allen Seiten um, rückblickend hadernd, ob ihm nicht doch etwas durch sein System gerutscht sein könnte. Oder hatte er gar einen Stecker noch in der Steckdose vergessen? Den oberen Stock überprüft? Oh ja, er sollte unbedingt noch -
"Wage es nicht", mahnte Anton von der Wohnungstür her rufend, hielt Felix in seinem Bestreben auf, erneut die Treppe hinauf zu flitzen und das Ritual ein viertes Mal von vorn zu beginnen.
Seit über eineinhalb Stunden versuchten sie bereits das Haus zu verlassen, um eine Anzeige gegen Felix' Vater aufzugeben. Neunzig Minuten, in denen Felix vollkommen kopflos wieder und wieder mit zitternden Händen seine Rituale durchging, in Sorge, Antons Haus könnte sich aufgrund seiner eigenen Schusseligkeit beim Kochen oder wahlweise eines Kurzschlusses - gern auch defekter Leitungen, Felix war da nun wirklich nicht wählerisch - spontan selbst entzünden.
Mit hängenden Schultern schlurfte er nun widerstrebend hinüber, ließ sich von Anton an der Hand hinaus auf die Schwelle ziehen, um zu beobachten, wie der Bildhauer energisch die Tür hinter ihnen verschloss.
"Ah", machte Anton unerwartet und zuckte zurück, als Felix ihre Finger verschränkte, um sich davon abzuhalten, versichernd am Knauf zu rütteln, obwohl sein Freund dies bereits vor seinen Augen für ihn getan hatte.
Drei Mal.
Wie eine heiße Kartoffel fiel Antons Arm herunter, schreckte Felix doch panisch zurück, nachdem dieser diesen durchdringenden Schmerzenzlaut ausgestoßen hatte. Erschrocken blickte er aus seinen dunklen Augen hinunter, konnte aber keine Verletzungen an diesen feingliedrigen Fingern erkennen.
"Habe ich dir wehgetan?", erkundigte er sich bang, konnte er sich nicht erklären, wie sonst Antons Rückzug zu deuten sein sollte.
Kopfschüttelnd wandte dieser sich jedoch einfach von Felix ab, um sich eine seiner Zigaretten anzuzünden, griff nach zwei tiefen Zügen schließlich erneut nach der Hand des unsicher herumstehenden Malers, um ihn Richtung Straßenbahn zu ziehen. Die ins System passte. Darauf hatte Anton zu Felix' Verblüffung geachtet.
Vermutlich hätten sie die Bahn auch erwischt, wäre der Jungkünstler nicht mit äußerster Vorsicht über den Boden getänzelt, wollte er doch kein Unglück über das heutige Vorhaben bringen.
"Suchst an Bahöö, Jeger?! Jetzt komm ran!", donnerte Anton deutlich angefressen, scheinbar war es ihm unbegreiflich, dass er trotz seines gerade erst zwei Tage zurückliegenden Unfalles noch immer schneller vom Fleck kam, als Felix selbst.
Wie sie es schließlich doch noch schafften, blieb beiden Künstlern ein unbegreifliches Rätsel.
Ebenso ein Rätsel gab es Felix auf, wie ein eleganter metallic schimmernder Mercedes der S-Klasse in einem ausgesprochen guten Viertel wie Antons Wohngegend dermaßen deplatziert wirken konnte. Dies war allein der Tatsache geschuldet, dass diesem Gefährt ausgerechnet die Menschen entstiegen, auf die der Jungkünstler gut und gern hätte verzichten können. Auch Anton wirkte wenig begeistert, als seine Eltern mit verkniffenen Mienen ihnen entgegen blickend wortlos zur Eingangstür voranschritten.
Ein leises Seufzen entkam dem dunkelhaarigen Bildhauer, doch auch, wenn Felix dies gern getan hätte, verkniff er es sich, nach Anton zu greifen, schlang stattdessen seine Arme um seinen eigenen Oberkörper und folgte seinem Freund wort- und grußlos in die gute Stube.
