Nach dem Abendessen brachte Mia die Kinder ins Bett, während sich der Rest der Familie im Wohnzimmer versammelte. Eve hatte mit Dylans Hilfe kleine Schälchen mit Knabberkram und Obst zusammengestellt und Kakao gemacht. Jaden und seine Brüder brachten alles zum Couchtisch.
Dylan saß unter einer flauschigen Decke zwischen Kate und Jaden und konnte es immer noch nicht so wirklich fassen, dass seine Mom hier war. Sein Kopf lehnte an ihrer Schulter und er genoss ihren vertrauten Geruch.
„Ich bin so froh, dass du hier bist, Mom“, sagte Dylan leise.
Kate drehte den Kopf und küsste Dylans Schläfe. „Ich bin auch froh. Hier ist es so anders als im Campbell-Rudel.“
Dylan lächelte. „Das stimmt. Hier fühlt man sich wohl und geborgen. Zu Hause.“
„Ich hab immer noch das Gefühl zu träumen.“ Kate seufzte. „Ich hab ehrlich gesagt nicht erwartet, da jemals wegzukommen.“
„So ging es mir am Anfang auch“, gab Dylan zu. „Aber so langsam scheint es doch mal anzukommen, dass ich zum Trinity-Rudel gehöre. Und es genieße.“
„Oh mein Baby. Und du solltest es auch genießen. Es ist das hier, was ich mir immer für dich gewünscht habe.“ Kate schluckte schwer.
„Und für dich?“, fragte Dylan zögerlich. Er hatte die Vermutung, dass ihm die Antwort nicht gefallen würde.
Kate seufzte erneut. „Ich hatte lange aufgehört zu hoffen.“
„Aber du hast es auch verdient, Mom! Du bist die tollste Mom, die ich mir vorstellen kann!“ Dylan drückte sich fester an ihre Seite.
„Hör auf deinen Sohn, Kate. Du hast es dir verdient!“, sagte Landon streng.
Unterwürfig senkte Kate den Kopf und sah auf den Boden. „Natürlich, Alpha.“
Landon seufzte. „Ich bin ebenfalls froh, dass du hier bist! Trotz der schwierigen Umstände hast du dich gut geschlagen. Sei stolz auf dich!“
Kate schniefte, sagte aber nichts.
Dylan streichelte ihre Hand und sie lächelte ihn überwältigt an.
Mia kam zurück ins Wohnzimmer und ließ sich neben Liam auf den Sessel sinken. Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich. Sie lächelte, als sie sich an Liam kuschelte.
„Nachdem alle hier sind, können wir ja anfangen“, sagte Landon.
Erstaunt sah Dylan zu ihm. Was hatte er verpasst?
„Wie die meisten von euch wissen, bin ich kein Fan davon, innerhalb der Familie Geheimnisse zu haben. Ich mag den Titel Alpha des Rudels tragen, aber ohne euch und euren Rückhalt könnte ich diesen Posten nicht so erfüllen, wie ich sollte.“ Landon lächelte. „Einige von euch kennen schon ein paar Teile der Geschichte, aber ich denke, es ist gut, wenn wir alle auf einem Stand sind.“
Dylan fragte sich, worum es wohl gehen könnte.
„Bevor ihr allzu sehr verwirrt seid, legen wir direkt los.“ Landon sah zu Dylan und Kate. „Es betrifft hauptsächlich Kate und Dylan, von daher hat Kate sich bereit erklärt, ihre Geschichte zu erzählen.“ Er lächelte. „Wir brauchen keine umfangreichen Details. Es reicht, wenn du einen groben Überblick gibst. Ich möchte nur, dass unsere Familie weiß, welche Situationen gegebenenfalls ein Problem sein sollte.“ Er sah Dylan und Kate mitfühlend an.
Scheu sah Kate zu Dylan.
