In Cliffs und Freds Appartement
„Weißt du“, begann Cliff, als Fred sich zu ihm auf das Sofa setzte. „Ich verstehe den plötzlichen Sinneswandel meines Vaters nicht. Erst will er nichts mehr von mir wissen und nun das. Irgendwie werde ich daraus nicht schlau.“
„Sei doch froh darüber, dass er sich endlich besonnen hat“, erwiderte Fred.
„Vielleicht hat da auch meine Mutter was dazu getan“, sinnierte Cliff weiter. „Obwohl, viel zu sagen hatte sie bisher bei meinem Dad nie. Wenn ich dran denke, wie er oft mit ihr umgesprungen ist. So als wäre sie nur ein Gegenstand und keine eigenständige, selbstdenkende Person. Manchmal kommt es mir vor als hätte er sie nie geliebt. Und bei mir war es nicht anders. Oft war es mir sogar, als wäre es ihm lieber gewesen, ich wäre nie zur Welt gekommen.“
„Denk doch nicht an so was“, versuchte Fred Cliffs Gedanken in eine andere Richtung zu bringen. „Dein Dad liebt dich ganz bestimmt, auch wenn man es von außen nicht so richtig sieht.“
„Wenn du meinst“, murrte Cliff ein wenig. Er schaute auf die Armbanduhr. „Ich glaube, wir müssen uns langsam mal fertig machen. In zwei Stunden sollten wir zu meinen Eltern losfahren.“
„Oh ja, du hast recht“, meinte Fred. „Mir kommt es allerdings nicht so vor, als würdest du dich freuen. Ach komm, freu dich doch einfach ein wenig, dass dein Vater einen Schritt auf dich zugehen will. Vor ein paar Monaten hättest du dir das nicht einmal zu träumen gewagt.“
„Eben daran denke ich immer, was damals los war, als ich mich outete. Nun komm aber, sonst sind wir wirklich nicht rechtzeitig bei meinen Eltern“, lenkte Cliff wieder ab, ging ins Ankleidezimmer, um sich die Garderobe für den Nachmittag herauszusuchen. Fred folgte ihm und tat das selbe.
Zur gleichen Zeit im Cliffs Elternhaus
Mary hetzte wie von Teufeln verfolgt durch das Haus, um die letzten Vorbereitungen für den Besuch ihres Sohnes und dessen Freund zu machen. Henry beobachtete sie lächelnd.
„Hey“, rief er. „Ich glaube, Cliff legt keinen Wert darauf, dass alles picobello ist hier. Sein Freund garantiert auch nicht. Die beiden werden mehr daran interessiert sein, was wir ihnen zu sagen haben.“
Mary hielt inne. Sie schaute ihren Mann an. „Du meinst bestimmt, was du ihnen zu sagen hast. Ich selbst weiß es ja noch nicht einmal.“
„Ja, ja, du hast ja recht“, winkte Henry ab. „Ehe ich mich mit dir hier herum streite, sage ich lieber nichts mehr.“
Lachend lief Mary zu ihm. „So kenne ich dich gar nicht mehr. In den letzten Jahren warst du immer so abweisend und herrisch.“
Henry wurde schweigsam. Gedankenverloren schaute er auf seine Frau. „Ich weiß, Liebling. Besonders behutsam war ich in den letzten Jahren mit dir nicht. Manchmal weiß ich selber nicht, welcher Teufel mich da geritten hat. Aber seit Cliffs Geburt fühlte ich mich oft wie das sogenannte fünfte Rad am Wagen. Ich kam mir vor, als würde ich nicht dazu gehören.“
Erschrocken schaute Mary Henry an. „Aber warum hast du nie etwas gesagt? Mir ist das nie aufgefallen“, stieß sie fast seufzend heraus.