Keifend und zeternd wetterte Antons Mutter bereits über eine unmögliche Schandtat eines doch eigentlich wohlerzogenen jungen Mannes aus bestem Hause, bei dem sie sich fragte, was die Kinderfrauen und das Internat gebracht hätten, wenn dieser nun doch im Gefängnis landen wolle, wedelte derweil mit einem wichtig aussehenden versiegelten Brief von links nach rechts, als habe sie vor, Anton demnächst damit eine saftige Ohrfeige zu verpassen.
Perplex starrte Felix auf Anton, der lediglich mit entnervt verzogenen Mundwinkeln und einem so gar nicht amüsierten Augenrollen die Standpauke seiner Mutter über sich ergehen ließ.
Die Chance beim Schopf packend, ergriff der demolierte Bildhauer das Wort, als Frau Fuchs Atem schöpfte, um die nächste Litanei von sich zu geben.
„Was ist denn jetzt eigentlich das für ein Brief, den du hier immer wieder präsentierst, als sei da Anthrax drin enthalten?“
Dies brachte die in Rage gebrachte Frau dazu, vollkommen konfus zu ihrem Mann und wieder zurück zu ihrem Sohn zu blicken, scheinbar nicht in der Lage, den beißenden Ton ihres Sprößlings zu verarbeiten.
„Ang’zeigt hat der di“, half Herr Fuchs nun zu vermitteln.
Felix wich jegliches Blut aus dem Gesicht. Wieso hatte sein Vater Anton denn nun angezeigt? Wie kam Johann Jeger nur auf diese abstruse Idee? Hatte er es auf den Bildhauer abgesehen, herausgefunden, dass Felix bei ihm Unterschlupf gefunden hatte? Gar einen Beistand? Doch woher sollte er die Gewissheit erlangt haben, dass der gemeinsame Entschluss gefallen war, gegen ihn vor zu gehen?
„Mein Vater?“, presste Felix endlich heraus.
Drei Augenpaare richteten sich verständnislos auf ihn. Die Eltern sichtlich abwertend, wandten sich sogleich wieder Anton zu, der wiederum nur auffordernd die Hand nach Felix ausstreckte.
Wie es für seinen Körper üblich war, wenn der dunkelhaarige Wuschelkopf etwas von diesem verlangte, machten sich die Beine des jungen Malers selbständig, trugen ihn an Antons Seite. Fest verhakten sich ihre Finger ineinander. Erleichtert, dass Anton diesmal nicht zurückzog, besorgt, dass dessen Finger dennoch kurz zuckten. Hatte Anton nun doch schon unbewusst entschieden, dass er Reißaus zu nehmen gedachte? Sein Körper sträubte sich bereits, nur der Verstand brauchte noch etwas, um zu verstehen, dass die Freundschaft bereits vor dem Aus stand?
„Der Lotus?“, fragte Anton, als habe er eine dunkle Vorahnung.
Aha, nicht Felix' Vater, sondern diese sonderbare Blume erneut.
„Hast g’wusst, dass des der Chefarzt von der Privatklinik da an der Donau is? Der kennt jeden, Anton, jeden! Rausg’funden hat’s. Den positiven Drogentest.“
Nun war es an Anton bleich zu werden. Wie ein Geist stand er neben Felix, der wiederum die Welt nicht mehr verstand. Wieso denn Drogen? Anton und Rauschmittel? Wann sollte er diese denn konsumiert haben? Und warum wussten seine Eltern darüber Bescheid?
"Und jetzt?", hakte sein Freund heiser nach.
Dieser Bruch in der sonst vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden Stimme, brachte Felix dazu, den nervtötenden Mann an sich zu ziehen, einen Arm behutsam um dessen Taille zu schlingen. Offenkundig dankbar lehnte sich Anton leicht in die halbseitige Umarmung.
"Was auch kommt, schweigen tät's", bestimmte Herr Fuchs streng, "kein Wort, unser Anwalt regelts. Nur mit der neuen Dosis wird das nichts. Dr. Krause will nicht mehr."
Nun verstand Felix wirklich nur noch Bahnhof, doch so, wie Anton in seinem Arm zu zittern begann, schien dies keine gute Nachricht zu sein.
War sein Freund krank? Wirklich ernsthaft krank? Warum sonst sollte ein Arzt in dieser Debatte hier involviert sein? Was war denn nur los, was wurde hier gespielt?