„Sind wir schon da?“, fragte Ryan lachend vom Fahrersitz aus.
Jaden knurrte leise. „Du bist der Fahrer. Du kannst das nicht fragen, Ryan!“
Ryan schnaufte. „Aber warum nicht?“
„Weil das nur die auf dem Rücksitz fragen dürfen!“, antwortete Jaden.
Vincent lachte auf dem Beifahrersitz lautlos vor sich hin. Seine Schultern bebten und er hielt sich den Bauch.
Auch Dylan grinste breit. Es war nicht das erste Mal auf der mittlerweile über zehn Stunden langen Fahrt, dass sie diese Unterhaltung führten. Und er vermutete, dass es auch nicht das letzte Mal gewesen war.
„Bin ich froh, wenn wir endlich da sind“, murmelte Jaden und lehnte den Hinterkopf an die Kopfstütze.
Dylan drückte Jadens Hand und sah wieder nach draußen. Sie fuhren eine dicht bewaldete Straße entlang, aber er hatte keine Ahnung, wo genau sie waren. Er wusste nur, dass sie nach Nordosten fuhren.
„Sind ...“, begann Ryan, verstummte dann aber, als Vincent ihm gegen das Ohr schnippte und ihn böse ansah.
Vincent hob die Hände und streckte die Finger aus.
„Zehn Minuten?“, fragte Dylan. Damit wäre es hoffentlich doch das letzte Mal, dass Ryan fragte.
„Ja“, antwortete Ryan, während Vincent nickte. „Spielverderber“, knurrte Ryan.
Grinsend zeigte Vincent ihm den Mittelfinger und lehnte sich entspannt zurück.
Ryan schnaubte und bog in einen Waldweg ab, der sie tiefer in den Wald führte. Tyler und Brianna, die im Auto hinter ihnen saßen, folgten ihnen.
Zehn Minuten später parkte Ryan vor einem großen Holzhaus. Rechts davon war ein weiteres großes Haus, an dem ein Äskulapstab in die Tür geschnitzt war. Auf der linken Seite war ein noch größeres Haus, das nach zentralem Versammlungspunkt und Speisesaal aussah. Im Wald konnte Dylan weitere Häuser ausmachen.
Einige Menschen standen vor dem Gemeinschaftshaus und sahen neugierig zu ihnen. Als sie ausstiegen, winkten sie freudig und riefen Willkommensgrüße, kamen aber nicht näher heran.
Tyler hielt neben ihnen an. „Hey, wir fahren gleich weiter. Wir schauen später oder morgen mal vorbei.“
„Alles klar“, antwortete Jaden. „Sagt eurer Mama liebe Grüße!“
Brianna hob den Daumen und Tyler fuhr weiter.
Auch Ryan und Vincent verabschiedeten sich und verschwanden in Richtung des Gemeinschaftshauses, wo sie freudig begrüßt wurden.
Jaden legte Dylan den Arm um die Schulter und zog ihn an sich. Dylan, der trotz seines dicken Hoodies fror, kuschelte sich an seine Seite und brummte leise, als Jaden ihm einen Kuss auf die Stirn gab.
„Na dann komm, Mom wartet schon.“ Jaden zeigte grinsend auf das Fenster neben der Tür und die Frau, die hinter dem Vorhang hervorsah und dann winkte.
Sie verschwand und stattdessen ging die Tür auf. Breit grinsend eilte sie auf Dylan und Jaden zu. „Oh, schön, dass ihr endlich da seid! Landon lacht mich schon die ganze Zeit aus, weil ich immer wieder aus dem Fenster geschaut habe.“ Sie schnaubte. Bevor Dylan überhaupt realisierte, was passierte, hatte sie ihn aus Jadens Armen gepflückt und umarmte ihn fest.
Dylan erwiderte die Umarmung nach einigen Sekunden. Und stellte dann fest, das Jadens Mom noch kleiner war als er. Sie ging ihm grade mal bis ans Kinn. Zudem roch sie ähnlich wie Jaden, was ihn entspannte.
„Schön, dich endlich kennenzulernen, Dylan.“ Sie ließ ihn los und legte ihre Hände an seine Wangen. „Und noch hübscher als auf euren Bildern.“
Verlegen senkte Dylan den Blick und wurde rot.