„Ich wollte eure Idylle nicht stören, sah ich doch, ihr seid glücklich. Dafür nahm ich mir vor, Cliff ganz besonders streng zu erziehen. Immerhin ist er unser einziges Kind und soll mein Nachfolger in der Firma werden.“
Mary lief zu Henry und drückte sich an ihn. „Ich glaube, wir zwei haben sehr viel Redebedarf“, flüsterte sie. „Wir müssen so viel wieder gut machen.“
„Ja, aber erst ist Cliff dran. Das, was ich ihm heute zu sagen habe, wird vieles verändern“, sprach Henry weiter. „Aber nun lass uns auf seinen Besuch warten. Ich bin schon ganz gespannt. Er wird wohl gleich ankommen.“
Nach einem Blick auf die Uhr bestätigte Mary Henrys Annahme.
Wenig später war es auch schon so weit. An der Haustür klingelte es. Trotz, dass Cliff immer noch einen Hausschlüssel besaß, benutzte er diesen ganz selten, sondern nur dann, wenn er seine Mutter alleine zu Hause wusste. Aber heute, wo sein Vater nicht in der Firma war, ließ er den Schlüssel lieber in seiner Tasche.
Fred schaute Cliff ein wenig besorgt an. Er hatte schon längst bemerkt, in welchem Seelenwirrwarr sich sein Freund befand. So sehr er sich auf den Besuch bei seinen Eltern freute, so sehr ängstigte ihn auch die Anwesenheit seines Vaters.
Ermunternd lächelte Fred Cliff an. Dann wurde auch schon die Tür geöffnet. Cliffs Vater stand im Rahmen.
„Hallo Dad“, grüßte Cliff höflich.
„Guten Tag, kommt erst einmal herein“, erwiderte Henry. Am liebsten hätte er sofort seinen Sohn in den Arm genommen, aber immer noch war da diese von ihm selbst aufgebaute Hemmschwelle vorhanden.
„Guten Tag, Mister Williams“, grüßte auch Fred, worauf er, für ihn verblüffend, vom Gegrüßten auch eine Antwort bekam.
Als die Männer ins Haus gingen, kam auch Mutter Mary aus der Küche, um die Gäste zu begrüßen. Danach ging sie sogleich zurück, um die Kaffeemaschine anzustellen.
„Gehen wir erst einmal ins Wohnzimmer“, schlug Henry nach der Begrüßung vor. Er hatte sofort wieder dieses unsichtbare Band bemerkt, das zwischen Mutter und Sohn immer noch vorhanden war.
Auch Fred schien inzwischen dazu zu gehören, denn auch er wurde von Mary sehr herzlich begrüßt. Eifersucht kam in Henry auf, doch dann besann er sich, es wäre normal zwischen Mutter und Sohn.
Jetzt erst kam ihm in den Sinn, wie viel Zeit er vergeudet hatte, die er nicht mit seinem Sohn verbracht hat. Doch nun war es dafür zu spät, da konnte nur noch Schadensbegrenzung helfen.
„Ich gehe kurz zu Mom in die Küche, sehen ob ich ihr helfen kann“, ließ Cliff vernehmen.
So blieb Henry nichts weiter übrig als mit Fred schon mal vorzugehen.
„Kann ich etwas für dich tun?“, fragte Cliff seine Mutter, als er zu ihr in die Küche kam.
„Nein, nicht nötig“, erwiderte Mary. „Aber schön, dass wir kurz alleine sind.“
„Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du weißt, was Dad uns zu sagen hat.“
Mary schaute ihren Sohn lächelnd an. „Nein, das weiß ich nicht. Ich wusste bis zu deinem Anruf hier ja nicht einmal, dass dein Vater euch eingeladen hat. Was er euch zu sagen hat, weiß ich auch nicht. Mir gegenüber hüllt er sich auch in Schweigen.“ Sie griff nach dem inzwischen fertigen Kaffee und meinte: „Aber nun komm, gehen wir zu den beiden.“
Sie gingen zu Henry und Fred ins Wohnzimmer. Die beiden saßen da fast einträchtig nebeneinander auf der Couch und unterhielten sich. Es sah nicht so aus, als wären sie sich feind. Im Gegenteil.
„Wenn wir hier nun einmal alle beisammen sind, möchte ich als erstes aufhüllen, warum ich dich, Cliff und dich, Fred, hierher eingeladen habe“, begann Henry, als sich Mary und sein Sohn zu ihnen auf das Sofa gesetzt hatten.
