Die junge Frau huschte an Deck. Entgegen der ausdrücklichen Anordnung des Kapitäns war sie aus ihrer Kajüte und die steile Holztreppe emporgeschlichen. Die vom Sturzregen durchtränkten Holzbohlen knarzten unter ihren Schuhen. Mit Bedacht wählte sie ihre Schritte auf dem glitschigen Holz, dann sah sie sich prüfend um. Nur der Steuermann trotzte den orkanartigen Böen und dem peitschenden Regen. Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Bei der nächsten Windbö stieß sie sich ab und schlitterte bis zur Reling.
Gischt spritzte am ächzenden Schiffsrumpf hoch. Das aufgewühlte pechschwarze Meer glich einem Sagenmonster aus uralten Zeiten, das das Schiff mit seinem gierigen Maul zu verschlingen drohte. Der Sturm zerrte an ihrer pitschnassen Kleidung. Sie streckte den Rücken durch und marschierte zum Heck des Pinasschiffes. Der Steuermann sah ihr mit weit aufgerissenen Augen entgegen. Die Männer an Bord munkelten bereits, sie wäre eine Hexe und hätte den Kapitän in ihren Bann gebracht. Ihr melodisches Lachen ging im Grollen des Sturms unter. Törichte Menschen!
Mit einer Kopfbewegung wies sie den Piraten an, unter Deck zu verschwinden. Er musterte sie noch einmal, dann wankte er kopfschüttelnd zur Treppe. Weg von der tosenden Naturgewalt, weg von der Frau, die Viele an Bord mit ihrer reinen Anwesenheit in Angst und Schrecken versetzte. Doch nur, wenn sie den Elementen trotzte, wie in diesem Moment. Sie löste das schmale Lederband aus den roten Haaren, ließ den Wind mit ihnen spielen wie mit Grashalmen auf einer Waldlichtung an einem Herbsttag. Ihre wahre Natur drängte an die Oberfläche. Begierig darauf, die salzdurchtränkte Luft aufzusaugen wie ein Schwamm.
„Zu früh“, murmelte sie. Ihre zarten Hände schlossen sich um das Steuerruder. Unbeweglich wie ein jahrtausendealter Fels hielt sie das Schiff auf Kurs, dem Freiheit verheißenden Land im Westen entgegen. Sie, die einzige Frau, die jemals am Steuer der La Jolie Reine gestanden hatte.