Am nächsten Morgen wurde Dylan von Stimmen aus dem Wohnzimmer geweckt. Jaden schlief wieder wie ein Stein und hatte sich an Dylans Rücken gedrückt. Im Gegensatz zu Dylan musste Jaden nicht aufstehen, Tyler hatte versprochen, für Jaden ein Attest für die Uni zu besorgen und ihn krankzumelden.
Verschlafen sah Dylan auf den Wecker. Es war grade mal kurz nach sieben. Er hatte seine erste Vorlesung erst um elf, daher hatte auch sein Wecker noch nicht geklingelt.
Verwundert versuchte Dylan zu lauschen, aber die Stimmen waren zu gedämpft, um etwas zu verstehen. Neugierig geworden, versuchte Dylan sich aus Jadens Klammergriff zu befreien. Aber wie bereits am Vortag, hatte er keine Chance. Da sich nun aber auch seine Blase meldete, drehte er sich zu Jaden und küsste ihn sanft.
Nachdem er ihm einige Küsse gegeben hatte, brummte Jaden und machte ein Auge einen kleinen Spalt auf.
„Ich muss aufs Klo“, murmelte Dylan.
„Warum weckst du mich dann?“, nuschelte Jaden.
Dylan lachte leise und küsste Jaden wieder. „Weil du ein Klammeraffe bist und ich nicht wegkam.“
Jaden brummte wieder und drückte Dylan fester an sich. „Muss auf dich aufpassen.“
„Ich muss trotzdem wohin. Du kannst ja weiterschlafen.“ Dylan küsste Jaden wieder.
„Okay. Lieb dich!“ Jaden ließ ihn los und machte die Augen wieder zu.
„Ich liebe dich auch.“ Dylan küsste ihm sanft die Stirn und stand dann auf.
Nach einem Umweg über das Badezimmer zog er sich Shorts und ein T-Shirt über und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer.
Tyler saß mit zwei unbekannten Männern auf dem Sofa und unterhielt sich mit ihnen.
Als Dylan im Türrahmen erschien, verstummten sie und sahen auf.
„Öh, hi?“, sagte Dylan verschüchtert.
Tyler grinste ihn an. „Guten Morgen. Hat dich der große böse Wolf aus seinen Fängen gelassen?“
Dylan wurde rot, als die beiden Männer ebenfalls anfingen zu grinsen.
„Komm, setz dich. Willst du auch Kaffee?“ Tyler lächelte.
„Joa, ich mach mir eben einen“, antwortete Dylan.
Seufzend schüttelte Tyler den Kopf. „Setz dich, ich mach dir einen. Wieder so wie gestern?“
Verlegen nickte Dylan und ließ sich dann auf dem Sofa nieder und griff nach einer der vielen kuschligen Decken, die darauf lagen. Irgendwie schienen es immer mehr zu werden. Er zog sich die Decke über die Beine und zupfte an einem losen Faden.
„Und bevor du dich wunderst: Das sind Ryan ...“ Tyler zeigte auf den Beta mit den kurz geschorenen Haaren. „Und Vincent.“ Er zeigte auf den mit dem Pferdeschwanz. Beide waren groß, muskulös und trainiert. „Sie sind deine Bodyguards.“ Die beiden lächelten ihn an.
Dylan blinzelte verwirrt. „Was?“
„Wir sind Betas im Trinity-Rudel. Alpha Landon hat uns hergeschickt, damit wir aufpassen, dass dich niemand entführt oder dir schadet“, erklärte Ryan.
Mit großen Augen sah Dylan zu Tyler.
Der zwinkerte ihm zu. „Du wurdest vom Trinity-Rudel adoptiert. Leb damit, dass du uns wichtig bist.“
„Aber, ich bin doch nur ein Omega“, murmelte Dylan.
Alle drei Betas knurrten. Dylan schauderte und machte sich klein.
„Lass das besser weder Jaden noch Alpha Landon und seine Gefährtin hören! Du bist wie jeder andere auch ein Mitglied unseres Rudels, solange du das sein willst! Und wenn eines unserer Mitglieder bedroht wird, dann bekommt es zur Not eben auch Bodyguards!“, sagte Tyler. „Und mit Gregory und deinem Onkel ist nicht zu spaßen!“
„Und wer passt auf Jaden auf?“, fragte Dylan vorsichtig.