„Perfekt!“, sagte sie und küsste ihm die Wange. Dann drehte sie sich zu ihrem Sohn um und pikte ihm den Finger in die Brust. „Mit dir hab ich noch ein Hühnchen zu rupfen, mein lieber Welpe!“
Unbeeindruckt zog Jaden sie in eine Umarmung und drückte ihr Gesicht an seine Brust. „Ich hab dich auch lieb, Mom.“
Sie schnaubte und grinste dann. „Ich hab dich auch lieb. Aber glaub bloß nicht, dass du deswegen davon kommst!“
„Können wir das nach dem Essen machen? Ich hab Hunger!“ Jaden sah seine Mom mitleiderregend an.
Belustigt schüttelte Dylan den Kopf. Er hatte für die Fahrt einen Korb mit Essen gepackt und Jaden hatte ordentlich zugelangt. Aber er sagte nichts.
„Du hast immer Hunger!“ Sie seufzte. „Na dann kommt! Es gibt Roastbeef, Steaks, Pommes, Nudeln und Salat.“
Sie gingen auf die Tür zu, wo nun ein bestens gebauter und fitter Mann mit braunen Haaren erschien, die bereits von einzelnen grauen Strähnen durchzogen waren. Dylan konnte durch seine Haltung und Ausstrahlung spüren, dass dies Landon, Jadens Vater und der Alpha des Rudels war. „Na, Eve, hast du deinen Besuch endlich herbeibeschworen?“, fragte er und lachte.
Eve sah ihn unbeeindruckt an. „Wenn du mitessen willst, solltest du nett zu mir sein!“
Dylan hielt verunsichert die Luft an.
Aber Landon eilte nur grinsend auf Eve zu, umfasste ihre Taille, hob sie hoch und wirbelte sie im Kreis, sodass ihre langen blonden Haare durch die Luft flogen. „Ich bin doch immer nett zu dir“, sagte er verschmitzt. Er küsste sie.
Mit roten Wangen sah Eve ihren Gefährten an und tätschelte ihm die Wange. „Oller Charmeur. Jetzt lass mich runter, dass ich das Essen fertigmachen kann. Du kannst mit Liam und River den Tisch decken.“
Landon stellte sie auf dem Boden ab und hielt sie fest, bis sie sicher stand. „Ja meine Herrin!“
Eve schnaubte grinsend, ließ sich noch einen Kuss geben und eilte dann ins Haus.
Fasziniert sah Dylan ihr hinterher. Hier lief wirklich einiges anders als zuhause. Dort hätte sich nicht mal einer der Betas getraut, so frech zum Alpha zu sein.
„Kommt endlich rein!“ Landon rieb sich die Arme. „Es ist viel zu kalt hier draußen!“
Dylan konnte ihm nur zustimmen. Es war grau, feucht und kalt. Eigentlich war er Kälte gewohnt, zu Hause in Wisconsin war es deutlich kälter als hier, aber die Zeit in Kalifornien hatte ihn wohl verweichlicht. Wobei er sich fragte, ob Wisconsin überhaupt noch sein Zuhause war? Er kuschelte sich an Jaden und ließ sich von ihm ins Haus führen.
Kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, wurde Dylan auch von Landon in eine Umarmung gezogen. Er gab ein erschrockenes Japsen von sich.
Landon ließ Dylan jedoch nicht los, sondern drückte ihn an sich und schnupperte an seinen Haaren. „Hm. Du riechst schon fast wie das Rudel. Perfekt.“
Jaden lachte lauthals los.
Dylan entspannte sich ein wenig. Dass ihn ein Alpha einfach so umarmte, war ihm nicht ganz geheuer, aber alles, was er bisher von Landon gehört hatte, war positiv gewesen.
„Keine Sorge, ich fress dich nicht“, sagte Landon belustigt und rieb dann seine Wange über Dylans Kopf.
„Dad! Da gehört mein Geruch hin, nicht deiner!“, grummelte Jaden.
„Mein Rudel! Mein Geruch!“, antwortete Landon.
„Kinder! Hört auf zu streiten, sonst gehört da mein Geruch hin!“, rief Eve aus der Küche. „Und du wolltest den Tisch decken, Landon!“
„Von ‚wollte‘ war nie die Rede!“, antwortete Landon.
„Doch, du willst das, wenn du was essen willst!“, kam es zurück.
Landon seufzte schwer und ließ Dylan los, um Jaden ebenfalls in den Arm zu nehmen. „Na dann macht es euch bequem, ich geh mit Liam und River den Tisch decken, bevor die Herrin uns rauswirft.“
„Das hab ich gehört!“, rief Eve.
Grinsend ließ Landon Jaden los und verstrubbelte ihm die Haare. „Das solltest du auch!“
„Weniger Blabla, mehr Tischdecken!“ Eve schnaubte.