„Alles gut, Mom. Soll ich anfangen?“, fragte Dylan sanft und drückte ihre Hand. Er wusste, dass es ihr schwerfallen würde, ihr bisheriges Leben zusammenzufassen. Er kannte die brutalen Details der Geschichte. Richard hatte sie ihm oft genug unter die Nase gerieben. Dylan war froh, zwischen seine Mom und Jaden gekuschelt zu sein. So fühlte er sich wie in einem Kokon. Ihre Gerüche hüllten ihn ein und ließen ihn sich sicher fühlen. Auch er war nicht besonders begeistert, sie zu hören oder sogar zu erzählen, aber er vertraute Landon.
Kate schüttelte den Kopf. „Nein, Baby. Ich schaffe das.“ Sie sah in die Runde. „Falls ihr Fragen habt, wäre ich dankbar, wenn ihr sie am Ende stellen würdet.“
Landon nickte. „Natürlich. Und wenn du eine Pause brauchst, sag Bescheid. Okay? Ich mache das nicht, um euch zu quälen.“
Sie atmete tief durch und nickte dann. „Wie ihr wisst, sind Dylan und ich aus dem Campbell-Rudel. Richard, der Alpha, ist mein älterer Halb-Bruder. Und er kommt ganz nach unserem Alpha-Vater und Alpha-Großvater. Alle drei machthungrig, gierig und brutal, wie auch schon ihre Vorfahren.“ Kate schauderte. „Mein Papa, ein herzensguter Omega, starb, als ich acht war. Vater hatte keine Lust mehr auf ihn gehabt und ihn an einen der Betas weitergegeben, damit er sich seinem neuen Spielzeug widmen konnte.“ Sie atmete zittrig ein.
Dylan drückte sich fester an seine Mom. Er wusste, wie sehr das Ganze sie mitnahm, und versuchte so, ihr ein wenig Trost zu spenden. Er spürte, wie sich Jaden mit ihm mitbewegte, um den Kontakt zu ihm nicht zu verlieren. Sein Gefährte war wirklich der Beste.
„Am nächsten Morgen war er tot. Und Vater hat mich zu den Betas geschickt, um zu üben.“
„Mit acht?“, fragte Landon entsetzt. „Sorry“, nuschelte er.
Trotz des schweren Themas musste Dylan lächeln, als er Landons schuldbewusstes Gesicht, weil er Kate unterbrochen hatte, sah.
Kate nickte und fuhr kommentarlos fort. „Ja. Die meisten von uns Betas haben in dem Alter angefangen, teilweise sogar noch früher. Es war okay, so war ich wenigstens nicht bei Vater und Richard im Haus. Und eine andere Beta hat mich unter die Fittiche genommen und mir alles beigebracht. Sie war meine Ersatzmutter.“ Kate lächelte traurig. „Sie ist kurz vor Dylans Geburt bei der Jagd gestorben. Angeblich hat ein Bär sie erwischt, aber ich bin mir sicher, dass Richard ordentlich nachgeholfen hat.“
Dylan streichelte seiner Mom über den Arm.
„Sie hatte es gewagt Kritik daran zu äußern, wie mit mir umgegangen wurde.“ Kate schluckte. „Da Richard nach einem Kampf steril war und wir sonst keine weiteren Geschwister haben, war ich die einzige Möglichkeit, das Familienblut weiterzutragen. Es hätte zwar noch genügend Cousins und Cousinen gegeben, aber die waren unter seiner Würde.“ Kate atmete tief aus. „Ich wurde mit dem Alpha-Sohn eines Freundes von ihm zusammengesteckt. Aber egal wie sehr sie es versucht haben, aus vier Schwangerschaften kam nur Dylan lebend zur Welt.“ Sie sah Dylan liebevoll an. „Und er ist mein größter Schatz.“
Dylan lächelte zurück. Auch wenn seine Existenz für seine Mom großes Leid bedeutet hatte, er wusste genau, wie sehr sie ihn liebte. „Und du bist meine liebste Mom!“
„Wir sind ein Dream-Team“, sagte sie mit feuchten Augen. Kate räusperte sich. „Scheinbar hatte Richard danach keine Lust mehr und hat mich halbwegs in Ruhe gelassen, sofern ich seine Drecksarbeit erledigt habe. Während er in der Alpha-Villa residiert hat, haben Dylan und ich in einer kleinen Hütte am Waldrand vom Allernötigsten gelebt. Aber wir hatten uns.“
„Und wir haben das Beste draus gemacht!“, sagte Dylan bestimmt.
