Ein neuerliches Beben lief durch den Schiffsrumpf. Das Holz ächzte, drohte unter der Gewalt der Wellen zu zerbrechen. Das Heulen des Sturms mischte sich mit dem Stöhnen und Wimmern der Passagiere. Das Mädchen zuckte zusammen. Ein Prickeln wie von tausenden Waldameisen wanderte ihre Wirbelsäule entlang. Ihre empfindlichen Ohren flehten um Ruhe. Oh, wie gern wäre sie im stillen Wald ihrer Heimat. Weit weg von diesem nach Erbrochenem, Blut und Exkrementen stinkenden Passagierschiff.
„Hilft du mir mal bitte?“ Die Worte des Arztes tröpfelnden langsam zu ihr durch, wie der Regen durch ein dichtes Blätterdach. Sie straffte den Rücken. Ihre Schwestern wären in solch einer Lage sicher mutiger als sie.
„Nähe bitte diese Wunde.“ Der Mann zeigte auf eine Kopfwunde. Nickend packte sie Nadel und Faden, nahm, ohne zu zögern, die Arbeit auf. Je eher sie hier fertig waren, desto früher war sie in ihrem Quartier, weit weg von dem Elend der gewöhnlichen Reisenden.
„Einige Ameisen wären hier jetzt praktisch“, murmelte der Arzt nach einer Weile. Was meinte er damit? Sie sah zu ihm rüber und bemerkte den langen Riss an der Schulter eines Kindes, aus der in dünnen Rinnsalen, roten Wollfäden ähnlich, das Blut lief. „Die alten Ägypter haben Ameisen zum Verschließen von Wunden eingesetzt. Sie haben die starken Kiefer als Klammer genutzt. Einfach diese angesetzt und den Rest des Körpers abgekniffen.“
Stumm arbeiteten sie Seite an Seite weiter, bis der letzte Verletzte versorgt war. Seufzend lief der ältere Mann vor zur Treppe.
„Das wird nicht das einzige Mal sein, dass wir hier alle Hände voll zu tun haben“, raunte er dem Mädchen zu. „Stürme, Mangelernährung und Krankheiten wie Cholera werden uns bald mehr Arbeit bescheren, als wir erledigen können. Keine Nadel, kein Faden, keine bittere Medizin und keine Klammer können daran etwas ändern.“ Sie warf nach seinen Unheil vorhersagenden Worten einen letzten Blick auf die Menschen. Ihr Herz krampfte bei dem trostlosen Anblick. Er hatte Recht, das verrieten ihr all ihre Sinne.