Blinzelnd sah Dylan Landon hinterher, der brav in die große Wohnküche ging, um mit seinen beiden anderen Söhnen wie gewünscht den Tisch zu decken.
Jaden zog Dylan an sich und küsste ihn sanft. „Die sind immer so“, sagte er amüsiert.
„Okay“, murmelte Dylan verwirrt.
„Kontrastprogramm?“, fragte Jaden leise.
Dylan nickte nur. „Völlig.“
Jaden zwinkerte ihm zu. „Genieß es! Und jetzt komm, ich stell dir meine beiden bekloppten Brüder vor.“ Er führte Dylan in die Wohnküche.
„Hey Welpe, sei nicht so frech!“, sagte einer der beiden Männer dort.
„Ich darf das“, antwortete Jaden amüsiert. Er zeigte auf den Mann, der gesprochen hatte. „River.“ Er zeigte auf den anderen. „Liam.“
Dylan drückte sich an Jaden und winkte vorsichtig. Die beiden waren noch größer und kräftiger als Jaden. Daneben wirkte Eve wie ein Zwerg.
Liam lächelte ihn fröhlich an. „Und du musst Dylan sein.“ Er kam mit ausgestreckter Hand langsam auf Dylan zu. Dylan reichte ihm seine Hand, aber anstatt sie zu schütteln, wurde er auch von Liam an sich gedrückt.
„Gewöhn dich dran, wir sind alles Knuddelwölfe“, sagte Landon.
„Ich merk schon, murmelte Dylan, der immer noch an Liams Brust gedrückt wurde.
Jaden knurrte. „Pass auf, dass du ihn nicht zerdrückst, man!“
„Keine Sorge, ich zerdrück doch mein Lieblingsfamilienmitglied nicht!“, antwortete Liam und lachte. Er ließ Dylan los und zwinkerte ihm zu.
Auch River ließ es sich nicht nehmen, Dylan an sich zu drücken.
Als Dylan endlich wieder in Jadens Armen war, kuschelte er sich erleichtert an seinen Gefährten und drückte sein Gesicht an dessen Hals.
Jaden streichelte ihm sanft über den Rücken. „Bei mir ist es halt doch am schönsten, nicht wahr?“
Dylan nickte und drückte sich weiter an ihn.
Liam und River schnaubten belustigt. „Na dann bleib halt bei deinem Welpen“, sagte River.
„Jetzt lasst den armen Dylan doch erst mal in Ruhe ankommen!“ Eve patschte mit dem Kochlöffel nach ihren beiden Söhnen. Die sprangen jedoch rechtzeitig aus dem Weg und gingen in Deckung. „Macht euch nützlich und bringt das Essen an den Tisch.“
„Ja Mom“, murmelten sie, küssten ihr im Vorbeigehen die Wange und begannen, die schweren Schüssel mit Essen von der Küchenzeile auf den Tisch zu tragen.
Landon half, die große Bratenform aus dem Ofen zu hieven.
Kurz darauf saßen sie alle am reichlich gedeckten Esstisch.
Dylan leckte sich bei den ganzen leckeren Gerüchen die Lippen.
Er erwartete, dass Eve die Teller füllte, aber auch hier wurde er überrascht. Landon nahm Eves Teller und legte diverse Köstlichkeiten darauf ab, bevor er sich selbst etwas nahm. Währenddessen häuften auch River und Liam bereits das Essen auf ihre Teller. Bevor Dylan etwas machen konnte, hatte Jaden seinen Teller in der Hand und füllte ihn, bevor er seinen eigenen Teller nahm.
Dankbar lächelte Dylan Jaden an. Er wartete, bis Landon mit Essen begann, war aber erstaunt, als Jaden und River ihm die Hände reichten. Auch die anderen griffen nach ihren Nachbarn.
Landon lächelte seine Gefährtin an. „Vielen Dank an meine tolle Familie, dass wir gemeinsam am Tisch sitzen und an meine bezaubernde Gefährtin für das tolle Essen. Und an Dylan, für die Bereicherung dieser Familie mit seiner Anwesenheit. Und jetzt haut rein!“
Sie ließen ihre Hände los und begannen zu essen.
Mit roten Wangen wartete Dylan dennoch, bis Landon und Jaden sich den ersten Bissen genommen hatten, bevor er selbst ein Stück des saftigen Steaks abschnitt und es sich in den Mund steckte. Er brummte genießerisch und schloss die Augen.
„Gut?“, fragte Eve fröhlich.