Tyler lächelte wieder. „Das ist die Aufgabe von mir, Rob und Mason. Und Jaden kann sich auch ganz gut selbst verteidigen. Er kann nicht nur als Wolf kämpfen.“
Dylan ließ den Kopf hängen. „Und ich brauche einen Babysitter.“
Schnaubend verdrehte Tyler die Augen. „Als Omega hast du andere Qualitäten als dich mit anderen Wölfen zu prügeln! Und du warst Jaden im Kampf gegen Gregory eine große Hilfe! Sieh dich nicht als nutzlos an! Du bist genauso wertvoll, wie jedes andere Rudelmitglied auch!“ Er stapfte in die Küche.
Ryan lächelte. „Falls du dir Sorgen machst, dass wir es als Last ansehen, auf dich aufzupassen, lass es sein! Wir haben uns freiwillig dafür gemeldet. Wobei wir nicht die Einzigen waren. Und Vince und ich sind sehr froh darüber, dass wir beide ausgewählt worden sind.“
„Sorry. Ich ...“, antwortete Dylan verlegen.
„Du bist es nicht gewohnt, wichtig zu sein?“, fragte Ryan.
Dylan nickte und starrte weiter auf seine Decke.
„Dann solltest du dich dran gewöhnen.“ Ryan zwinkerte ihm zu.
Aus Richtung des Schlafzimmers kam ein tiefes Grollen. Jaden kam ohne T-Shirt und wild abstehenden Haaren ins Wohnzimmer. Seine Shorts hingen bedenklich tief auf seinen Hüften. Die Verbände, Pflaster und sichtbaren Hämatome gaben ihm ein wildes Aussehen. Zielstrebig stapfte Jaden zu Dylan, der ihn mit großen Augen ansah und sich wie ein hypnotisiertes Kaninchen fühlte.
Als Jaden Dylan erreicht hatte, hob er Dylan einfach hoch und setzte ihn auf seinem Schoß wieder ab. Dylan kuschelte sich an ihn.
„Ich bin ohne dich aufgewacht!“ Jaden knurrte.
Dylan senkte den Kopf. „Sorry, ich hab Stimmen gehört und war neugierig.“
Jaden schnaubte und drückte dann mit den Fingern Dylans Kinn so nach oben, dass er ihn küssen konnte. Dylan vergaß völlig, dass sich noch andere Wölfe im Raum befanden, und gab sich Jaden hin.
Ein lautes Räuspern riss sie aus ihrer kleinen Blase. Tyler stand mit einem großen Kaffeebecher und einem Latte Macchiato-Glas neben dem Sofa und sah sie mit erhobener Augenbraue an. „Ernsthaft?“
„Ich brauche meinen Guten-Morgen-Kuss“, knurrte Jaden. „Wenn ihr mir meinen Gefährten klaut, müsst ihr eben zuschauen.“
Dylans Wangen brannten und er drückte sein Gesicht an Jadens Hals. Am liebsten würde er sich jetzt unter den Decken vergraben und nie wieder rauskommen.
„Wir müssten auch so zuschauen, nun tu mal nicht so“, antwortete Tyler belustigt.
Schnaubend hielt Jaden die Hand nach seinem Kaffee aus. Tyler reichte ihm die Tasse und Jaden trank gierig einen Schluck, bevor er ihn auf dem kleinen Tischchen neben sich abstellte. Er nahm auch Dylans Glas entgegen und gab es Dylan, der es zögerlich annahm und daran nippte.
Beruhigend strich Jadens Hand über Dylans Rücken. Dylan lehnte sich an Jaden und seufzte leise, als dieser ihm die Stirn küsste.
„So. Mag mir jetzt mal jemand erklären, was ihr hier macht?“, fragte Jaden.
„Dir auch einen wunderschönen Guten Morgen“, antwortete Ryan belustigt.
Jaden schnaubte. „Guten Morgen“, grummelte er.
