Heftig mit den Armen rudernd tauchte Cliff an der Wasseroberfläche auf. Gurgelnd und nach Luft japsend kämpfte er um sein Leben. Krampfhaft versuchte der junge Mann, mit dem Kopf über der Oberfläche zu bleiben. Seine Lungen brannten und drohten sich mit jeder Welle, die über ihm zusammenschlug, mit Wasser zu füllen. Eine Ohnmacht nahte, gegen die er ankämpfen musste, sonst wäre er verloren.
Das kann doch nicht schon alles sein, ging ihm durch den Kopf. Ich will noch nicht sterben.
Doch der Sturm wollte und wollte kein Ende nehmen. Jedes Mal, wenn Cliff es schaffte, aufzutauchen und neue Luft zu schnappen, schwappte die nächste große Welle über ihn und drückte ihn wieder unter Wasser. Sein Auftauchen reichte gerade, Wasser auszuspucken und nach neuer Lift zu japsen. Es gelang gerade tief Luft zu holen, ehe er wieder untertauchte und dabei versuchte, näher an die Küste heran zu schwimmen. Längst hatte er die Orientierung verloren und schwamm auf gut Glück so weit es ging unter Wasser weiter. Die Sicht war fast null.
Als Cliff einmal wieder auftauchte, um nochmals Luft zu holen, hörte er ein lautes Krachen. Er versuchte herauszufinden, aus welcher Richtung dieses knirschende Geräusch von brechendem Holz kam. Dann endlich sah er im fahlen Mondlicht einen Felsen, sowie die kleine Segeljacht, mit der er und sein Freund Fred vor Kurzem noch gesegelt waren. Die Jacht knallte mit jeder großen Welle gegen den Felsen. Dabei löste sie sich nach und nach in Einzelteile auf. Ein Wunder, dass sie noch nicht komplett gesunken war.
Cliff tauchte wieder und schwamm unter Wasser weiter auf den rettenden Felsen zu, immer darauf bedacht, außer Reichweite der Jacht zu bleiben. Endlich erreichte er den Felsen. Erschöpft, mit seinen Kräften am Ende, versuchte er, die nassen, glitschigen Steine nach oben zu klettern. Immer wieder rutschte er ab und fiel zurück ins Wasser. Stöhnend nahm er seine allerletzten Kräfte zusammen und zog sich nach oben. Endlich hatte er die rettende Spitze des Felsens erreicht. Das Meer um ihn herum wütete immer noch. Hohe Wellen schlugen ständig gegen seine Rettungsinsel, versuchten gar, ihn wieder herunterzuziehen.
Für den jungen Mann kam es ewig vor, wie der da oben lag und versuchte, sich auszuruhen. Sein Herz schlug schnell. Die Lunge brannte immer noch von dem ständigen Luftmangel. Er hustete Reste von eingeatmetem Seewasser aus, bis er endlich er wieder normal Luft bekam.
Endlich kam er wieder dazu an seinen Freud zu denken.
Suchend blickte er sich nach Fred um. Aber nirgends konnte er ihn entdecken. Auch seine lauten Rufe halfen nichts, der Sturm übertönte seine Stimme. Hektisch überlegte er, wie er weiter verfahren sollte. Zum Ufer zu schwimmen war bei diesem hohen Wellengang unmöglich, ja sogar lebensgefährlich. So beschloss er, das Ende des Sturmes auf dem Felsen abzuwarten und zu hoffen, nicht selbst noch einmal heruntergespült zu werden. Eine andere Möglichkeit sah er nicht, ohne sich unnütz nochmals in Lebensgefahr zu begeben.