„Da hast du ja großes Geheimnis daraus gemacht“, unterbrach ihn seine Frau. „Nicht mal mir hast du den Grund deiner plötzlichen Eingebung erklärt.“
Cliff und Fred saßen wie auf Kohlen und konnten es auch fast nicht erwarten, bis das Geheimnis gelüftet wurde.
„Nun ja“, fuhr nun Henry fort. „Mir dir, Mary, hatte ich die Woche ja schon einmal gesprochen, an dem Tag als Cliff hier anrief und für heute zusagte. So ganz einfach ist es für mich nicht, hier vor allen alles offen zu legen.“
„Es ist aber schon einmal gut, dass du bereit zu sein scheinst. über deinen eigenen Schatten zu springen“, meinte nun Cliff, der seinem Vater interessiert zugehört hatte.
„Ja, ich habe inzwischen eingesehen, dass ich einen Fehler machte, als ich dich einfach so verstieß. Cliff, es tut mir leid. Ich hoffe, du kannst mir das irgendwann verzeihen“, tat Henry reumütig. „Ihr werdet euch nun bestimmt fragen, wie es dazu kam.“
Alle nickten erwartungsvoll. So sprach Henry einfach weiter.
„Ich habe mir sehr lange Gedanken gemacht, wieso gerade mein einziger Sohn schwul geworden ist, was ich da falsch gemacht habe. Ich dachte an die Zeit zurück, als du noch ein Kind warst und ich versuchte, dich durch Strenge zu erziehen. Das war falsch, dabei war ich nur eifersüchtig auf dich und deine Mutter, dass du dich mit ihr besser verstanden hast, als mit mir.“ Henry wurde rot.
„Ach Henry“, seufzte nun Mary.
„Dad, es ist gut, du musst dich nicht erklären“, hielt Cliff die Rede seines Vaters auf.
„Aber …“, wollte Henry weitersprechen. Doch Cliff stand auf und ging zu ihm. Er setzte sich neben ihn und umarmte ihn.
„Dad, ich war dir nie böse“, flüsterte er.
„Und Fred? Was soll er jetzt von mir denken?“
„Mister Williams, es ist in Ordnung. Deswegen müssen sie sich keine Gedanken machen. Ich habe genug Erfahrungen machen müssen in meinem Leben, dass ich auch das verkraften kann. Aber nun ist ja wieder alles in Ordnung und ich freue mich sehr, dass sie sich Gedanken um uns gemacht haben“, mischte sich Fred ein.
„Wirklich?“, auf Henrys Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab.
„Ja, wirklich“, bestätigte Fred. „Cliff und ich, wir sind uns einig, weiterhin zusammen zu bleiben. Wir bewohnen ja auch schon ein gemeinsames Appartement, nachdem Cliff hier fluchtartig das Terrain verlassen hatte.“
„Nur“, begann nun Cliff an seine Mutter gerichtet. „Auf Enkelkinder wirst du wohl verzichten müssen.“
„Damit kann ich leben, solange ihr beide glücklich seid“, antwortete Mary. „Es soll nun mal nicht sein, euer Glück ist vorrangig.“
„Danke Mom“, freute sich Cliff sichtlich. „Und du, Dad?“
„Für mich ist das auch in Ordnung. Nun hoffe ich, du wirst mir verzeihen“, sagte Henry mit einem leisen Seufzer.
Nun war es an Cliff, breit zu grinsen. „Das kann ich“, bekannte er. „Du bist nun mal mein Dad.“
„Ich freue mich unheimlich. Aber ich habe da noch was für euch“, tat Henry nun wieder geheimnisvoll. Er stand auf und ging in sein Arbeitszimmer. Als er zurückkam, hielt er zwei Flugtickets in der Hand, die er Cliff überreichte.
Der schaute seinen Vater nun genau so erstaunt an wie seine Mutter. Cliff klappte die Tickets auf und sah sie sich an. New York – Amsterdam – Bern stand darauf. Als er weiter schaute, bemerkte er, dass zwei Buchungen in einem 5-Sterne-Hotel in Sankt Moritz dabei lagen.