Kate nickte. „Das ist wahr. Aber ich war trotzdem so froh, dass ich Richard dazu überreden konnte, dich aufs College gehen zu lassen. Ich hatte scheinbar einen guten Zeitpunkt erwischt und er hatte beste Laune.“ Kate knurrte. „Was ich zu dem Zeitpunkt nicht wusste, war, dass Richard zwei unserer jungen Omegas verkauft hatte. Wie Vieh!“, sagte sie aufgebracht. Nach einer kurzen Pause sprach sie weiter. „Das Rudel war dank Richards Spielsucht seit Langem in finanziellen Schwierigkeiten. Was an Geld reinkam, kam von seltenen Gewinnen und vom Drogenschmuggel. Wobei es nicht er war, der sich die Pfoten schmutzig gemacht hat. Das waren wir Betas. Zumindest der in Ungnade gefallene Teil.“ Kate beugte sich nach vorne und nahm die Kakao-Tasse vom Couchtisch.
Dylan nutzte die Gelegenheit, um sich umzusehen. Und egal wo er hinsah, er sah Mitgefühl und Wut auf Richard. Landon, Liam und River sahen aus, als würden sie Richard am liebsten zerfetzen. Eve und Mia hatten beide rote Augen und Taschentücher in der Hand. Beide an ihre Gefährten geschmiegt, die ihnen Halt gaben. Er selbst genoss Jadens Wärme an seiner Seite.
Nachdem sie ein paar Schlucke Kakao getrunken hatte, stellte Kate die Tasse zurück auf den Couchtisch und fuhr fort. „Richard hat unsere Familien als Druckmittel benutzt. Er hat ziemlich deutlich klar gemacht, dass er keinerlei Skrupel hat, sich an Wehrlosen zu vergreifen.“ Kate ließ den Kopf hängen. „Und wir haben alle gekuscht.“
„Mom, hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Wir wissen beide, dass du keine andere Wahl hattest.“ Dylan legte ihr den Arm um die Schultern und drückte sie fest.
Landon brummte. „Du hast vor dem Konzil umfangreich ausgesagt und so verdammt viele verkaufte Omegas gerettet und Beweise gegen skrupellose Alphas geliefert.“
„Und denk dran, wie vielen du geholfen hast, als wir noch bei Richard waren. Wie oft hast du den anderen eine von meinen Heilsalben zugesteckt. Oder bist jagen gegangen, wenn die anderen nicht konnten?“ Dylan lächelte sie liebevoll an.
„Ich musste doch wenigstens irgendwas machen.“ Kate seufzte.
„Kate. Was hättest du denn machen sollen, ohne dich und Dylan in Gefahr zu bringen? Falls du dich erinnerst, war ich bei deiner Befragung vor dem Konzil dabei“, sagte Landon streng. „Du hast getan, was du in deiner Situation konntest und dabei dich und Dylan am Leben gehalten. Wofür ich dir extrem dankbar bin! Ich freue mich, Dylan und jetzt auch dich, zu meiner Familie dazuzählen zu können.“ Er lächelte Kate an. „Ich erwarte nicht von dir, von jetzt auf gleich umzuschalten. Ich weiß, dass das Zeit braucht. Aber ich hoffe, dass wir dir hier die passende Umgebung bieten können dein Leben so zu leben, wie du es dir gewünscht hast.“
Kate schluckte schwer.