Dylan nickte eifrig. „Perfekt!“
Eve strahlte ihn an. „Dankeschön.“
Sanft drückte Jaden seinen Oberschenkel an Dylans und zwinkerte ihm zu.
Zu Dylans Erstaunen wurden er und Eve nach dem Essen aus der Küche gescheucht. Die beiden Alphas und Jadens Beta-Brüder räumten den Tisch ab, während Eve ihn ins Wohnzimmer führte. Sie zog ihn neben sich aufs Sofa.
Jaden kam mit zwei Gläsern hinter ihnen her und stellte sie vor den beiden auf den Couchtisch.
„Öhm, soll ich nicht helfen?“, fragte Dylan unsicher, als Jaden wieder in der Küche verschwand.
Eve schüttelte energisch den Kopf. „Nein, lass die mal machen. Die haben da ihr eigenes, kompliziertes System, da misch ich mich nicht ein.“ Sie lachte leise und griff nach ihrem Glas Apfelsaft.
„Oh“, murmelte Dylan. Jaden hatte ihm oft genug erzählt, dass es bei ihm zu Hause deutlich anders zuging als bei Dylan. Aber bis jetzt hatte er es nicht so richtig glauben können. Natürlich wusste er, dass Jaden kein Problem damit hatte, den Tisch abzuräumen oder die Betas dazu zu verdonnern. Aber dass es hier genauso sein würde und selbst der Rudelalpha brav und artig die Spülmaschine einräumte, hätte er sich im Leben nicht erträumt.
„Entspann dich und gewöhn dich dran. Wenn du magst, darfst du mir morgen beim Kochen helfen. Jaden meinte, du hast da ein paar geniale Tricks auf Lager, die ich unbedingt lernen sollte.“ Eve grinste. „Der freche Welpe!“
Dylans Wangen wurden rot und er senkte den Kopf. „Das hat er bestimmt nicht so gemeint“, murmelte er.
Eve lachte lauthals los. „Und wie er das hat! Vor allem hat er von deinem Frühstück geschwärmt.“
„Oh“, sagte Dylan leise. „Ich mache gerne Frühstück.“
Grinsend legte Eve ihm den Arm um die Schultern und zog ihn an sich. „Erweist du mir dann übermorgen die Ehre und machst mit mir Frühstück?“
„Nicht morgen?“, fragte Dylan verwundert.
„Nein, morgen früh werdet ihr beide schön ausschlafen und euch erholen. Ihr habt eine lange Fahrt und jede Menge Unterricht hinter euch. Außerdem mache ich morgen kein Frühstück, wir essen gemeinsam mit den anderen im Speisesaal“, sagte Eve.
Dylan nickte. Jaden hatte ihm von der großen Gemeinschaftsküche erzählt. „Okay.“ So langsam merkte er, wie er müde wurde.
Er unterhielt sich mit Eve über diverse Rezepte, bis Jaden und die anderen aus der Küche kamen.
Jaden ließ sich auf der anderen Seite von Dylan nieder und Dylan lehnte sich an ihn. „Wollen wir schlafen gehen?“, fragte Jaden. „Der Tag war lang.“
Unsicher sah Dylan ihn an. Er wollte nicht einfach so verschwinden.
„Na dann auf, ihr zwei. Wir sehen und dann morgen beim Mittagessen.“ Landon grinste.
„Irgendwie so was“, murmelte Jaden. Er drehte sich zu Dylan. „Wollen wir dann? River hat die Taschen schon aus dem Auto geholt.“
Müde nickte Dylan.
„Na dann auf.“ Jaden stand auf und zog dann Dylan ebenfalls hoch. „Gute Nacht und bis morgen!“
Gemeinsam gingen sie zwei Stockwerke nach oben, wo sie in einem geräumigen und ausgebauten Dachgeschoss ankamen. Jaden hatte ihm Bilder gezeigt, aber Dylan war trotzdem überrascht, wie gemütlich es war.
Wie in Jadens Wohnung in Los Angeles war alles in hellem Holz und warmen Farben gehalten. Dazu kamen ebenfalls flauschige Teppiche und sogar ein echter Kamin.
Jaden führte ihn ins Schlafzimmer im hinteren Bereich. Es erinnerte ihn ebenfalls an Los Angeles. Jaden schloss die Tür und zog Dylan an sich. „Na komm. Kurz duschen und dann kuscheln wir uns ins Bett, okay?“
„Das klingt super“, murmelte Dylan müde. Er ließ sich von Jaden in das großzügige Bad ziehen. Er freute sich schon darauf, am nächsten Tag das Revier des Rudels zu erkunden.