„Was ist das?“, fragte Cliff überrascht.
„Flugtickets und eine Hotelbuchung auf euren Namen in Sankt Moritz“, erklärte Henry.
„Warum das?“
„Muss man immer alles erklären?“, erwiderte Henry. „Ich hab da noch etwas für euch.“
Gespannt schauten ihn drei Augenpaare an.
„Ich habe mich entschlossen, in den Ruhestand zu gehen“, ließ Henry nun die Bombe platzen.
„Du hast was?“, fuhr nun Mary erschrocken auf.
„Ich gehe in den Ruhestand“, wiederholte Henry laut und deutlich.
„Und was ist mit einem Nachfolger?“, wollte Mary wissen.
„Mein Nachfolger sitzt direkt neben dir“, erklärte Henry. „Du willst doch wohl hoffentlich?“, wandte er sich nun fragend an seinen Sohn.
Cliff saß wie zur Salzsäule erstarrt auf dem Sofa und wagte kaum zu atmen. Hatte er jetzt richtig gehört, dass ihn sein Vater zum Nachfolger in der Firma ernannt hatte.
„Nun“, bohrte Henry. „Willst du?“
„Aber natürlich“, freute sich Cliff und sprang auf. „Fred kann mein Teilhaber werden“, träumte er sofort.
„Immer langsam“, wurde er von seinem Freund gebremst. „Darüber reden wir noch einmal.“ Er wandte sich an Henry: „Und sie? Was haben sie nun vor?“, fragte er ihn.
„Ich genieße meine Zeit mit Mary und gehe in den verdienten Ruhestand“, antwortete er. „Mary und ich haben viel nachzuholen.“
Allgemeiner Jubel brach aus.
„Die richtige Übergabe machen wir später. Die Angestellten müssen ja auch noch über den Wechsel benachrichtigt werden. Das eilt nicht. Ihr fahrt als erstes nach Sankt Moritz und genießt einen schönen Skiurlaub. Danach legen wir los. Aber jetzt haben wir was zu feiern.“
Das ließen sie sich nicht noch einmal sagen. Die Champagnergläser wurden gefüllt, man prostete sich gegenseitig zu. Wenig später erscholl lautes Lachen aus dem Haus Williams. Die kleine Party ging bis in die späten Abendstunden, bis sich Cliff und Fred auf den Nachhauseweg machen mussten.
Spät abends zurück in Cliffs und Freds Appartement
„Das war ein aufregender Tag“, mit diesen Worten ließ sich Cliff auf das breite Sofa fallen und streckte die Beine aus. Er konnte es immer noch nicht glauben, was heute Nachmittag geschehen war. „Kneif mich mal!“, rief er zu Fred, der am Fenster stand und auf die Skyline der Stadt blickte.
„Au!“, schrie er auf, als Fred ihn wirklich kniff. „Also träume ich doch nicht.“
„Nein, so wie es aussieht, wohl nicht“, meinte Fred lachend. „Und was machen wir nun? Willst du wirklich die Firma übernehmen?“
„Was spricht dagegen? Ich wurde ja von klein auf darauf getrimmt. Warum sollte ich nicht die Zügel übernehmen und meinen Vater in den verdienten Ruhestand gehen lassen. Irgendwann muss ich ja auch mal erwachsen werden. Also warum nicht jetzt.“
„Du hast recht, warum eigentlich nicht?“, meinte Fred, der sich nun neben Cliff setzte und sich an ihn kuschelte. „Nehmen wir die Herausforderung an. Gemeinsam werden wir das schaffen.“
„Soll das heißen, dass du …“, stotterte Cliff. Weiter kam er nicht.
Fred hielt ihm den Mund zu. „Ja, das soll heißen, ich steige bei dir ein. Natürlich nur, wenn du willst“, feixte er.
„Aber immer!“, rief Cliff. „Auf in den Kampf … wir beide zusammen werden es allen zeigen!“