Die Zeit verging langsam, fast schleichend. Aber Cliff war zu erschöpft, als dass es ihm langweilig wurde. An Schlaf war nicht zu denken, zu gefährlich. Er könnte abrutschen. Doch er hatte Durst, Hunger nagte in seinem Magen, aber noch mehr war er beunruhigt. Denn noch immer hatte er kein Lebenszeichen seines Freundes entdeckt. Inzwischen war es ganz dunkel, sogar der Mond hatte sich hinter den Wolken verkrochen. Cliff überlegte, ob er es wagen konnte an Land zu schwimmen oder doch weiter auf dem Felsen ausharren sollte. Die Nacht hier oben zu verbringen, sah er mit Grausen entgegen. Aber dann entschied er sich, doch dazubleiben und den Morgen abzuwarten. Vielleicht hatte sich der Sturm bis dahin schon ein wenig beruhigt, oder, was er noch mehr erhoffte, ein rettendes Schiff kam vorbei und nahm ihn auf.
Während der Nacht legte sich der Sturm. Leise plätschernd schlugen nun die Wellen gegen den Felsen, auf dem Cliff immer noch ausharrte. Das Geräusch wirkte einschläfernd. Zu Hunger und Durst kam nun auch noch Müdigkeit hinzu. Krampfhaft versuchte der Gestrandete wach zu bleiben. Doch die Angst, im Schlaf zurück ins Meer zu fallen, war zu groß.
Endlich kam der Morgen, die Sonne ging gerade auf und tauchte das Meer in wunderschönen Pastellfarben. Cliff saß immer noch auf seinem Felsen und starrte nachdenklich auf das Wasser, das inzwischen ruhig dahinplätscherte, so als hätte es den Sturm vom letzten Abend nie gegeben. Er hatte sich immer noch nicht entschieden, was er tun sollte. Hier ausharren und auf Rettung hoffen, oder ans Ufer schwimmen und dort eventuell seinen vermissten Freund finden, falls dieser ans Ufer geschwemmt wurde.
Cliffs Blick ging in Richtung Ufer. Der Tag schritt schnell voran, es war vollends hell geworden. Die Sonne stand hoch am Himmel. Sie schickte ihre wärmenden Strahlen zur Erde. Blinzelnd kniff Cliff die Augen zusammen. Lag da nicht jemand? Oder irrte er sich, fiel auf eine Fata Morgana herein? Er stand auf und strengte sich noch mehr an, um zu erkennen, was dort am Strand lag. Endlich erkannte er einen Menschen, der da auf dem Bauch im Sand lag.
Aufgeregt schaute Cliff genauer hin. Könnte das womöglich Fred sein, der da gestrandet war und nun am Strand lag? Der junge Mann nahm allen Mut zusammen und sprang ins Wasser. So schnell er konnte und es seine Kräfte zuließen, schwamm er auf das Ufer zu. Dabei blickte er sich immer wieder um, ob nicht doch ein Hai in der Nähe war, der ihm so kurz vor dem Ziel an den Kragen und ihn verspeisen wollte.
Unendlich lang kam es Cliff vor, bis er das rettende Ufer erreicht hatte. Die letzten Meter rannte er durch das flache Wasser auf die Person zu, die da lag und sich nicht bewegte. Aufgeregt klopfte sein Herz in der Brust. Könnte das womöglich Fred sein, der da gestrandet war und nun am Strand lag? Wenn es nun Fred war, der dort tot lag? Angst machte sich immer mehr breit und schien Cliff fast den Atem zu nehmen.
„Fred!“, schrie Cliff, als er seinen Freund erkannte. Er kniete sich neben ihn und drehte ihn auf den Rücken. „Fred, wach auf!“, schrie Cliff nochmals panikartig, als der sich immer noch nicht rührte. Er legte sein Ohr an Freds Brust und horchte gespannt. Da, sein Herzschlag war zu hören. Oder war es nur sein eigener Puls, den er da hörte und der wild schlug. Fahrig suchte Cliff die Stelle am Hals, wo die Hauptschlagader sein musste und legte einen Finger darauf. Ganz schwach spürte er den Puls seines Freundes. Nochmals versuchte er den Puls zu spüren, war er sich doch nicht sicher, ob er sich das Klopfen nur einbildete oder nicht.