Ryan lachte. „Lassen wir mal gelten.“
Verwundert sah Dylan zu Jaden, der nur amüsiert die Augen verdrehte, aber sonst nichts weiter tat. Sein Onkel hätte Ryan vermutlich verprügeln lassen, wenn er sich ihm gegenüber so respektlos verhalten hätte. Dylan nippte an seinem Kaffee und kuschelte sich dann wieder an Jaden. Er hatte eine gute Wahl mit seinem Gefährten getroffen.
„Verratet ihr mir jetzt, was ihr hier wollt?“, fragte Jaden ungeduldig.
„Wir sind hier, um auf Dylan aufzupassen“, antwortete Ryan. „Dein Vater hat uns geschickt.“
Erleichtert atmete Jaden aus. „Das ist gut. Ich war schon am überlegen, wie wir am besten sicherstellen, dass Gregory oder Campbell nicht an Dylan rankommen. Wenn ihr da seid, weiß ich, dass er sicher ist.“ Jaden küsste Dylans Stirn. „Ist das okay für dich?“
Dylan verstand erst gar nicht, dass Jaden ihn angesprochen hatte. Erst als sonst niemand antwortete und er Jadens durchdringenden Blick sah, kam ihm der Gedanke, dass die Frage an ihn gerichtet gewesen war. „Was?“, fragte er verwirrt.
„Ich wollte wissen, ob das okay für dich ist, wenn Ryan und Vince dich begleiten“; sagte Jaden ruhig und streichelte ihm über den Rücken.
„Wenn du denkst, dass es nötig ist, dann machen wir das so“, antwortete Dylan.
Die Antwort schien Jaden jedoch nicht zu gefallen. „Das war nicht meine Frage, Dylan.“
Verlegen senkte Dylan den Kopf. Er wusste, dass Jaden darauf anspielte, dass er ehrliche Antworten erwartete. „Sorry“, nuschelte er. „Ich finde es ein bisschen viel Aufwand. Ich bin doch nur ein Omega.“
Jaden knurrte laut und Dylan zuckte zusammen. Er wusste, dass Jaden ihm nichts tun würde, aber dennoch war er nicht erpicht darauf, der Grund für Jadens Zorn zu sein. „Ich dachte, wir hätten darüber geredet“, sagte Jaden mit zusammengebissenen Zähnen. „Du bist nicht ‚nur‘ ein Omega! Du bist Dylan, mein Gefährte, den ich über alles liebe, und der mir sehr wichtig ist! Und du bist Dylan, bester Freund von Bree und Mitglied unseres Rudels! Und damit meine ich nicht nur das lose College-Rudel hier, sondern das Rudel zu Hause! Du bist mir und dem Rudel den Aufwand wert, sonst wären Ryan und Vince heute nicht hier!, fuhr Jaden wütend fort.
Wimmernd drückte Dylan sein Gesicht an Jadens Hals. „Sorry!“, nuschelte er. Tränen liefen ihm die Wangen hinunter. Warum musste Jaden nur so toll sein?
Jadens starke Arme umschlossen Dylan und drückten ihn näher an Jaden. Jaden verteilte sanfte Küsse auf Dylans Wange und streichelte ihm über die Seite. „Lass mich auf dich aufpassen“, flüsterte er.
„Okay“, antwortete Dylan leise. Er fühlte sich schlecht, dass er Jaden so aufgeregt hatte. „Tut mir leid!“
Sanft drückte Jaden Dylans Kinn nach oben und küsste ihn. „Was tut dir leid? Dass ich mich aufrege, oder dass du so eine schlechte Meinung von dir hast?“
Dylan wimmerte nur.
Traurig schüttelte Jaden den Kopf. „Du weißt gar nicht, wie sehr ich mich auf den Tag freue, an dem du endlich begreifst, wie wertvoll du bist.“ Er seufzte.
Beschämt ließ Dylan den Kopf hängen. Aber Jaden hatte andere Pläne. Er küsste Dylan erneut. Sanft und liebevoll. Dylan hatte das Gefühl wegzuschmelzen.
Wie lange sie so dasaßen, konnte Dylan nicht sagen. Jadens zärtliche Streicheleinheiten und Küsse ließen ihn wie immer alles um ihn herum vergessen.
Nach einer Weile küsste Jaden ihn auf die Nase. „Besser?“
Dylan nickte verlegen.
