Die Augen gen Norden gerichtet, die schützenden Wälder des Harzes hinter ihnen, warteten sie darauf, dass eine von ihnen den ersten Schritt tat. Bis jetzt umgab sie die würzige Luft der Nadelbäume, das Zwitschern der Vögel und das sanfte Gurgeln der Oker. Ihr Fluss, an dessen Quelle im Sumpf des Bruchberges aufgewachsen waren. Ihre Heimat, die sie auf Wunsch der Mutter verließen. Um sie herum die Geräusche der Natur, doch in ihren Herzen herrschte Stille. Nie zuvor waren sie voneinander getrennt, gleichwohl bedeutete es große Gefahr, die Reise zusammen anzutreten.
Die älteste Schwester trat vor ans Ufer, dort, wo die Schunter und die Oker sich vereinten. Ab hier würde jede der Frauen ihrem eigenen Weg folgen, ohne die Nähe, die Liebe und die Vertrautheit der anderen. Die Schwarzhaarige drehte sich zu ihnen um. Weißblond, neben Rot und zum Schluss ein sanftes Braun. So unterschiedlich ihre Haare, so verschieden ihre Charaktere. Sie seufzte, sorgte sie sich doch um die beiden Jüngsten. Sie aus den Augen zu lassen, behagte ihr keineswegs. Die eine zu ungestüm und verspielt. Die andere zu sanftmütig, verletzlich. Schafften sie den Weg in die Neue Welt ohne die Unterstützung der Älteren? Für die Zeremonie am heiligen Berg war die Anwesenheit aller Schwestern notwendig. Darauf hatte die Mutter gepocht.
„Es ist an der Zeit. Lasst uns die Reise nicht hinauszögern.“ Die Zweitälteste trat vor, umarmte die Schwarzhaarige. Weißblond und Schwarz wehten zusammen im aufkommenden Wind. Rot und Braun mischten sich hinein. Ein letztes Mal hielten die Schwestern einander fest, sahen sich gegenseitig in die Augen. Bedingungslose Schwesternliebe, kühle Entschlossenheit, die Lust auf Abenteuer und grenzenloses Vertrauen trafen zusammen. In einer Reihe aufgestellt, griffen sie die Hände der anderen, durchschritten als Einheit den Fluss. Durchnässte Kleidung spielte keine Rolle. Eine innerlich brennende Wärme vertrieb die Kälte.
Am Ufer angekommen nickten sie einander zu, bevor eine in nordwestliche Richtung, die zweite gen Norden, die dritte in den Südwesten und die vierte nach Westen aufbrach. Sie eilten vorwärts, den Grenzfluss hinter sich lassend. Die Grenze zu ihrer Heimat, in die sie nie zurückkehren würden.