Plötzlich rührte sich Fred, Husten quälte ihn. Er begann zu würgen und ein Schwall Wasser schoss aus seinem Mund. Cilff half seinem Freund, sich aufzusetzen. Er stützte ihn am Rücken, damit er nicht wieder umfiel. Erst jetzt bemerkte er die dicke Beule an dessen Kopf auf. Er fragte aber erst einmal nicht, wie er sich die zugezogen hatte.
„Cliff“, krächzte Fred heiser. „Wo sind wir?“
„Pst, nicht reden. Das ist erst einmal egal. Die Hauptsache ist, wir leben“, beruhigte Cliff ihn.
„Aber …“, weiter kam Fred nicht, denn Cliff legte ihm einen Finger auf die Lippen und verschloss seinen Mund.
„Nicht reden. Du bist wahrscheinlich verletzt“, sagte er leise, aber glücklich, seinen Freund gefunden zu haben. „Wir wurden gestern bei unserem Ausflug von einem Sturm überrollt und sind ins Wasser gespült worden. Ich konnte dich nicht finden und habe die Nacht auf dem Felsen dort drüben verbracht.“
Fred hustete wieder. Langsam bekam er Farbe ins Gesicht. „Was war weiter?“, fragte er nun.
„Erst als es hell wurde, sah ich, wie nah ich am Ufer war. Letzte Nacht war, nachdem auch der Mond verschwunden war, es so dunkel, dass ich nichts erkennen konnte und nicht wusste, in welche Richtung ich schwimmen musste, um zurück ans Ufer zu kommen. So blieb ich, wo ich war. Ich habe Ängste um dich ausgestanden. Aber nun habe ich dich gefunden und du bist zum Glück scheinbar fast ohne Blessuren hier gestrandet.“
„Was ist mit der Jacht?“, wollte Fred von Cliff wissen.
„Die ist am Felsen in tausend Stücke zerschellt. Da ist nichts mehr zu retten“, bekam er als Antwort.
„Schiet“, fluchte Fred. „Was machen wir nun?“
„Ich weiß es noch nicht. Erst musst du sehen, dass du wieder fit wirst. Alles andere ist erst einmal egal.“
Nachdenklich saß Fred im Sand. Wo genau sie waren, wusste er nicht, waren doch mit dem Boot auch Kompass und andere Utensilien, die zur Standortbestimmung notwendig waren, untergegangen. Fred raufte sich die Haare, dabei kam er an die Beule, die er hatte. „Schiet, was ist das denn?“, rief er mit schmerzverzerrtem Gesicht, griff sich nochmals an die Beule und betastete diese vorsichtig.
„Du hast da eine Beule“, erklärte ihm Cliff, nachdem er die Verletzung genauer untersucht und für nicht bedrohlich eingeschätzt hatte. „Weißt du noch, wie das passiert ist?“
Wieder überlegte Fred. „Ich weiß noch, dass ich aus dem Boot geworfen wurde und dann wie ein Stein unterging. Obwohl ich schwimmen kann, konnte ich nichts machen. Der Sog des Wasser zog mich immer wieder in die Tiefe. Irgendwann bin dann mal mit dem Kopf gegen etwas sehr Hartes gestoßen. Von da an weiß ich nichts mehr.“ Fred hielt kurz inne. „Wir haben einen großen Fehler gemacht“, sagte er dann mit starrem Blick auf Cliff.
„Welchen?“, wollte Cliff wissen.
„Wir hatten die Schwimmwesten nicht angelegt. Dabei hatte mich der Bootsverleiher darauf aufmerksam gemacht, die unbedingt zu tragen, falls mal was sein sollte. Wir können von Glück reden, dass wir bei dem Sturm nicht ums Leben gekommen sind.“
„Das ist doch erst einmal egal, ob wir Schwimmwesten anhatten oder nicht. Dass wir untergegangen sind, daran können wir nun auch nichts mehr ändern. Wir leben, das ist wichtiger als alles andere“, versuchte Cliff seinen Freund zu beruhigen, der sich des Fehlers große Vorwürfe machte. Er zog ihn an sich und nahm ihn in seine Arme.