„Wollen wir dann Tyler, Ryan und Vince wieder reinlassen?“, fragte Jaden.
Erstaunt sah Dylan sich um, wann waren die drei denn verschwunden?
Jaden schien seine ungestellte Frage zu verstehen. „Sie sind auf die Terrasse gegangen, als ich mich angefangen habe aufzuregen.“
„Oh“, murmelte Dylan.
Sanft streichelte Jaden mit dem Finger über Dylans Wange und sah ihn liebevoll an. „Ich stelle meine Frage nochmals. Ist es okay, wenn Ryan und Vince dich begleiten?“
Ergeben nickte Dylan. „Ich habe nichts dagegen. Und wenn du wirklich meinst, dass es sinnvoll ist, dann ist es okay für mich. Ich will nicht, dass du dir Sorgen machen musst.“
Jaden seufzte. „Wir lassen das mal so stehen.“ Er hob den Kopf und rief: „Jungs? Ihr könnt wieder reinkommen!“
Die drei Betas kamen von der Terrasse wieder nach drinnen.
„Wie sieht der Plan aus?“, fragte Ryan und setzte sich wieder auf seinen Platz.
Dylan war den drei dankbar, dass sie nichts weiter zu Jadens Ausbruch sagten und stattdessen so taten, als wäre nichts passiert.
„Ryan, Vince? Ihr beide begleitet Dylan, wenn er die Wohnung verlässt.“ Jaden küsste Dylans Stirn. „Magst du lieber, dass sie das offensichtlich tun, oder sollen sie sich im Hintergrund halten?“
„Hm.“ Dylan überlegte. „Ich denke, es ist einfacher, wenn sie es offensichtlich tun. Ansonsten wird es auch schwierig, sie in die Vorlesungen zu bekommen. Aber was ist mit der Zeit im Krankenhaus? Da können sie mir ja schlecht folgen!“
Leise lachte Jaden. „Warum nicht? Drei der Ärzte da sind Wölfe, die ich kenne. Ich rufe an, erkläre ihnen die Situation und damit ist gut.“ Er grinste frech. „Spätestens wenn sie dafür eine ‚kleine‘ Spende fürs Krankenhaus bekommen, dürfte das überhaupt kein Problem mehr sein.“
„Jaden!“, protestierte Dylan.
„Was denn?“ Jaden sah ihn verwundert an.
„Du kannst doch nicht das Krankenhaus dafür bezahlen, dass sie Ryan und Vince reinlassen!“ Dylan war verwirrt.
Jaden grinste. „Warum nicht? Ich will, dass du sicher bist! Natürlich geht das!“
Mit knallroten Wangen vergrub Dylan sein Gesicht wieder an Jadens Hals. Er wollte nicht schon wieder eine Diskussion über Jadens großzügigen Umgang mit Geld führen. Er hatte bereits die letzte vor einigen Tagen verloren.
„Jetzt schauen wir erst mal, ob das überhaupt nötig ist“, warf Tyler ein. „Vielleicht haben wir ja Glück und die Docs bekommen die beiden auch so rein.“
Dankbar sah Dylan ihn an. Tyler zwinkerte ihm zu.
„Wann ist deine Vorlesung?“, fragte Jaden.
Vom plötzlichen Themenwechsel überrascht, brauchte Dylan einige Sekunden, um zu antworten. „Um elf geht es los.“
Jaden sah über Dylans Schulter auf seine Uhr. „Was hältst du davon, wenn wir uns jetzt noch mal ne Stunde hinlegen und kuscheln? Dann schauen wir, dass wir was zum Frühstücken finden und Ryan und Vince fahren dann mit dir zum Campus.“
„Klingt gut“, antwortete Dylan.
„Mach dir ums Frühstück keine Sorgen, ich mach gleich was“, sagte Tyler.
Jaden grinste breit. „Du bist der Beste!“
„Kaffee!“, sagte Vince, der bisher noch gar nicht gesprochen hatte, mit einer sehr rauen Stimme.
Ryan lachte. „Ja, du bekommst deinen Kaffee!“ Er und Vince standen auf und verschwanden mit Tyler in der Küche.
Vorsichtig rutschte Dylan von Jadens Schoß und ließ sich von ihm ins Schlafzimmer führen.