„Und um es deutlicher auszudrücken: Ich würde mich freuen, wenn du hierbleiben und Teil unseres Rudels werden würdest. Ich werde dich nicht dazu zwingen. Wann immer du das Bedürfnis hast weiterzuziehen, sag Bescheid und ich helfe dir. Aber solange du hierbleiben willst, hast du einen Platz hier. In der Familie und im Rudel.“ Landon lächelte.
„Und wenn du wen zum Reden brauchst. Du kannst dich jederzeit an mich wenden.“ Eve lächelte sie ebenfalls aufmunternd an.
Mia, Liam und River nickten. „An mich auch“, sagte sie gemeinsam und grinsten sich dann an.
„Und Dylan und mich“, sagte Jaden und legte seine Hand über Dylans Rücken hinweg auf Kates Schulter.
Kates bisher nur feuchte Augen begannen zu tränen. Sie schlug die Hände vors Gesicht. „Ich muss träumen“, nuschelte sie.
Eve stand auf und setzte sich auf die andere Seite von Kate, um ihr über den Rücken zu streicheln. „Nein. Du wirst dich ‚leider‘ dran gewöhnen müssen, dass du jetzt ne tolle Familie hast.“
„Leider“, japste Kate, zwischen einem Gemisch aus Lachen und Schluchzen. „Ich kann es immer noch nicht fassen, dass es Rudel gibt, in denen es so anders ist als in unserem.“
Dylan legte sein Kinn auf die Schulter seiner Mom. „Ich habs auch nicht geglaubt. Aber Jaden und der Rest der Familie haben beste Arbeit geleistet.“ Er lächelte in die Runde. „Das hier ist mein Zuhause.“
Landon strahlte ihn an. „Ja, das ist es.“
„Was haltet ihr davon, wenn wir uns den Pelz überziehen und vor dem Kamin kuscheln?“, fragte Jaden.
Lächelnd drehte Dylan sich zu ihm. „Viel!“ Er liebte es, als Wolf mit seiner Familie zu kuscheln.
Auch die anderen nickten. Während Kate sich mit Eve in die Küche verzog, nahm der Rest ihre Wolfsgestalt im Wohnzimmer an. River und Liam schnappten verspielt nach Jadens Ohren, bevor sie sich nebeneinander auf dem großen, flauschigen Teppich niederließen. Mia legte ihren Kopf auf Liams Rücken. Jaden brummte nur gutmütig und kuschelte sich an Dylan. Er stupste Landon mit der Nase an, der ihm über die Stirn leckte.
Eve und Kate kamen ebenfalls in Wolfsgestalt aus der Küche. Während Eve zielstrebig auf sie zukam und über ihre Söhne sprang, um zu Landon zu kommen, war Kate deutlich zögerlicher.
Dylan brach das Herz, sie so unsicher und verloren zu sehen. Seine Mom war immer sein Fels in der Brandung gewesen. Aber jetzt war es wohl an ihm, ihr Fels zu sein. Er stand auf und tapste schwanzwedelnd auf sie zu. Sie leckte ihm liebevoll über das Gesicht und er erwiderte die Geste. Dann ergriff er vorsichtig mit den Zähnen ihr Ohr und zog sie daran zu den anderen.
Kate folgte ihm ohne weiteren Protest und ließ sich von Dylan zwischen ihm und River auf den Teppich ziehen.
Die anderen streckten die Hälse, um sie zu beschnuppern. Landon rieb seinen Kopf an ihrem und leckte ihr dann über die Stirn. Kate lehnte den Kopf zur Seite, um ihm ihre Kehle darzubieten. Er schnaubte und leckte ihr stattdessen über die Nase, was sie zum Niesen brachte.
Nicht nur Dylan musste grinsen. Auch die anderen zeigten ihr bestes Wolfslachen. Leise brummend vergrub Dylan seine Nase in Kates Fell und ließ sich von diesem und Jadens Wärme einlullen.
Dieses Jahr freute er sich nun umso mehr auf Weihnachten. Mit der Familie war es einfach am schönsten.