Fred presste sich fast an Cliff, so als wäre es das letzte Mal, dass er dies tun konnte. Heftig schlug sein Herz, doch der Zorn, den er immer noch in sich hatte, gewann wieder die Oberhand. Fast wären sie durch den Fehler, den er begangen hatte, ums Leben gekommen. „Nein!“, rief Fred wieder und sprang auf. Aufgeregt lief er hin und her. Er konnte sich nicht beruhigen. Wirr blickte er um sich, sah immer wieder auf das Meer hinaus, so als würde er hoffen, von dort käme endlich Rettung.
***
Das Glück war den beiden hold. Als Cliff aufsah, bemerkte er in der Ferne ein Boot, das auf die Insel zusteuerte.
„Fred, schau mal“, rief er und zeigte in Richtung offene See. „Da kommt ein Boot. Vielleicht werden wir schon vermisst und werden gesucht.“ Wild mit den Armen wedelnd hüpfte Cliff am Strand auf und ab.
Fred stand nur apathisch daneben und beobachtete seinen Freund. „Das hat doch keinen Sinn, die hören uns nicht“, meinte er leise. Traurigkeit war in seiner Stimme.
„Doch, schau mal. Die haben uns gesehen“, rief Cliff wieder. „Die steuern auf uns zu. Sieh doch mal!“ Er lief zu Fred und zwang ihn, hinzuschauen.
Ein Lächeln ging über Freds Gesicht. „Du hast recht. Die haben uns bemerkt“, sagte er nun doch.
„Freu dich doch mit“, lachte Cliff und nahm seinen Freund wieder in die Arme und küsste ihn.
Es dauerte nicht lange und das kleine Boot kam dem Ufer näher. Zwei Männer saßen darin. „Hey, seid ihr Fred und Cliff?“, rief einer der beiden.
„Ja, das sind wir“, rief Cliff zurück.
Die beiden im Boot ruderten nun ganz ans Ufer und legten an.
Cliff war sichtlich erfreut, endlich gefunden worden zu sein.
„Woher wusstet ihr, wo wir sind?“, fragte er, aufgeregt hin und her hüpfend. Von Müdigkeit und Erschöpfung war plötzlich nichts mehr zu bemerken.
„Der Bootsverleiher, bei dem ihr die Segeljacht gemietet habt, wurde unruhig, als gestern Abend plötzlich der Sturm begann und ihr nicht zurück in den Hafen kamt“, bekam er als Antwort, nachdem sich die beiden Männer als Angestellte der Küstenwache vorgestellt hatten. „Heute Morgen gab er dann eine Vermisstenanzeige auf, der wir natürlich gleich nachgegangen sind, um euch zu suchen. Weiter draußen sahen wir die Überreste der Jacht im Wasser schwimmen. So suchten wir die kleinen Inseln hier ab. Und siehe da, hier fanden wir euch.“
Fred und Cliff fuhren mit ihren Rettern zurück in den Hafen. Vom Boot aus wurde schon an den Vermieter der Jacht gefunkt, dass die Gesuchten aufgefunden worden sind und sie mit auf dem Weg zurück wären. Ein Arzt erwartete sie schon, der sie untersuchte und befand, es ginge ihnen gut und sie hätten keinen Schaden genommen.
Später am Tag, als sich die Aufregung gelegt hatte, kehrten Fred und Cliff in ihr Hotel zurück. Eigentlich hätten sie am heutigen Tag zurückfliegen müssen. Der Flieger war allerdings schon weg. So mussten sie noch eine Nacht im Hotel verbringen, ehe sie am nächsten Tag zurück nach New York fliegen konnten.